Antigenesis

Antigenesis

von Markus Pließnig







Mit künstlicher Intelligenz versehen jagen fünf der "Pharisäer" - so werden diese selbstagierenden Fluggeräte des Vatikan genannt - wie tollwütige Bluthunde über den wolkenverhangenen Nachthimmel. Auf der schwarzen Metalloberfläche ihrer Außenhaut spiegelt sich etwas das haargenau wie eine Zitrone aussieht. Schnell wird es größer.
Vom Turbinenlärm aufgeschreckt ahnt Jesus - der inzwischen mit gesenktem Kopf in der Zitronenzeltecke kauert und die Knie zum Schutz anwinkelt - nicht, welches Höllengerät mobilisiert wurde, um ihn und seine Botschaft wieder zum Teufel zu jagen. Denn in die Schaltkreise der Pharisäer wurde eine unmissverständliche Botschaft impliziert. Jesus finden, Jesus zerstören, keine Eigeninteressen!
Das mit dem Eigeninteresse hat einen komischen Hintergrund, - für die Auftraggeber freilich nicht - aber diese "Pharisäer" neigen dazu, eben aufgrund ihrer Intelligenz, gewisse Toleranzgrenzen was die Selbstaufopferung betrifft nicht zu überschreiten. Im Klartext bedeutet das nichts anderes als:" Sie sind feige! " Das aber wiederum macht sie für Jesus in der jetzigen Situation noch um einiges gefährlicher. Feige Individuen neigen nämlich auch und ganz besonders dazu, sich gegenüber Opfern ? was anderes ist Jesus ja nicht - äußerst brutal zu verhalten?
Als hätte er das geahnt, hat Jesus inzwischen zu heulen begonnen. Ein wahrer Sturzbach aus Tränen und Rotz hat seinen Bart völlig aufgeweicht, mit Sabber vermengte Kotze seinen Leinenumhang. Ein erbarmenswerter Anblick!
>> Diesmal nicht Golgatha, diesmal nicht Golgatha? <<
Immer wieder murmelt Jesus diese Worte. Ab und zu ist ein leises Schlürfen zu hören, die Turbinen jedoch sind verstummt. Jesus bemerkt das nicht. Zu sehr ist er damit beschäftigt, sich bei seinem Vater Gehör zu verschaffen.
>> Vater, bitte? <<
>> Wofür das alles? <<
>> Hat das denn alles einen Sinn!?! <<
>> So antworte doch! <<
Keine Antwort. Jesus hebt den Kopf und beginnt damit panisch loszubrüllen. Die Pupillen weiten sich, die löchrigen Hände zittern.
>> Was ist nur mit dir los, ich habe Angst hier unten, die sind doch alle krank!!! <<
Und wieder. Keine Antwort. Beherzt fasst Jesus den Entschluss die Flucht in die umliegenden Wälder anzutreten. In diesem Augenblick bemerkt er auch das Fehlen der Turbinengeräusche. Durch diese Wahrnehmung doppelt geblendet, steckt er seinen dornenbestückten Kopf durch das Reißverschlusssystem der Zeltplane. Weit kommt er nicht. Einige Dornen seiner Krone verheddern sich mit den Zacken des Verschlusses. Bevor noch Ärger aufkommen kann, sieht er sich jetzt ganz anderen Problemen gegenüber. Sein Blick fällt auf die "Pharisäer". Bedrohlich wirken sie, diese Höllenhunde der modernen Kriegsführung, wie sie vor ihm in der Wiese ruhen. Bedrohlich und tödlich.
Noch im selben Moment, der Rückzugsversuch. Noch immer ist es der Reißverschluss der Jesus an einem Weiterkommen hindert. Völlig verlassen fühlt er sich jetzt, richtiggehend einsam. Und das schlimmste: " Die Schmerzen, die ihn nun erwarten würden." So beschließt er, nun doch noch zum Buddhismus zu konvertieren. Erfahrungen mit dem Wiedergeborenwerden hat er ja schon.
>> Ich entsage dir Gott, Vater, ich entsage dir! <<
Mit nunmehr hasserfüllten Augen streckt er Gott den erhobenen Mittelfinger entgegen. >> Ich entsage dir! <<
Das Ganze scheint Eindruck zu schinden. Die Pharisäer machen auch weiterhin keinen Mucks. Anstatt Jesus zu eliminieren, wandern ihre trägen Teleskopaugen in Richtung Himmel. Auch Jesus sieht sich genötigt nach oben zu schauen.
Er sieht wie sich der Himmel zu teilen beginnt. Ein greller Lichtstrahl tritt aus dem entstanden Spalt und taucht die Zitrone in majestätischen Glanz. Posaunen und Trompeten erschallen und in Scharen strömen Reih um Reih nackte Engel aus dem glänzenden Wolkenmeer hervor. Alle halten sich große goldene Schilde vor ihre Genetalien.
>> Antigenesis, Antigenesis!! <<, tönt es aus ihren Mündern.
Jesus schaudert, er weiß was das zu bedeuten hat. Sein Versagen. Auch er, Jesus, Gottes Sohn, der Gesalbte, der Messias, hat den Glauben verloren.
Plötzlich bricht der Boden. Ein feines Netzwerk aus kleinen und größeren Rissen breitet sich sehr schnell aus. Brodelnde Lava tritt aus den unzähligen Rissen, hebt Steine von ihrem Platz und integriert sie in ihr zähflüssiges Gefüge. Die Luft ist von latentem Schwefelgeruch erfüllt. Unter einem gewaltigen Erdstoß tut sich die Erde auf. Nur wenige Meter von Jesus entfernt. Ein langgezogener gähnender Spalt. Der Abgrund zur Hölle. Die Heerscharen der Hölle stehen bereit um den himmlischen Scharen die endgültige Niederlage beizubringen.
Die "Pharisäer", in weiser Voraussicht schon das Selbstzerstörungsprogramm autorisiert und gestartet, wirken im Vergleich dazu wie zahme schottische Hochlandrinder. Jesus sieht sich nun Skelettrössern und fürchterlichen "Fratzenreitern" gegenüber.
Die ersten Reihen dieser kontrastierenden Streitmacht sind gerade dabei aufeinander "loszudreschen" als es ihm nun endlich gelingt sich zu befreien. Er möchte eigentlich davonlaufen, hält aber kurz inne als er ganz oben im hintersten Winkel des Himmels seinen Vater stehen sieht. Hämisch grinst er zu ihm herunter, so als wolle er sagen: "Sohn, jetzt siehst du was du davon hast!"
Jetzt blickt Jesus in den, in allen Rottönen fluoriszierenden Höllenschlund. Ganz tief unten steht der Teufel. In seiner Begleitung: zwölf gefallene Engelinnen. Er trägt einen seidenen Umhang, seine goldenen Hörner spiegeln sich in Jesus Augen. Mit mächtiger Stimme bannt er Jesus Aufmerksamkeit.
>> Mein Brot wolltest du nicht, mein Wasser auch nicht, warum? <<
>> Habe ich dir nicht stets nur Gutes gewollt, in der Wüste damals die schrecklich langen vierzig Tage, vor "viertausendundvierzehn" Jahren bei den Atlantern, der Goldschlüssel zur bleiernen Maske?<<
>> Was ist nur los mit dir, das du nicht erkennst, was mit deinem Vater los ist! <<
>> Hier unten wird der Humanismus hochgehalten, Schweinebraten, Engelinnen, alles was das Herz begehrt! <<
>> Sei nicht schon wieder so dumm, meine Hilfe abzulehnen! <<
Jesus blickt verdutzt nach unten. Ja, der Spitzbart hatte recht. Was war so toll am Himmel? Gottes Ansehen? Ha! Nein, nicht wieder?
Einmal noch kurz nach oben geschaut und Jesus springt nach unten. Schwups ? er ist im Höllenschlund verschwunden.
Auch ein streitender Engel, der alles beobachtet hat, beschließt sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Was hat er schon zu verlieren? Als Zeichen seines Widerstands, lässt er seinen goldenen Schild achtlos auf den Boden krachen.
Wozu denn streiten? Für Gott?
Nein, auch ihn kann Gott getrost am Arsch lecken. Immer nur für ihn die Birne hinhalten. Nicht mal was "Gescheites" zu Essen gibt es da oben. Nur diesen veganen Fraß. Und das im Himmel, im Paradies! Aber Fleisch ist ja moralisch nicht vertretbar.
Nein, denkt sich der Engel, von weitem schon Schweinsbratengeruch wahrnehmend, nein, hätte er das gewusst wäre er bestimmt nicht in den Himmel gekommen. Enthusiastisch lässt er sich den engen Spalt hinabstürzen.
Weitere Goldschilde fallen auf den Boden. In ganzen Gruppen beginnen die Engel ihre Waffen zu strecken und überzulaufen.
Der Teufel reibt sich die rotgebrannten Hände und Jesus der nun zum ersten Mal Geschlechtsverkehr hat, kommt aus dem Frohlocken nicht heraus.
Ganz anders hingegen Gott. Mit weit geöffnetem Mund muss er hinnehmen, wie selbst Maria Magdalena damit beginnt in die Hölle hinabzusteigen. Erschrocken erkennt er einen Joint, dem sie mit sanftem Druck ihrer Lippen sein Geheimnis entlockt. Zufrieden lächelt sie, als sie den Rauch langsam in die Freiheit bläst. Gott kann darüber allerdings überhaupt nicht mehr lachen. Erschüttert befiehlt er denn wenigen Engeln die noch kämpfen den Rückzug anzutreten. Der Kampf endet. Doch zurückziehen tut sich niemand. Keiner.
Nicht ein einziger. Niemand!
Hochrot angelaufen nimmt Gott zur Kenntnis, dass alle seine Engel entblößt vor ihm stehen und ihm den "Stinkefinger" unter die Nase reiben.
Das ist endgültig zu viel für ihn. So eine Demütigung ist ihm noch nie widerfahren. So etwas hat noch nie irgendwer gewagt. Außer sich vor Wut brüllt er.
>> Mein Zorn soll euch treffen, euch die ihr da nicht mehr seid als Würmer in meinen Augen! <<
Fussbaldfeldgroße Hagelkörner beginnen sich vor erstaunter Menge zu materialisieren.
>> Und wie Würmer werde ich euch zerquetschen! <<
Ein lautes Pfeifen ist zu hören. Das erste Hagelkorn rast auf die Erde zu. Wolken beginnen sich zu teilen. Und dann. Der erste Knall.
Das war Maria.
Zack!
Der keuchende Jesus.
Zack!
Mephistopheles.
Zack! Zack! Zack!
Gottes Zorn hat alles Leben auf der Erde zum Erliegen gebracht.
Alle seine Engelsscharen samt den Höllenreitern und ihren knöchernen Pferden, die gesamte Menschheit, jeden Baum, jeden Strauch, jede Ameise, einfach alles hat er in seinem Wahn hinweggefegt.
Und immerzu hat er dabei; "Antigenesis, Antigenesis!", gebrüllt.
Nun steht er alleine da, sein Sohn hat versagt, die Welt ist zerstört und er war daran schuld. Oder? Eigentlich?
Nein!
Eigentlich war Jesus schuld an der ganzen Misere. Hätte der sich einfach abschlachten lassen sollen und die Menschheit hätte noch weitere 2007 Jahre Zeit gehabt.
 



 
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