Astra

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Astralion

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Astra
\"Entscheide Du\" sagt sie. Drückt ihm die Waffe in die Hand. Watz! Ohne dass er wirklich etwas gedacht, geschweige denn bewusst getan hätte -wirklich, ich hab nix gemacht- geht das Ding los. Er hat die Augen zu gekniffen, vor Schreck. Der Geruch von Schwefel schießt ihm in die Nase. Augen auf. Sie gleitet mit einem ungläubigen, etwas doofem Gesichtsausdruck zu Boden. Blut schießt hinter ihrem Rücken hervor. Ein noch kleiner, glänzenden See auf dem neuen weissen Fliesenboden: beinahe wie der Lack eines Ferrari, rot leuchtend, makellos. Im gleichen Moment wird ihm klar, dass das wohl sehr unpassend ist. Aber: welcher Gedanke ist passend, wenn man gerade eben seine Frau erschossen hat? Kurz unter ihrer linken Brust: ein braunroter Fleck. Drumherum schwarzer Ruß. Voll ins Herz.

Ein Welle der Müdigkeit erfasst ihn. Er hält sich mit der freien Hand an der Alno-Einbauküche fest. Es gibt keinen Grund. Einfach so. Kein Hass, kein Streit, kein Liebhaber im Schlafzimmerschrank. Nur dieses: Ding! Die Erde klebt noch daran. Der Staub von 70 Jahren. Vorhin, als er mit der Hacke darauf stieß, da hat er noch gar nicht gewußt was es ist. Jetzt weiß er es, eine Astra 300, Wehrmachtspistole, 9mm. Seriennummer: 575578 , also am 15. Mai 1943 vom deutschen Heereswaffenamt aus Spanien nach Deutschland importiert. Tolle Sache, dieses Internet. Bringt ihn jetzt aber auch nicht weiter. Hat ihn vorhin auch nur wenig weitergebracht, als er das Ding aus dem Garten ins Haus brachte.

Da wusste er ja auch noch nicht, dass das Ding eine Astra ist. Astra von lateinisch astrum ‚der Stern\'. Wusste er vorher nicht. Danke Google! Warum liegen diese Dinger auch in seinem Garten? Ausgerechnet da, wo er gerade einen Gartenteich anlegen will. Für sie. Ein Biotop-kein Gartenteich, das würde sie jetzt sagen. Ganz ohne Fische, die scheissen nur alles voll und dann kommen die Algen. Wegen der Nährstoffe. Ein biologisches Gleichgewicht, wenigstens ein Ort an dem Libellen und Wasserläufer eine Heimat finden können, hier im Neubaugebiet. Gartenteich, mit Goldfisch – und Blubberpumpe - das ist was für Kleinbürger.

Der glänzende Ferrari-See unter ihrem Rücken ist etwas größer geworden.
Er schaut auf die Waffe in seiner Hand. Er und Astra – Astra, wie die Wehrmachtspistole, nicht wie das Auto, sagt er leise zu sich. Den bevorstehenden Telefonanruf bei der Polizei vorweg nehmend. Aber jetzt noch nicht. Er ist seltsam müde. Noch ein bisschen vor der Einbauküche lehnen. Gerne würde er hinüber zum Kühlschrank, ein alkoholfreies Erdinger rausholen. Isotonisch.
Aber dazu müsste er sich umdrehen. Der Fliesenspiegel über der Arbeitsfläche - er will gerade jetzt den Blick nicht davon abwenden. Was da hinter ihm liegt - er will es in Müdigkeit ertränken. Löschen. Verglimmen lassen. Fuge - Fliese – Fuge – Fliese. Dort: ein kleiner Zwischenraum, den hat er beim fliesen übersehen, bemerkt er. Ein kleine Öffnung. Muss er demnächst mal \'ran. Man weiss ja nie, was aus solchen kleinen Undichtigkeiten nachher wird. Wasser kann da rein, Silberfischchen nisten. Die ganze schöne Wand fault und schimmelt, von innen. Keiner sieht es, und plötzlich haben wir giftige Sporen in der Atemluft.
Ein kleines Loch nur.

Er steht im Garten. Die Hacke fallt schwer in die Erde. Funken schlagen, Scheiss Steine, das ist doch kein Mutterboden. Er wird sich beim Generalunternehmer beschweren.
Plötzlich klingt es anders. Metall schlägt gegen Metall- ein altes Hufeisen! „Schatz. Du errätst nicht, was ich in unserem neuen Garten in der Erde gefunden habe.“
 

Hagen

Mitglied
Hallo Astralion!

Das hast Du gut gemacht!
Endlich mal ein Autor, der sorgsam recherchiert!
Chapeau.
Ich hoffe, die geneigte Leserschaft der LL weiß das zu schätzen.
Die Story war zunächst etwas schwer zu verstehen, aber es hat mir Spaß gemacht, Deinen detailierten Ausführungen zu folgen.
Ist die Lücke im Fliesenspiegel groß genug für die 'Astra'?

Viele Grüße
Hagen
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo astralion,

eine sehr skurrile kurze geschichte, bei der mir deine
distanzierte, sachliche erzählweise gefällt.

das szenische lässt einen angenehmen spielraum
für die unbeantworteten fragen im leben:

wieso? weshalb? warum?

herzlich willkommen in der leselupe

ralf
 



 
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