Asics Gel - Cumulus II

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birdy

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Es gibt viele Möglichkeiten, wenn man auf die 40 zugeht, also die kalte Jahreszeit als Lebensabschnitt auf sich zukommen sieht, das Rad der Zeit wieder in die wärmere Saison zurückzudrehen. Man kann sich eine Geliebte zulegen, mit dem Rauchen aufhören, aus dem aktiven Berufsleben aussteigen und auf einem Bauernhof schottische Hochlandrinder züchten. Man kann die Vorzüge der modernen Medizin in Anspruch nehmen und sich seine Fettdepots in Glasflaschen transferieren lassen oder sich schlicht und einfach altersunadäquat verhalten und in Diskotheken zu dieser wundervollen neuen Musik herumspringen.
Da ich jedoch meine Familie liebe, die Existenz meines Trafikanten nicht gefährden möchte, mir Kühe schon immer suspekt waren und mir für die letzten beiden Varianten sowohl Mut als auch Taktgefühl fehlen, blieb nur noch ein Ausweg. Eines Morgens, beim Frühstück mit meinen Liebsten, sagte ich beim Durchblättern der Zeitung mit sorgfältig ausgewählter Beiläufigkeit „Schatz, ich glaube ich beginne jetzt zu laufen“. Ich erwartete wenn schon nicht begeisterte Jubelstimmung, so doch wenigstens anerkennendes Gemurmel. Da mich aber meine Frau nach fünf Ehejahren kennt – was, wie in diesem Fall, ein gewaltiger Nachteil sein kann – weiß sie, wie Sie Sätze die ein „ich beginne“ enthalten, bewerten soll.
Sie glaubt es nur zu wissen.
Die Reaktion am Frühstückstisch war umwerfend. Als ob ich gesagt hätte „ich mache jetzt meinen nächsten Atemzug“. Ja konnte denn niemand die Tragweite meines Entschlusses erkennen?! Agil, drahtig, beweglich bis ins Greisenalter, wie doch meine Kinder davon profitieren könnten. Und es heißt ja, dass sportliche Männer besonders lange und besonders intensiv.....wie doch meine Frau davon profitieren könnte.
Plötzlich kam von meinem Dreijährigen mit einem breiten Grinsen „Papa, ich lauf´ mit“. Er bekam von mir am Abend den Roller, den er sich schon so lange gewünscht hatte.
Dass so ein Vorhaben natürlich sorgfältiger Planung bedarf, ist selbstverständlich. Ich informierte mich in Fachzeitschriften, im Internet, kaufte mir Bücher. Von einem Besuch auf der orthopädischen Abteilung des örtlichen Krankenhauses zu Studienzwecken riet mir meine Frau ab. Einem rationalen Menschen wie mir würden die Fehler dieser Gelegenheitsläufer nicht passieren.
Nachdem ich mich in Herzfrequenzen, Fettverbrennung, Ernährungspläne und Laufstile eingelesen hatte, begann Phase Gelb, die Auswahl des richtigen „Gerätes“. Was dem Schumacher sein Ferrari, ist dem ambitionierten Läufer sein Laufschuh.
Der Verkäufer im Laufshop war gut informiert, konnte aber meiner wissenschaftlichen Betrachtungsweise der Materie nichts entgegensetzen.
„Da sie mit dem Laufen beginnen und ihr Fuß eine leichte Senkfußstellung aufweist, würde ich Ihnen das Modell Asics Gel - Cumulus II empfehlen. Der passt sich der Fußform sehr gut an, ist außerdem haltbarer als vergleichbare Modelle. Und da er ein Auslaufmodell ist, preisreduziert. 70 Euro.“
Der Mann will also an mir einen Senkfuß feststellen, den selbst mein Hausarzt als kaum erwähnenswert diagnostiziert. Dass ich erst mit dem Laufen beginne ist kein Argument und einen Ladenhüter lasse ich mir schon gar nicht andrehen.
Kann man sich Schumi im Sauber vorstellen? Ich will einen Ferrari.
„Ich habe mich schon für ein anderes Modell entschieden, den Nike Air Max:“
Der Verkäufer blickte mich ungläubig an. Jetzt wusste er, mit wem er es zu tun hatte.
„Der ist aber eher im professionellen Bereich angesiedelt.“
„Ja, genau“ erwiderte ich. Wenn ich ihn in 2 Monaten auf der Praterhauptallee überhole, wird er wissen, warum ich diesen Schuh haben wollte.
Ich bezahlte 180 Euro für meinen Ferrari und konnte nun zu Phase Rot übergehen.
Da ich in meiner Jugend sehr sportlich war – Tennis, Squash Landesliga, während meiner Studienzeit boxte ich am Universitätssportzentrum (wobei ich mich aber über die Funktion eines beweglichen Sandsacks nie hinausentwickelte) – war bei mir natürlich eine Form von Grundkondition vorhanden, von der manche aktiven Sportler nur träumen können.
Ich beschloss aber, die Sache trotzdem langsam anzugehen und mit einer Stunde lockerem Laufen zu beginnen.
Ich legte „Chariots of Fire“ von Vangelis in den CD-Player und während ich meine Nike anlegte, war diese Wettkampfatmosphäre deutlich zu spüren. Ich begann mit meinen Dehnungsübungen und mein Dreijähriger dehnte fleißig mit, was bei unserer Tochter einen Lachkrampf auslöste und bei meiner Frau Kopfschütteln ob dieser Mischung aus orchestralen Klängen, hysterischem Lachen und stöhnenden Männern. Meine Pulsuhr, die über höchste, niedrigste und durchschnittliche Herzfrequenz, Zwischenzeiten, Kalorienverbrauch und Spermienmotilität informiert, zeigte mir beruhigende 82.
Die Topographie meiner Laufstrecke hatte Ihre Tücken. Es ging über eine Stiege, die über eine S-Bahn Strecke führte, zum ersten Bergaufstück, das etwa einen Kilometer eine leichte Steigung bot, die aber, als ich die Strecke mit meinem 70 PS schwachen Ford Sierra abfuhr, kaum bemerkbar war. Dann, nach einem Linksknick 200 Meter leicht Bergab in einen großen hügeligen Park, den ich bei einem Umfang von ca. 1,5 Kilometer 5 mal umrunden wollte.
Soweit kam ich aber gar nicht.
Am Ende dieses ersten Anstiegs fühlte ich mich wie Reinhold Messner am K2, das Rot meiner Lippen war vom Rot meines Gesichts nicht mehr zu unterscheiden und die Pulsuhr, deren Warnton ich für eine Frequenz von 170 eingestellt hatte, gab mir seit 500 Metern zu verstehen, dass sie für Kammerflimmern nicht ausgelegt ist. Wenn sie wirklich ein intelligentes Produkt gewesen wäre, hätte sie jetzt den Notarzt angerufen.
Ich befand mich ohne es zu wollen in Phase Dunkelrot mit Sirenenunterstützung.
Defcon 7 für alle lebenswichtigen Organe.
Als ich mich nach 15 Minuten auf den Rückweg machte, bemerkte ich trotz meines Zustandes sofort den Fehler, der mir unterlaufen war. Dieses Bergaufstück hätte selbst von einem erfahrenen Bergführer die Wertung „5er Anstieg“ bekommen. Da aber mein Sierra trotz Familienausstattung sehr leicht ist und noch dazu der Motor ein irrsinnig hohes Drehmoment aufweist, kann natürlich schon der Eindruck entstehen, dass es fast eben dahingeht.
Es ist wie beim Tennisspielen. Vor dem Match schlägt man sich mit seinem Partner ein und der bekommt keinen geraden Schlag zustande. Man bereitet sich seelisch auf ein dezentes 6:0, 6:0 vor. Und kaum beginnt das Spiel, zaubert der wie ein Klon aus Goran Ivanisevic und Pete Sampras und man verliert 2:6, 1:6. Der Kerl hat schlicht und einfach betrogen.
Dieser Parcours hat auch betrogen.
Als ich zu Hause ankam, sah meine Frau natürlich, in welcher Verfassung ich mich befand.
„Pfu, fast eine ganze Stunde. Du hast wirklich die 5 Runden geschafft!?“
„Nein, nur 4“ hechelte ich noch immer. „Die letzte Runde hätte ich nicht mehr geschafft. Dieser erste Anstieg hat doch ziemlich Kraft gekostet.“
„Du meinst den Weg, den Elisabeth immer zu ihrer Freundin hochläuft, nach den Stiegen?“
„Sie macht dazwischen aber immer Pausen. Das ist kein laufen. Das ist kindlicher Bewegungsdrang!!!“ sagte ich lauter als ich eigentlich wollte.
„Na ja, aber für´s erste mal....und besonders sportlich warst ja noch nie. Ich bin beeindruckt.“
Man muss dazu wissen, dass bei meiner Frau ein Sportler bei Hermann Maier anfängt und bei Stefan Eberharter aufhört. Dazwischen gibt es nichts, danach auch nicht und dann komme ich.
„Es wär´schon mehr möglich gewesen, aber die Nike haben zum Schluß ziemlich weh getan.“
Und das war wirklich nicht gelogen. Nach einem Kilometer laufen und einem Kilometer zurückgehen erhob sich von jeder Fußsohle eine Blase von der Größe einer 2 Euro Münze.
„Blöd! Jetzt, wo´s so gut geht muss ich 3 Wochen pausieren.“
„Vielleicht brauchst du nur andere Schuhe?“
Wenn sie sich so gut informiert hätte wie ich, wäre ihr dieser Satz nie über die Lippen gekommen.
Am nächsten Tag meldete ich mich in meiner Firma krank. Es war zu riskant, diesem geschundenen, dehydrierten Körper die Arbeit an einem Bürotisch zuzumuten. Außerdem beinhaltet der Anblick eines Mannes, der sich ausschließlich auf seinen Fersen fortbewegt, ohne mit den Fußsohlen abzurollen, eine entwürdigende Komponente.
Während ich den Abstellraum nach Artefakten aus meiner aktiven Sportlerlaufbahn durchsuchte, kam meine Frau nach Hause.
„Hallo Schatz, sieh mal, was ich dir mitgebracht habe.“
Der Tonfall ließ mich misstrauisch meine Ausgrabungen unterbrechen. Sie hielt eine Schachtel in der Hand.
„Was ist das?“
„Ich bin zufällig bei diesem Laufshop vorbeigekommen. Da dachte ich mir, ich mache meinem verletzten Massaikrieger eine Freude. Ich sagte dem Verkäufer, dass ich jemandem Laufschuhe schenken möchte, der gerade mit dem Laufen begonnen hat und Plattfüße hat.“
„Wie kommst du darauf, dass ich Plattfüße habe?“ sagte ich leicht gereizt.
Meine Frau drückte mir mit einem entwaffnenden Lächeln die Schachtel in die Hand und erwiderte: „Wie ich darauf komme? Hast du schon mal deine Fußabdrücke im Schwimmbad angesehen? Süßer, als ob Kermit der Frosch persönlich ein Gastspiel gibt.“
Ich sah den Schriftzug auf dem Karton. Asics Gel - Cumulus II.
„Und außerdem preisreduziert. 60 Euro.
 

birdy

Mitglied
Hallo flammarion !

Amüsiert ?!

Erkennt denn niemand die Dramatik in diesen Zeilen ? ;)

Liebe Grüße
birdy
 



 
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