Bammel

4,50 Stern(e) 6 Bewertungen

arle

Mitglied
Ach, ich wäre so gerne wunderschön. So wie Christine Meyer. Die ihre langen blonden Haare nach hinten warf. Die ihre neongrell verpackten Acrylbrüste vor sich her schob wie eine Trophäe, wenn sie sich auf Plateausohlen nach vorne zur Tafel wiegte. In einem Rock, der diese Bezeichnung nicht annähernd verdiente. Den besseren Namen hatte ich. Aber das nützt dir wenig, wenn du kurz geschoren bist und nicht nur deshalb immer den Jungen spielen musst. Ich war die auf den zweiten Blick.

Was willst du werden? Großes Gelächter. Ich sah in den Spiegel, verstand und lernte etwas anständiges. Doch eines Tages erschien Bette Davis in Großaufnahme auf der Leinwand. Das war ein guter Tag. Ich pumpte mich auf, ich präsentierte mich, sezierte mich, riss mir die Haut in Fetzen vom Leib. Und keiner lief schreiend davon. Und gelacht wurde nur, wenn ich das wollte. Gelernt, die Nase zu heben, das Rückgrat zu straffen, Applaus zu ertragen, mich anmutig zu verbeugen. Doch immer bereit, sofort den Platz zu räumen, wenn Christine Meyer die Szene betrat. Ich war eben die auf den zweiten Blick.

Die Jahre vergehen. Nicht mehr jeder Blick in den Spiegel ist ein Blick in den Abgrund. Man kann sich gewöhnen an Linien, Zeichen, Klüfte und Unebenheiten - sogar am frühen Morgen. Wer mich liebt, liebt mich trotzdem. Bisweilen gerade deshalb. Gelassen und weitestgehend unsichtbar. Nur manchmal gönnt mir jemand einen zweiten Blick.

Doch nun soll ich mich dir präsentieren. Und ich wäre so gerne wunderschön. Aber jede Falte, jedes graue Haar, der schiefe Mund, die mongolischen Augen - alles erscheint mir tausendfach vergrößert und doppelt verzerrt. Möchtest du dich nicht doch lieber mit Christine Meyer treffen? Denn ich bleibe nun mal die auf den zweiten Blick.
 

arle

Mitglied
Ach, ich wäre so gerne wunderschön. So wie Christine Meyer. Die ihre langen blonden Haare nach hinten warf. Die ihre neongrell verpackten Acrylbrüste vor sich her schob wie eine Trophäe, wenn sie sich auf Plateausohlen nach vorne zur Tafel wiegte. In einem Rock, der diese Bezeichnung nicht annähernd verdiente. Den besseren Namen hatte ich. Aber das nützt dir wenig, wenn du kurz geschoren bist und nicht nur deshalb immer den Jungen spielen musst. Ich war die auf den zweiten Blick.

Was willst du werden? Großes Gelächter. Ich sah in den Spiegel, verstand und lernte etwas anständiges. Doch eines Tages erschien Bette Davis in Großaufnahme auf der Leinwand. Das war ein guter Tag. Ich pumpte mich auf, ich präsentierte mich, sezierte mich, riss mir die Haut in Fetzen vom Leib. Und keiner lief schreiend davon. Und gelacht wurde nur, wenn ich das wollte. Gelernt, die Nase zu heben, das Rückgrat zu straffen, Applaus zu ertragen, mich anmutig zu verbeugen. Doch immer bereit, sofort den Platz zu räumen, wenn Christine Meyer die Szene betrat. Ich war eben die auf den zweiten Blick.

Die Jahre vergehen. Man kann sich gewöhnen an Linien, Zeichen, Klüfte und Unebenheiten - sogar am frühen Morgen. Wer mich liebt, liebt mich trotzdem. Bisweilen gerade deshalb. Gelassen und weitestgehend unsichtbar. Nur manchmal gönnt mir jemand einen zweiten Blick.

Doch nun soll ich mich dir präsentieren. Und ich wäre so gerne wunderschön. Aber jede Falte, jedes graue Haar, der schiefe Mund, die mongolischen Augen - alles erscheint mir tausendfach vergrößert und doppelt verzerrt. Möchtest du dich nicht doch lieber mit Christine Meyer treffen? Denn ich bleibe nun mal die auf den zweiten Blick.
 

mitis

Mitglied
gut nachvollziehbarer text ;) - ich würde nur den titel auf "der zweite blick" ändern, das würde mich persönlich mehr ansprechen als "bammel".
weil ich finde, dass du in deinem text den "zweiten blick" viel mehr herausgearbeitet hast als den "bammel".
lg
von "leidensgenossin" mitis ;)
 

arle

Mitglied
Ja, da hast du natürlich vollkommen Recht.

"Bammel" ist ein totaler Insider. Und der, der gemeint ist, versteht ihn sicher. Titel... Wer liest schon Titel....

Ist doch interessant, dass wir zur gleichen Zeit über das gleiche Thema sinniert haben. Oder?
 

mitis

Mitglied
wer liest schon titel?

also ich z.b. - ich wähle mir die eingestellten werke, die ich lesen möchte, 1. nach dem genre, 2a. nach den autorInnen aus, die mir bekannt sind und die ich interessant finde oder -2b. nach den titeln. ist das erste, was vom text erscheint.

ja, in einem gewissen alter sinniert man schon mal ab und an über ähnliche dinge...;)

lg mitis
 

arle

Mitglied
War nicht ganz so ernst gemeint, mitis.

Aber vielleicht doch noch ein bisschen was ernsteres zu Titeln im allgemeinen (die natürlich, wie alles im Leben, letzten Endes Geschmackssache sind):

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Titel - gleich ob im Theater, in der Literatur oder sonst einem Gebiet - vor allem eins sein muss: knackig. Und ein bisschen neugierig soll er machen. Hätte ich hierfür zum Beispiel wirklich die Überschrift "auf den zweiten Blick" gewählt, so hätte ich von vornherein einiges an Pulver verschossen. Unter "Bammel" kann man sich wohl nicht so viel vorstellen; drum guckt man mal drauf.

Hofft:

Silvia
 

mitis

Mitglied
eben. ich versteh dich schon.
bin mir aber nicht sicher.
natürlich sollte ein titel knackig sein, und das wird ja oft übertrieben.
andererseits soll der titel erwartungen wecken, die dann möglichst nicht enttäuscht werden. ist oft in zeitungen so: reißerischer titel - und dann nichts als heiße luft.
in deinem fall hat der titel "bammel" in mir die erwartung eines flapsigen textes in einem irgendwie jugendlichen stil über ein thema der "aufregung, nervosität" erzeugt (ich dachte spontan an ein vorstellungsgespräch oder eine prüfung).
der "bammel" kommt ja in deinem text auch vor, aber nicht in erster linie. in erster linie ist es "der zweite blick", das thema des dauernden oder immer-wieder zurückgesetzt-seins, und DESHALB der angst vor dem im vordergrund-stehen, aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
so verstehe ich es jedenfalls.
"der zweite blick" oder ähnliches wäre doch auch ein interessanter titel, der auf ganz andere art neugierig machen könnte.
vielleicht will sich ja noch jemand anderer hier dazu äußern. das ist ja nur meine meinung.
 

arle

Mitglied
Damit sich jemand anders äußern könnte, müsste man ihn ja erst mal her locken. Ob das mit diesem Titel geht....?

Lacht jetzt wirklich laut:

Silvia (c;
 

arle

Mitglied
PS: Mit dem Gefühl der Aufregung und Prüfungsangst lagst du übrigens völlig richtig. Da flapst man dann schon mal drüber weg. Und verplappert sich leider allzu oft.
 

mitis

Mitglied
es stimmt, die prosa-abteilungen sind längst nicht so frequentiert wie die lyrik.
ich glaube, es liegt daran, dass man lyrik "schneller" liest und das entspricht mehr dem verhalten im (flüchtigen) internet.
es ist eigentlich genau spiegelverkehrt gegenüber dem alltäglichen leseverhalten:
"draußen" verkauft sich lyrik kaum, aber schau mal, wieviel prosa am markt ist. schon interessant, nicht?
vielleicht ist eine möglichkeit, dich zu diversen themen im forum lupanum zu äußern, dann werden vielleicht manche neugierig und schauen nach, was du sonst noch so geschrieben hast.
lg mitis
 

Justina

Mitglied
Ich kann mich mitis' Meinung nur anschliessen; der Titel "Bammel" ist für diesen Text eine Art Understatement. Ein umganssprachlicher Begriff, der wenig textbezogen daherkommt und nicht auf die nachfolgenden inhaltlichen und sprachlichen Qualtitäten schließen läßt.

Ich habe nach dieser Überschrift jedenfalls nicht viel erwartet und war positiv überrascht.
 

arle

Mitglied
Na, dann hat er doch seinen Zweck erfüllt.

Dank dir fürs Lesen, fürs Kommentieren und für die schöne Bewertung.

Silvia
 

gareth

Mitglied
Der Titel ist schon sehr gut gewählt, liebe arle,

denke ich.

Wir sind im Stande, jedenfalls von Zeit zu Zeit, unsere Rollen zu spielen und unsere Ansprüche und Befindlichkeiten in angemessenen Worten darzustellen. Die tiefen Unsicherheiten aber äußern sich auf einer anderen Ebene. Wir schweigen, erröten, verweigern uns, sehnen uns wortlos und sind beleidigt. Bammel gefällt mir.

Der zweite Abschnitt ist schon ein kleines Meisterwerk. Ein ganzes Leben in acht Zeilen. Alles Wesentliche enthalten.

Und ich lerne Begriffe, an denen ich was zu überlegen habe. z.B. Acrylbrüste. Keine Ahnung :eek:)

Was den zweiten Blick angeht, so verstehe ich Sinn und Funktion, finde aber, dass wiederkehrende Motive eine besonders anspruchsvolle Sache sind und eben dieser schöne zweite Abschnitt geschlossener und stärker wäre, wenn er mit der Bereitschaft, für Christine Meyer den Platz zu räumen enden würde.

Das soll aber nicht kritisiert sein.
Wirklich.

Liebe Grüße
gareth
 

arle

Mitglied
Kritik, mein lieber Gareth, ist eine gute Sache. Besonders, wenn sie so fundiert daherkommt wie die deine, über die ich mich jedesmal ganz besonders freue.

Danke schön für die Bestätigung, den Titel richtig gewählt zu haben; genau das war meine Intention.

Über diese Wiederholungen habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber du hast da was angestoßen, und nun werde ich darüber nachdenken. Ich glaube nämlich, du hast völlig Recht... Hier müssen drei Pünktchen hin, um das angestrengte Nachdenken zu verbildlichen (c;

Vor allem wäre es, glaube ich, nicht viel Arbeit, weil es nicht mehr als einen kühnen Strich erfordern würde. Oder?

Danke dir und grüße sehr freundlich

Silvia
 

arle

Mitglied
PS: Das mit den Acrylbrüsten erkläre ich dir mal in Ruhe.
Blockstreifen? Neonfarben? Siebziger Jahre? Na?
 

arle

Mitglied
Ach, ich wäre so gerne wunderschön. So wie Christine Meyer. Die ihre langen blonden Haare nach hinten warf. Die ihre neongrell verpackten Acrylbrüste vor sich her schob wie eine Trophäe, wenn sie sich auf Plateausohlen nach vorne zur Tafel wiegte. In einem Rock, der diese Bezeichnung nicht annähernd verdiente. Den besseren Namen hatte ich. Aber das nützt dir wenig, wenn du kurz geschoren bist und nicht nur deshalb immer den Jungen spielen musst. Ich war die auf den zweiten Blick.

Was willst du werden? Großes Gelächter. Ich sah in den Spiegel, verstand und lernte etwas anständiges. Doch eines Tages erschien Bette Davis in Großaufnahme auf der Leinwand. Das war ein guter Tag. Ich pumpte mich auf, ich präsentierte mich, sezierte mich, riss mir die Haut in Fetzen vom Leib. Und keiner lief schreiend davon. Und gelacht wurde nur, wenn ich das wollte. Gelernt, die Nase zu heben, das Rückgrat zu straffen, Applaus zu ertragen, mich anmutig zu verbeugen. Doch immer bereit, sofort den Platz zu räumen, wenn Christine Meyer die Szene betrat. Ich war eben die auf den zweiten Blick.

Die Jahre vergehen. Man kann sich gewöhnen an Linien, Zeichen, Klüfte und Unebenheiten - sogar am frühen Morgen. Wer mich liebt, liebt mich trotzdem. Bisweilen gerade deshalb. Gelassen und weitestgehend unsichtbar. Nur manchmal gönnt mir jemand einen zweiten Blick.

Doch nun soll ich mich dir präsentieren. Und ich wäre so gerne wunderschön. Möchtest du dich nicht doch lieber mit Christine Meyer treffen?
 

arle

Mitglied
So könnte es stimmen. Glaube ich. Der Bammel behält seinen Sinn, und die (mal wieder *seufz*) viel zu privaten Anmerkungen bleiben draußen. Hoffe ich.

Noch mal vielen Dank von

Silvia, die hofft, es irgendwann mal sein lassen zu können
 

arle

Mitglied
Ach, ich wäre so gerne wunderschön. So wie Christine Meyer. Die ihre langen blonden Haare nach hinten warf. Die ihre neongrell verpackten Acrylbrüste vor sich her schob wie eine Trophäe, wenn sie sich auf Plateausohlen nach vorne zur Tafel wiegte. In einem Rock, der diese Bezeichnung nicht annähernd verdiente. Den besseren Namen hatte ich. Aber das nützt dir wenig, wenn du kurz geschoren bist und nicht nur deshalb immer den Jungen spielen musst. Ich war die auf den zweiten Blick.

Was willst du werden? Großes Gelächter. Ich sah in den Spiegel, verstand und lernte etwas anständiges. Doch eines Tages erschien Bette Davis in Großaufnahme auf der Leinwand. Das war ein guter Tag. Ich pumpte mich auf, ich präsentierte mich, sezierte mich, riss mir die Haut in Fetzen vom Leib. Und keiner lief schreiend davon. Und gelacht wurde nur, wenn ich das wollte. Gelernt, die Nase zu heben, das Rückgrat zu straffen, Applaus zu ertragen, mich anmutig zu verbeugen. Doch immer bereit, sofort den Platz zu räumen, wenn Christine Meyer die Szene betrat.

Die Jahre vergehen. Man kann sich gewöhnen an Linien, Zeichen, Klüfte und Unebenheiten - sogar am frühen Morgen. Wer mich liebt, liebt mich trotzdem. Bisweilen gerade deshalb. Gelassen und weitestgehend unsichtbar. Nur manchmal gönnt mir jemand einen zweiten Blick.

Doch nun soll ich mich dir präsentieren. Und ich wäre so gerne wunderschön. Möchtest du dich nicht doch lieber mit Christine Meyer treffen?
 



 
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