Aufzeichnungen zu einem Abschied

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Aufzeichnungen zu einem Abschied

Der Kaffee war schwarz
den ich trank
genau wie der Anzug
den ich trug.
Du hattest Wasser
sagtest, ich solle mehr auf mich achten
weniger Kaffee trinken
mehr Sport treiben
aufhören zu rauchen.
Ich kaufte ein Päckchen Zigaretten
und sah dich grinsen.

Ich mochte deinen dunkelblauen Rock
und sagte es dir.
Du warst verlegen
trankst langsam dein Wasser
fuhrst dir mit den Fingern durchs Haar
schulterlang war es.
Ich sah deinen Fingern zu
wie sie hindurch glitten
als würden sie es
zum ersten Mal tun.

Wir sahen die Menschen
die durch das Terminal gingen.
Genervte Eltern, tobende Kinder
Pärchen, die Abschied voneinander nahmen
Geschäftsmänner im Stress
Urlauber in Hawaii-Hemden.
Wir beobachteten sie
wie sie sich auswichen
und ihren zugewiesenen Routen folgten
zu ihrem
für uns unbekannten Ziel.
Wir spielten dieses Spiel
versuchten zu erraten
wer sie sind
wohin sie wollen
und warum.
Du bekamst einen Anruf
und hast ihn ignoriert.

Du hast mir von diesem Jungen erzählt
den du vor einigen Tagen
wiedergesehen hast.
Du bist mit ihm ausgegangen
vor einigen Jahren
elf oder so.
Fünfzehn waren wir damals
er war viel älter als du
und ich war eifersüchtig auf ihn.
Gesagt hab ich dir das nie.
Du hast gelächelt und dich gefragt
was du damals an ihm fandest.
Ich sagte, du seist halt verliebt gewesen
und wolltest es nicht zugeben.
Dann hast du geschmollt
für Sekunden.
Ich lachte und blickte auf den Boden
Dein Koffer stand
zwischen deinen Beinen.

Im November wärst du zurück
hast du gesagt
und mich gefragt
wie lange ich in Japan bleiben würde.
Etwa drei Monate
meinte ich
im November wäre ich auch wieder da.
Wir verabredeten uns
zum Essen
im November.
Ich würde kochen
vermutlich italienisch.

Du hast mich
nach der Uhrzeit gefragt
bevor du zur Toilette
verschwunden bist.
Ich blickte zur Rolltreppe
auf die Beine
eines blonden Mädchens
hörte den Durchsagen zu
die einige Landungen
bekanntgaben.
Dein Flug ging
eine halbe Stunde früher
als meiner.
Als du wiederkamst
brachen wir auf.

Der Weg war kurz
und die Trennung unvermeidlich.
Wir sahen uns an
sagten nichts
ich nahm dich in den Arm
und dieser große Mann
hielt die kleine Frau
während um uns
die Ameisen
durch ihren gläsernen Bau hetzten.
Ein Abschied
wie wir ihn oft erlebten.
Viel Spaß
hast du mir gewünscht
und ich dir
das Gleiche.
Dann gingen wir auseinander.
Ich sah meiner besten Freundin nach
aber sie drehte sich nicht um
das war deine Art.

Ich saß im Flieger
verschwand in der Nacht
ließ mich von ihr
verschlucken.
Ob du an mich dachtest
in diesem Moment
als du ebenfalls verschwandest
im Nichts jener Stunden?

Im Hotel schlief ich sofort
die nächtliche Finsternis
ging weiter
in meinem Kopf.
Der Morgen
fiel in meine gerade geöffneten Augen.
Unfähig, etwas zu tun
sah ich fern
sah die Bilder und versuchte
zu begreifen
was sie zeigten
und was sie bedeuteten.
Ich trank Kaffee
starrte in die schwarze Flüssigkeit
das Nichts tat sich vor mir auf
und ich
suchte dich darin.
Vergebens.

Der November war einsam
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Moritz,

ein lyrischer Text, der sich Zeit nimmt, seinen Charakter zu entwickeln, nicht hetzt, seine Struktur hat. Ich habe ihn gern gelesen.
Die Form allerdings gefiele mir in kurzen Fließtextabschnitten noch besser.

LG Elke
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Moritz,

der Text könnte auch gut in Kurzprosa stehen. Ich vermute, dass Elke das mit ihrer Anregung zum Fliesstext auch meinte.

Nicht, dass er keine lyrischen Momente hätte. Gefällt mir, auch wenn ich in der Lyrik selbst zu kürzeren Texten tendiere.

lG

Herbert
 
hallo elke und herbert,

danke für eure hinweise, ich freue mich über das interesse. es stimmt, ich könnte mir den text auch gut in prosaform vorstellen. allerdings war er von anfang an in dieser kurzen, fast fragmentarischen form geplant. es gibt sicher stellen, die weniger lyrisch sind, aber das habe ich aber in kauf genommen.

liebe grüße
moritz
 

ENachtigall

Mitglied
Doch, Moritz, Du hast den Text schon wohlüberlegt so formatiert; das muss ich nach erneutem Lesen feststellen.
Lass ihn, wie er ist.
Für sogennannte Prosalyrik ist im Ungereimten ebenso wie in der Kurzprosa oder im Tagebuch Platz. So hast Du eine gewisse Auswahl.

LG Elke
 
O

orlando

Gast
Hallo Moritz,
mir gefällt dein Gedicht, das mich formal an Frank Geerk erinnert, einen Lyriker, den ich sehr schätze.
Die bedächtige, ausführliche Art, in der du Empfindungen schilderst, könnte man auf ihre Verdichtung überprüfen.- Eigentlich stellt sich mir diese Frage aber gar nicht.
Denn du schreibst nichts Überflüssiges, sondern beleuchtest eine Annäherung und deren Facetten. Das Kippen einer spontanen Zuneigung über die Klippen zum offenen Meer.

Form und Inhalt schmiegen sich ineinander, Endungen etc. sind nicht dem Zufall überlassen worden: der Text klingt. - Natürlich sprengt das Gedicht schon durch seine Länge den gewöhnlichen Forenrahmen; wer sich dennoch die Mühe machen wird, mehrfach darin zu lesen, muss zweifellos erkennen, dass es sich hierbei um etwas Gutes, wirklich Gutes handelt.
Danke schön.

orlando
 

revilo

Mitglied
noch eine kurze Anmerkung....hier tobt ja oft der Streit darüber, ob ein Gedicht als Lyrik oder Prosa einzuordnen ist....das ist mir bei guten Gedichten wie diesem hier wurschtegal.....ich habe nur etwas gegen Gedichte, die durch Zeilensprünge auf Lyrik getrimmt werden, in Wahrheit aber nur
- sehr banale - Prosatexte sind......diese Haltung hat mir schon manchen Ärger mit der Obrigkeit und böse PN´s eingebracht......das ist mir aber ebenso wurscht.....:D....
schönen Abend wünscht revilo
 

ameise

Mitglied
Hallo Moritz,

schließe mich gern den anderen an: ein gelungenes Gedicht!
Der rote Faden wurde, trotz der Länge, gekonnt beibehalten.

LG
ameise
 



 
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