Arbeit macht frei

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schneefee

Mitglied
Bei 40 Grad im Schatten muss ich ein Kostüm tragen. Langärmelig, versteht sich und edel.
Ich schwitze mir fast die Ohren ab.
Aber was tut man nicht alles, um voran zu kommen.

‚Wir haben ein paar sehr kreative Vorschläge für Sie erarbeitet. Sie werden angenehm überrascht sein.’
Mein Kunde sitzt halbärmelig vor mir. In roter kurzer Hose und gelben Hemd. Will der für Maggi Werbung laufen ? Was für eine unerträgliche Farbkombination. Wenigstens schwitzt er nicht in diesem Aufzug.

‚Unser Artdirektor persönlich hat für zwei der Präsentationen Impulse gegeben.’
Wenn der wüsste, dass der beste Ort für Ideen das Klo ist.
Es hat sich wahrlich keiner um die Vermarktung seiner Schinkengriller geschlagen. Mich hat es wieder getroffen. Ich hasse fette Würste. Warum sieht der nur genauso aus wie sein Produkt ?

‚Schauen Sie sich nur in Ruhe unsere Vorschläge an. Besonders intensiv hat uns der zweite Vorschlag beschäftigt. Vielleicht richten Sie Ihr Augenmerk einmal darauf. Aufwendige Marktanalysen haben ergeben, das so der Käufer so nur noch eines kann, nämlich Ihr Produkt kaufen.’
Rede bloß nicht zu kompliziert. Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln. Also einfache, klare Sätze für den Maggiwürfel.

‚Gut, nicht wahr ?’
Was tut man nicht alles für Hypotheken und Kinder. Haus, Kind, Baum.
Auf jeden Fall schwitzt man auch in einem teuren Businesskostüm.

‚Wie bitte ? Oh, ja über den Preis der Kampagne werden wir uns einig !’
Mein Gott, der Primat kann reden. So wie der aussieht, will er Handeln. Ich setze den veranschlagten Preis um 30 Prozent höher und lasse mich auf 25 Prozent herunterhandeln.
Der denkt, er hat ein Schnäppchen gemacht und ich kriege einen inneren Orgasmus. Man gönnt sich ja sonst nichts.

‚Ja, Sie haben recht - Vorschlag Nummer drei gefällt mir persönlich auch am Besten. So klar die Aussage. Ihnen gefallen die Farben. Gefühle anregen durch bodenständige Farben. Das Visuelle kann so griffig sein.’
Das war klar, ausgerechnet das Grausamste von Allen. Aber was fällt einem schon auf dem Klo ein ? Pissgelb und Kackbraun. Knackwurstbraun.
Oh Gott, nüchtern ertrage ich den Kerl nicht mehr.

‚Wenn der Preis stimmt, schlagen Sie zu ? Sehr schön, das wird kein Problem für uns sein.
Wir sind an Ihrer Seite. Wenn der Markt auf Macher trifft, kann daraus nur eine schlagkräftige Kombination werden.’
So, jetzt hat die glatzköpfige Fleischmütze es geschafft, ich transpiriere.

‚Ich ziehe mir meinen Blazer aus. Sie haben doch nichts dagegen ? Jetzt wo wir uns fast einig sind, wollen wir Zwei nicht auf unsere zukünftige enge Zusammenarbeit anstoßen ? Ganz in der Nähe gibt es ein sehr nettes Restaurant. Natürlich auf Geschäftskosten. Nein, Sie sind hervorragend angezogen. Die weißen Socken in den Sandalen sieht man doch nicht, die Verschwinden unter dem Tisch.’
Ich werde viel Alkohol brauchen um mir die Situation angenehm zu trinken.

Arbeit macht frei. Wo habe ich das nur zuletzt gelesen ?
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, schneefee

So ein innerer Monolog, das ist was Feines, nicht wahr?

Mir gefälllt es sehr gut, wie du das sich immer weiter steigernde Selbstmitleid, die Überheblichkeit, die Eitelkeiten und den Dünkel darstellst.

Es mag ja sein, dass der Kunde und sein Produkt peinlich sind. Aber peinlich und lächerlich ist auch die Art, wie deine Protagonistin sich darüber zu erheben. Jeden Versuch, ein wenig Mitleid mit ihr zu haben, erstickt sie selbst im Keim. Das hast du wirklich sauber hingekriegt! Die Geschmacklosigkeit der "Arbeit macht frei"-Assoziation setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Hervorragend!

Kleinere Mäkeleien an der kreativen Zeichensetzung und der nicht ganz sicher durchgeführten neuen Rechtschreibung wären genau das: Mäkeleien.

Ein wirklich böser guter Text. Der macht Lust darauf, mehr von dir zu lesen.

Schöne Grüße von blaustrumpf
 
H

HerZPiraT

Gast
@blaustrumpf: einspruch euer ehren!
@schneefee:
ich habe eine nacht drüber geschlafen.
am ende blieb eine karriere geile tussi
und ein geiler fettsack, der seine position ausnutzt.
und? wo ist der humor? für viele ist das bittere realität.
satire? wo ist die überzeichnung?
ja so ekelhaft kann das geschäft sein.
aber der höhepunkt ist deine annspielung auf den holocaust.
blaustrumpf ist begeistert! sie realisiert nicht, dass das eigentlich ein ausrutscher ist, eine furchtbare peinlichkeit!
weisst du eigentlich, was du da schreibst?
gäbe es eine rubrik "provokation", wäre dein werk dort sicherlich gut aufgehoben, wenn auch unfreiwillig.
sorry, schneefee, aber das musste ich loswerden.
der
PiraT
 

blaustrumpf

Mitglied
Hallo, HerZPiraT

Kann es sein, dass ich meinen Kommentar nicht deutlich genug formuliert habe?

Ich schrieb: Jeden Versuch, ein wenig Mitleid mit ihr zu haben, erstickt sie selbst im Keim. Das hast du wirklich sauber hingekriegt! Die Geschmacklosigkeit der "Arbeit macht frei"-Assoziation setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Woraus, bitte, schließt du nun deinerseits, dass ich nicht realisiere, dass das eigentlich ein ausrutscher ist, eine furchtbare peinlichkeit?

Vielleicht nehmen wir den Text einfach zu unterschiedlich wahr. So lese ich beispielsweise nichts von Geilheit beim Werbekunden. Aber so ist es wohl mit den meisten Texten: Zuweilen liest man auch etwas hinein. Oder man liest nicht alles.

Ich empfinde den Text als wenig humorig, aber als sehr satirisch. Der Duden definiert Satire unter anderem als literarische od. künstlerische Darstellung u. Kritik menschlicher Schwächen u. Laster.

Du fragst nach der Überzeichnung. Kennst du viele "Entscheidungsträger", die mit kurzen roten Hosen, gelbem Hemd und weißen Socken in Sandalen unterwegs sind? Der ganze Kunde ist fleischgewordenes Klischee. Oder kann die Protagonistin nur nichts anderes mehr wahrnehmen?

Du fragst schneefee in einem Ton, der die Antwort schon in deinem Sinne vorwegnimmt, ob sie wisse, was sie da schreibe. Ich glaube, sie weiß es nur zu gut.

Es ist gut, dass du Einspruch erhebst. Aber mir scheint, hier war er etwas vorschnell.

Schöne Grüße von blaustrumpf
 

schneefee

Mitglied
Hallo !
Zunächst einmal kurz zu meiner Vorgeschichte, um zu verdeutlichen das ich ein hier Anfänger bin, der von der Situation ein wenig überfahren wird.
Mein Mann hat mich Anfang dieses Jahres ermuntert, doch mal “etwas Richtiges zu schreiben“, da ich des öfteren im Verbraucherforum „Ciao“ Produktbeschreibungen erstellt habe und er meine Texte ansprechend fand (“mach doch mal was Anderes/arbeite an Dir ... “)
Das Quengeln meines Mannes hat mich zur Leselupe gebracht. Lange habe ich mir überlegt, was ich schreiben möchte (oder ob überhaupt).
Ich habe mir eine Liste zusammengestellt (der knitterige Zettel liegt gerade vor mir).
Ich wollte, wenn ich schon einen Text schreibe:
1. deutlich schreiben (keinen Text über wir haben uns lieb, piep, piep (keine rosa Prosa),
2. dass dieser Text zum Nachdenken anregt und
3. das eine Diskussion entstehen kann

Diesen Text habe ich geschrieben, um den Unterschied zwischen Handeln und Denken herauszuarbeiten.
Ganz deutlich wollte ich das Denken kräftig überzeichnen. Also im Denken-Bereich (gerade mit dem Schlusssatz) zeigen, dass gedanklich “alles möglich“ ist. Denken beinhaltet wirklich die ganze Bandbreite, von lieb (was in dem Text nicht vorkommt) bis widerlich.
Aber : zumindest die Gedanken sind frei. Ich denke, dass sich in vielen Köpfen Missstände befinden.
Satire ist für mich (wenn die beiden Streithähne sich damit zufrieden geben) ein Werk beliebiger Gattung, das Missstände kritisiert, indem es sie lächerlich macht.
Ich gebe zu, dass einem bei dem letzten Satz das Lächeln gefriert.

Ganz deutlich möchte ich allerdings hervorheben, das ich mich weder mit dem Klischee der Kostümträger identifiziere, noch trage ich Socken in Sandalen.
„Gut böse“ zu sein hat mir übrigen sehr gut gefallen, Blaustrumpf.
Also aus meiner Sicht deutlich zusammengefasst:
Böse - ja
Provokant - ja (sollte aber nicht zu schlaflosen Nächten führen, Herzpirat)
Satire - ja
Und jetzt muss ich sehen, wie ich mit Kritik fertig werde. Ich werde mir beide Meinungen sicherlich noch öfter anschauen und darüber nachdenken.
Offensichtlich bringt uns dieser Text alle zum Nachdenken. Da war ich mit der Erfüllung meiner Zielvorgaben doch gar nicht schlecht.
Mal sehen ob ich mich überhaupt noch traue, etwas zu schreiben...
Gruß Schneefee
 
H

HerZPiraT

Gast
schneefee,
danke
du hast recht
jeder deiner leser liesst etwas anderes
hör' bitte nicht auf zu schreiben
gruss
der
PiraT
 



 
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