Apokalypse

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Tula

Mitglied
Apokalypse


Des Himmels fahle Lichter weichen;
die Stadt erstrahlt im Beta-grün.
In letzter Qual die Asseln fliehn
und hasten über Schutt und Leichen.

Der Wind reißt an den schwarzen Mauern,
die Stelen der gestürzten Macht.
Vergeblich mahnen sie, die Nacht
wird jedes Zeugnis überdauern.

Auf einem Stuhl ruht eine Geige;
ihr Klang erstarb in den Gewittern.
Aus einer Luke starren, zittern
des alten Baumes letzte Zweige.
 

Tula

Mitglied
Hallo Patrick
Deine Wertung macht mich jetzt sogar verlegen :) Freut mich sehr, dass dir dieses besonders gefällt

Strahlende Grüße
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Scal

Dank auch dir für deinen Eintrag und Vorschlag. Deine Frage muss ich eher mit 'nein' beantworten, d.h. das Gedicht soll nicht speziell an Trakl oder andere Zeitgenossen oder gar Endzeitgedichte seiner Epoche erinnern, dazu sind die verdichteten Bilder insgesamt sicher auch zu konkret (wie es in meiner Absicht lag). Dass sich Trakl und andere sehr oft der abba-umschweifenden Form bedienten, stimmt aber und ausdrucksstark sollte dieses auch werden.

Der Anstoß war hier übrigens ein anderswo laufender Wettbewerb und Sonderthema. Nach dem Ende des kalten Krieges scheint sich das Thema etwas der öffentlichen Debatte entzogen zu haben, kam aber mit dem Iran und jetzt Nordkorea wieder stärker in die Medien. Ich denke auch an andere Atommächte, deren politische Führer relativ wenig von Demokratie halten und extremistischen Gruppierungen im Land selbst ausgesetzt sind. Also bleibt das Thema aktuell, ungeachtet der Tatsache, dass wenige an die Möglichkeit eines unmittelbaren Konfliktes glauben.

Der inhaltlichen Absicht entsprechend ziehe ich beta-grün vor, eben weil es auf radioaktive Strahlung anspielt. Bitteres Grün klingt eher nach Gift oder im Kontext für chemische Waffen.

Danke nochmals fürs Interesse

LG
Tula
 
T

Trainee

Gast
Hallo Tula,

ein ganz tolles Gedicht in expressiver Sprache, die seinem Inhalt angemessen scheint.
Wenn ein solches Thema bearbeitet wird, muss das meiner Meinung nach entweder auffallend schlicht oder wütend-expressiv geschehen - authentisch eben.
Ich versuche dies selber immer mal wieder gern; das ist ein Spiel mit den wilderen Aspekten der Sprache, wie sie eine große Epoche der Lyrik geprägt haben.
Du sagst, dass du nicht speziell auf Trakl zielst - und das ist wahr (der war ja verhaltener im Ausdruck) - hättest aber auf die angewandte Weise durchaus die Möglichkeit einer passenden Würdigung finden können. - Alle Daumen hoch! :)

Liebe Grüße
Trainee
 

Scal

Mitglied
Ja, ich hab auch den Eindruck, dass das Thema aktuell ist.

Zur "Atmosphäre" Deines Gedichtes: Sie weckte in mir die Erinnerung an den grandiosen Song "Epitaph" von King Crimson.

LG
Scal
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Tula,

dein Gedicht hat mein Interesse geweckt.
Steht hier bereits die Endfassung? Kann an der ein oder anderen Stelle noch was verändert werden? Ich bin mir nicht sicher, lasse aber mal meine Überlegungen von der Leine:

Die Inversion in S1 würde ich versuchen zu vermeiden - vielleicht so:

Des Himmels fahle Lichter weichen;
die Stadt erstrahlt im Beta-grün.
[blue]Die aufgequollnen [/blue]Asseln fliehn
und hasten über Schutt und Leichen.


In S2 verstehe ich es so, dass die schwarzen Mauern hier auch als Stelen der gestürzten Macht tituliert werden. Müsste es dann nicht so lauten:

Der Wind reißt an den schwarzen Mauern,
[blue]den[/blue] Stelen der gestürzten Macht.


Missverstehe ich hier etwas? Liege ich falsch?

In S3 verstehe ich an einer Stelle wirklich nicht:

Auf einem Stuhl ruht eine Geige;
ihr Klang erstarb in den Gewittern.
Aus einer Luke starren, zittern
des alten Baumes letzte Zweige.
Warum das Bild mit der Luke? So zu verstehen, dass alles durcheinandergewirbelt wurde, nichts mehr am Platz steht? In einem aufgerissenen Haus könnte sich diese Luke gebildet haben?

Die Wendung des alten Baumes letzte Zweige - - - klingt, für sich genommen, erst mal poetisch. Im Kontext entsteht dann ein gewollter Bruch und es bleibt sozusagen eine Poesie des Grauens stehen.
Das kann ich nachvollziehen.
Und würde vielleicht trotzdem auf diese Wendung verzichten. Der Genitiv-Konstruktion am Gedichtanfang nicht noch eine am Gedichtende folgen lassen - - - der Schauder am Gedichtende käme - ohne nostalgischen Unterton - dann nüchterner daher. Ist sicher Geschmacksache.

Dein Gedicht finde ich übrigens sehr spannend - wie gesagt: Interesse war gleich geweckt.

lg wüstenrose
 

Tula

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Hallo Trainnee

Dank für Eintrag und Wertung. Die Würdigung Trakls, nun wurde diese Initiative ja anderswo ergriffen und ich wollte auch nicht mehr so viel hinzufügen. Auf jeden Fall das Lesen wert, auch von ihm steht eine Sammlung im Regal, das Titelgedicht "in den Nachmittag geflüstert" sicher eins der schönsten.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Scal

danke für den Lese- und Hörtipp. Den Song kannte ich noch nicht und habe ihn gerade im Internet gefunden. Besonders der Text als solcher gefällt mir sehr.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo wüstenrose

ein Gedicht ist unter Umständen nie fertig, manchmal entdecke ich da bei einigen älteren auch nach Monaten noch eine Stelle. Und du bist ein aufmerksamer Leser, denn mit den beiden genannten Stellen hast du ja recht.

Bei den Stelen überlegte ich was besser klingt, wobei 'den' in der Fortführung des Satzes eben richtig ist. Also mache ich das nun auch so.

Mit den aufgequollenen Asseln kann ich mich weniger anfreunden. Doch ging mir jetzt auf, dass man in letzter Qual nicht mehr hasten kann, auch Asseln nicht. Ich grübelte ein paar Stündchen im Hinterkopf und denke, dass 'hasten' stehen bleiben sollte, weil es klanglich und bildlich gut zu den Asseln passt. Aber aus 'Qual' mache ich jetzt 'Wahn', was inhaltlich wohl zutreffend ist.

Zur letzten Strophe: die Luke ist das Versteck (Bunker?=) der wenigen, die den Atomschlag überlebt haben. Wir sind doch die "Krone der Schöpfung" und seine letzten Zweige starren und zittern im Zustand hoffnungslosen Entsetzens. Die Doppelsinnigkeit war aber Absicht, es könnten auch die starren Zweige eines letzten Baumes sein.

Was die Genitivkonstruktion angeht, muss ich mal nachdenken, ob diese wirklich störend wirkt. Bin mir da jetzt nicht sicher.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Apokalypse


Des Himmels fahle Lichter weichen;
die Stadt erstrahlt im Beta-grün.
Im letzten Wahn die Asseln fliehn
und hasten über Schutt und Leichen.

Der Wind reißt an den schwarzen Mauern,
den Stelen der gestürzten Macht.
Vergeblich mahnen sie, die Nacht
wird jedes Zeugnis überdauern.

Auf einem Stuhl ruht eine Geige;
ihr Klang erstarb in den Gewittern.
Aus einer Luke starren, zittern
des alten Baumes letzte Zweige.
 

Tula

Mitglied
Apokalypse


Des Himmels fahle Lichter weichen;
die Stadt erstrahlt im Beta-grün.
In letztem Wahn die Asseln fliehn
und hasten über Schutt und Leichen.

Der Wind reißt an den schwarzen Mauern,
den Stelen der gestürzten Macht.
Vergeblich mahnen sie, die Nacht
wird jedes Zeugnis überdauern.

Auf einem Stuhl ruht eine Geige;
ihr Klang erstarb in den Gewittern.
Aus einer Luke starren, zittern
des alten Baumes letzte Zweige.
 

wüstenrose

Mitglied
awgh - da habe ich in der Schluss-Strophe den Baum wohl zu wörtlich genommen und deine Intention nicht erfasst!
Im (für mich) nun neuen Zusammenhang gefällt mir der Schluss ausgezeichnet. Da würde ich nichts mehr ändern - vorausgesetzt, die anderen Leser/innen haben das Bild gleich in deinem Sinne verstanden. Aber wie auch immer: Das Schlussbild ist wirklich gelungen und wer's nicht versteht muss sich eher an die eigene Nase fassen. Was ich hiermit tue.

lg wüstenrose
 

Tula

Mitglied
Hallo wüstenrose

Noch ein später Gruß zurück: 'blanker Wahn' erinnert mich zu sehr an das geläufige 'das ist ja der blanke Wahnsinn', welches sogar aufwertend für 'geil', 'super' usw. verwendet werden kann, je nach Kontext.

Das 'letztem' soll hier zum Ausdruck bringen, dass es sich auch bei den Asseln um den wirklich letzten Kampf ums Überleben handelt. Finde ich so richtig. Man darf natürlich kritisieren, dass sich das Wörtchen im abschließenden Vers wiederholt. Vielleicht komme ich noch auf eine andere Variante.

LG
Tula
 

Sidgrani

Mitglied
Hallo Tula,

beklemmend, wie du die Endzeitstimmung beschreibst. So ungefähr kann ich es mir vorstellen.

Da deine Gedichte (so wie meine auch) eigentlich nie vollendet sind, möchte ich ein, zwei Denkanstöße geben.

die Stadt erstrahlt im Beta-grün
Wird es nicht "Beta-[blue]G[/blue]rün" geschrieben?

In letztem Wahn die Asseln fliehn
"In letztem Wahn" will sich mir nicht so richtig erschließen.

Wie klingt das?
[blue]"Die aufgeschreckten Asseln fliehn"[/blue]

Und zuletzt:

Auf einem Stuhl [blue]ruht[/blue] eine Geige
"Ruhen" klingt für mich zu harmlos, auch wenn die letzte Ruhe damit gemeint sein sollte. Denn die Geige "lebt" ja noch und hätte bestimmt gerne, wenn auf ihr gespielt würde. Vielleicht könnte die Geige [blue]träumen, schweigen oder harren[/blue]?


Das sind jetzt nur meine Gedanken, die mir spontan beim Lesen kamen. Es hat Spaß gemacht, mich mit deinem Text zu beschäftigen.

Lieben Gruß
Sidgrani
 

Tula

Mitglied
Apokalypse


Des Himmels fahle Lichter weichen;
die Stadt erstrahlt im Beta-Grün.
In letztem Wahn die Asseln fliehn
und hasten über Schutt und Leichen.

Der Wind reißt an den schwarzen Mauern,
den Stelen der gestürzten Macht.
Vergeblich mahnen sie, die Nacht
wird jedes Zeugnis überdauern.

Auf einem Stuhl ruht eine Geige;
ihr Klang erstarb in den Gewittern.
Aus einer Luke starren, zittern
des alten Baumes letzte Zweige.
 

Tula

Mitglied
Hallo Sidgrani

Freute mich heute sehr über deine Gedanken und Voschläge zum Gedicht, und natürlich auch die Wertung.
Die Korrektur beim Beta-Grün habe ich bereits ausgeführt; die anderen Vorschläge müssen erstmal 'durchsickern', vor allem die Stelle mit der Geige. Da das Gedicht ja gewissermaßen eine lyrische Warnung darstellt, habe ich bewusst keinerlei Raum für Hoffnung gelassen. So gesehen 'ruht' die Geige im Bild wie in einem offenen Grab, ohne jede Hoffnung, irgendwann doch noch mal von der Hand eines Künstlers berührt zu werden. Es geht wirklich um das Ende menschlicher Existenz, denn welchen Sinn machte eine solche nach einem Krieg mit nuklearen Waffen?
Dennoch gefallen mir die genannten Alternativen, von denen ich wohl 'harren' nehmen würde, was ja auch vergebliches Warten mit einschließt.

Nochmals Danke für die Anregungen und

LG
Tula
 



 
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