Ausgeflippt

anemone

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Jetzt musste es gleich wieder passieren. Jens sah dem widerlichen Ausgang der Situation schon entgegen. Es war ihm peinlich, doch er konnte es nicht verhindern. Boris stand nun mal in der Reihe an, um das Essen in der Kantine entgegen zu nehmen und was dadurch geschah wusste Jens sehr genau: Boris flippte aus, das war ihm vollkommen klar.

Tatsächlich begann Boris plötzlich wie wild mit den Armen herumzufuchteln und die Laute, die er von sich gab, waren gut verständlich und in höchstem Maße beleidigend für die Dame, die das Essen in der Kantine austeilte. Sie verstand nur „Votze!“ und dachte, sie höre nicht recht. Dabei hatte der erste Löffel Suppe schon ihre Kelle verlassen und füllte zum Teil den Teller von Boris. Doch laut und deutlich wiederholte dieser junge Mann das Wort: „Votze, Votze, Votze!“ sodass es jetzt wirklich jeder mitbekam. Es war der Grund für sie reflexartig Boris ihren Schöpflöffel um die Ohren zu schlagen. „Unverschämt!“ rief sie aus.

Was würde es nützen sie aufzuklären: Dass Borist nicht in der Reihe anstehen konnte, dass er, wenn es doch passierte, unkontrolliert Laute von sich gab und Frauen beleidigte und von alldem nichts mitbekam. „Ja wo kommen wir denn da hin, wenn das denn jeder so täte. Wie wäre es denn mit Mord und ich weiß von nichts? riefen die Beschimpften in solchen Fällen aus. Boris jedoch stand, wie es sich für einen Geprügelten gehört mit einem nur halbvollen Teller Suppe und registrierte die Entschuldigung von Jens, seinem Kumpel.

Da nun das Anstehen ein Ende hatte, unterließ er es auch wieder mit den Armen durch die Luft zu rudern und setzte sich anständig auf einen freien Platz. Sehr viele Augen blickten in seine Richtung; das kam ihm bekannt vor.
Böse Blicke trafen immer noch sein Gesicht und längst wusste es schon die Kollegin aus der Küche, die jetzt ebenfalls eine Schöpfkelle in der Hand hielt, um zu bedienen.

„Du musst dich gleich bei ihr entschuldigen!“ raunte Jens Boris zu, der mal wieder nicht wusste weshalb. „Wieso?“ wollte er wissen, „was habe ich gesagt?“ „Du bist mal wieder ausgeflippt!“ bekam er zur Antwort, „Was meinst du, warum du so wenig Suppe hast?“ Ja, davon hätte Boris gerne noch mehr gegessen. Er konnte sich nur noch an die Ohrfeige erinnern: Es war eine harte Suppenkelle, der Abdruck vom Stielanfang stand ihm noch im Gesicht.
Jens drängte ihn beim Hinausgehen an den Tresen: „Entschuldigung!“ gab er von sich und machte eine leichte Verbeugung. „Unverschämt!“ kam der Kommentar zurück und die Dame besah sich den jungen Mann genau: Er schien gepflegt und sie konnte es kaum glauben, dass solche Beleidigungen seinen Mund verlassen hatten. Boris fragte seinen Kumpel: „Was habe ich denn gesagt?“

Leider hörte es die Dame noch und sie lief schöpfkellenschwingend hinter ihm her.
„Das nächste mal bringe ich dir das Essen mit!“ beschloss Jens. Boris tat ihm doch ein wenig leid.
 



 
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