Auf einen Happen zu Essen

Bad Rabbit

Mitglied
Es gibt Neuigkeiten bezüglich der unheimlichen Mordserie, welche unsere Stadt erschüttert.
Kanalarbeiter fanden bei Wartungsarbeiten eine weitere Leiche, ebenfalls grausam verstümmelt.
Die Frau ist vermutlich schon seit mehreren Wochen tot.
Die Männer werden zur Zeit psychologisch betreut. Ein Sprecher der Polizei sagte, dass es zur Stunde noch keine weiteren Erkenntnisse zum Täter gibt, allerdings hört man immer wieder Gerüchte, wonach die Opfer Bisspuren aufweisen sollen. Hierzu wollte die Polizei keine ...

Sandy wechselte den Kanal. Sie schaltete solange durch, bis sie einen Sender fand, auf dem Roger Daltrey mit seinem Hammerorgan The Real Me schmetterte.
„Das ist aber nicht meine Musik,“ nörgelte Frau Rumpold auf dem Rücksitz.
„Kein Problem,“ erwiderte Sandy genervt,“dann schalte ich eben was anderes ein.“
Sie drückte auf irgendeine Taste, was mit Fools Garden und Lemon Tree quittiert wurde.
Frau Rumpold lächelte zufrieden und tätschelte ihren Chihuahua, welchen sie zwischen ihren massigen Schenkeln eingeklemmt hatte.
„Geht es dir gut, mein kleiner Skippie, geht es dir gut? Ist es dir auch nicht zu heiß?“
Dann, zu Sandy:
„Wissen Sie, warum man seinen Namen mit ie, und nicht mit y schreibt?“
30 Grad im Schatten, verstopfte Straßen, das schlechteste Lied aller Zeiten im Radio und einen Fahrgast aus der Hölle: Aufdringlich, wichtigtuerisch, nach Schweiß stinkend. Was für ein Tag, verehrte Damen und Herren!
„Nein, keine Ahnung. Warum?“
„Weil ich diese Amerikanizismen hasse. Alles muss ja heutzutage amerikanisch sein!“
Das Wort amerikanisch sprach sie betont vulgär aus.
„Amerikanizismen, natürlich,“ sagte Sandy beiläufig, während sie sich in die linke Spur einordnete.
Ja, die gute Frau Rumpold war offenbar ziemlich dämlich. Elementar, lieber Watson.
Zum Glück waren sie bald da. An einer roten Ampel fuhr Sandy mit ihren Fingern über den Umriss der Münze in ihrer Hosentasche. Das machte sie in letzter Zeit öfters. Ein Ritual, das ihr Kraft gab.
Die würde sie brauchen, denn Frau Rumpold setzte zu einer neuen Konversation an:
„Da war doch letztens wieder was mit diesen Islamisten. Also ich denke ja, dass …“
„Wir sind da!“ rief Sandy hörbar erleichtert.
Sie waren zwar erst in die Straße eingebogen, und bis zum Ziel waren es bestimmt noch zweihundert Meter, aber sie musste der alten Schachtel unbedingt den Ton abstellen.
Diese nervtötende Stimme. Dieser fette Körper. Dieser ranzige Geruch. Sandy konnte sich nur schwer beherrschen.
Die Rumpold schnaubte verächtlich und sah beleidigt zum Fenster heraus, während sie ihrem jämmerlich kleinen Hund, den sie in ein albernes rosafarbenes Minishirt gezwängt hatte, hinter den Ohren kraulte.
Als Sandy schließlich den Wagen stoppte, stoß sie einen lautlosen Schrei der Erleichterung aus, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und drehte sich um.
„Das macht dann genau fünfunddreißig Euro, Frau Rumpold.“
„Na, dafür müssen Sie mir aber tragen helfen,“ erwiderte diese mit ihrer besten Das-versteht-sich-doch-wohl-von-selbst-Stimme.
„Ja, klar,“ brummte Sandy und stieg aus. Sie hatte gehofft, schnell verschwinden zu können. Ihr Hunger wurde immer größer.
Die Rumpold sah ihr mitleidig ins Gesicht, dann sagte sie:
„Ach, Mädchen! Heutzutage muss keiner mehr mit so einer Hasenscharte herumlaufen. Das kann man doch operieren lassen!“
Dann ging sie, mit Skippie auf dem Arm, zur Tür.
„Skippie und ich gehen schonmal vor und machen Ihnen die Türen auf.“
Sandy fuhr sich mit dem Finger über die Scharte unter ihrer Nase und murmelte ein „Blöde Kuh“, bevor sie sich die zwei Koffer schnappte und ihrer Kundin folgte.
Nach drei Stockwerken war sie ziemlich erledigt.
„Frau Rumpold, dürfte ich ein Glas Wasser haben?“
„Ja, natürlich. Aber merken Sie sich etwas für die Zukunft: Sie müssen höflicher zu Ihren Kunden sein!“
Sandy knirschte mit den Zähnen. Sie wollte, aber sie durfte nicht.
Sie berührte wieder die Münze in ihrer Tasche, worauf sie sich etwas beruhigte.
„Hier, Ihr Wasser.“
Sie hielt ihr ein Glas hin, welches Sandy in einem Zug leerte.
„Wissen Sie, so übel sind Sie gar nicht. Wenn Sie sich ein wenig vorteilhafter kleiden würden ...“
Die Rumpold stellte ihren selbstgefälligsten Gesichtsausdruck zur Schau.
Das brachte das Fass zum überlaufen. Sandy waren ihre guten Vorsätze auf einmal scheiß egal. Sie hatte Hunger, und diese dumme fette Frau forderte es ja geradezu heraus.
„Was ist denn mit Ihnen ...“
Weiter kam Evelyn Rumpold nicht mehr. Die Worte waren ihr im Hals stecken geblieben, und dort würden sie auch für alle Ewigkeit bleiben. Das letzte, was sie in ihrem Leben sehen sollte war, wie die Hasenscharte über Sandies Mund immer größer wurde, wuchs und wuchs und das Gesicht in der Mitte zerteilte, bis die beiden hälften mit einem widerwärtig schleimigen Geräusch auseinander schnellten und der Kopf aussah wie eine organische, mit Rasierklingen bewehrte Bärenfalle, und wie dieses Etwas nach ihrem eigenen Kopf schnappte. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, und als Sandies gespaltene Zunge mit jeweils einer Hälfte in je ein Auge eindrang, zuckte Frau Rumpold so stark, dass ihr Sandy beim festhalten beide Arme und einige Rippen brach. Als ihre Zungenspitzen schließlich in die zarte Hirnmasse eintauchten, gab sich Sandy mit Haut und Haar dem Genuss hin. Sie liebte dieses Gefühl, welches sie als eine wohlig warme Daunendecke aus Fleisch und Schmerz beschreiben würde.
Nachdem sie gegessen und sich gewaschen hatte, schaute sie sich noch einmal die Reste an.
Sie würde später wiederkommen und aufräumen müssen. Jetzt, wo sie gesättigt war, kehrte die Vernunft zurück ... und plötzlich ekelte sie sich: Vor dem haufen Fleisch vor ihr, aber auch vor sich selbst.
Es war sehr gut gewesen, oh ja, aber so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte die Beherrschung verloren. Wenn sie hungrig war, dann war sie eben leicht reizbar. Sie zog die Münze aus ihrer Tasche und schaute sie reumütig an: Seit einem Monat clean. Einen ganzen Monat, mehr hatte sie nicht geschafft.
„Diesmal halte ich durch,“ sagte sie zu sich selbst und steckte die Münze wieder ein.
Sie hatte die Hand schon auf der Türklinke, als ihr etwas einfiel:
Es war zwar nichts so gut wie das Hirn einer neureichen Schicki – Micki – Tussie, aber sie konnte nicht ständig Leute umbringen. Sie wollte wirklich aufhören. Vielleicht könnte diese kleine Sache den nächsten großen Hunger wenigstens hinauszögern. Nannte man das nicht Suchtverlagerung oder so ähnlich?
Sie ging zur Couch, kniete sich auf eines der Sitzkissen und schaute über die Lehne.
„Hallo, mein Kleiner!“
Skippie (mit ie, nicht mit y) drückte sich zitternd an die Wand hinter dem Sofa und fixierte Sandy mit ängstlichen Augen.
Mit einer schnellen Bewegung griff sie sich den Hund und drehte ihm den Hals um. Dann packte sie ihn in eine Plastiktüte.
Für Unterwegs.
 

Bad Rabbit

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36 Grad, kein Ventilator, ...
Sandy wechselte den Kanal. Sie schaltete solange durch, bis sie einen Sender fand, auf dem Roger Daltrey mit seinem Hammerorgan The Real Me schmetterte.
„Das ist aber nicht meine Musik,“ nörgelte Frau Rumpold auf dem Rücksitz.
„Kein Problem,“ erwiderte Sandy genervt,“dann schalte ich eben was anderes ein.“
Sie drückte auf irgendeine Taste, was mit Fools Garden und Lemon Tree quittiert wurde.
Frau Rumpold lächelte zufrieden und tätschelte ihren Chihuahua, welchen sie zwischen ihren massigen Schenkeln eingeklemmt hatte.
„Geht es dir gut, mein kleiner Skippie, geht es dir gut? Ist es dir auch nicht zu heiß?“
Dann, zu Sandy:
„Wissen Sie, warum man seinen Namen mit ie, und nicht mit y schreibt?“
30 Grad im Schatten, verstopfte Straßen, das schlechteste Lied aller Zeiten im Radio und einen Fahrgast aus der Hölle: Aufdringlich, wichtigtuerisch, nach Schweiß stinkend. Was für ein Tag, verehrte Damen und Herren!
„Nein, keine Ahnung. Warum?“
„Weil ich diese Amerikanizismen hasse. Alles muss ja heutzutage amerikanisch sein!“
Das Wort amerikanisch sprach sie betont vulgär aus.
„Amerikanizismen, natürlich,“ sagte Sandy beiläufig, während sie sich in die linke Spur einordnete.
Ja, die gute Frau Rumpold war offenbar ziemlich dämlich. Elementar, lieber Watson.
Zum Glück waren sie bald da. An einer roten Ampel fuhr Sandy mit ihren Fingern über den Umriss der Münze in ihrer Hosentasche. Das machte sie in letzter Zeit öfters. Ein Ritual, das ihr Kraft gab.
Die würde sie brauchen, denn Frau Rumpold setzte zu einer neuen Konversation an:
„Da war doch letztens wieder was mit diesen Islamisten. Also ich denke ja, dass …“
„Wir sind da!“ rief Sandy hörbar erleichtert.
Sie waren zwar erst in die Straße eingebogen, und bis zum Ziel waren es bestimmt noch zweihundert Meter, aber sie musste der alten Schachtel unbedingt den Ton abstellen.
Diese nervtötende Stimme. Dieser fette Körper. Dieser ranzige Geruch. Sandy konnte sich nur schwer beherrschen.
Die Rumpold schnaubte verächtlich und sah beleidigt zum Fenster heraus, während sie ihrem jämmerlich kleinen Hund, den sie in ein albernes rosafarbenes Minishirt gezwängt hatte, hinter den Ohren kraulte.
Als Sandy schließlich den Wagen stoppte, stoß sie einen lautlosen Schrei der Erleichterung aus, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und drehte sich um.
„Das macht dann genau fünfunddreißig Euro, Frau Rumpold.“
„Na, dafür müssen Sie mir aber tragen helfen,“ erwiderte diese mit ihrer besten Das-versteht-sich-doch-wohl-von-selbst-Stimme.
„Ja, klar,“ brummte Sandy und stieg aus. Sie hatte gehofft, schnell verschwinden zu können. Ihr Hunger wurde immer größer.
Die Rumpold sah ihr mitleidig ins Gesicht, dann sagte sie:
„Ach, Mädchen! Heutzutage muss keiner mehr mit so einer Hasenscharte herumlaufen. Das kann man doch operieren lassen!“
Dann ging sie, mit Skippie auf dem Arm, zur Tür.
„Skippie und ich gehen schonmal vor und machen Ihnen die Türen auf.“
Sandy fuhr sich mit dem Finger über die Scharte unter ihrer Nase und murmelte ein „Blöde Kuh“, bevor sie sich die zwei Koffer schnappte und ihrer Kundin folgte.
Nach drei Stockwerken war sie ziemlich erledigt.
„Frau Rumpold, dürfte ich ein Glas Wasser haben?“
„Ja, natürlich. Aber merken Sie sich etwas für die Zukunft: Sie müssen höflicher zu Ihren Kunden sein!“
Sandy knirschte mit den Zähnen. Sie wollte, aber sie durfte nicht.
Sie berührte wieder die Münze in ihrer Tasche, worauf sie sich etwas beruhigte.
„Hier, Ihr Wasser.“
Sie hielt ihr ein Glas hin, welches Sandy in einem Zug leerte.
„Wissen Sie, so übel sind Sie gar nicht. Wenn Sie sich ein wenig vorteilhafter kleiden würden ...“
Die Rumpold stellte ihren selbstgefälligsten Gesichtsausdruck zur Schau.
Das brachte das Fass zum überlaufen. Sandy waren ihre guten Vorsätze auf einmal scheiß egal. Sie hatte Hunger, und diese dumme fette Frau forderte es ja geradezu heraus.
„Was ist denn mit Ihnen ...“
Weiter kam Evelyn Rumpold nicht mehr. Die Worte waren ihr im Hals stecken geblieben, und dort würden sie auch für alle Ewigkeit bleiben. Das letzte, was sie in ihrem Leben sehen sollte war, wie die Hasenscharte über Sandies Mund immer größer wurde, wuchs und wuchs und das Gesicht in der Mitte zerteilte, bis die beiden hälften mit einem widerwärtig schleimigen Geräusch auseinander schnellten und der Kopf aussah wie eine organische, mit Rasierklingen bewehrte Bärenfalle, und wie dieses Etwas nach ihrem eigenen Kopf schnappte. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, und als Sandies gespaltene Zunge mit jeweils einer Hälfte in je ein Auge eindrang, zuckte Frau Rumpold so stark, dass ihr Sandy beim festhalten beide Arme und einige Rippen brach. Als ihre Zungenspitzen schließlich in die zarte Hirnmasse eintauchten, gab sich Sandy mit Haut und Haar dem Genuss hin. Sie liebte dieses Gefühl, welches sie als eine wohlig warme Daunendecke aus Fleisch und Schmerz beschreiben würde.
Nachdem sie gegessen und sich gewaschen hatte, schaute sie sich noch einmal die Reste an.
Sie würde später wiederkommen und aufräumen müssen. Jetzt, wo sie gesättigt war, kehrte die Vernunft zurück ... und plötzlich ekelte sie sich: Vor dem haufen Fleisch vor ihr, aber auch vor sich selbst.
Es war sehr gut gewesen, oh ja, aber so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte die Beherrschung verloren. Wenn sie hungrig war, dann war sie eben leicht reizbar. Sie zog die Münze aus ihrer Tasche und schaute sie reumütig an: Seit einem Monat clean. Einen ganzen Monat, mehr hatte sie nicht geschafft.
„Diesmal halte ich durch,“ sagte sie zu sich selbst und steckte die Münze wieder ein.
Sie hatte die Hand schon auf der Türklinke, als ihr etwas einfiel:
Es war zwar nichts so gut wie das Hirn einer neureichen Schicki – Micki – Tussie, aber sie konnte nicht ständig Leute umbringen. Sie wollte wirklich aufhören. Vielleicht könnte diese kleine Sache den nächsten großen Hunger wenigstens hinauszögern. Nannte man das nicht Suchtverlagerung oder so ähnlich?
Sie ging zur Couch, kniete sich auf eines der Sitzkissen und schaute über die Lehne.
„Hallo, mein Kleiner!“
Skippie (mit ie, nicht mit y) drückte sich zitternd an die Wand hinter dem Sofa und fixierte Sandy mit ängstlichen Augen.
Mit einer schnellen Bewegung griff sie sich den Hund und drehte ihm den Hals um. Dann packte sie ihn in eine Plastiktüte.
Für Unterwegs.
 

Bad Rabbit

Mitglied
Kanalarbeiter fanden bei Wartungsarbeiteneine die Leiche einer Frau. Laut Polizei ...
Sandy wechselte den Kanal. Sie schaltete solange durch, bis sie einen Sender fand, auf dem Roger Daltrey mit seinem Hammerorgan The Real Me schmetterte.
„Das ist aber nicht meine Musik“, nörgelte Frau Rumpold auf dem Rücksitz.
„Kein Problem“, erwiderte Sandy genervt, “dann schalte ich eben was anderes ein.“
Sie drückte auf irgendeine Taste, was mit Fools Garden und Lemon Tree quittiert wurde.
Frau Rumpold lächelte zufrieden und tätschelte ihren Chihuahua, welchen sie zwischen ihren massigen Schenkeln eingeklemmt hatte.
„Geht es dir gut, mein kleiner Skippie, geht es dir gut? Ist es dir auch nicht zu heiß?“
Dann, zu Sandy:
„Wissen Sie, warum man seinen Namen mit ie, und nicht mit y schreibt?“
30 Grad im Schatten, verstopfte Straßen, das schlechteste Lied aller Zeiten im Radio und einen Fahrgast aus der Hölle: Aufdringlich, wichtigtuerisch, nach Schweiß stinkend - und dann war sie auch noch scheiß hungrig. Was für ein Tag, verehrte Damen und Herren!
„Nein, keine Ahnung. Warum?“
„Weil ich diese Amerikanizismen hasse. Alles muss ja heutzutage amerikanisch sein!“
Das Wort amerikanisch sprach sie betont vulgär aus.
„Amerikanizismen, natürlich,“ sagte Sandy beiläufig, während sie sich in die linke Spur einordnete.
Ja, die gute Frau Rumpold war offenbar ziemlich dämlich. Elementar, lieber Watson.
Zum Glück waren sie bald da. An einer roten Ampel fuhr Sandy mit ihren Fingern über den Umriss der Münze in ihrer Hosentasche. Das machte sie in letzter Zeit öfters. Ein Ritual, das ihr Kraft gab.
Die würde sie brauchen, denn Frau Rumpold setzte zu einer neuen Konversation an:
„Da war doch letztens wieder was mit diesen Islamisten. Also ich denke ja, dass …“
„Wir sind da!“ rief Sandy hörbar erleichtert.
Sie waren zwar erst in die Straße eingebogen, und bis zum Ziel waren es bestimmt noch zweihundert Meter, aber sie musste der alten Schachtel unbedingt den Ton abstellen.
Diese nervtötende Stimme. Dieser fette Körper. Dieser ranzige Geruch. Sandy konnte sich nur schwer beherrschen.
Die Rumpold schnaubte verächtlich und sah beleidigt zum Fenster heraus, während sie ihrem jämmerlich kleinen Hund, den sie in ein albernes rosafarbenes Minishirt gezwängt hatte, hinter den Ohren kraulte.
Als Sandy schließlich den Wagen stoppte, stoß sie einen lautlosen Seufzer der Erleichterung aus, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und drehte sich um.
„Das macht dann genau fünfunddreißig Euro, Frau Rumpold.“
„Na, dafür müssen Sie mir aber tragen helfen,“ erwiderte diese mit ihrer besten Das-versteht-sich-doch-wohl-von-selbst-Stimme.
„Ja, klar,“ brummte Sandy und stieg aus. Sie hatte gehofft, schnell verschwinden zu können. Ihr Hunger wurde immer größer.
Die Rumpold sah ihr mitleidig ins Gesicht, dann sagte sie:
„Ach, Mädchen! Heutzutage muss keiner mehr mit so einer Hasenscharte herumlaufen. Das kann man doch operieren lassen!“
Dann ging sie, mit Skippie auf dem Arm, zur Tür.
„Skippie und ich gehen schonmal vor und machen Ihnen die Türen auf.“
Sandy fuhr sich mit dem Finger über die Scharte unter ihrer Nase und murmelte ein „Blöde Kuh“, bevor sie sich die zwei Koffer schnappte und ihrer Kundin folgte.
Nach drei Stockwerken war sie ziemlich erledigt.
„Frau Rumpold, dürfte ich ein Glas Wasser haben?“
„Ja, natürlich. Aber merken Sie sich etwas für die Zukunft: Sie müssen höflicher zu Ihren Kunden sein!“
Sandy knirschte mit den Zähnen. Sie wollte, aber sie durfte nicht.
Sie berührte wieder die Münze in ihrer Tasche, worauf sie sich etwas beruhigte.
„Hier, Ihr Wasser.“
Sie hielt ihr ein Glas hin, welches Sandy in einem Zug leerte.
„Wissen Sie, so übel sind Sie gar nicht. Wenn Sie sich ein wenig vorteilhafter kleiden würden ...“
Die Rumpold stellte ihren selbstgefälligsten Gesichtsausdruck zur Schau.
Das brachte das Fass zum überlaufen. Sandy waren ihre guten Vorsätze auf einmal scheiß egal. Sie hatte Hunger, und diese dumme fette Frau forderte es ja geradezu heraus.
„Was ist denn mit Ihnen ...“
Weiter kam Evelyn Rumpold nicht mehr. Die Worte waren ihr im Hals stecken geblieben, und dort würden sie auch für alle Ewigkeit bleiben. Das letzte, was sie in ihrem Leben sehen sollte war, wie die Hasenscharte über Sandies Mund immer größer wurde, wuchs und wuchs und das Gesicht in der Mitte zerteilte, bis die beiden hälften mit einem schleimigen Geräusch auseinander schnellten und der Kopf aussah wie eine organische, mit Rasierklingen bewehrte Bärenfalle, und wie dieses Etwas nach ihrem eigenen Kopf schnappte. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, und als Sandies gespaltene Zunge mit jeweils einer Hälfte in je ein Auge eindrang, zuckte Frau Rumpold so stark, dass ihr Sandy beim festhalten beide Arme und einige Rippen brach. Als ihre Zungenspitzen schließlich in die zarte Hirnmasse eintauchten, gab sich Sandy mit Haut und Haar dem Genuss hin. Sie liebte dieses Gefühl, welches sie als eine wohlig warme Daunendecke aus Fleisch und Schmerz beschreiben würde.
Nachdem sie gegessen und sich gewaschen hatte, schaute sie sich noch einmal die Reste an.
Sie würde später wiederkommen und aufräumen müssen. Jetzt, wo sie gesättigt war, kehrte die Vernunft zurück ... und plötzlich ekelte sie sich: Vor dem Haufen Fleisch vor ihr, aber auch vor sich selbst.
Es war sehr gut gewesen, oh ja, aber so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte die Beherrschung verloren. Wenn sie hungrig war, dann war sie eben leicht reizbar. Sie zog die Münze aus ihrer Tasche und schaute sie reumütig an: Seit einem Monat clean. Einen ganzen Monat, mehr hatte sie nicht geschafft.
„Diesmal halte ich durch,“ sagte sie zu sich selbst und steckte die Münze wieder ein.
Sie hatte die Hand schon auf der Türklinke, als ihr etwas einfiel:
Es war zwar nichts so gut wie das Hirn einer neureichen Schicki – Micki – Tussie, aber sie konnte nicht ständig Leute umbringen. Sie wollte wirklich aufhören. Vielleicht könnte diese kleine Sache den nächsten großen Hunger wenigstens hinauszögern. Nannte man das nicht Suchtverlagerung oder so ähnlich?
Sie ging zur Couch, kniete sich auf eines der Sitzkissen und schaute über die Lehne.
„Hallo, mein Kleiner!“
Skippie (mit ie, nicht mit y) drückte sich zitternd an die Wand hinter dem Sofa und fixierte Sandy mit ängstlichen Augen.
Mit einer schnellen Bewegung griff sie sich den Hund und drehte ihm den Hals um. Dann packte sie ihn in eine Plastiktüte.
Für Unterwegs.
 



 
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