Auf dem Weihnachtsmarkt

Mondviole

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Auf dem Weihnachtsmarkt

„Setze die Maske auf“, hatte er gesagt. Nico atmet tief durch und dreht sich langsam vor dem Spiegel. Einen schöneren Weihnachtsmann hat es nie gegeben. Er ist groß, kräftig und der rote Samtmantel mit dem Pelzbesatz sitzt wie maßgeschneidert. Es ist ein gutes Stück, kein billiger Lappen aus dem Supermarkt. Er steigt in die schwarzen Stiefeln und klebt sich den lockigen weißen Bart an das Kinn. Jetzt noch den Sack mit den Geschenken für die Kinder – perfekt. Es kann losgehen. Setze die Maske auf! Gut gemeinter Rat oder schon Anweisung vom Mitarbeiter der Arbeitsagentur? Das er den Job überhaupt bekam, verdankt er nur der Grippewelle, die auch viele Weihnachtsmänner mit Husten und Fieber ins Bett legte. Nein, er wird die hässliche rosa Maske nicht tragen. Ein letzter Blick in den Spiegel. Die großen dunklen Augen in dem kaffeebraunen Gesicht blicken entschlossen. Er dreht sich um, dann fällt die Tür hinter ihm zu.

In diesem Jahr ist der Weihnachtmarkt besonders schön. Bis Mittag hat es geschneit und jetzt glitzert der Schnee auf den Dächern der Buden in der langsam sinkenden Sonne. Die große Weihnachtsfichte trägt ein funkelndes Schneekleid. Wo er bloß bleibt? Unruhig läuft Bäckermeister Hinkel auf und ab. Die Kinder drängeln schon lange am Tisch mit dem Riesenstollen und warten auf den Weihnachtsmann, der ihn anschneiden soll. Nico kommt. „Hoho, tief aus dem Walde komm` ich her“…
„Nee, du kommst nicht aus dem Wald, du kommst aus Afrika“, jubelt der kleine Tobias. „Quatsch, du bist aus Tunesien, stimmt`s? Ich war im Urlaub dort, das war schön“, sagt Robert. Die Kinder schreien wild durcheinander.
„Bist du mit dem Flugzeug da oder auf einem Elefanten geritten? Wo ist er? Haben die Kinder in Afrika schon ihre Geschenke?“ Emma will es genau wissen. „Warum ist dein Bart weiß und dein Gesicht schwarz?“
Nico rettet sich. „Singt mir doch bitte ein schönes Weihnachtslied. Ich schneide inzwischen den Stollen an.“
Meister Hinkel reicht im das Messer und flüstert: „Hatten sie keinen Helleren?“ Nico schweigt und schneidet Stollen. Die Kinder sind mit ihrem Weihnachtslied fertig. „Weihnachtsmann, sing` uns doch bitte ein afrikanisches Weihnachtslied, bitte.“ Erwartungsvoll sieht die pummlige Marlen zu ihm auf und die anderen Kinder stimmen begeistert zu. Nico wird heiß. Auf weihnachtlichen Sologesang ist er nicht vorbereitet. Nicht deutsch und schon gar nicht afrikanisch. Da stößt ihn jemand in die Seite. Ein kräftiger Kerl im dicken Pullover, die Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Mit fehlendem Schneidezahn und Stahlpiercings in beiden Augenbrauen wirkt er nicht sonderlich sympathisch. Seine Augen blicken kalt und sein Atem riecht nach Bier.
„Neger, das ist ein deutscher Weihnachtsmarkt, verschwinde.“ Die Umstehenden können es hören. Niemand reagiert. Nico wird wütend. Hört das nie auf? Gut, die sollen ihren Neger haben.
„Kinder, kommt, jetzt machen wir afrikanische Weihnachtsmusik“. Er schiebt die letzten Stollenreste auf der Tafel beiseite und beginnt mit den Händen auf die Holzplatte zu trommeln. Marlen, Tobias, Robert, Emma und die vielen anderen Kinder finden die Idee großartig und machen begeistert mit. Von Nico animiert, beginnen sie rhythmisch zu hüpfen und laut „bongo, bongo, uah, uah, huhu“ zu schreien und trommeln immer schneller mit den kleinen Händen. Von der Weihnachtsmusik aus den Lautsprechern ist nichts mehr zu hören. Eine Menschentraube hat sich gebildet und einige lachen.
„Was für ein Werbegag ist das denn?“, fragt ein Mann.
Eine Dame im schicken Nerzjäckchen dreht sich zu ihrer Freundin um: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, meine Putzfrau ist ganz in Ordnung, aber das hier geht zu weit.“
Opa Novak nimmt seine Frau am Arm, „Anna, komm, wir gehen. Wenn jetzt schon die Hottentotten auf dem Weihnachtsmarkt tanzen…“. Der Vater von Tobias bahnt sich einen Weg durch die Menge und zerrt seinen Sohn, der neben Nico schwitzend mit beiden Fäusten trommelt und lacht, weg. „Los, ich kaufe dir einen Schokoapfel.“
„Ich will aber hier beim Weihnachtsmann bleiben“, wehrt sich Tobias.
„Das ist nicht der richtige Weihnachtsmann, komm jetzt!“ Tobias schnieft durch die Nase und winkt Nico, bevor er mit seinem Vater verschwindet. Die Umstehenden tuscheln. Auch der Kerl mit der Kapuze und seine Kumpane sind noch da. Das Ganze dauert nur knapp fünfzehn Minuten. Nico hat sich wieder im Griff. „Ich muss jetzt los. Mein Flieger wartet. Hier Kinder, nehmt euch noch etwas aus dem Sack. Fröhliche Weihnachten!“ Er stellt den Sack mit den Geschenken hin und während sich die Kinder darauf stürzen verschwindet er. Es beginnt wieder zu schneien und aus dem Lautsprecher klingt „Stille Nacht, heilige Nacht…
Zwei junge Frauen finden Nico später in einer Seitenstraße und bringen ihn ins Krankenhaus. Ihm fehlen zwei Zähne, der rechte Arm ist gebrochen und er blutet aus einer Kopfwunde. „Das wird schon wieder“, meint der Arzt, als er Nico verbindet und denkt: Warum haben sie ihn bloß in ein Weihnachtsmannkostüm gesteckt?
 



 
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