Begegnung - Part I

Senerva

Mitglied
Ich sah auf und schnaubte leicht genervt. Natürlich, ich spürte die bohrenden Blicke selbst durch das Buch hindurch, dass ich dicht vor mein Gesicht hielt, um die Wörter bei dem schwachen Licht besser entziffern zu können. Seit ich in dieses kleine Cafe gekommen war, beobachtete mich der Kerl, der zwei Tische weiter von mir entfernt saß, durchgehend – und er dachte nicht im Geringsten daran, seine, mir peinliche, Musterung zu unterlassen. Ich blinzelte leicht und zog das Buch ein kleines Stückchen tiefer, damit ich den Blick des Fremden für einen Moment erwidern konnte. Ein Blick meinerseits genügte, um ihn zu mustern, dann schob ich das Buch wieder höher. Ich kannte solche Kerle; sie waren in dieser Gegend selten. Wie nannte man sie doch gleich? Gothics. Viele meiner Freunde waren so wie er gekleidet: die bodenlangen, schwarzen, Ledermäntel … die unverkennbaren Nietenarm – und Halsbänder. Doch, etwas lag in den durchdringenden, blauen Augen des Fremden, was ich in denen meiner Freunde noch nie gesehen hatte – pure Monotonie. Ich seufzte leise und lenkte meine Gedanken wieder auf das Buch. Mit voller Konzentration und Interesse las ich weiter – den Blick des Fremden noch immer auf meiner Haut spürend.
Kaum merklich zuckte ich zusammen, als die Kellnerin mir meinen Cafe brachte. Ich lächelte entschuldigend zu ihr auf. „Entschuldigung, ich war zu sehr in das Buch vertieft. Was haben Sie gesagt?“ Die Kellnerin erwiderte mein Lächeln nicht, sondern fragte mich, ob ich noch etwas haben wollte. „Nein, danke. Hier … den Rest können Sie behalten.“ Ich drückte der Frau einige Münzen in die Hand; die Kellnerin hob skeptisch eine Braue, drehte sich jedoch dann um und ließ mich alleine.

Zwei Wochen später besuchte ich das kleine Cafe an der Ecke wieder. Ich wusste selbst nicht, warum. Ich fand dort einfach die Ruhe, die ich zum lesen brauchte; und der Kerl, der mich das letzte Mal beobachtet hatte, wird dieses Mal sicher nicht wieder hier sein. Wie sehr ich mich doch täuschte. Ich saß mich an einen Tisch, der nahe am Fenster stand. Ich griff in meine braune Umhängetasche und zog ein Buch hervor, das ich in dieser Stille lesen wollte. Ich winkte der Kellnerin; dieses Mal war es jemand anderes, als diese unfreundliche Frau von letztens. Ich lächelte leicht, als sie rasch zu mir herüberkam. „Einen Cafe, bitte.“ Die Frau nickte, notierte sich dies auf ihren kleinen Block und kehrte hinter die Theke zurück. Kaum hatte ich mein Buch auf der richtigen Seite aufgeschlagen und zu lesen begonnen, als ich diesen vertrauten, bohrenden Blick wieder spürte. Meine Gedanken kreisten. Musste er denn wirklich heute schon wieder hier sein? Ich seufzte. Neugierig lugte ich über den Rand des Buches hinweg – und verfiel in pures Staunen. Zwei Tische weiter saß nicht der mir bekannte Gothic, sondern ein einfacher, junger Mann. Er trug zwar noch den bodenlangen Ledermantel, doch sah ich darunter eine einfache, verwaschene Jeans, und ein dunkelgraues Hemd. Die Nietenarm – und Halsbänder waren verschwunden und stattdessen sah ich eine silberne Kette, mit einem dunkelgrünen Stein als Anhänger. Ich blinzelte und erwiderte den Blick des Mannes. Das blonde, kurze Haar, sah ein wenig verwuschelt aus – fast so, als wäre er gerade erst aufgestanden. Seine blauen Augen sprühten eine Freundlichkeit aus, die mir fast schon peinlich war. Es bildeten sich kleine Grübchen an seinen Mundwinkel, als er leicht lächelte. Ich lief, wahrscheinlich zu meinem Unglück, rot wie eine Tomate an und versteckte mein Gesicht hinter dem Buch. Ich murmelte nur ein leises „Danke“, als die Kellnerin mir meinen Cafe brachte. Ich hörte ein leises Glucksen. Der Kerl musste sich bestimmt gerade am Tisch festhalten, dass er nicht vor Lachen vom Stuhl fällt – Na toll. Ich verdrehte die Augen und versuchte, meine Konzentration wieder auf das Buch zu lenken. Doch es gelang mir schlicht und weg nicht. Der Mann war einfach … schön. Oder war süß der bessere Ausdruck? Ich schüttelte den Kopf, ob meiner eigener Gedanken. Ich und Kerle – das war wirklich ein Kapitel für sich. Ich wollte jetzt nicht anfangen, die ersten Zeilen darüber zu schreiben. Ich sah auf, als ich schlürfende Schritte hörte – und blickte in das Gesicht des Mannes, der mich soeben noch beobachtet hatte, und nun vor meinem Tisch stand. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ Er neigte den Kopf leicht zur Seite. Ich stotterte ein leises „Nein“, worauf der schmunzelte und sich, genau mir gegenüber, niederließ. Er faltete die Hände auf der Tischplatte und lenkte seinen Blick, der mich soeben noch von oben bis unten musterte, zu meinen Augen. Ich erwiderte diesen, wobei ich das Buch langsam sinken ließ. Er lächelte und schob das Lesezeichen zu mir herüber, das ich, als ich im Buch zu lesen begonnen hatte, vor mich auf den Tisch gelegt hatte. „Ich denke, es ist besser, Sie machen das Lesezeichen hinein – sonst wissen Sie später nicht mehr, wo Sie gewesen sind.“ Ich nickte leicht beschämt, wobei ich das Lesezeichen vom Tisch hob und es passend in das Buch legte. „Mein Name ist übrigens Craig.“ Nun war ich es, die ihn anlächelte. „Jana … es freut mich, Sie kennen zu lernen, Craig.“ Er hob die Hand und winkte leicht ab – das Lächeln schwand dabei nicht von seinen Lippen. „Lassen wir dieses „Sie“ … oder? Es hört sich immer so vornehm an.“ Er zuckte unbeholfen die Schultern. „Ja, natürlich.“ Ich nickte zustimmend und umfasste die Cafetasse, um leicht daran zu nippen. „Ich habe Dich öfters hier gesehen – meistens hattest Du ein Buch dabei.“ Er tippt leicht auf das Deckblatt des Buches, indem ich soeben noch gelesen hatte. Ich nickte. „Lesen ist eine Leidenschaft von mir. Ab und an wage ich mich auch selbst an das schreiben heran. Ich muss noch ein wenig üben – Bestseller werden es nicht gerade.“
„Hauptsache ist doch, dass sie Dir gefallen – der übrigen Menschheit soll es doch gleich sein, was in Deinem Kopf vorgeht.“ Ich blinzelte leicht – Craig musste sich wirklich sehr gut mit Büchern und sonstigem auskennen, sonst würde er so etwas nicht sagen. Ich beobachtete, wie er das Buch langsam zu sich zog – es hatte ihn wohl neugierig gemacht, dass ich einen weinroten Umschlag um das Buch gemacht hatte; ich bezweckte nur eines damit: niemand sollte sehen, was ich für Bücher las. „Ich darf doch …?“ Ich räusperte mich kurz, stellte die Tasse auf den Unterteller zurück und nickte etwas nervös. Er schlug die erste Seite auf und musste leise Lachen. „Soso … die Avalon – Reihe, nehme ich an?“ Ich nickte erneut. „Ich liebe diese Bücher, ehrlich gesagt. Ich verschlinge sie regelrecht. Diese Autorin schreibt wunderbar und lässt ihre Emotionen in Worten Gestalt annehmen. Ich habe diese Bücher schon mehrmals gelesen – immer wieder faszinieren sie mich.“ Ich spürte, wie ich wieder einmal rot wurde; ich hasste es, wenn andere erkannten, dass ich, als 22 – jährige Frau, solche Bücher las. Doch Craig schien es mehr zu bewundern, als zu amüsieren. „Ich verstehe Dich. Wenige Bücher gibt es, die mich wirklich in einen Bann ziehen können. Im Fantasy Bereich habe ich mich noch nie sehr oft versucht – die Entstehung und der Untergang Avalons ist doch ein Kapitel für sich. Es gibt viele Mythen und Sagen darüber. Doch keiner weiß, wie es wirklich damals war, als Arthur das Schwert Excalibur aus dem Stein zog.“ Er schmunzelte leicht, wohl ob meiner Verblüfftheit – ich hatte nicht gedacht, dass er sich in Geschichte so gut auskannte, wo er doch soeben noch gestanden hatte, dass er in dieser Richtung noch nicht viel gelesen hatte. „Okay, ich gestehe. Ich studiere Geschichte … und ich liebe dieses Fach einfach.“ Ich strich mir eine Strähne meines schwarzen Haares aus dem Gesicht, die sich soeben in jenes verirrt hatte. „Geschichte … ja, nebenbei lese ich gerne solche Bücher, die den Verlauf unserer Geschichte erzählen.“ Er klappte das Buch zu und schob es mir wieder entgegen. Dankbar nahm ich es an mich und ließ es in die Tiefen der Umhängetaschen verschwinden – sichtlich froh darüber, dass nur Craig mein Geheimnis um Bücher erkannt hatte. Ich fand diese Unterredung, nun, da sie beendet war, mehr als nur schwachsinnig – wie konnte man nur über solche Bücher reden? Ich seufzte leise und trank den letzten Schluck Cafe. Gerade wollte ich das passende Kleingeld aus meiner Manteltasche kramen, als ich leises Klimpern hörte – fragend blickte ich auf und sah gerade noch, wie Craig die Tasse von dem Unterteller hob und auf diesen Geld niederlegte. Genug für einen Cafe und ein wenig Trinkgeld. „Ich übernehme das schon.“ Er machte eine abweisende Handbewegung. „Du willst schon gehen, Jana?“ Ich nickte kurz. „Ich muss noch zu Freunden – sie wollen, dass ich ihnen bei der Bearbeitung eines Referates helfe.“ „Oh, ich verstehe. Bist Du bald wieder hier?“ Ich runzelte die Stirn und überlegte kurz. Was war heute für ein Tag? Montag. „Mhm ... am Mittwochmorgen, denke ich. Da habe ich Zeit.“ Craig nickte kurz und erhob sich, wobei seine Hand kurz die Meine streifte. „Okay. Also … bis Mittwoch.“ Er lächelte noch einmal, zog den Ledermantel enger um sich und trat, mit gesenktem Kopfe, hinaus auf die Straße. Schon jetzt freute ich mich auf eine weitere Begegnung mit ihm.
 



 
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