Auch Kalenderblätter fallen

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hwg

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Nur noch ein paar vergilbte Kalenderblätter hängen am zerzausten Geäst des alt gewordenen Jahres. Und über Nacht fallen auch sie. Somit ist bald wieder einmal eins vorüber. 2006 – aus und vorbei. Gegangen mit dem Wind, wie die Dichter sagen.
Doch was wird nun aus dem geleerten Gestell werden? Wo kommen wohl diese vertrockneten Jahresbäume hin? Macht man vielleicht Bretter daraus, um sie der Menschheit vors Hirn zu nageln? Oder Staketen, mit denen man dann die Ewigkeit einzäunen könnte? Am Ende werden mit ihnen gar die Fegefeuer geheizt. Wer weiß es. Wir wissen es auf jeden Fall nicht. Der Mensch sitzt an einem dieser Wintertage wohl auch einmal allein. Und blickt zurück. Nein, nicht im Zorn. Nur im Zimmer. Blättert im Geiste noch einmal die vergangenen Monate durch. Freut sich, sinniert oder lächelt. So wie Otto. Für ihn hatte es gar nicht verheißungsvoll begonnen, das vergangene Jahr. Denn ausgerechnet am Neujahrsmorgen verlor er seine ganzen Papiere. Irgendwo beim Aussteigen wohl. Und wie heißt doch das abgewandelte Sprichwort unserer Tage? „Geld verloren, wenig verloren. Ehre verloren, viel verloren. Papiere verloren, alles verloren!“ Denn ohne Geld und Ehre kann ein Mensch trotzdem zu Ämtern und Würden kommen, dafür genügt oft die ausreichende Menge an „Vitamin B“ wie Beziehungen oder „P“ wie Protektion. Ohne Ehre kann man mühelos eine Weltreise machen, oder heiraten und begraben werden. Aber ohne Papiere nur sehr mangelhaft. Denn nicht einmal Auto fahren, seiner Wehrpflicht nachkommen oder postlagernde Sendungen abholen kann man ohne Dokumente. Und wie steht’s mit deren Wiederbeschaffung? Nur wer die Behörden kennt, weiß, was da einer leidet.
Otto seufzt, sich an sein Missgeschick erinnernd. Und auch an den vorjährigen Fasching erinnert sich Otto ungern zurück. Er lernte zwar ein scheues Reh kennen, auf dem Maskenball. Aber scheinbar war’s ein Augenfehler. Denn das zarte Bambilein schmauste anschließend wie ein Nilpferd. Dreimal Rouladen pikant und zwei Portionen Kastanienreis. Musste wohl eine siebenköpfige Bandwurmfamilie miternähren. Nachher ging die Blondine auch noch stiften. Vielleicht mit einem Lebensmittelgroßhändler.
Aschermittwoch, Fastenzeit. Beim Chef gewesen wegen mehr Geld. Gab’s aber nicht. Beim Wintersport auf der Reiteralm den rechten Schi verloren. Selbiger fuhr dann allein die schnellste Zeit des Jahres. Und in das Bleiglasfenster des Wirtshauses hinein. Die Rechnung war nicht unflott. Na ja, und dann kam bei Otto doch ganz plötzlich der Blinddarm raus. Dann war doch auch irgendwo mal der Muttertag. Kleines Kaffeeservice gekauft. Natürlich ein bisschen zweite Wahl. Von wegen leicht angestoßen. Lieb Mütterlein sieht doch nimmer so genau. Schäbig, was? Stimmt. Aber kein Einzelfall, denkt Otto und lächelt. Um diese Zeit fand auch mal eine Entschlackungskur statt. Mit Knoblauchpillen. Ja, gewiss, immerhin sieben Kilogramm abgenommen. Drei davon am Hals. Der sah dann aus wie von einem hundertjährigen Truthahn. Nachher im Rausche der Verjüngung spitze italienische Zehenquäler gekauft. Selbige jedoch nicht allzu lange getragen. Mama mia! Die Urlaubszeit. Diesmal allein gefahren. Zuvor jedoch eine heftige Diskussion gehabt mit Susi, Ottos ständigem Beiwagen. In Grado wunschgemäß eine andere kennen gelernt. Und was für eine! Muss Miss Schlaraffia gewesen sein! Dann wieder reumütig zurück zu Susi. Dem guten, braven Instrument. Schließlich spielt sich’s mit ihr immer noch am Besten. Otto nickt zufrieden. Halt mal, noch etwas! Autobusfahrer „den Vogel“ gezeigt. Bei Gericht erklärt, sich nur die Stirn gekratzt zu haben. Freispruch! Richtig, auch noch ein einziges Mal zwei Aktien gekauft. Und natürlich prompt baden gegangen. Kunststück. So, das wäre dann auch schon so ziemlich alles. Sicher nicht sehr viel, aber Otto ist nicht unglücklich. Wer weiß, was dieses Jahr bringt, denkt er und übt sich in Optimismus.
 



 
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