Auf Kriegsfuß mit der deutschen Sprache

Oxymoron

Mitglied
Aha.
Ich bin also nicht in der Lage mich auf Deutsch auszudrücken. Mich zu \"artikulieren\". Das behauptet zumindest mein Deutschlehrer.
Die Erkenntnis einerseits Siebzehn Jahre lang eine Art Kauderwelsch gelernt zu haben, wird fast wieder von Der gut gemacht, anscheinend ein wahres Fremdsprachengenie zu sein. Wie auch sonst hätte es mir gelingen können, eine nicht-existente Sprache zu erfinden und zu verinnerlichen? \"Internalisieren\" würde mein Deutschlehrer es wohl nennen.
Ein wenig stolz auf mein bahnbrechendes Spracherfindungstalent gebe ich es also zu: \"Ja ich spreche kein Deutsch. Schuldig in allen Anklagepunkten. Setzen, Sechs.\"
Nichts desto Trotz möchte ich diese Schuld (mein Deutschlehrer würde es poetisch \"Schmach\" nennen...) nicht auf mir sitzen lassen. Denn wo habe ich meine Wissenslücken (oder \"Bildungsdefizite\" wie mein ... ach ihr wisst schon) zu suchen?
Natürlich. Da wo alles Übel begann. in der Schule. Die Hochburg der Sprachbürokratie ist nämlich keineswegs in stickige Büros im Berliner Regierungsviertel verbannt worden, viel mehr hat sie sich klammheimlich in bundesdeutsche Schulen geschlichen, um wie ein giftiger Rauchschleier über den Köpfen der lernenden Schüler zu hängen, schwerer zu entfernen als rote Kreide von der Tafel.
Und allmorgendlich verwandelt sich das Klassenzimmer in ein Schlachtfeld. Auf der einen Seite die Schüler, Auge in Auge mit dem Feind. Dem Parasit. Der deutschen Schriftsprache.
Die Waffen der Schüler sind offensichtlich. Gekonntes Desinteresse gepaart mit einigen Nomen, die keine sind, Adjektiven, die nie welche waren, und Verben, die es hoffentlich niemals werden möchten.
Weniger durchschaubar dagegen die Taktik des Feindes. Er lässt seine Gegner, uns, monatelang im Glauben wir hätten eine ernsthafte Chance. Wir seien gewaffnet für die große Schlacht, die Klausur. Er lässt es zu, dass wir uns in Sicherheit wiegen, denken alles richtig zu machen. Wir wägen uns auf der sicheren Seite. Und dann schlägt er zu.
Knallhart.
Der Rotstift.
Erst in diesem Moment wird uns schmerzlich bewusst, was er, der Feind, die deutsche Sprache, lange geplant hat. Er wollte uns nie in völliger Unwissenheit lassen. Er wollte uns verwirren.
Mit einer Sprache, die anders gesprochen als geschrieben wird, die früher anders war als heute, die Fremdwörter vergöttert und sich selbst komplizierter macht, als sie ist.
Sprechen darf man im Perfekt.
Perfekt, denken wir. Hätte uns doch nur jemand verinnerlicht, ich meine \"internal...\" lassen wir das, dass diese unglaublich sinnvolle Zeitform in der Schriftsprache einfach nichts zu suchen hat.
Gar nicht mehr so perfekt ....
Es scheint ein wahrer Wettkampf stattzufinden. So sinnvoll wie früher die äußerst notwendigen (na, wer würde wohl \"obligatorisch\" sagen? ... Richtig. Unsere Damen und Herren Deutschlehrer) Wettbewerbe um den schönsten Fifi sind heutzutage wohl die Streitfragen um die schönste Futurform. Ich freue mich auf das nächste große Fernsehhighlight: \"Deutschland sucht das Superwort\".
Ein Revival der Superlative findet den Weg aus den Klassenzimmern auf den Schulhof. Statt: \"Wo warst du, als Kennedy erschossen wurde\" wird heute postmodern gefragt: \"Wo warst du, als das Plusquamperfekt erfunden wurde?\".
Kehren wir zurück auf unser kleines Schlachtfeld. Dass Sprache Gefühlssache ist, leugnet außer diversen Deutschlehrern wohl niemand. Trotzdem werden wir immer wieder auf mangelndes Sprachgefühl hingewiesen. Bemühen wir uns, es zu zeigen, dann aber bitte nur in der gesprochenen Sprache. Geschrieben ist jeder lyrische Sprachgefühlsausbruch ein klassischer Fall fürs Lazarett. Denn gegen den Rotstift kommt keine weiße Fahne an.
Die Schäden sind bleibend. Zumindest bis zur nächsten gekonnten Verwirrungstaktik der deutschen Sprache. Die Hoffnung des Feindes uns nun endlich auf seine Seite gezogen zu haben, ist vergleichsweise lächerlich. Zwar geben wir uns alle erdenkliche Mühe, aber mal ernsthaft: Welcher Soldat kommt schon als Pazifist aus dem Krankenhaus?
Spätestens bei der nächsten Schlacht werden wir wieder dabei sein. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Adverb um Adverb.
Und das tollste daran ist:
In ein paar Jahren wird das niemanden mehr interessieren. Wir, die ehemaligen Widerstandskämpfer gegen die deutsche Wortgewalt können dann selbstverliebt, und wissend, dass wir beim großen Kampf dabei waren, auf eine kleine, übrig gebliebene Minderheit von Deutschlehrern gucken, die tapfer, Jahr um Jahr, erneut den Kampf mit einer Generation Widerständler aufnehmen.
Bereit sie zu missionieren und dabei unmerklich zu verwirren, auf dass sie irgendwann resignieren und den Rechtschreibknigge frustriert in die Ecke werfen.
Und da sieht man es mal wieder ganz deutlich: Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben.
 



 
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