Aufrechter Stolz

3,00 Stern(e) 1 Stimme

AndiKrato

Mitglied
Nun, was mag dem jungen Mann in seinem schicken BMW Z3 so durch den Kopf gehen? Es ist sieben Uhr morgens, es regnet und die Sonne versucht schon ein klein wenig, die Oberhand zu gewinnen. Die Scheibenwischer verursachen dieses bekannte und wohlvertraute Klicken. Der Motor säuselt bei etwa 750 Umdrehungen vor sich hin. Stau. Wie immer um diese Zeit reiht sich ein Auto an das Andere und alle warten darauf, dass sich die beiden Fahrspuren der Bundesstrasse vereinen und diesen Strom an Fahrzeugen kanalisieren. „Das Venturi-Prinzip“ fährt es mir noch durch den Kopf. Je enger der Durchmesser eines Röhrchens, desto schneller bewegen sich die Teilchen durch dieses hindurch.

Neben mir auf der anderen Fahrspur steht er, sieht mich an und ich sehe ein kleines Zucken in seinen Mundwinkeln. Er ist etwa 30 Jahre alt, braungebrannt mit durchgestyltem Haar. Jung, dynamisch, „erfolgreich“, einer von der Sorte Gewinnertyp. Die roten Sportledersitze seines schwarz glänzenden Z3 lassen den Wald dahinter trotz des Regens so grün wie an einem sonnigen Spätsommernachmittag erscheinen. Immer wieder habe ich im Rückspiegel gesehen, wie er sich mein Auto ansah. Jetzt, da er nun neben sich die vollkommene russische Schönheit desselben hat, würdigt er diese natürlich keines Blickes. Nur ein kleiner Wink durch sein vielsagendes Grinsen für mich. Im Radio beginnt der Nachrichtensprecher erneut sein monotones Werk und ich schalte schnell ab, um nichts von den leidenden Menschen im Irak erfahren zu müssen. Ich atme tief ein und betrachte das Amaturenbrett meines Autos. „LADA NIVA 4x4“ steht da in Großbuchstaben. Meine Gedanken beginnen sich mit dem Takt der Scheibenwischer zu vermischen und in weiter Ferne sehe ein Montage-Fliessband. Ein Arbeiter steckt gerade ein Rad an einen Niva, während Lärm und Staub ihn umringt. Er ist etwa 50 Jahre alt, von kräftiger Statur, hat schwarze, glatt gelegte Haare und seine Wangen leuchten rot. Was mag er für ein Leben führen? Ist er froh, hier Arbeit gefunden zu haben? Kann er von seinem Lohn leben oder hat er wie viele Andere in diesem riesigen Land schon Monate keinen mehr bekommen? Nachdem er die Radmuttern mit lautem Knarren angezogen hat, dreht er sich um und ich kann ihm in die Augen sehen. Traurig und doch voller Stolz blickt er durch mich hindurch. Er geht zu einer Palette, um einen neuen Reifen zu holen. Wird er sich je eines dieser Allradfahrzeuge leisten können? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich fährt er einen mühsam gepflegten 19 Jahre alten 1200er, der ihm weit mehr bedeutet als ein Ferrari dem Durchschnittsdeutschen. Und doch ist er stolz auf das was er tut, stolz auf dieses Werk und die Autos, welche sich zwar nicht mit einem westlichen Modell messen lassen können, die aber seit fast 30 Jahren jeden Winkel seines großen, schönen Vaterlandes erreichen und wo High-Tech einfach versagen muß. Dieses Auto kann Unmengen an Geschichten erzählen. Vom einsamen Soldaten hoch oben im Dach Sibiriens bis zum engagierten Parteifunktionär. Leise flucht er vor sich hin. Verflucht diesen Putin, Gorbatschow und all die Verbrecher, die sein Land an die Kapitalisten verkaufen.
Im vergangenen Sommer durfte er genau so einen Lada Niva für ein Wochenende mit nach Hause nehmen. Er hatte drei Monate hintereinander im Rekord gearbeitet. Zwölf Stunden jeden Tag mit je fünfzehn Minuten Pause. Freilich, mehr Geld können Sie ihm nicht geben. Sie haben ja selber nichts. Aber sein Stolz war ihm Lohn genug, als er damit bei seiner Familie auf den Hof fuhr.

Hinter mir hupte es. Viel zu tief war ich in Gedanken versunken. Der Z3 ist längst nicht mehr neben mir. Stattdessen steht da ein Audi.

Nein, sie werden es nie verstehen.
 
G

Gabriel

Gast
Hallo AndiKrato!

Schön finde ich den Gegensatz zwischen dem Z3-Fahrer und dem russischen Fließbandarbeiter.
Wenn ich es richtig interpretiere, ist dein Erzähler selbst ein Russe. Jedenfalls scheint er die Gefühle eines Russen gut zu kennen. Wenn er sich aber so gut mit den russischen Gegebenheiten auskennt, warum stellt er sich dann diese Fragen? Was für ein Leben der Arbeiter wohl führt? Ob er von seinem Lohn leben kann? Müsste er nicht auch wissen, was ein solcher Arbeiter verdient?

Ich habe dir noch ein paar Bemerkungen in den Text eingefügt. Vielleicht kannst du etwas damit anfangen.

Gruß, Gabriel

[strike]Nun,[/strike] was mag dem jungen Mann in seinem schicken BMW Z3 so durch den Kopf gehen? Es ist sieben Uhr morgens, es regnet [strike]und[/strike] [blue]aber[/blue] die Sonne versucht [strike]schon ein klein wenig[/strike], die Oberhand zu gewinnen. Die Scheibenwischer verursachen dieses bekannte und wohlvertraute [blue]Das ist zu viel des Guten. Bekannt oder wohlvertraut, nicht beides zusammen[/blue] Klicken. Der Motor säuselt bei etwa 750 Umdrehungen vor sich hin. Stau. Wie immer um diese Zeit [blue]Punkt / Der Stau setzt schon voraus, dass sich Auto an Auto reiht.[/blue] [strike]reiht sich ein Auto an das Andere und[/strike] alle warten darauf, dass sich die beiden Fahrspuren der Bundesstrasse vereinen und diesen Strom an Fahrzeugen kanalisieren. „Das Venturi-Prinzip“ fährt es mir noch durch den Kopf. Je enger der Durchmesser eines Röhrchens, desto schneller bewegen sich die Teilchen durch dieses hindurch.

Neben mir auf der anderen Fahrspur steht er, sieht mich an und ich sehe ein kleines Zucken in seinen Mundwinkeln. Er ist etwa 30 Jahre alt, braungebrannt mit durchgestyltem Haar. Jung, dynamisch, „erfolgreich“, ein[strike]er von der Sorte[/strike] Gewinnertyp. Die roten Sportledersitze seines schwarz glänzenden Z3 lassen den Wald dahinter trotz des Regens so grün wie an einem sonnigen Spätsommernachmittag erscheinen. [blue]Wenn es regnet, hat er das Verdeck zu. In einem Z3 mit geschlossenem Verdeck aber siehst du kaum etwas von den roten Sitzen! Jedenfalls nicht so viel, dass du es zu einem Vergleich mit dem Wald dahinter heranziehen kannst[/blue] Immer wieder habe ich im Rückspiegel gesehen, wie er sich mein Auto ansah. Jetzt, da er [strike]nun[/strike] neben sich die vollkommene russische Schönheit desselben hat, würdigt er diese natürlich keines Blickes. Nur ein kleiner Wink durch sein vielsagendes Grinsen für mich. Im Radio beginnt der Nachrichtensprecher erneut sein monotones Werk und ich schalte schnell ab, um nichts von den leidenden Menschen im Irak erfahren zu müssen. Ich atme tief ein und betrachte das Amaturenbrett meines Autos. „LADA NIVA 4x4“ steht da in Großbuchstaben. Meine Gedanken beginnen sich mit dem Takt der Scheibenwischer zu vermischen und in weiter Ferne sehe [blue]ich[/blue] ein Montage-Fliessband. [blue]Hm .. Gedanken, die sich mit dem Takt der Wischer vermischen – das ergibt kein Bild. Vielleicht, die sich dem Takt anpassen …[/blue] Ein Arbeiter steckt gerade ein Rad an einen Niva, während Lärm und Staub ihn umring[strike]t[/strike][blue]en[/blue]. Er ist etwa 50 Jahre alt, von kräftiger Statur, hat schwarze, glatt gelegte Haare und seine Wangen leuchten rot. Was mag er für ein Leben führen? Ist er froh, hier Arbeit gefunden zu haben? Kann er von seinem Lohn leben oder hat er wie viele Andere in diesem riesigen Land schon Monate keinen mehr bekommen? Nachdem er die Radmuttern mit lautem Knarren angezogen hat, dreht er sich um und ich kann ihm in die Augen sehen. Traurig und doch voller Stolz blickt er durch mich hindurch. Er geht zu einer Palette, um einen neuen Reifen zu holen. Wird er sich je eines dieser Allradfahrzeuge leisten können? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich fährt er einen mühsam gepflegten 19 Jahre alten 1200er, der ihm weit mehr bedeutet als ein Ferrari dem Durchschnittsdeutschen. Und doch ist er stolz auf das was er tut, stolz auf dieses Werk und die Autos, welche sich zwar nicht mit einem westlichen Modell messen lassen können, die aber seit fast 30 Jahren jeden Winkel seines großen, schönen Vaterlandes erreichen und wo High-Tech einfach versagen muß. [blue]das ‚und’ an der Stelle verstehe ich nicht. Worauf bezieht es sich?[/blue] Dieses Auto kann Unmengen an Geschichten erzählen. Vom einsamen Soldaten hoch oben im Dach Sibiriens bis zum engagierten Parteifunktionär. Leise flucht er vor sich hin. Verflucht diesen Putin, Gorbatschow und all die Verbrecher, die sein Land an die Kapitalisten verkaufen.
Im vergangenen Sommer durfte er genau so einen Lada Niva für ein Wochenende mit nach Hause nehmen. Er hatte drei Monate hintereinander im Rekord gearbeitet. [blue]meintest du Akkord?[/blue] Zwölf Stunden jeden Tag mit je fünfzehn Minuten Pause. Freilich, mehr Geld können Sie ihm nicht geben. Sie haben ja selber nichts. Aber sein Stolz war ihm Lohn genug, als er damit bei seiner Familie auf den Hof fuhr.

Hinter mir hupte es. Viel zu tief war ich in Gedanken versunken. Der Z3 ist längst nicht mehr neben mir. Stattdessen steht da ein Audi.

Nein, sie werden es nie verstehen.
 
R

Rote Socke

Gast
Hallo Andi,

das sind interessante Überlegungen in diesem Stau bei miesem Wetter.
In der Form könntest Du vielleicht noch ein wenig feilen. Gabriel hat wie immer gute Tips geliefert.
Am Anfang dachte ich, dass der Z3 Fahrer sich diese Gedanken macht. Ich würde also ein wenig früher die genaue Sachlage schildern.
Aber wie gesagt, der Text-Inhalt ist recht interessant und ich habe das gerne gelesen.

Gruss
Socke
 

AndiKrato

Mitglied
Hallo Gabriel,
Hallo Socke,

vielen Dank für Eure Kritik. Zunächst einmal möchte ich vorausschicken, daß dies mein erstes "Werk" ist, welches ich öffentlich zugänglich gemacht habe. Erst vor relativ kurzer Zeit habe ich mit dem Schreiben angefangen und freue mich sehr über diese Möglichkeit. Denn es ist eine große Hilfe zu wissen, wo man steht. Und ich weiß, daß mein Schreibstil noch großer Verbesserungen bedarf.

Nein, Gabriel. Der Erzähler selbst ist kein Russe. Dies wird aus dem Text allerdings nicht deutlich. Diese Geschichte spielt sich in Deutschland ab und der Fahrer des Lada möchte mit seinem Auto nicht nur zeigen, daß es weitaus wichtigere Dinge im Leben als das Image und Geld gibt. Vielmehr ist er jemand, der sich für das Leben und die Menschen Russlands interessiert. Jemand, der selbst nicht unbedingt dort gewesen sein muß, jedoch von Erzählungen und Geschichten aus diesem Land begeistert ist (z.B. die Filme/Bücher von Gerd Ruge).

Deine Korrekturen im Text finde ich wirklich sehr gut und ich stelle mir schon die Frage, ob mir diese Dinge je selbst auffallen werden.

Der Schnitzer mit dem Verdeck ist ziemlich grob.
Ebenso die Verwechslung von "Rekord" und "Akkord".

Ich werde den Text für mich überarbeiten.

Danke!

Andi
 

itsme

Mitglied
Hallo Andi

Aller Anfang ist schwer. Mit einiger Übung können künftige Texte von dir richtig gut werden. Gabriel hat dir nützliche Hinweise gegeben, wie du diesen Text verbessern kannst. Dein Stil jedenfalls gefällt mir.

Was du schreibst ist ein innerer Monolog. Der Fahrer des Lada lässt seine Gedanken schweifen. Es gibt kein Ereignis, keine überraschende Wende, keine Tempo-Veränderung, keine Pointe am Schluss; kein Kriterium also, das den Text zu einer klassischen Kurzgeschichte machen würde. Mit deinem Einverständnis würde ich den Text gerne nach "Erzählungen" verschieben.


LG - itsme
 

AndiKrato

Mitglied
Hallo itsme,

vielen Dank für Deine mutmachenden Worte.

Natürlich bin ich damit einverstanden, wenn Du den Beitrag verschiebst.

Danke!

Andi
 



 
Oben Unten