Augenblicke

MST

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Nachdenklich schlich ich um die große Glasröhre, die in der Mitte des Arbeitszimmers Blickrichtung Osten ihr Leben feierte. Zur Zimmerdecke reichend als grandiose gläserne Säule, die im Spiele des Morgenlichts glitzerte. Prismatische Farben, eine prächtige Physik. Ein Kaleidoskop bunter quicklebendiger Muster.
Wie die Papprohre der Kinder im Inneren mit kleinen Kristallen bestückt, warfen sie mächtig-anheimelnde Muster, und doch war dies hier kein Spielzeug mehr. Wie nur konnte ich das vergleichen, es war alles Täuschung. Das Leben darin war nicht so prachtvoll. Ein hartnäckiger Gedanke.
Sie begeisterte mich jedoch noch unendlich. Vor knapp einem halben Jahr hatte ich das überdimensionale Monstrum von Glasröhre erbauen lassen. Zwei Wirkungen schenkte ich dabei besonderen Glauben, der Beruhigung und der Inspiration. Kategorien, die gut für die Arbeit sein würden? So glaubte ich. Generatoren für die Intuition.

Darin graue und braune Insassen, treu und zahm, wie gewöhnliche Hasen? Die Glasröhre als Stall? Nein, keineswegs. Keine Hasen. Die Farben stimmten. Das Äußere, der Körperbau, nicht. Ein Aquarium. Gattung Pygocentrus piraya nannten sie sich. Treu - nun, sie konnten nicht ausreißen, nicht wegschwimmen, aufgrund der Barrieren. Zahm - nur im Zustand soeben vollendeter Fütterung - arg täuschender Anschein von Friedfertigkeit, die wohl schon manchem Nachbarfisch geschadet hatte. Das Adverb "zahm" hatte also keine kohärent-treffende Fassung als dominierende Eigenschaft für sie. Vorrangig waren sie schwierige und gefährliche Opportunisten der gesamten Fisch-Gesellschaft. Immerfort hungrig. Immerfort angriffslustig. Fleischfressende Wassersaurier in Miniatur. Wild und unberechenbar, Angriffe auf die eigene Familie galten als schicklich. Aber sie waren hier in der Zelle eines Gefängnisses. Hinter dicken Glas. Turbulenter Schauplatz der Gierigen, enger Wohnort teuflischer Banditen..., und doch mochte ich sie. Insgeheim sah ich Parallelen zu mir, meiner Rauflust mit Texten und Büchern und Lektoren, dachte in Zusammenhängen, aber das stimmte wohl nicht, das besaß keine vernünftige Realität? Eine verrückte Vorstellung. Assoziationen sollten die Fische in mir wecken, vor allem auf das Schreiben und den Kontext mit SF-Geschichten. Sollten wirken auf Freunde im Gespräch mit mir, auf Gäste von Partys, ja, ein wenig Abfärben auf mein Dasein als Autor. Assoziationen waren gewollt, wie Beifall für Außerordentliches. Zweckmäßigkeit und Robustheit. Für mich besonders. Ich wollte damit schlechtweg Eindruck schinden.

Das gut zweieinviertel Meter hohe Aquarium, gebaut auf mein beharrliches Geheiß, gegen Einwände von Magdalena, pfropfte jeden Gast wohl auch diesen Hauch von ein bisschen beißender Vorsicht und simpler Angst und zugleich dumpfer Macht auf. In der Luft hing der Symbolstatus: Der Stärkere siegt. Fiel das Wort "Piranha", schauten die Leute ernüchtert. So klein die Biester auch waren, so abschreckend und bösartig benahmen sie sich.

Magdalena, meine Lebenspartnerin, mochte keine Gedanken an diese Viecher, mochte keine Raubfische, sie mied daher meist das Zimmer, wenn es sich nur irgendwie einrichten ließ. Unsere Gespräche vollzogen sich daher im Wohnzimmer, in der Küche, dem Schlafzimmer, im Bad, im Garten - nur nicht im Arbeitszimmer. Sie war auch überzeugt, ich würde die Viecher bald wieder entfernen lassen. Wer weiß, wie sie darauf gekommen war? Arbeit hatte ich mit ihnen jedoch nicht. Eine Zeit-Firma reinigte das Aquarium in regelmäßigen Abständen gegen Bares. Auch daher wuchs in mir noch keine Absicht auf Beendigung ihres Besuches im Arbeitszimmer. Die Glasscheiben bewiesen immer klare Sicht. Viecher sollte man in ihrer Gewalt auch erkennen.

Sechzehn Papierbücher unterschiedlichen Formats, mit Einbänden aus Leinwand und auch Glanzfolie, mit Hartdeckel oder als übliches Taschenbuch, lagen am Boden. Atlanten und Lexika. Auch belletristische Bücher mit üppigen Illustrationen. Aufgeschlagen auch jenes mit dem knallroten Tierkopf und den goldenen Haaren, den Cover ganz bedeckend. Und eines mit Landkarten voller Ocker, Gelb, und Grün. Ein graues Buch mit angestoßenen Ecken. Auch das Blaue von 1899 - eine frühe Fantasie und Rarität. Sowie zwei Mini-Tonwürfel klassischer Musik von Leonhard Bardnoss. Ein Meisterdirigent seit 2017. Ein beinahe ausgedienter ewiger Kalender zeigte 10.Mai 2025. Paul druckte und fertigte sie. Nostalgie tat ja gut. Überhaupt lag Nostalgie im Modetrend. Dahinein, mittendrin, mein ICH.

Meine Pantoffel hatten grauen körnigen Sand auf dem Teppich hinterlassen, erst draußen im Garten angetreten und dann hier abgelöst von den Sohlen, eine schwache Spur nach dem kurzen Spaziergang im Steingarten, als ich Untermieter Paul hinaus begleitet hatte. Paul war unter anderem als Zeitungsdrucker tätig, ein Job der Dürftiges einbrachte. Er druckte in seinem Büro individuelle bei ihm per Digitalmuster bestellte Zeitungen. Im Januar eben auch Kalender. Der Moloch der Arbeitslosigkeit begann wohl in den Anfangsjahren der neuen Epoche? Und Paul hatte es auch damals gnadenlos erwischt.
Frühzeitig ging er außer Haus. Ein verträglicher Zeitgenosse. Man konnte angenehm mit ihm plaudern. Plaudern über fantastische Themen. Da dies für ihn keine Spinnerei war, sondern Literatur, feuerte dies mich auch im Schreiben an. Ich mochte Diskussionen mit ihm.
Nachdem seit 2010 die Große Utopie von Gregor Uplat erschienen war, und folgend analoge Werke guter Schriftsteller, hatte Science Fiction gerechterweise einen guten Platz erobert. Bestimmte einen besseren Ruf bei den Kritikern. Jedoch langsam wurde Science Fiction auch Wahrheit. Leider. Und manches prima Buch war profan zweite Ware geworden.

Fünf Uhr war Start für mich an gewöhnlichen Werktagen, also solchen mit Erwartung auf Anflug von Arbeitswut und vermeintlichen Fortschritt. Meine Kollegen nannten es hochnäsig Produktivität. Für mich bedeutete dies eben 1000 Worte in den ersten Morgenstunden. Die zu schreiben mehr Hindernisse setzten, Umstände verschwiegen, statt wirklich das Grübeln um Buchstaben zu beleuchten. Das Gespür für die Harmonie kam mir dafür heute schon im Bett. Vor dem eigentlichen Aufstehen. Ich war zufrieden. Nein - das Gefühl durfte mich nicht getäuscht haben?

Computer MAX, mein fleißiger semiintelligenter "Mitarbeiter", hatte ein quirliges, doch althergebrachtes Pausen-Event-Programm (oder auch alte kurze Gagfilme) auf dem Desktop des riesigen Plate zur Pausenmanifestation. Die alten Relikte wurden im individuellen Betreiberdienst INTER2015 nicht mehr erneuert. PRÄKOG-Filme kurzer Zeifassung waren jetzt modern. Oder auch spritzige ineinander verwobene DAKTALE, Muster bestimmter Iterationen von Zeitintegralen, Abarten der FRAKTALE, benannt nach DAKTOS.
Der Dienst lieferte mir alles was ich an neuer Software brauchte. Hielt auch die neuen Viren DUPIL und Laß-Mich-Ran und andere fern. So auch den Virus KATER, der die Lötstellen der Elemente heiß machte, bis sie schmolzen und der Computer dadurch gänzlich hinüber war. Vorteilhaft der Dienst, er sortierte die Post nach Wichtigkeit mittels ausgewählter Emotionsprogramme. Natürlich auf Vertrauensbasis. Module der Vielseitigkeit. Was will man mehr?

Farbenspiele silbrigen Oberlichts in einer Zimmernische. Eine Kugellampe aus Venedig, mit dem Abbild des geflügelten Löwen - sie gaukelten einen anderen, einen sehr weit entfernten Ort in meiner Fantasie vor: Planet AFTERNOON. Die Welt des NACHMITTAG. Dort sollte der Roman auch spielen. Praxis und Einblendungen anderen Lebens, Ausmalen von Situationen, gewöhnliche, auch frappierend frische Handlungen, andere Menschen und vor allem die Anderen, die Aliens. Und sehr viel moderne Technik, damit auch der Touch von Science Fiction im Leser gewaltig aufkam. Das Genre war bestimmend und doch lockten die Piranhas kaum Ideen aus mir heraus.
Schreiben von Texten war mein Beruf. Welten außerhalb des Sonnensystems. Doch bei diesem Buch, dass mir auferlegt worden war, fehlten mir von Anfang an Parameter des Wissens, Charaktere, Intuitionen. Die Devise hieß Probieren! Nun, ich probierte schon seit früh, und die Tage vorher ebenfalls. Ich hatte keine Lust mehr.

Die Küche noch im Chaos. Fettige Teller mit Fleischstücken, Salatresten, Nudeln und Dropslies und Gläser im Spülautomat. Die Kühlschränke waren aber schon wieder von außen mittels Code vom Dienstmann geöffnet und neu gefüllt worden. An der Rampe des Hauses. Alles durch INTER2015.
Unordnung ermunterte nie meinen ohnehin schon mageren Reinigungsfleiß. Konnte nie Aktivität hervorrufen. Nach dieser Party mit Freunden gestern Abend. Großspurig hatte ich mein Vorankommen mit dem Buch beschrieben, sie hatten darauf gewartet, Haltungen hervorgestachelt durch gezielte Fragen einiger Interessenten. Das Aquarium hatte Bewunderer gefunden. Aber heute die Realität - Wiederkehr des Alltags mit dieser Geschichte, die nicht voranging. Eine gewisse Ignoranz des Problems drang immer mehr in meinen Kopf. "Tote Zone" nannte ich schon heimlich diese Flaute.

Plötzlich erklangen schrille Laute aus dem Videofon. Gezwitscher von Wellensittichen, des Videofons Charakteristikum. Töne wie jene bei den Hofmanns schräg gegenüber, 300m Entfernung. Hofmanns besitzen eine Farm von exotisch-bunten Vögeln.
Die Töne einprogrammiert - kein Problem von Schwierigkeit. Exotische Geräusche tönten in meinen Ohren recht fabelhaft, schräg und schrill, besser als ein "Ping-Ping" oder "Brumm, Brumm", sie stärkten meine Kraft zum Nachdenken. Ein Quantum eigenes ICH. Irgendwie war ich wohl ein Außenseiter? Nur gut, dass man es selbst zeitig genug merkte. Aber ändern würde ich mich nicht. Was ist schon Normalität? Langeweile und Gleichklang. Normalität wurde nicht respektiert ...

Derart aus dem Denken gerissen - schimpfte ich leise vor mich hin und die Entwicklung gebar doch Nuancen von Neugier. Mutter war dran. Nach üblichem Geflunker: Wie geht es?, - und: Was machst du? , - kam sie auf Magdalena zu sprechen. Nach zwei Minuten dann auf mein Buch. Ich wurde böse, denn alle fragten nach dem Vorankommen, vorgestern, gestern, heute. Aber, ich kam nicht voran. Kurzbündig lenkte ich das Gespräch auf das bevorstehende Mittagessen. Nach dem Thema Wetter verabschiedete sie sich.

Und der Faden der Geschichte war undeutlich entfleucht in einem Lautgedämpften Nebel. Ein bunter Paradiesvogel dem Netz des Ornithologen entkommen. Fort aus den Händen des Liebhabers.
Wieder kreiste ich um die Wassertiere, schon ein Ritus nach jeden Abbruch des Diktats, ich verharrte vor den Sägesalmlern an der Seite des kirschbaumfarbenen Regals mit eingebautem GiFi-Turm, und einem Player verschiedener Medien. Um irgendetwas Absonderliches im Aquarium zu entdecken. Es gab nichts, aber ich stierte. Nur Mengen kleinster Piranhas. Ich nannte sie Bonsainiten. Und ich wartete auf ihre Randale. Auf ihre Kämpfe ohne Laut. Auf Krieg. Auf einen hausgemachten Film. Doch sie schwammen jetzt friedlich, und keusch, Äuglein wie Rehe, nichts verängstigend, als hätten sie nie etwas Böses gewollt, als hätten sie nie andere gefressen.

Versprechen an Magdalena hielt ich ein. Tägliche Leerung des Briefkastens, eine öde Sache. Doch dies wahrnehmend schmiss ich zuvor Tannenzapfen und Knüllpapier auf den Kompost. Der Garten war schon etwas verwildert seit ihrer Abwesenheit. Viele Blumen waren verblüht, Pflanzen mussten nachgeschnitten werden.

Der Konzern der Kaufhauskette ZINNOBERROT verschickte gewöhnliche Briefe. Private Postboten trugen sie aus. Eben Firmen-Tradition. Werbung, Quizspiele, und dergleichen. So auch heute ein golden umrahmtes Couvert. Ausschreibung einer Reise zum Mond, und um dahinter zu blicken wie man sagte, wenn eine bestimmte Frage richtig beantwortet würde. Wegen eines futuristischen Moments der Frage hatten wir uns beteiligt.

Die gläserne Säule dämmerte in Langeweile. Einige Fische beharkten sich. Einem fehlte die Schwanzflosse. Piranhas, sicher ein Grobzeug unter den Fischen, aber mit Kraft und Macht begütert. Schaute ich doch mit einem Gemüt der Hoffnung. Ich war neuerdings für starke Naturen. Überhaupt bin ich für Starke. Nicht nur für solche im Fischglas. Für Starke, aber eigentlich mehr für geistig Starke. Für starke Autoren.
Wohlartikuliert sprach ich weiter in Richtung des entfernt stehenden Mikrofons, welches die Form einer Banane hatte, so von mir als der lange Arm von MAX genannt, mit einer Stimme, die etwas von einem theatralischen Schauspieler zu haben mir weismachte.

>> Seite 35, Absatz 2. Einfügen. CAMULOS INC meldet für Touristen: Voraussichtlich fallen zehn Wochen lang keine Niederschläge auf dem Kontinent EBALTOCH. BAMET schickt dieses Jahr ihre Strahlen wieder mit unglaublicher Hitze hernieder. Dürregebiete sind daher zu meiden. Es sind an die 48°C zu erwarten. Betreten des Landes geschieht auf eigene Gefahr. Gelbgraue Färbungen der Natur haben eingesetzt, Kennzeichen des Starts der Hochzeit der Buradoks. Flüsse sind nur noch Rinnsale. Teilnehmer der Safaris sollten auf genügend Wasser achten. Es besteht jedoch kein Grund zur Panik... <<

In diesen Moment des Niederschreibens schrie die Warnanlage der Haustür ihr fürchterliches "Drudaaah, Drudaaah". Der Schrei des brutalen Buradok. Diesen Schrei stellte ich mir genauso vor, wie er eben erklungen war. Hatte ich ihn doch nach Tonaufnahmen brüll-lebendiger Tiere gemischt. Der Planet AFTERNOON sollte stets erinnern. Irgendwoher dachte ich auch an Magdalena, sie war seit drei Wochen in Kanada, als Korrespondentin. Sie konnte jetzt nicht vor der Haustür stehen - oder? Und doch war ich angetan von diesem Gedanken.
Nicht schnell genug trugen mich meine Beine zur Tür, da rief nochmals das "Drudaaah, Drudaaah". Als ich einen Spalt geöffnet hatte, begann ein Handelsvertreter zu schwatzen wie ein mittelalterlicher Geschichtenerzähler und schob dabei ganz selbstverständlich einen Fuß und ein doppelläufiges Gewehr der Marke MOPLEX über die Türschwelle. Ich sollte es mir ansehen und natürlich kaufen. Mit großem Ernst und Zorn wimmelte ich ihn ab. Ein automatisches Gewehr besaßen wir bereits. Zurück im Arbeitszimmer, total frustriert, schaute ich Börsenberichte und weckte darauf noch per Haustelefon meinen neunzehnjährigen Sohn Helmut im Obergeschoss. Eine Vorlesung über Mathematik stand auf seinem Kalender.

Mein Faden des Romans begann sich zu spinnen: Wasser mit ungewöhnlichen Salzlösungen wäre positiv. Zum Beispiel mehr gelöste Metalle, solche Dinge puschten die Möglichkeiten für einige spleenige Fischarten meiner Geisteskraft und überhaupt anderes Getier als auf der Erde, das ich mir ausdenken konnte. Und AFTERNOON als einziger Planet mit Süßwasser in der 10-Lichtjahr-Umgebung. Das wäre eine Macht. Der Name KALTAVA klang gut als Name für die Hauptstadt am See ABOTA'FI. Und die Region wird Handelszentrum für Süßwasser. Wasser brauchen alle. ORSARELL eignete sich als Bezeichnung der ansässigen Rasse.
Zufrieden rieb ich mir nun die Hände, wurde ich doch nicht im Stich gelassen, mein Hirn arbeitete, und zog Intuitionen. Das entspräche ganz ordentlichen Möglichkeiten. Eine Grundlage, vielleicht eine Hälfte der Staffage?

Nun hatte ich den gelben Sand richtig im Zimmer breitgetreten, doch so störend empfand ich dies nicht. Sand war ein gutes Ambiente. Magdalena war ja nicht im Haus. Sie hätte darüber geschimpft. Aber so? Nur dass die Bücher einige Krumen abbekommen hatten - ich war darüber gelatscht - das gefiel mir dann doch nicht und ich blies die Körnchen vom Tierkopf mit einer Heftigkeit als kämpfte ich um mein Leben.
Neun Uhr. Die Jalousie schnappte an den Küchen-Fenstern nach oben, ich hörte es durch die offene Tür. Hoffnungsvoll sprach ich weiter zum Computer:
>> Seite 36, Absatz 1. Neu: Nun folgen Details des Tages, sie werden informiert vom Sender "AFTERNOON" für die Uni BASELISK, die Polizei der Savannen, für Umweltfreunde, und für Touristen. Ebenfalls nachzuschauen im ZENTRANET unter Code **#113§ oder Bericht 2023§ auf OKULTANZ:
Bekanntmachung für Touristen. Tausende Tiere verdursten täglich in der gleißenden Sonne. Die zählebigen Aasfresser namens Buradok stehen in der Gunst des Jahres. Sie haben wie erwartet eine Evolutionsrate größer vier. Ihr Bestand als Gesundheitspolizei für die Reinhaltung des kostbaren Wassers ist gesichert. Sie tilgen die toten Boolags, Rotperns und Hirschähnlichen. Buradoks bieten einen Angstmachenden Anblick. Ihre Hochzeit ist gleich einem Massaker. Ihr Stamm entspringt einer scheinbaren Kreuzung des irdischen Schakals mit dem Mandrill. Natürliche Feinde sind nur die ORSARELL und die Touristen. Im Jahr erfolgen eine Million Abschüsse...<<
Damit hatte ich die Kurve erwischt, wie man so sagt. Grässliche Viecher, die doch eigentlich für die Einheimischen nützlich sind. Ihr Fleisch schmeckt wunderbar. Sie halten die Savannen sauber. Und sie ziehen als gefällige Trophäe die Touristen an...

Eine Fischgräte, sauber abgeputzt und blass, schwamm vor meinen Augen im Bassin. Überleben war die einzig wahre Losung. Ja nicht unterkriegen lassen. Und ich dachte dabei auch an mich. Befriedigt speicherte ich die neue Phase der gediehenen Seite.
>> Seite 40. Absatz 1. Neuer Absatz: Meldung der CAMULOS INC, komfortables Reiseunternehmen der Stadt GELKASCA. Am Wochenende sind nur Safaris nahe DENKES genehmigt. Für die Geldeinheit von 1550 ORSARI können sie teilnehmen, für 1950 ORSARI kommen sie zum eigenen Abschuss. Erleben sie das Schauspiel der gefräßigen Buradoks von Luftschiffen der Luxusklasse. Leider unterliegt zur Zeit das günstigere Gebiet um SETALDHIN stärksten militärischen Kontrollen. TUPAS WERIXSA, Schmuggler und Pirat, Anführer der Revoluzzer "Freie Heimat" hat die Umgebung von SETALDHIN fast ganz in seiner Hand. Seine Taktik der psionischen Einwirkung trägt Früchte gegenüber den Ordnungsleuten. Er schmuggelt Süßwasser an Raumschiffe der SULXA, mit diesem Geld baut er letztendlich seine Legionen für den Widerstand auf. Es wird unmöglich für Touristen dort Genehmigungen für Safaris zu erhalten. Machen sie Anmeldungen für nächstes Jahr. Ein... alt <<

Plötzlich gingen mir im Diktieren die Worte aus, fassungslos hatte ich zwei Silben nachgehaspelt, doch dann war Ebbe, ja Trockenheit. Leer wie ein Lexikon dessen Seiten plötzlich von einem Moment auf den nächsten von der schwarzen Schrift getilgt waren. Mein Hirn leer wie eine Kokosnuss, nur das Wort "Reiseroman" glimmte im Verstand, ähnlich einer Fackel bei der Entzündung.
Ja, das ist eher ein Reiseroman, als eine SF-Geschichte. Ich stierte vor mich hin, mir fiel nichts anderes ein, als der Griff zum Wasserbecher, welcher auf einem kleinen Tisch nahe der Fische stand. Als könnte ich damit Wörter hervorzaubern. Während des Trinkens verschluckte ich mich, und prustete vehement den Rest an die gläserne Seite der Piranhas. Sie sprangen zehn Zentimeter zurück, zeigten Zähne, und verfielen daraufhin, da nichts sie Störendes geschah, wieder in Melancholie. Sie dachten wohl an zarte Leckerbissen? Lange Nasen der Flüssigkeit rannen langsam an der Glaswand herunter, und wirkten gar wie Lupen, in denen die Piranhas um Zentimeter teuflisch stärker vergrößert wurden.
Der Fakt des Stockens im roten Faden, und die folgende Überbrückung meiner Schwäche, ließen Scham bei mir aufkommen. Ein Lapsus. Das dritte Mal. Ach was, ich griff wiederholt zum Wasser. Beileibe war im Becher nicht das geschmackvolle Wasser von AFTERNOON, so wusste ich, doch es prickelte dennoch auf der Zunge, welche sich dabei rot färbte, wie von Brausetabletten aufgrund des Geschmackszusatzes MULTIPERAL. Eine angenehme Reizung der Geschmacksbecher der Zunge durch ganz besondere irdische Mineralien.
Mir fiel der Handelsvertreter mit dem Gewehr ein. Die Fragen meiner Mutter. Und das Helmut zu spät hier losgekommen war.

Meine Beine führten mich auf die Terrasse. In der Ecke drohte das Modell der Stadt KALTAVA mit dem Finger der Ewigkeit. Eine Fangemeinde hatte sie als ihre Version entworfen. Aus Pappe und Holz und Leim. Magdalena hatte es aber hierhin verbannt. Aus ihrem Augenfeld, und den von Besuchern. Aber das war mir jetzt auch egal. Ich stand unter Druck. Der Text musste bald fertig werden. Noch Tausende Worte waren zu finden.

Eine Revue der eigenen Kreativität, ein Inwendigschauen, hatte mich plötzlich überfallen, in einem Maß wie die Stunde schnell gegen Zwölf vorrückte. Endlich musste Spannung im Text aufkommen. Eine knallharte Fortsetzung, eine brillante Episode: Der Absturz eines Raumschiffes, das Auftauchen fremder Aliens, der Einbruch der Buradoks in KALTAVA oder .., nun ich stockte. War ich der Motor der auszusetzen begann? Verlegen steckte ich die Hand in die Hosentasche, weil mir diese Effekte einfach missfielen. Sie waren nur Klischees.

Meine Augen wendeten sich ärgerlich vom Geschriebenen, ich Tastdatierte noch drei Punkte und zog die rechte Hand aus der schlüsselbeschwerten Hosentasche, entschädigte noch zumindest meinen Gaumen mit einem MOBIT-Kaubonbon, da ich dem Hirn mit ausgewogener Zufriedenheit nicht helfen konnte und wusste ganz genau, dass die letzten zwei Seiten wieder für den digitalen Papierkorb waren.

Rigoros drückte ich den ovalen Knopf auf der Konsole der GiFi-Anlage, und setzte mich, ich rutschte förmlich in den Sessel hinein, als wären alle Knochen urplötzlich nur noch reiner Gummi und legte ein Bein auf das andere. Die Musik von Leonhard Bardnoss tönte aus der Anlage wie ein beruhigendes Wasserplätschern. Eine Ouvertüre des Gleitens in der Atmosphäre. Klang eines futuristisch anmutenden Musik. Das Kompakt aus Tönen und Bildern hoher Auflösung auf meine Worte hin aktiviert. Der Taktstock schwirrte seine typischen Dirigentenbewegungen auf dem Plate. Nebenbei las ich hin und wieder Emailpost. INTER2015 hatte geschickt.

Das Rotgelb des Sessels entfachte mein Feixen. Wie konnte Magdalena nur eine solche Farbmusterung kaufen? Dabei sagte sie doch tatsächlich: "Das geschieht dir zuliebe". Dienen Schocks doch der Kreativität? Einem Splitten der Gedankenwelt? Aufreißen von Realitäten? Ihre Gedanken zu verfolgen ist auch eine Kunst. Doch Erfolge sind Vögel der Tüchtigen ...
Der mausgraue Drehstuhl trug mich und ich Taktilierte nun weitere Sätze. Korrigierte. Überarbeitete. Die zweite Variante des ersten Viertels vom Buch wurde abgelegt. Daran klammerte ich eine Pause. Die Computerstimme äffte mir hinterher: "Wollen sie weiter diktieren Jonathan Ungewiss?" Ich wollte nicht.

In zwei Tagen würde Magdalena kommen. Sicher kommt sie aber früher?

Ruhige Arbeitswut hatte ich mir vom Alleinsein versprochen. Magdalena in Kanada, ich hier, inmitten der Bäume des Gartens und dem Haus, als sprachlose Nachbarn. Zu Fuß des Aquariums saß ich nun, beobachtete leidenschaftslos die Fische und mein Kopf quoll über von AFTERNOON. Erdrückte mich fast. Doch waren darunter nur Bruchstücke an Brauchbarem.
Ziiiiischsch. Ein stechendes schabendes Geräusch, auch langziehend wie Reißen von Glas, erfüllte den Raum mit einem ängstlich-machenden Ton. Geschockt richtete ich mich auf, schaute, die Augen aufgerissen, nichts verstehend, und da platzte auch schon mit grotesker Vollendung die ganze Herrlichkeit der Wassersäule auseinander. Ein Chaos von Elementen. Das Zimmer war sofort einige Zentimeter mit Wasser bedeckt. Zappelnden Piranhas, und Splitterglas. Ich getraute mir nicht mit bloßen Händen die Fische anzufassen.

Just diesen Moment trällerte der Wellensittich. Und kurz folgend das "Drudaaah, Drudaaah" der Tür. Ich schmiss vor Wut Pauls Aschenbecher runter, den er mir voriges Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, hin auf die dicken Glasscherben. Ich rauchte ja nicht mehr.

Die Fische wälzten sich in Todeskämpfen. Kurzerhand blockierte ich das Videofon. Das Gezwitscher war somit weg. Ruckartig öffnete ich die Tür... Vor mir meine schwarzhaarige Magdalena, augenzwinkernd, wie ein schönes Phantom, an das vor Minuten ich noch frohe Gedanken vergeben hatte. Meine Worte blieben im Halse stecken. Sie äugte wohlmeinend still, und ich entnahm dem feurigen Blick Fragen wie auch Anerkennung, als hätte ich schon ein gutes Stück geschrieben.

Vorsichtig ging ich mit Magdalena in die Küche. Kaffee würde jetzt gut tun. Plötzlich waren mir die Fische egal. Für mich begann ein Feiertag. Magdalena war wieder da, und die Scherben würde ich schon irgendwie erklären. Ja, sie wird gewiss froh darüber sein?
Sie bot mir ihre rotbemalten Lippen, was ich auch sofort nutzte. Und ich legte den Arm um sie, berührte mit den Fingerspitzen die Schultern und die Brust. Lachend ließ sie mich das Gepäck an die Garderobe stellen. Ich zog den Reisverschluss der Tasche auf um die Jacke herauszunehmen und fand dagegen viele Blätter bedruckten Papiers. Meine Stirn nahm sich heraus zu Fälteln. Mindestens fünfzig Blatt hatte ich in den Händen. Von Natur neugierig setzte ich die Brille auf und las die blaue grazile Schrift in alten BAUHAUS-Stil auf dem obersten Blatt: "Aliens auf AFTERNOON". Ein Sturm entriss mir die Atemluft, wie aus einem angestochenen Luftballon entwichen, ich atmete tief durch, wurde wohl aber trotzdem etwas grün im Gesicht.

Da sagte sie schnippisch und feixend, "Na bitte, du wolltest doch, dass ich mal eine Science-Fiction-Geschichte schreibe! Es funktionierte - völlig ohne Piranhas!"

Mitleidvoll dachte ich an meine Seiten im Computer, an den Schweiß, und ein Staunen über ihren Mut und Fleiß zeichnete sich allmählich auf meinem Gesicht ab... Während Magdalena ganz entschwunden die Briefpost vom Kaufhaus ZINNOBERROT öffnete.

"Jonathan, es ist ein Gewinn".

"Unmöglich", - antwortete ich.

"Wir haben vom Kaufhaus ein Aquarium gewonnen, den 7.Preis", - und irgendwie guckte sie dabei ganz seltsam verklärt. Ich verschluckte mich daraufhin wieder ganz heftig, gurgelte Laute unartikulierten Inhalts, und sagte schließlich schnell und einigermaßen deutlich: "Das schenken wir Untermieter Paul!"
 
Hallo MST,

deine Geschichte macht eher den Eindruck einer Schreibübung als das sie die Absicht vertritt, etwas zu erzählen.

Trotzdem würde ich an deiner Stelle kürzen, das würde dem stellenweise sehr schön zu lesendem Text gut tun.

Bis bald,
Michael
 

MST

Mitglied
Hallo Michael,

vielleicht macht die Geschichte wirklich den fatalen Eindruck einer blanken Schreibübung? Doch ich wollte die Zukunfts-Ängste eines älteren Autoren bezüglich dem Schreiben und Ankommen von Texten darstellen. Eventuell sollte man sie ändern?
Wenn dies nicht so rübergekommen ist - sorry!

Gruß MST.
 

jon

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Teammitglied
Die zwei am schnellsten abhandelbaren Kritikpunkte vorweg:
1. Die meisten der Fragezeichen sind – gelinde gesagt – seltsam platziert, da die meisten der betroffenen Sätze weder inhaltlich noch gramatikalisch Fragen sind.
2. Das ist kein SF-Text. Es mag SF-Spielereien darin geben, aber jede einzelne davon ist ins Heute und Hier übertragbar, ohne dass sich irgendwas auch nur halbwegs Substantielles an dem Text ändern würde.

Nun zu meinem Hauptproblem:
Den Text zu lesen, war Schwerarbeit. Schmuck und Schnörkel verdecken die eigentlichen Bilder und Szenen. Wie bei einem sich ständig drehenden Kaleidoskop folgt folgte ruhelos Glitzer-Bild auf Glitzer-Bild, so dass man ganz wuschig wird im Hirn. Dazu kommt, dass Einiges in diesem Geschnörkel falsch aufeinander Bezug nimmt, dass Bilder nicht stimmen oder mitunter auch sich gar kein Bild aufbaut. Die Großschreibung – normalerweise das Zeichen dafür, dass etwas abgekürzt wurde oder etwas eine ganz besondere Bedeutung hat – saugt die Aufmerksamkeit zudem an Worten fest, die austauschbar und gewissermaßen belanglos sind.
Dass die "Handlung" immer wieder in Spielereien abschweift, ist dem Anliegen des Textes geschuldet – das ständige gedankliche Abschweifen ist typisch für die Situation. Aber es ist einfach nicht erkennbar, dass es zwischendrin auch mal "konzentrierte" Augenblicke gibt. Es ist vor allem stilistisch nicht erkennbar: Alles ist in gleicher Weise fließend, hüpfend, ausschweifend, ausmalend – unkonzentriert eben. Dass am Ende die Pointen dann auch irgendwie unlogisch verspielt daherkommen, störte mich da kaum noch. Ich hatte einfach nichts Greifbares mehr erwartet.


Mein Vorschlag: Ein bisschen mehr "Normalität" täte ab und zu gut – "normale" Sätze und die "üblichen Worte". Zwischen den bunten Bildern – die durchaus hübsch aussehen und mit ihrer so anderen Art faszinieren – sollte man Luft holen dürfen und mal einfach nur "Handlung" sehen.
 



 
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