Australien, Teil 2

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Melanie

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Australien, Teil 2

Am nächsten Morgen mussten Amy und ich uns leider wieder trennen, und ich musste mit Mr. Pritchard die Reise antreten.
Ich wollte gerade zu den Ställen gehen, als ich auf dem Hof Mr. Pritchard mit Sunlight und einem anderen Pferd sah. Er hatte die Pferde bereits gesattelt, und schaute erwartungsvoll zu mir herüber.
„Guten Morgen Mr. Pritchard. Das sie so früh auf sind, hätte ich nicht gedacht. Haben sie gut geschlafen?“
„Danke sehr, ich habe gut geschlafen. Und nennen Sie mich doch einfach Sam. Wie darf ich Sie denn nennen?“
„Sie, äh, du darfst mich Jill nennen“, ich war noch ganz verwirrt, dass er auf einmal alle Förmlichkeiten aufhob, zuvor war er doch immer so Vornehm gewesen. Doch Sam hielt es wohl für ganz natürlich.
Wir ritten los. Erst ritten wir schweigend nebeneinander her, doch dann begann ich ihm über das ganze Gebiet und über die Geschichte der Farm zu erzählen.
Immer wieder spürte ich seinen warmen Blick auf mir. Ich wurde rot und zog meinen Hut etwas tiefer, damit er es nicht bemerkte. Er hatte sich beim reiten sehr angestrengt eine gute Figur zu zeigen, doch ich bemerkte wie er immer erschöpfter wurde. Ich sagte ihm, dass ich eine Pause bräuchte, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen.
Wir setzten uns unter einem Flaschenbaum. Das ist ein Baum, deren Stamm flaschenförmig aussieht. Er spendet viel Schatten, ein Zufluchtsort vor der heißen Mittagssonne für viele Tiere und jetzt auch für uns. Ich zog das Lunchpaket, das Isi uns mitgegeben hat, aus der Satteltasche heraus und gab Sam seinen Anteil.
„Ich hätte nicht gedacht, dass Australien so herrlich sein könnte“, sagte er und ließ seinen Blick über die weite Ebene schweifen.
„Wie ist es denn in England?“
„Trüb, grau, regnerisch. Aber hier, hier ist Sonne, Freiheit und Natur.“
„Ich liebe dieses Land, aber es gibt auch Tage, an denen die Einsamkeit und Abgelegenheit mir sehr zu schaffen machen.“
„Ja, so würde es mir wahrscheinlich auch gehen.“
„Hast du eine Frau, ich meine, hast du eine Familie in England?“
„Ja. Ich habe einen Bruder, Kay, in England, aber meine Eltern sind vor drei Jahren verstorben.“
Und so endete das kurze Gespräch und jeder hing wieder seinen Gedanken nach.

Es vergingen weitere Tage. Sam hatte sich viele Aufzeichnungen über mögliche Opalfelder gemacht, die er später wieder aufsuchen und genauer untersuchen würde.
Wir durchquerten gerade ein Waldstück, als Sam abrupt stehen blieb.
„Was ist?“, fragte ich. Doch er gab mir keine Antwort. Er suchte mit den Augen den Wald ab. Ich folgte seinem Blick und fragte nochmals: „Was ist?“
Mit einem Ruck zog Sam mich mit seinen kräftigen Armen auf den Boden. Gerade noch rechtzeitig. Ein Speer sauste über uns hinweg und blieb im Baum hinter uns stecken. Wildes Geschrei ertönte aus dem Wald. Benommen blieben wir auf dem Boden liegen. Plötzlich hörte das Geschrei auf und eine trügerische Stille legte sich über das Land.
„Ich denke sie sind weg“, meinte ich und richtete mich langsam auf. Auch Sam stand auf. Schnell gingen wir zu den Pferden um uns wieder ins offene Land zu begeben. Dort waren wir geschützter.
„Danke“, sagte ich wenig später als wir am Lagerfeuer saßen, „ohne dich säße ich jetzt wohl nicht mehr so heil hier.“
Ich schaute ihm tief in die Augen, der Schein des Feuers flackerte über sein Gesicht. Erst jetzt sah ich, dass Sam viel besser im Cowboyanzug aussah als in seinem Anzug, den er sonst trug.
„Wer war das? Wer hat uns im Wald angegriffen?“, fragte er.
„Aborigines. Es kommt mir jedoch merkwürdig vor. Die Aborigines sind uns normalerweise freundlich gesinnt, sie greifen nicht ohne Grund jemanden an. Es muss einen Aufruhr gegeben haben. Vielleicht gibt es einen neuen Stammesführer, der sich gegen die Weißen rächen will.“
„Aber warum sollten sie das tun?“
„Sie haben Gründe genug. Die Weißen nehmen ihnen immer mehr Land weg. Die Siedler ziehen immer weiter ins Landesinnere und verdrängen somit die Stämme der Aborigines. Vor den heiligen Orten und Ahnengräber der Aborigines nehmen die Siedler keine Rücksicht.“
„Aber ihr stellt doch Selbst Schwarze als Arbeiter ein. Entreißt ihr ihnen nicht auch das Land?“
„Wir zwingen sie nicht. Manche Aborigines gehen nicht weg, sondern passen sich den Weißen an. Sie arbeiten für uns, sie bekommen Gehalt und Land. Auf diesem Land können sie ihrer Religion und Sitten nachgehen. Ich denke, wir sollten uns von dem Wald fernhalten. Es waren nicht die Aborigines, die für uns arbeiten. Sie würden so etwas nicht tun.“

Drei weitere Tage vergingen und wir ritten zurück zur Farm. Sam und ich hatten uns viel näher kennen gelernt. Am Abend berichteten wir über den Vorfall im Wald.
„Dann sauste ein Speer direkt über unsere Köpfe und wildes Geschrei kam aus dem Wald!“, schilderte ich den Vorfall, mit wilden Armgesten.
„Oh mein Gott! Sie hätten euch umbringen können!“, meine Mutter schlug die Hände über den Kopf.
„So schlimm war es nun auch nicht“, versuchte Sam meine Mutter zu beruhigen, „sie verschwanden danach sofort.“
„Joe, wir müssen sofort unsere Nachbarn benachrichtigen. Was ist, wenn sie auch unsere Nachbarn angreifen und dann vielleicht auch noch jemand stirbt?“, meine Mutter machte sich wirklich Sorgen, das sah man ihr an.
„Aber Schatz, jetzt beruhige dich doch erst einmal. Vielleicht waren die Aborigines nur auf Jagd und haben Sam und Jill mit Tieren verwechselt.“
„Nein, die Aborigines sind nicht so dumm, sie beobachten ihre Beute genau. Sie werfen nicht einfach wild drauf los“, antwortete meine Mutter aufgebracht, „ich rufe sofort die Zeitung an. Alle müssen darüber benachrichtigt werden.“
Wir diskutierten noch den ganzen Abend darüber, doch Mutter wollte sich nicht abbringen lassen. Am nächsten Tag stand der Artikel bereits in der Zeitung. Jedoch viel dramatischer, als es eigentlich war.
Es riefen mehrere Nachbarn und Bekannte bei uns an, die den Artikel gelesen haben. Die Aborigines in dieser Gegend waren normalerweise friedlich gesinnt. Jahrelang lebten Schwarz und Weiß friedlich beieinander, sollte sich das jetzt ändern? Mir fielen die Schreie wieder ein. Die Aborigines schreien normalerweise nicht bei der Jagd. Nur wenn sie auf Kriegsfuß waren. Und jemanden angriffen.

Doch es gab keine weiteren Vorfälle, und die Menschen beruhigten sich wieder. Sam ritt täglich mit ein paar Arbeitern von unserer Farm zu seinen Opalfeldern. Sie hatten noch keine Opalader gefunden, was Sam sehr betrübte. Er machte große Fortschritte im Reiten. Wir unternahmen viel gemeinsam. Er half beim Viehtrieb, bei den Brandmarken des Viehs und war fast immer in meiner Nähe.
Eines Abends saßen wir allein draußen in der Abenddämmerung.
„Jill, ich muss dir etwas sagen.“
„Was denn?“
„Es ist nicht einfach...“, er zögerte. Ich bemerkte das er ziemlich nervös war, „Ich muss bald wieder nach England zurück.“
Ich senkte meinen Blick. Oft habe ich darüber nachgedacht. Ich wusste, dass irgendwann die Zeit kommen würde, doch immer habe ich den Gedanken verdrückt.
„Und, ich muss dir noch etwas sagen“, er schaute mich an, „Ich liebe dich.“
Mir wurde warm ums Herz. Wir wussten es beide schon seit langen was wir füreinander empfanden. Doch nie hatte einer von uns den Mut gehabt es auszusprechen.
Ich ging mit meinem Gesicht ganz nah an das seine heran.
„Sam, ich liebe dich auch“, mehr brachte ich nicht heraus. Er küsste mich und ich fühlte wie mein Körper ganz leicht wurde.
„Du musst mit mir kommen. Ich kann nicht ohne dich heimfahren.“
„Es geht nicht“, antwortete ich unter Tränen, „ich kann hier nicht weg, meine Familie, das Land.“
„Wir können heiraten, Kinder kriegen. Du wirst es genauso gut in England haben.“
„Es tut mir leid. Aber ich muss jetzt gehen. Ich werde darüber nachdenken“, ich stand auf und ging. Meine Gefühle waren aufgewühlt. Könnte ich meine Heimat und meine Familie einfach so verlassen? Was war wichtiger für mich? Sam oder Australien? Ich wusste nicht mehr weiter. Die ganze Nacht musste ich über diese Frage nachdenken.
Am nächsten morgen ging ich nicht zum Frühstück. Ich hatte immer noch keine Antwort auf die Frage. Ich beschloß Amy anzurufen.

„Amy Benson hier, wer spricht dort?“
„Hallo, ich bin’s Jill.“
„Kleines, sag was bedrückt dich. Du hörst dich grauenvoll an!“
Ich lächelte. Amy war schon immer die beste Arznei gegen Kummer. Sie merkte es immer sofort, wenn ich betrübt war.
„Sam, hat mir einen Heiratsantrag gemacht“, weiter kam ich nicht. Meine Freundin brach sofort in Jubel aus.
„Aber Jill, das ist doch wundervoll! Deswegen muss man doch nicht traurig sein.“
„Er muss zurück nach England.“
„Was? Hab ich richtig gehört? Nach England? Und du, dich hat er wahrscheinlich gefragt ob du mitkommst stimmt’s?“
„Ja.“
„Und du weißt nicht was du machen sollst?“
„Ja, so ist es. Kannst du mir irgendwie helfen.“
„Nein, auf keinen Fall. Ich kann dir ja sonst bei allen Sachen helfen. Aber das ist ganz allein deine Entscheidung. Du bist alt genug selber zu entscheiden. Du musst über dein Leben entscheiden. Wo du leben willst und vor allem mit wem. Mach das was du für richtig hältst. Da misch ich mich nicht ein“, es war hart das von einer Freundin zu hören, die einem sonst immer weiter geholfen hat. Doch ich wusste das sie vollkommen recht hatte.

Es klopfte an meiner Tür. Ich wusste schon, bevor er hereinkam wer es war.
„Herein“, sagte ich mit schwacher Stimme.
Sam trat ein und besorgt setzte er sich neben mich auf das Bett. Behutsam legte er den Arm um mich.
„Jill, du siehst nicht gut aus. Du musst nicht mit nach...“
„Psst“, sagte ich, „ich habe bereits meine Entscheidung getroffen.“
Er wagte nicht zu fragen. Ungeduldig wartete er meine Antwort ab.
„Ich werde mitkommen“, sagte ich ihm und schaute ihn dabei liebevoll in seine schönen braunen Augen.
„Das ist wundervoll!“, jubelte er, nahm mich auf die Arme und tanzte mit mir durchs Zimmer.
„Das ist wirklich wundervoll!“
 



 
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