Kantmann wusste nicht mehr weiter. Den Kopf aufgestützt saß er im Stadtpark auf einer Bank und starrte auf einen zerdrückten Zigarettenfilter. Er vernahm das Knirschen der Schritte, die Unterhaltungen der Leute und auch das Vogelgezwitscher. Der Stadtverkehr rauschte nicht fern.
„Elvira, es ist aus, ich kann nicht mehr!“, hatte er gesagt. Und dann war er aufgestanden vom Esstisch - die Buben hatten mit dem Geschnatter aufgehört und verblüfft geklotzt, Elvira breit gegrinst und dabei genickt – und er ging.
Das war vor drei Stunden geschehen. Kantmann hatte es nicht weit gebracht auf seiner Flucht, gerade mal in den Stadtpark auf die grüne Bank. Die kannte er schon von Spaziergängen mit den Kindern.
Er liebte seine Jungs. Natürlich, sie waren sein ganzer Stolz. Auch wenn es ihm in letzter Zeit zu stressig wurde. Und zu laut. Besonders abends, wenn sie in der Wohnung umherrannten, alles rumliegen ließen, ihr gellendes Lachen ihm in den Ohren schepperte, da saß Kantmann des öfteren auf der Couch, starrte in den Fernseher und verstand nichts mehr von den Nachrichten oder was da sonst lief, sah nur noch durch alles durch, als wäre er nicht Teil des Ganzen. Aber so war das halt mit Kindern.
„Du bist das Allerletzte, du fettes Schwein! Warum hab ich ausgerechnet dich geheiratet? Schau dich doch an! Wie du dahockst und schweigst ... Versager!“, lallte sie.
Elvira trank seit Thorsten, seinem Zweiten. Es war ein Wochenendding. Sie warf ihm diesen Wart-nur-ab-was-du-davon-hast-Blick zu. Dann ging sie ins Schlafzimmer - sie wollte ja nicht vor den Kindern saufen - und kam und ging immer wankender, bis sie dann auf allen Vieren umherkroch.
In diesem Zustand war ihr alles egal. Sie fluchte, geiferte und kotzte.
Kantmann schlug sie, auch wem ihn ihm klar war, dass es nichts ändern würde. Es brachte ihm auch keine Befriedigung. Er wollte die Sauferei treffen, nicht die Frau, die er liebte. Und er liebte sie wirklich noch. Sie war die Mutter seiner Kinder, sein Leben. Doch was war das eigentlich für ein Leben?
„Mensch, Kuno? Bist du das?“
Oh nein, da stand einer vor ihm! Jetzt musste er aufsehen, grüßen, reden. Sollte er diesen Störenfried einfach ignorieren? Oder einfach aufstehen und sich eine neue freie Bank suchen?
„Grüß dich, Bernd“, kam aus ihm hervor.
„Dich hab ich ja schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was treibst du denn so? Wie geht‘ s Elvira?“
„Gut. Den Kindern geht‘ s auch gut.“
„Ja Prima, was macht die Werkstatt?“
„Gibt‘ s nicht mehr. Seit drei Jahren. Ich arbeite jetzt bei einer Wachfirma.“
„Ach so ... bei Schlüssel-Schmitt?“
„Nee, bei ner andern.“
Kantmann starrte Bernd angewidert an, was diesem natürlich nicht entging.
„Na dann“, sagte Bernd, „ich muss weiter, grüß Elli und die Kinder!“
Der Störenfried hatte sich schon von ihm abgewandt und seinen Weg fortgesetzt, als Kantmann noch ein „mach ich“ hervorbrachte.
Da zog er von dannen, dieser Bernd, mit seinem Trenchcoat.
„Wer in aller Welt trägt heutzutage noch Trenchcoats? Außer Exhibitionisten, vielleicht.“
Kantmann interessierte sich seit neustem für Mode. Vor zwei Wochen, nach der Arbeit, da war er in so einer Laune gewesen. Er konnte es sich selbst nicht erklären. Da lief er nun durch die Fußgängerzone, schaute in dieses und jenes Schaufenster und verglich die Puppen mit seinem Spiegelbild. Elegante Dreiteiler, aber auch Hippster-Jeans. Kaufen wollte er nichts. Er war auf der Suche nach etwas. Mag sein, dass er sich selbst neu erfinden wollte. Kuno Kantmann – ein Mann mit Stil und Eleganz, oder so.
Er würde mit einem neuen Outfit beginnen. Kleider machen Leute.
„Unsinn“, dachte er sich. „In Wirklichkeit machten doch Leute Leute.“
Mangelte es ihm nicht vielmehr an Gesellschaft?
Aber wer sollte ihm ausgerechnet jetzt über den Weg laufen, ihn ansprechen, ihn vielleicht sogar in eine nette Unterhaltung einladen bei einem Kaffee. Nicht nur mit oberflächlichem Gerede, eher so, wie die stundenlangen Diskussionen mit Elvira damals, als sie sich kennengelernt hatten, noch bevor es bei ihnen gefunkt hatte.
Doch das war doch alles äußerst unwahrscheinlich. Die Wege waren breitgetreten und die Gesichter die immergleichen.
Aber dennoch, da war dieser Junge gewesen: Ein Dreijähriger mit seinem Eis, den Mund ganz verschmiert. Ein Zwerg mit braunen Locken, der ihn an Tim, seinen Sohn erinnerte. Und der hatte ihn angeguckt, wie es Kinder in diesem Alter eben tun, hatte ihn mit seinen großen Mandelaugen tief in die Seele geschaut und dabei keine Gefühlsregung, kein Anzeichen von Scham gezeigt. Und da hat Kantmann einfach grinsen müssen. Auch wenn es nur eine Art Reflex war, es hatte funktioniert.
Die Erinnerung an den Jungen ließ Kantmann lächeln.
Nun richtete er sich auf, zog die Abendbrise tief ein und griff nach den Zigaretten in der Jackentasche. Langsam und wie in einer Zeremonie ließ er das Feuerzeug knipsen, ließ die Glut knistern, pustete den blauen Dunst in Richtung Sonne.
Da begann er leise in sich hineinzulachen. Was tat er da eigentlich?
Kopfschüttelnd und grinsend erhob er sich und ging heim.
„Der Bernd mit seinem Trenchcoat“, sagte er leise lächelnd vor sich hin.
„Elvira, es ist aus, ich kann nicht mehr!“, hatte er gesagt. Und dann war er aufgestanden vom Esstisch - die Buben hatten mit dem Geschnatter aufgehört und verblüfft geklotzt, Elvira breit gegrinst und dabei genickt – und er ging.
Das war vor drei Stunden geschehen. Kantmann hatte es nicht weit gebracht auf seiner Flucht, gerade mal in den Stadtpark auf die grüne Bank. Die kannte er schon von Spaziergängen mit den Kindern.
Er liebte seine Jungs. Natürlich, sie waren sein ganzer Stolz. Auch wenn es ihm in letzter Zeit zu stressig wurde. Und zu laut. Besonders abends, wenn sie in der Wohnung umherrannten, alles rumliegen ließen, ihr gellendes Lachen ihm in den Ohren schepperte, da saß Kantmann des öfteren auf der Couch, starrte in den Fernseher und verstand nichts mehr von den Nachrichten oder was da sonst lief, sah nur noch durch alles durch, als wäre er nicht Teil des Ganzen. Aber so war das halt mit Kindern.
„Du bist das Allerletzte, du fettes Schwein! Warum hab ich ausgerechnet dich geheiratet? Schau dich doch an! Wie du dahockst und schweigst ... Versager!“, lallte sie.
Elvira trank seit Thorsten, seinem Zweiten. Es war ein Wochenendding. Sie warf ihm diesen Wart-nur-ab-was-du-davon-hast-Blick zu. Dann ging sie ins Schlafzimmer - sie wollte ja nicht vor den Kindern saufen - und kam und ging immer wankender, bis sie dann auf allen Vieren umherkroch.
In diesem Zustand war ihr alles egal. Sie fluchte, geiferte und kotzte.
Kantmann schlug sie, auch wem ihn ihm klar war, dass es nichts ändern würde. Es brachte ihm auch keine Befriedigung. Er wollte die Sauferei treffen, nicht die Frau, die er liebte. Und er liebte sie wirklich noch. Sie war die Mutter seiner Kinder, sein Leben. Doch was war das eigentlich für ein Leben?
„Mensch, Kuno? Bist du das?“
Oh nein, da stand einer vor ihm! Jetzt musste er aufsehen, grüßen, reden. Sollte er diesen Störenfried einfach ignorieren? Oder einfach aufstehen und sich eine neue freie Bank suchen?
„Grüß dich, Bernd“, kam aus ihm hervor.
„Dich hab ich ja schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was treibst du denn so? Wie geht‘ s Elvira?“
„Gut. Den Kindern geht‘ s auch gut.“
„Ja Prima, was macht die Werkstatt?“
„Gibt‘ s nicht mehr. Seit drei Jahren. Ich arbeite jetzt bei einer Wachfirma.“
„Ach so ... bei Schlüssel-Schmitt?“
„Nee, bei ner andern.“
Kantmann starrte Bernd angewidert an, was diesem natürlich nicht entging.
„Na dann“, sagte Bernd, „ich muss weiter, grüß Elli und die Kinder!“
Der Störenfried hatte sich schon von ihm abgewandt und seinen Weg fortgesetzt, als Kantmann noch ein „mach ich“ hervorbrachte.
Da zog er von dannen, dieser Bernd, mit seinem Trenchcoat.
„Wer in aller Welt trägt heutzutage noch Trenchcoats? Außer Exhibitionisten, vielleicht.“
Kantmann interessierte sich seit neustem für Mode. Vor zwei Wochen, nach der Arbeit, da war er in so einer Laune gewesen. Er konnte es sich selbst nicht erklären. Da lief er nun durch die Fußgängerzone, schaute in dieses und jenes Schaufenster und verglich die Puppen mit seinem Spiegelbild. Elegante Dreiteiler, aber auch Hippster-Jeans. Kaufen wollte er nichts. Er war auf der Suche nach etwas. Mag sein, dass er sich selbst neu erfinden wollte. Kuno Kantmann – ein Mann mit Stil und Eleganz, oder so.
Er würde mit einem neuen Outfit beginnen. Kleider machen Leute.
„Unsinn“, dachte er sich. „In Wirklichkeit machten doch Leute Leute.“
Mangelte es ihm nicht vielmehr an Gesellschaft?
Aber wer sollte ihm ausgerechnet jetzt über den Weg laufen, ihn ansprechen, ihn vielleicht sogar in eine nette Unterhaltung einladen bei einem Kaffee. Nicht nur mit oberflächlichem Gerede, eher so, wie die stundenlangen Diskussionen mit Elvira damals, als sie sich kennengelernt hatten, noch bevor es bei ihnen gefunkt hatte.
Doch das war doch alles äußerst unwahrscheinlich. Die Wege waren breitgetreten und die Gesichter die immergleichen.
Aber dennoch, da war dieser Junge gewesen: Ein Dreijähriger mit seinem Eis, den Mund ganz verschmiert. Ein Zwerg mit braunen Locken, der ihn an Tim, seinen Sohn erinnerte. Und der hatte ihn angeguckt, wie es Kinder in diesem Alter eben tun, hatte ihn mit seinen großen Mandelaugen tief in die Seele geschaut und dabei keine Gefühlsregung, kein Anzeichen von Scham gezeigt. Und da hat Kantmann einfach grinsen müssen. Auch wenn es nur eine Art Reflex war, es hatte funktioniert.
Die Erinnerung an den Jungen ließ Kantmann lächeln.
Nun richtete er sich auf, zog die Abendbrise tief ein und griff nach den Zigaretten in der Jackentasche. Langsam und wie in einer Zeremonie ließ er das Feuerzeug knipsen, ließ die Glut knistern, pustete den blauen Dunst in Richtung Sonne.
Da begann er leise in sich hineinzulachen. Was tat er da eigentlich?
Kopfschüttelnd und grinsend erhob er sich und ging heim.
„Der Bernd mit seinem Trenchcoat“, sagte er leise lächelnd vor sich hin.