Aus tiefen Bechern

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Walther

Mitglied
Aus tiefen Bechern


Warum sich weitet über unsern Dächern
Der Himmel, einfach, grau dann wieder blau:
Wir leben drunter, wissen nichts genau
Und trinken unser Leid aus tiefen Bechern

Bis an die Neige, werden klug nicht, schlau.
Als glichen wir den Teufeln und den Rächern,
So tragen wir ans Licht aus den Gemächern,
Was sich gesammelt in der Nächte Stau.

In Wut und Zorn zermahlen sich die Kiefer
Und fressen gierig Neid und Missgunst auf.
Wie sehr doch gleichen wir dem Ungeziefer,

Das wir verabscheun, und der wilde Hauf,
Mit uns gemeinsam sinkt er immer tiefer;
Er reißt die Guten mit in seinem Lauf.
 
T

Thys

Gast
Das macht auf mich einen sehr bemühten und gekünstelten Eindruck. Viel Pathos in dem ganzen Text. Teufel, Rächer, wilder Hauf... alles sehr schwer... puhhh.

Wieso gleichen wir dem Ungeziefer? Wobei Ungeziefer und Unkraut und so viele schöne Begriffe mit Un- eigentlich blödsinnig sind. Auf der Erde hat alles seinen Sinn. Nur wir sind manchmal etwas begriffsstutzig um das zu kapieren. Alles was uns nicht in den Kram passt, bekommt gleich ein Un- angepappt.

Und wenn man schon Ungeziefer bemühen will, vielleicht sind wir selber ja in Wirklichkeit das einzig wahre Ungeziefer.

Ich denke auf so etwas in der Art läuft Dein Text raus?

Gruß

Thys
 

Walther

Mitglied
Hallo Thys,

danke für Deine kritische Auseinandersetzung mit diesem Text. Ich sag's mal platt: So ist Deutschland. Das ist die Botschaft.

Nun zu Deinen weiteren Hinweisen:

(1) "Pathos"

Gut, das kann man so sehen, man kann aber auch sich ein wenig mit der deutschen Lyrik und Literatur der letzten 400 Jahre beschäftigt haben, dann kommen einem viele der Metaphern, die ich eingesetzt habe, ziemlich bekannt vor. Die Sprache, die ich benutze, umgreift mehr als die Sprache der Istzeit. Das mache ich bewußt (und lasse mich dafür auch kritisieren, das ist der Preis, wenn man einen bestimmten Stil absichtsvoll einsetzt).

(2) "Bemüht"

Dem kann man dann zustimmen, wenn man die Formvorgaben einer Gedichtform wie dem Sonett einfach hintanstellt. Ich habe nichts gegen moderne freirhythmische Lyrik, ich schreibe sie, wenn es gerade zu dem Thema paßt, auch selbst. Beispiel: "Stahlblaue Augen". Aber auch dort greife ich in die Werkzeugkiste, die die Lyrik sich in den letzten Jahrhunderten erarbeitet hat. Die sollte man allerdings kennen (und sich daran freuen wollen/können), wenn man mit meinen Gedichten etwas anfangen will.

(3) "Teufel, Rächer, wilder Hauf"

Das sind Zitate aus der Lyrik des 30jährigen Krieges und der germanischen Göttersagen (Wotansaga, da spielt der "Wilde Haufe" eine Rolle, auch wieder beim "Fliegenden Holländer"). Wie ich schon sagte: Ohne etwas ausführlicherem Lesen ist das mit der Literatur eine schwierige Geschichte. Das ist nicht arrogant oder von oben herab gemeint, es ist der Hinweis, daß sich hinter jedem Autor eine Lebensgeschichte und eine Literaturauffassung verbirgt. Die muß/kann einem liegen, oder eben auch nicht. Ich möchte Dich (und andere, die mit meiner Lyrik nur eingeschränkt etwas anfangen können, siehe auch das Sonett "Eitel", das nur der entziffern kann, der die Semantik und die Bedeutungsgeschichte dieses so wichtigen deutschen Wortes kennt, verstehen und die dies anderen, denen das so geht wie Dir) bewußt nicht herabwürdigen. Eure Meinung und Euer Geschmack steht Euch zu, allerdings wird die Tatsache, daß meine Lyrik keinen einhelligen Zuspruch findet, mich nicht von meinem gewählten Pfad abbringen. Auch dafür bitte ich um Dein Verständnis (und das der anderen hier Angesprochenen). Hier bin und bleibe ich aus gutem Grunde, den wir gerne anderswo ausführlich diskutieren können, "unbelehrbar".

Zum Letzten:

Das Sonett hat feste Formerfordernisse, und dieses hier greift auf Vorbilder wie Gryphius, Friedrich Rückert, August von Platen usw. zurück. Auch das muß man "abkönnen", sonst gefällt diese Lyrik schlicht nicht. Wie gesagt: Sprache in Lyrik ist auch Kunsthandwerk und Kunstwerkstoff zugleich, mit dem Risiko der Künstlichkeit, das der, der so schreibt, eingeht (und diese sich schließlich auch vorhalten lassen muß).

Nun kann (und sollte) an einem Werkstück, einem Kunstwerk, die Könnerschaft als solche beurteilt separat werden und ebenso später ihr Bezug zur Aussage sowie das Werk als Ganzes. Ich bewerte für eine kleine Literaturzeitschaft im Jahr über 200 Gedichte, daher kenne ich inzwischen den Unterschied zwischen Gefallen und Können recht gut. Aber auch darüber können wir an anderer Stelle einmal plaudern. Damit soll es an Verteidigungsrede nun schon genug sein.

Dir und den anderen Leselupenden sei ein schönes Osterfest gegönnt und beschieden.

Liebe Grüße

W.
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
hmmmm

Lieber Walther

Wenn Du Dich schon auf Formzwänge berufst, dann halte Dich doch bitte auch an diese.

Schon in der ersten Zeile begenet einem eine zehnsilbige weibliche Kadenz, in der zweiten eine elfsilbige männliche. Genau verkehrt.
Es kommt noch dicker: schon in der dritten Zeile zähle ich zwölf Silben. Weitere Analysen habe ich nicht vorgenommen.

Jedenfalls tönt und klingt Dein Sonett nicht und ist trotz aller erkennbaren Mühe leider wirklich nicht gelungen...tut mir leid, Dir dies schreiben zu müssen.

Gruss

Jürgen
 

Walther

Mitglied
Lieber Jürgen,

den Holperer im dritten Vers der ersten Strophe, er ist richtig erkannt und bereits beseitigt. Danke Dir, das ist gut so, man überliest solche Dinge gern, weil man es ja selbst geschrieben hat.

Allerdings muß ich dem Rest Deiner Hinweise ebenso klar und deutlich widersprechen. Denn das war's dann auch schon mit den Holperern.

Lieber Gruß

W.
 
T

Thys

Gast
Hallo Walther,

vielen Dank für Deine ausführliche Stellungnahme zu meinem Kommentar.

(1) "Pathos"

Hier kann ich nicht ganz folgen? Was hat das eine mit dem anderen zu tun oder um genauer zu werden: Ich kann mich sehr wohl mit Lyrik und Literatur der letzten 400 Jahre beschäftigen, ja sogar bis zur ersten urkundlich erwähnten deutschen Literaturform, und trotzdem oder gerade deswegen oder dennoch diese Stilmittel und Ausdrucksweisen als überholt und nicht mehr zeitgemaß empfinden.

Das Deine Sprache nicht aus der Jetztzeit (oder Istzeit wie Du das auszudrücken pflegst) kommt, ist selbst mir aufgefallen. Ansonsten hätte ich sie nicht als pathetisch empfunden.

(2) "Bemüht"

Was heisst denn bemüht? Er hatte sich bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen und Können, sein gestecktes Ziel aber nicht ganz erreicht. Ich verweise hier ökonomischerweise auf die Anmerkungen von JoteS. Das ist kein Vorwurf, es ist einfach eine Feststellung. Niemand ist perfekt. Solange man sich dessen bewusst ist, kein Problem. Nur wenn man unperfekt ist und hält sich dennoch für perfekt... das sehe ich schon als Problem an.

(3) "Teufel, Rächer, wilder Hauf"

Das kann ich soweit akzeptieren. Eines solltest Du mir noch erklären. Welches wichtige deutsche Wort soll ich verstehen beziehungsweise nicht verstehen können?

Wofür ich Dir sogar ausdrücklich meinen Respekt zolle ist, dass Du Deinem Stil treu bleibst und gegen alle Strömungen dazu stehst. Diese Eigenschaft ist mir tausendmal lieber als die Fähnchen-Im-Wind-Halter oder die Mode-Hinterher-Hechler.

"Zum Letzten"

Sprache in Lyrik ist auch Kunsthandwerk und Kunstwerkstoff zugleich, mit dem Risiko der Künstlichkeit, das der, der so schreibt, eingeht

Hier muss ich etwas zu anmerken. Form und Stil, egal aus welcher Epoche suggerieren mir nicht zwangsläufig Künstlichkeit. Die Künstlichkeit tritt erst dann hervor, wenn Form und Stilmittel um ihrer selbst, quasi zwanghaft, angewendet werden. Andersherum: Du kannst noch so perfekt die Technik beherrschen und wirst doch nie ein Kunstwerk schaffen. Du wirst es maximal zum perfekten Kunst-Technokraten bringen. Kunst kommt nicht, wie fälschlicherweise immer angenommen wird vom Können in technischer Hinsicht! Ein Werkzeugmacher ist ein perfekter Könner in seinem Fach, lange aber noch kein Künstler. Kunst ist viel mehr als das. Kunst spricht Menschen an, regt zum Denken an, fasziniert, fesselt, löst Gefühle aus (jedweder Art), bringt neue Sichtweisen, bricht Dämme. Wenn Du sowas schaffst, dann bist Du in meinen Augen ein Künstler. Das ist aber nur wenigen, sehr wenigen gegeben. Und ein wahrer Künstler vollbringt auch Kunst mit fehlerhafter Technik!

Nun kann (und sollte) an einem Werkstück, einem Kunstwerk, die Könnerschaft als solche beurteilt separat werden und ebenso später ihr Bezug zur Aussage sowie das Werk als Ganzes

Dito: Siehe Anmerkung JoteS

Ich bewerte für eine kleine Literaturzeitschaft im Jahr über 200 Gedichte, daher kenne ich inzwischen den Unterschied zwischen Gefallen und Können recht gut.

Nimms mir nicht übel, aber im Zusammenhang mit den Anmerkungen von JoteS, wirkt diese Argumentation nicht so gelungen.

Mehr noch: Den Unterschied, den Du zwischen Gefallen und Können machst empfinde ich als künstlich. Mir kann sehr wohl ein Text gefallen, der stilistisch und formal fehlerbehaftet ist, der aber einen Sinn vermittelt, der meine Gefühle anspricht. Auf der anderen Seite kannst Du mir ein formal und stilistisch perfekten Text präsentieren, der so tot ist wie eine nuklear bestrahlte Kellerassel. Das Ding wird nicht mehr als eine hübsche seelenlose Verpackung sein. Kunst-Technokraten mögen sich daran erfreuen können. Es ist aber keine Kunst. Wenn Dir allerdings gelingt beides in perfekter Weise in Einklang zu bringen... dann Hut ab!

Jetzt mein Schluss:

Nach den Änderungen wirkt der Text schon besser. Es hat gewirkt.

Ansonsten auch Dir schöne Ostern

Thys
 

Walther

Mitglied
Lieber Thys,

so machen mir jedenfalls Diskussionen um Texte Spaß. Da lernt man voneinander (und auch einander, durchaus positiv, kennen). Das war auch der Grund, warum ich mich zu einer ausführlichen Stellungnahme veranlaßt sah. Damit endlich einmal eine Diskussion in Gang kommt über das, was Lyrik im Besonderen und Kunst im Allgemeinen ausmacht.

Mir ist es nicht um Lobhudeleien verlegen, wenn ich meine Gedichte einstelle. Loben kann ich mich morgens vor dem Spiegel selbst. Ich beanspruche auch nicht, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben oder der beste (Sonett-)Dichter unter dieser Sonne zu sein. Ich stehe zu meinen gelegentlichen Holperern (und auch dazu, mich manchmal selbst etwas zu überschätzen/überheben, sonst würde ich ja auch nicht Gedichte in öffentlichen Foren posten und auch noch Lesungen bestreiten).

Allerdings ist es schon manchmal notwendig, etwas zum Verständnis der eigenen Beiträge auszuführen. Der Anlaß hat sich hier geboten, und ich habe von ihm Gebrauch gemacht.

(2) "Bemüht"

Was heisst denn bemüht? Er hatte sich bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen und Können, sein gestecktes Ziel aber nicht ganz erreicht. Ich verweise hier ökonomischerweise auf die Anmerkungen von JoteS. Das ist kein Vorwurf, es ist einfach eine Feststellung. Niemand ist perfekt. Solange man sich dessen bewusst ist, kein Problem. Nur wenn man unperfekt ist und hält sich dennoch für perfekt... das sehe ich schon als Problem an.
Daß ich mich nicht für perfekt halte, habe ich durch Wort und Tat belegt. "Bemüht" ist für mich ein Unwort wie für Dich das Wort "Ungeziefer". Ich würde einem, der sich hier versucht, niemals nur Bemühen unterstellen. Das ist nicht ganz fair. Ich stehe dazu, daß ich's nicht besser kann (und manchmal etwas zu schnell meine, fertig mit dem Bearbeiten zu sein) und habe nichts gegen hilfreiche Hinweise.

Nimms mir nicht übel, aber im Zusammenhang mit den Anmerkungen von JoteS, wirkt diese Argumentation nicht so gelungen.
S.o.: Wer zur Belehrung der Welt ausholt, wie ich das gelegentlich mache, der muß sich an seinem Maßstab auch messen lassen. Daher beschwere ich mich auch nicht über diese Anmerkung, denn sie erscheint in diesem Zusammenhang berechtigt.

Mehr noch: Den Unterschied, den Du zwischen Gefallen und Können machst empfinde ich als künstlich. Mir kann sehr wohl ein Text gefallen, der stilistisch und formal fehlerbehaftet ist, der aber einen Sinn vermittelt, der meine Gefühle anspricht.
In der Tat, das passiert. Aber dennoch ist der Text nicht objektiv gut. Ich meine, man kann neutral zur Kunstqualität eine Bewertung erstellen, ohne daß einem das Kunstwerk selbst gefallen muß. Da gibt es zweifellos einen Dissenz, zu dem ich stehe.

Auf der anderen Seite kannst Du mir ein formal und stilistisch perfekten Text präsentieren, der so tot ist wie eine nuklear bestrahlte Kellerassel. Das Ding wird nicht mehr als eine hübsche seelenlose Verpackung sein. Kunst-Technokraten mögen sich daran erfreuen können. Es ist aber keine Kunst. Wenn Dir allerdings gelingt beides in perfekter Weise in Einklang zu bringen... dann Hut ab!
Hier stecken zwei Punkte drin, die sich durchaus nicht widersprechen müssen. Denn wirkliche Kunst ist in der Tat die, die Form und Inhalt in bester Weise verbindet. Die heutige Zeit hat es geschafft, die Form als solche, und damit das Handwerkliche, aus der Kunstbewertung zu "entfernen". Das hat nicht zur Verbesserung der Qualität der Kunst beigetragen, leider. Wer den Fehler macht, die Form über den Inhalt zu erheben, der produziert ohne jeden Zweifel seelenlose l'art pour l'art. Wer aber andererseits meint, ohne sein Handwerk zu können, sei dem Künstler Kunst möglich, der macht Kunst beliebig und alles, jedes, zur Kunst.

Wie gesagt: Wer kein (inneres) Maß hat, ist maßlos. Und das ist durchaus ein wesentlicher Charakterzug unserer Zeit.

Maß aber kann man lernen. Indem man in die Lehre geht, durch Nachahmen und Studieren von Vorbildern, das war der Grund meiner ersten Ausführung. Ohne Literaturlesen geht das jedoch nicht. Und nachher übt, so wie ich jetzt hier. Und nur dann wird auch etwas aus den Versuchen, irgendwann einmal überwiegend gute Lyrik zu schreiben.

Frohe Ostern, einen schönen Abend und die besten Grüße

W.
 
T

Thys

Gast
Hallo Walther,

mir hat die Diskussion auch Spaß gemacht. Das erkennt man an der Länge meines Beitrags. Wir sind nicht so weit auseinander, denke ich.

Eines möchte ich noch einmal hervorheben!

Wer kein (inneres) Maß hat, ist maßlos. Und das ist durchaus ein wesentlicher Charakterzug unserer Zeit.

Die Bemerkung gefällt mir ausgesprochen gut und die möchte ich gerne unterstreichen.

Zum Thema Kunst könnte man stundenlang diskutieren. Was ist eigentlich Kunst. Was macht sie aus. Ich bin nicht der Meinung, dass wirklich alles Kunst ist was so benannt wird.

Das liegt aber wohl auch daran, dass Kunst eine Form der Kommunikation ist. Zur Kommunikation gehören nun einmal nüchtern gesehen ein Sender und ein Empfänger. Wenn der Sender eine für den Empfänger nicht verständliche Form der Kommunikation wählt, dann wird der Empfänger keine Kunst erkennen können. Kunst ist nichts global und allgemeingültig definierbares. Kunst kann nur bei gegenseitigem Verständnis erkannt und verstanden werden.

Schöne Ostern

Thys
 



 
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