Augenblicke

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Nieselregen

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Augenblicke

Sie schwamm in einem glitzernden See, der umgeben war von einem duftenden Wald. Auf des Sees spiegelglatter Oberfläche tanzten helle Lichtreflexe. In der Luft schwang Ruhe und Frieden. Zärtlich umspülte sie das kühle Wasser. Dieses schimmernde blau und grün, dieses goldene Licht das ihr das Gefühl gab erst richtig zu leben, es war als würde sie direkt in die leuchtenden Augen ihres Liebsten blicken.

Mit einem Ruck kam der Bus zum Stehen. Verdattert schreckte sie hoch. Sie musste eingeschlafen gewesen sein. – Was für ein schöner Traum dachte sie noch, dann hörte sie die künstlich klingende Stimme des Lautsprechers die Bushaltestelle an der Städtischen Klinik ansagen.
Oh, jetzt aber schnell! Hier musste sie aussteigen. Hastig griff sie nach der Tasche mit dem Multivitaminsaft und dem selbst gebackenen Streuselkuchen, den Horst so ganz besonders liebte.
Vor noch gar nicht so langer Zeit, kurz bevor er so schwer krank wurde, hatte sie auch welchen gebacken. Sie war in der Küche am werkeln gewesen, da hatte er sie von hinten umarmt und mit einem genüsslichen Knurren in der Stimme gesagt:
„Hmmm, wird das ein Streuselkuchen? Wenn Liebe einen Geruch hätte, würde sie riechen wie dein frisch gebackener Streuselkuchen.“
Und dann hatte er sie mitten aufs Ohr geküsst. Sie hatte so unheimlich lachen müssen, denn sie konnte sich nicht richtig wehren, weil sie mit beiden Händen im Hefeteig steckte, der sich noch in einem sehr klebrigen Stadium befand.
Jetzt lächelte sie über diese freundliche Erinnerung.
Der Bus fuhr ab und blies eine stinkend schwarze Wolke in die Luft, die einen öligen Geschmack auf ihrer Zunge hinterließ.
Sie ging an der rotweißen Schranke und dem Torwärterhäuschen vorbei auf das Klinikgelände.
Die Straße, die zum großen Hauptgebäude der Klinik führte, ging steil bergauf. Sie keuchte nach Atem ringend. An manchen Tagen wurde ihr die Luft ein bisschen knapp, das Alter hatte sie kurzatmig gemacht. Sie blieb stehen, stellte ihre Tasche ab und kramte in ihrer Manteltasche nach einem Taschentuch. Laut und vernehmlich schnäuzte sie sich und wischte verstohlen die Tränen weg, die begonnen hatten ihr über die Wangen zu rollen. Seit fünfundfünfzig Jahren waren sie schon miteinander verheiratet, sie und ihr Horst. Die innige Liebe und die Harmonie, die das Wesen ihres gemeinsamen Lebens waren, wärmten sie selbst nach diesen vielen Jahren noch wie ein guter Wintermantel.
Nun war er so schlimm krank geworden. Irgendetwas im Bauch, der Arzt hatte versucht es ihr zu erklären, doch sie hatte die vielen medizinischen Ausdrücke nicht verstanden. Sie verstand nur das eine: Ihr Liebster, ihr ein und alles, derjenige, welcher der Rhythmus ihres Herzschlags war, lag in diesem hässlichen kalten Gebäude und der Tod hatte vielleicht schon seinen Schatten über ihn gebreitet.
Sie kam an dem kleinen Kiosk vorbei an dem es Zeitschriften, allerlei Krimskrams und auch Blumen zu kaufen gab. Normalerweise wäre es ihr hier zu teuer gewesen; sie vermutete, dass die Blüten hier nicht so frisch waren wie in der Gärtnerei in der sie sonst immer einkaufte. Trotzdem gab sie ihrem inneren Impuls nach und betrat den Laden um ein Sträußchen Veilchen zu besorgen.
Die Hand um das kleine Bukett gekrampft wartete sie auf den Aufzug.
Ungebeten und gemein schlich sich die Vorstellung in ihren Kopf, wie es sein würde wenn er tatsächlich sterben würde. Wie eine böse dornige Liane wand sich hässliche Angst in ihr hoch und umklammerte ihr Herz. Sie schwankte etwas und lehnte sich haltsuchend für einen Moment an die Wand.
Sie stieg in den Aufzug. Die trostlose, etwas schmutzig wirkende Kabine ruckte leicht als der Fahrstuhl anfuhr. Der Sog, der beim Hinauffahren entstand, schraubte ihre Angst hoch zur Panik. Deutlich sah sie den Stationsarztes vor sich, der ihr mit betrübtem Blick verkündete, dass sie zu spät kam.
In ihren Ohren hallte es wieder und wieder: „Zu spät – zu spät!“ In ihrem Mund bildete sich ein bitterer Geschmack. Ihr war, als wenn sie sich gleich übergeben müsste. Ihr lieber Horst, sagte der Arzt vor ihrem inneren Auge, sei leider gerade verstorben.
Das Herz schlug ihr schwer bis zu Hals. Ihre Hände schwitzten und das kleine Sträußchen begann schon unter ihrem allzu festen Griff zu leiden.
Auf dem spiegelblank geputzten Linoleumboden des Flurs klackten ihre Schuhe bei jedem Schritt, als sie auf das Krankenzimmer mit der Nummer 376 zuging. In ihren Ohren klang das, wie der letzte Stundenschlag zum Jüngsten Gericht. Sie langte nach der Türklinke.
Eine der Krankenschwestern eilte auf dem Weg ins Schwesternzimmer an ihr vorbei.
„Guten Tag“ lächelte sie: „Ihrem Mann geht es heute schon wieder viel besser.“
Es war wie bei einem Sonnenstrahl, der durch eine Lücke in einer dicken, grauen Wolkendecke huscht und sogleich wieder verschwindet. Er erhellt nur kurz das Gemüt und weil er so schnell wieder entschwunden ist, ist man sich hinterher gar nicht mehr sicher, ob er wirklich da gewesen ist.
Unsicher betrat sie das Krankenzimmer. Horst saß aufrecht in seinem Bett:
„Ah, mein Liebes! Da bist du ja!“ Rief er fröhlich und da leuchtete er ihr wieder entgegen, dieser helle lebendige Glanz in seinen Augen.
 

Sno

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Schreckliche Augenblicke

Hallo Nieselregen,

solche angsterfüllten Augenblicke, die wirklich schrecklich sind, können einem wirklich zu schaffen machen. Besonders dann, wenn man sich in irgentetwas hineinsteigert, das zwar passieren könnte aber tatsächlich kein Anlass besteht, solche Ängste zu entwickeln. Solche Augenblicke sind wirklich kurz, in Deiner Geschichte dauert er nur vom Bus bis ins Krankenzimmer und doch können sie unerträglich lang sein. Ein schöner Text. Lediglich zwei Dinge sind mir aufgefallen: 1. Im zweiten Absatz: "Sie mußte eingeschlafen gewesen sein" kannst Du das "gewesen" glaube ich weglassen. Wahrscheinlich ist es grammatikalisch richtig aber ich bin total daran hängen geblieben. 2. Überlege, ob Du die Angst lieber wie eine blöde dornige Ranke emporwinden lassen möchtest, da ja Lianen eigentlich recht schlaff von Bäumen hängen und Tarzans daranhängen.

Liebe Grüße, Sno
 



 
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