Bahnhofsmission

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Bahnhofsmission

Eines Tages kam Manfred zur Bahnhofsmission und bat, sich ein wenig ausruhen zu dürfen.
Meistens bekommen die Obdachlosen ihren Kaffee in einem Becher an der Tür. Die Bahnhofsmission besteht nur aus einem winzigen Raum. Nur ganz dringende Fälle dürfen hereinkommen und Platz nehmen.
Dieser Fall schien dringend.
Manfred konnte kaum sprechen und schien keine Luft zu bekommen. Sein Husten war erschreckend.
Er trug einen dunkelgrauen, sehr schäbigen Anzug und dazu eine schmuddelige bunte Krawatte.
Unter großen Anstrengungen beim Sprechen teilte er uns mit, dass er Lungenkrebs habe, dabei drehte er sich eine Zigarette, die er nachher, wenn er wieder draußen in der Bahnhofshalle war, rauchen wollte.
Wir fragten ihn, ob das denn wohl richtig sei, wenn er bei seiner Krankheit noch rauchen würde.
Doch Manfred sagte, dass er ein Recht auf ein bisschen Lebensqualität habe.
Eine Zigarette als Lebensqualität!
Er erzählte, dass er draußen schlafen würde. Es war schon herbstlich kalt und wir rieten ihm, die Schlafstelle für Obdachlose aufzusuchen. Empört lehnte er ab. Dort würde man ihm bestimmt den Schlips stehlen.
Das einzige, was wir noch für ihn tun konnten, war zuzuhören und ihm ein paar nette Worte zu sagen.
Zwei Wochen später lasen wir in der Obdachlosenzeitung „Bodo“ eine Todesanzeige.
Manfred, unser Freund ist tot.
Er starb auf der Platte.​
Dieser Tod hat uns sehr bewegt. Der Tod eines Mannes, dessen Lebensqualität eine Zigarette war.
 

Inu

Mitglied
Marie Luise

Ein erschreckend lebenswahrer Text, der die Begrenztheiten menschlicher/gesellschaftlicher/ behördlicher Hilfsmöglichkeiten in unserem Land schrill aufzeigt. Eine kalte Welt.

Mich beeindruckt diese Tagebucheintragung durch ihre Schnörkellosigkeit.

LG
Inu
 
M

Melusine

Gast
Liebe Marie-Luise,
auch mich beeindruckt dein Text. Mehr als das Gedicht, für das diese Begebenheit, wie ich vermute, als Ausgangsbasis diente ("Obdachlos").

Eine tragische Geschichte, berührend gerade in der Schlichtheit, in der du sie erzählst.


(Kleine Anmerkung am Rande: Ob Rauchen oder nicht macht für einen Lungenkrebspatienten im Endstadium vermutlich keinen Unterschied mehr. Ich sah einmal einen ebenfalls in seiner Schlichtheit berührenden Fernsehspot der Österreichischen Hospizbewegung mit dem Bildtext: "Warum sollten wir jemandem das Rauchen verbieten, der gerade daran stirbt?" Ich wollte, jemand hätte mir das damals gesagt, als meine Mutter im Sterben lag - Leberzirrhose im Endstadium.)


Mel
 
Hallo Melusine,
ja, du hast Recht. Einem lungenkrebskranken das Rauchen zu verbieten, bringt nichts, ist auch nicht nötig. Es war nur so widersprüchlich, dass der Obdachlose, indem er sich eine Zigarette drehte, von seinem Lungenkrebs sprach. Aus Hilflosigkeit haben wir dann wohl etwas gesagt.
Viele Grüße
Marie-Luise
 
M

Melusine

Gast
Ja, das verstehe ich. Vermutlich ist es sogar bei Ärzten sowas wie Hilflosigkeit ... wenn sie schon sonst nichts mehr tun können ...
 
C

casy01

Gast
Als Gedicht empfand ich es nun weniger

eher als Tagebucheintrag

daher flüssig und inhaltlich natürlich entprechend fassbar nah dran

auch für mich als Leserin

als Tagebucheintrag gut geschrieben.,

Als Gedicht zu wenig

ich erlebte oder besser erlebe noch immer

hier genug fassungsloses

z.B. nicht Obdachlose normale Menschen
Kinder die sterben weil man kein Geld für einen Arzt hatte

einer der "dahinsiechte"

da mit gebrochenem Bein als zu alt empfunden für eine

teure ?? OP das leiden möchte ich nicht beschreiben da er zu Hause lag auf einem durchgelegenen Bett

bis wir ein besseres "organisieren und aufstellen" konnten.. war es zu spät und er "gegangen"

Trotz meiner Angebote diese Kosten für Arzt zu übernehmen.

! Man kann nicht immer helfen !

aber hinschauen das sollte man immer

durch Schnee stapfen mit Platiktüten über selbstgestrickten Socken

auch da kann ich nicht tatenlos vorbei ..

doch ob man sich dann Schuhe kauft von meiner "kleinen" Spende

oder doch was zu essen oder es den Kindern gibt

muss ich der Person überlassen

"wie das rauchen und das trinken"


das " Sozial-Gefälle" ist immer Chancenlos groß

ich versuche seit langer Zeit Menschen aufzuwecken...
Noch würde jedem 1,- Euro im Monat nicht schmerzen.


Das könnte jede Schule als Programm einführen

um ein Soziales Gewissen zu prägen und Mitverantwortung..

die schon im Kleinsten beginnen sollte

Wenn jedes Kind nur 0,50 cent pro Monat geben würde

und jede Schule in Europa sich daran aktiv selbst beteiligt

könnte man eine der schönste PATENAKTIONEN der Welt ins Leben rufen...
Jede Schule ! 1 Patenkind

den jeder Samen jedes Kind lohnt

EIN KIND das Begleitung bekommt von einer ganzen Schule damit aufwächst das es wichtig ist

die Schüler Bilder und Videos und evtl. ein Besuch vor Ort in der jeweiligen Schule in Europa

halten dieses jedes Kind lebendig für die Schüler...

Die sich die Entwicklung ansehen können

ja sogar Ansporn sein kann,

sollten die Noten diese Patenkindes besser sein als die so mancher Schüler

Zeugnisse aushängen, berufliche Ziele austauschen

Ob Ansporn oder nicht es sollte ein

moralisches MUSS

geben

0,50 Cent ist so gering und diese Aktion streut

wie Pusteblumen-Samen im Wind


ich glaube das die Kinder der Schulen die das eine Kind unterstützen mit so geringen BEITRAG..
den keiner je als schmerzlichen "Geld-Verlust" empfinden würde

dazu beitragen kann

das Länder und deren Menschen besser ineinaderwachsen.. Das fremde Kulturen

ein wenig mehr an Achtung und Wohlwollen
zu uns in Europa empfinden

und dies an andere Menschen und später auch eigene Kinder und Freunde
weitergeben werden

Es ist eine kleine Idee

Umsetzung Kontrolle alles ohne weiteren Aufwand möglich Missbrauch daher im Grunde ja ausgeschlossen

ich rede von einer Schule mir mehreren hunderten von Kindern

und 1em PATENKIND

Also bitte erzählt mir nun keiner, dass das ZU ? kompliziert sei... und anderswo auch geholfen werden muss....


da kann und sollte ja schliesslich daran nicht scheitern.

das Helfen sollte dahingehend einfach nur endlich erweitert werden.

Meine Tochter hat ein "Patenkind" sie sind gleichalt

Arbeit habe ich damit keine

nur Freude...

wenn auch nur im Kleinen

aber dennoch etwas zu tun

um das Bewustsein meiner Tochter

"Meiner Wohlstandsgeschallschaftskinder" zu schärfen

und realer zu erhalten

dafür lernt mein Kind 6,5 Jahre

z.B. dann und wann auf eine

Schokolade bewusster zu verzichten
nicht mit dem Argument

" DEINE ZÄHNE "

und so manche Puppe wurde mal nicht gekauft
Nicht mit dem Argumten

"Du hast schon so viele"

da Sie nun oft selber was ablehnt, was sie spontan wollte,
mit dem Argument

"Nein das möchte ich nun doch lieber meiner

Patenschwester geben."

Ich habe doch alles was ich brauche !



das Sie alles hat

ja
zu viel von allem hat

bekomme ich sowieso schon zu oft zu hören.. und lache

es stimmt ja sogar

aber welche Mutter verwöhnt nicht gerne das eigene Kind


Und was Sie noch lernt ist ein Kind lieb zu gewinnen und das Kind Sie

und wenn Sie beide "Groß" sind

vielleicht sind sie einander sogar nah

Unsere Welt ist klein

und für unsere Kinder wird diese nicht mehr größer
 
Hallo casy,
ich gebe dir in vielen Punkten Recht.
Zwischen dem Gedicht ''Obdachlos'' und dem Tagebucheintrag gibt es einen gravierenden Unterschied.
Von dem erfrorenen Obdachlosen sprach vor langer Zeit ein Pfarrer in der Morgenandacht. Es bewegte mich so, dass ich das Gedicht schrieb. Damals war ich noch nicht in der BM. tätig.
Die Geschichte von Manfred habe ich selbst erlebt. Vielleicht hat mir aber der Pfarrer die Augen geöffnet, und es war der erste Anstoß dazu, den Ärmsten der Armen ein wenig zu helfen.
Viele Grüße
Marie-Luise
 
B

bonanza

Gast
m.l. wendland, das letzte, was man einem menschen nehmen
kann, ist seine würde und sein bißchen freiheit.
eine zigarette kann für manches stehen.
auch die "letzte" zigarette.
gut geschrieben. ohne viel pathos, aufs wesentliche
beschränkt. was man halt so sieht.

bon.
 

strolch

Mitglied
ja der manfred hat was wares gesagt.
wir sehen es aus unsere sicht, aber die sicht der anderen ist - ganz anders. ich arbeite in einem heim für psychisch kranke. wir haben fast auschließllich alkoholiker zum teil trocken und zum teil nass. das rauchen ist eine ersatzdroge und bestimmt den tagesablauf. da ja das taschengeld nicht reicht - bekommen viele ihre zigaretten eingeteilt. das ist richtig streß. für sie und für uns. denn wenn ihre alle sind versuchen sie sich welche zuerschleichen, bis hin das sie aggressiv werden und zusätzliche erzwingen wollen. einige sind so geschädigt, das bei jeden zug, dass große husten losgeht - du denkst die ersticken daran. dann siehst du sie an und die sind so glücklich dabei - geniesen jeden zug.

das ist hier gut getroffen und hier kommt auch die betroffenheit zum ausdruck.
ich denke auch "obdachlose" kann man hier nicht vergleichen. da ist eine distanz opfer und schreiberin. ich hätte beinahe gesagt, es ist stiril.


so und ich gehe jetzt nach 10 std. nachtschicht ins bett.
lg brigitte
 
Hallo strolch,
zuerst einmal wünsche ich dir einen guten Schlaf nach der anstrengenden Nachtschicht.
Zu deinem Kommentar.
Ich finde,man muss sich abgrenzen. Im Anfang meiner Tätigkeit in der BM konnte ich das nicht. Ich nahm alles mit nach Hause.Habe oft geweint. Das macht einen ganz schön fertig. Doch jetzt versuche ich doch eine Distanz zu schaffen, es fällt aber schwer.
Träume etwas Schönes
Marie-Luise.
 
F

Fackel

Gast
Wow! Ein berührender Text, der ohne viele Worte die Kluft zwischen Haben und Nicht-Haben aufzeigt. Gefällt mit gut!

Fackel
 
O

orlando

Gast
Liebe Mary,
eben habe ich bemerkt, dass du die 100-Werke-Grenze überschritten hast und deshalb ein älteres Werk von dir herausgekramt. :)
Es gefällt mir - in all seiner Schlichtheit und Reduktion auf einen (glimmenden) Punkt: Die Zigarette.
Sicherlich könnte man noch ein wenig daran herumfeilen, aber ich denke, der Text trifft auch so ins Herz.
Dir einen herzlichen Gruß
orlando
 
Dass du das entdeckt hast, liebe Orlando, ist schon sehr aufmerksam. Ich meine das mit den 100 Werken. Ist mir selbst nicht aufgefallen.
Danke für deine Worte.
Viele Grüße
Marie-Luise

Ps. Ich denke gerne an unsere Zeit in "Komische Lyrik".:D
 
O

orlando

Gast
@ molly
schau mal in die Fingerübungen des Forums; ich habe das Spielfeld "Komische Lyrik" wieder eingerichtet. ;)
LG, orlando
 



 
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