Begegnung - Part II

Senerva

Mitglied
Tief atmete ich ein und aus, ehe ich das Cafe betrat. Noch nie fühlte ich mich so … nervös, wenn ich mich mit jemanden traf, mit dem ich erst einmal kurz gesprochen hatte – und dann über Dinge, die ich doch versuchte, vor der Welt geheim zu halten. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass er noch nicht hier war. Ich fühlte, wie mein Puls sich verlangsamte und nicht mehr so schnell pochte, wie vor wenigen Sekunden. Rasch zwang ich mir ein Lächeln auf die Lippen, sodass ich nicht deprimiert auf die wenigen Leute wirkte, die sich noch in dem Cafe befanden, und steuerte auf einen Platz im hinteren Teil des Ladens zu. Wie üblich ließ ich mich, ein wenig geschafft und übermüdet, auf einem Stuhl nieder und winkte der Kellnerin – ein Handgriff in meine Umhängetasche folgte, als ich das Buch, dass ich heute gedachte zu lesen, hervorholte. Die Kellnerin, die mich vor zwei Tagen so ‚freundlich’ bedient hatte, trat nun wieder an meinen Tisch; den Block mit dem Stift in den Händen haltend. „Wie immer?“, fragte sie – wahrscheinlich kannte sie mich vom Sehen her noch, was, bei den wenigen Gästen in diesem Cafe, kein Wunder war. Ich nickte und folgte der Kellnerin mit meinem Blick, als diese zurück hinter die Theke ging. Ein leises Seufzen entwich mir – ich hatte mir für diesen Morgen extra frei genommen, sodass ich länger mit Craig reden konnte. Doch, wie es aussah, war er entweder überaus unpünktlich oder er hatte mich, wie jeder andere normale Kerl auch, versetzt. Ich klappte das Buch an jener Stelle auf, an der sich das Lesezeichen befand, und begann zu lesen. Die Beine schlug ich dabei übereinander und lehnte mich zurück, sodass ich eine bequemere Sitzhaltung einnahm. Ich las nur wenige Zeilen, als ich ein Räuspern vernahm. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, denn inständig hoffte ich, dass dies Craig war. Ich sah auf – und wurde bitter enttäuscht. Es war die Kellnerin, die mir meinen Cafe brachte. Ich merkte, wie mein Gesicht einen deprimierten Ausdruck annahm, und zwang mich sofort zu einem freundlicheren Ausdruck; schließlich konnte die Kellnerin ja nichts dafür, dass Craig mich, wohl oder übel, versetzt hatte. „Danke.“ Die Kellnerin nickte und stellte die Tasse, freundlich lächelnd, vor mir ab. Dann verschwand sie wieder und ließ mich, mit meinem Buch, alleine zurück.
Ich stellte mich auf einen Morgen ein, an dem ich hoffnungslos nur lesen und Cafe schlürfen würde. Irgendwie gefiel mir dieser Gedanke auch, denn, wenn Craig hier wäre, müsste ich mich mit ihm unterhalten – und das würde sicher wieder in solch einer peinlichen Situation wie vorgestern enden. Ich lächelte sanft und schlug die Seite um. Leise murmelte ich nun die Worte vor mich hin, die dort, auf dem etwas alten Papier, geschrieben waren. Ab und an griff ich nach der Tasse und nippte einige Male an dem etwas heißen Cafe – und so verging eine halbe Stunde. Zu sehr war ich von dem Buch fasziniert, zu sehr in die Geschichte vertieft, die sich vor meinem Inneren Auge abspielte, sodass ich nicht bemerkte, wie Craig das Cafe betrat und sich mir gegenüber niederließ. Er war still – er gönnte mir wohl die Zeit, in der ich in Ruhe lesen konnte. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er mich die 10 Minuten, in der ich seine Anwesenheit nicht merkte, beobachtete. Es bezauberte ihn wohl, wie sich meine Miene veränderte, je nachdem, was in der Geschichte passierte. Schließlich brach er die Ruhe, als ich mir auf der Lippe rumkaute und sichtlich traurig wurde. „Soll ich Dir ein Taschentuch geben?“ Er schmunzelte leicht, als ich aufschreckte und fast das Buch fallen ließ. „Craig … Du bist es.“ Er nickte und blickte mich an. Ich erwiderte den Blick für einen Moment lächelnd, ehe ich das Lesezeichen in die passende Seite legte und das Buch zuklappte. „Ich habe Dich gar nicht gehört.“ „Oh … Als ich sah, dass Du so vertieft in dieses Buch bist, habe ich gedacht, ich lasse Dich erst einmal lesen. Doch, in den letzten 2 Minuten, nahm Dein Gesicht so einen Ausdruck an, als wolltest Du alle Leute umbringen – deshalb habe ich lieber gesagt, dass ich hier bin.“ Ich musste leise lachen und legte die Hände flach auf den Tisch. Mir wurde zunehmend warm, denn ich trug noch immer den dicken, grauen Pullover und den beigen Mantel darüber. Craig wandte den Kopf zur Seite und nickte der Kellnerin zu, die wohl sofort verstand, was er haben wollte, denn sie lächelte ihm zu und machte sich an das Cafemaschine zu schaffen. Er blickte wieder zu mir – das Lächeln war nun entgültig von seinen Lippen geschwunden, und doch war die Freundlichkeit in seinen Augen zurückgeblieben. „Wie geht es Dir? Hast Du Deinen Freunden helfen können mit dem Referat?“ „Oh … ich kann nicht klagen. Ich hab die vergangene Nacht zwar nicht sehr viel geschlafen, aber durch einen guten Cafe wird man in den Alltag zurückgeholt.“ Ich lächelte. „Und Dir, Craig? Das Referat haben sie alleine schon sehr gut ausgearbeitet, ich musste nur die Satzstellung und die Rechtschreibung überprüfen – keine große Sache.“ Ich zuckte leicht mit den Schultern. „Ich habe mich diese Nacht durch Geschichtswälzer gequält – ich musste ein wenig üben, für die bevorstehende Prüfung. Aber ansonsten ging es mir ganz gut.“ Er nickte kurz und zog seinen Arm von der Tischplatte fort, sodass die Kellnerin, die soeben mit einem Tablett neben uns anhielt, den Cafe auf den Tisch stellen konnte. Craig quittierte dies mit einem kurzen, aber dennoch freundlichem, Lächeln –die Kellnerin bediente die anderen Leute. Ich beobachtete ihn, wie er kurz an seinem Cafe schlürfte. Diese Zeit nutzte ich, um mir den langen, nun mehr warmen, Mantel von den Schultern zu streifen und neben mir auf den Stuhl zu legen. „Geschichtswälzer … ach Gott, ich kann die Anzahl von denen nicht einmal mehr zählen – ich habe so viele zu Hause.“ Craig nickte und stellte die Tasse auf den Unterteller zurück. „Ich kenne das. Mir geht es genauso. Ich könnte eine ganze Bibliothek aufmachen. Manchmal ist es echt nervend, wenn man aufräumen soll – ich habe schließlich keine Freundin, die das für mich erledigen kann, wenn ich den ganzen Tag nicht zu Hause bin.“ Ich spürte, wie zuerst meine Ohren scharlachrot anliefen und schließlich auch, zu meinem Übel, mein Gesicht. „So überrascht?“ Er war sichtlich amüsiert über mein kleines Missgeschick. Ich drehte den Kopf zur Seite, atmete tief ein und schüttelte schließlich den Kopf. Natürlich – er hatte keine Freundin. Wollte er mich anmachen oder wie? Ich verbannte diese Gedanken auf meinem Kopf. „Nein … na ja … eigentlich doch. Ich hatte erwartet, dass Du eine Freundin hast, Craig. Männer in Deinem Alter sind meistens schon verlobt.“ „In meinem Alter?“ Er lachte leise. „Wie alt schätzt Du mich denn, Jana?“ Ich hob erstaunt eine Braue, ob jener Frage. Natürlich, ich hatte jene Worte einfach so hingesagt und geglaubt, er würde diesen keine große Beachtung schenken – doch im Gegenteil. Er tat es. Ich runzelte die Stirn leicht und überlegte nun ernsthaft, wie alt der Mann sein könnte, der vor mir saß. Ich betrachtete alles noch einmal genau: das blonde, kurze Haar … die blauen Augen, sowie de Grübchen, die sich immer, wenn er lächelte, um seine Mundwinkel bildeten. Ich überdachte mein Urteil genaustens. „ Ich schätze … 25.“ Er nickte leicht. „Du kannst gut schätzen – doch knapp daneben ist auch vorbei. 24.“ Er lächelte. Ich merkte nicht, wie die Stunden vergingen und wir uns einfach gegenüber saßen, uns gegenseitig ansahen und sprachen – uns beiden schien es gleichgültig zu sein, was der andere jeweils dachte. Ich erfuhr, dass Craig in London geboren wurde – sein Vater war Journalist und ist sehr früh, im Alter von 35 Jahren, gestorben. Seine Mutter war eine normale Hausfrau, hatte jedoch Psychologie studiert, und war schließlich an dem Verlust ihres Mannes dahingebrochen. Durch den Tod beider Eltern musste Craig schließlich sein Heimatland verlassen und war nach Deutschland gezogen – zu seinen Großeltern, die in der Nähe von Hamburg wohnten. Nachdem er seine schulische Laufbahn beendet hatte, beschloss er, Geschichte zu studieren – doch erst dann, wenn er das eine Jahr als Austauschschüler in England, seiner Heimat, verbracht hatte. „Ich habe meine Mutter nie dafür gehasst, dass sie mich so früh schon alleine gelassen hat.“ Ich nickte und, was das Beste war, ich verstand ihn. „Ich verstehe Dich, Craig. Meine Eltern … noch heute sind sie bei mir.“ Und so begann ich zu erzählen, wie meine Mutter, die in Portugal geboren wurde, mit ihrem damaligen Verlobten nach Deutschland zog – dort gebar sie mich. Ich hatte das lange, schwarze Haar von ihr geerbt – die braunen Augen von meinem Vater. Doch, auch diese Liebe sollte nicht von langer Dauer sein, denn mein damaliger Vater ging meiner Mutter mehrmals fremd – zu seinen Ungunsten. Denn, als sie es herausbekam, trennte sie sich von ihm und zog mit mir von Bayern nach Nordrhein-Westfalen. Dort lernte sie, letzt endlich bei ihrer Arbeit als Kellnerin, die ‚Liebe ihres Lebens’ kennen. Schon nach 5 Monaten waren beide verlobt; ein Jahr später stand die Hochzeit vor der Tür. „Und was hast Du getan?“ Ich lächelte entschuldigend. Die ganze Zeit über hatte ich von den vielen Ex-Männern meiner Mutter und Stiefvätern meinerseits erzählt. „Nun ja ..“ Ich atmete tief aus, nahm einen Schluck Cafe und erzählte ihm, in welcher Situation ich damals war. Natürlich, ich war mit dem vielen ‚Männerwechsel’ meiner Mutter nicht einverstanden – aber wie sollte ich es damals, als nunmehr 10-jähriges Mädchen verhindern? Zu spät hatte ich damals gemerkt, dass meine Mutter Suizid gefährdet war und mein Vater Alkoholkrank. Meine Oma nahm mich schließlich zu sich, nachdem sie rausbekommen hatte, dass ihre Tochter unter diesen Umständen – und besonders mir ihrer Tochter als zusätzliche Last – nicht leben konnte. Beide wurden 2 ½ Jahre therapiert. Dann war wieder alles wie vorher. Ich besuchte die Schule und machte meine Abschlussprüfung – was ich danach machen sollte, wusste ich nicht genau. Mein damaliger Freund hatte mir vorgeschlagen, meine Ängste und Emotionen in Wörter zu fassen – so schrieb ich meine ersten Geschichten. Mittlerweile studierte ich Germanistik; mit Latein befasste ich mich nebenbei. Als ich geendet hatte, kramte ich in meiner Tasche nach einem Halsbonbon und steckte es mir in den Mund. Craig schmunzelte. „Dein Lebenslauf ist wirklich interessanter als meiner, Jana. Gerne würde ich Deine ersten Geschichten lesen, wenn ich darf.“ Ich nickte. „Okay, warum auch nicht? Der einzigste, der sie damals zu sehen bekam, war mein Freund.“ „Du hast sie noch immer? Ich meine, die Geschichten.“ „Natürlich … so etwas schmeiße ich nicht so einfach fort.“ Craig räusperte sich kurz und nahm einen Schluck Cafe; danach beobachtet er mich, wie ich fröhlich auf meinem Bonbon herumkaute. „Und was machst Du nun als Beruf? Also … bis Du Dein Studium beendet hast.“ „Ich gebe oft Nachhilfe für meine Freunde oder Nachbarskinder – ich bin froh, wenn ich etwas mit Kindern machen kann. Ich tanze auch sehr gerne. Wenn ich Auftritte habe, verdiene ich nebenbei noch etwas dazu. Das ist wichtig für meine Zukunft.“ Craig hob eine Braue und konnte sich ein Grinsen nur schwer verkneifen. „Was für Tänze, Jana? Du meinst doch nicht die Tänze, an die ich gerade denke.“ Ich stockte – und lachte los. „Niemals. Normale Tänze eben.“ „Wie schade.“ Ich lachte noch immer und stupste dabei leicht seine Hand an. „Schade, ja … Vielleicht hätte ich Dich dann irgendwann einmal als Kunde gehabt.“ Craig blickte kurz auf die Uhr – und stieß einen langen Seufzer aus. „Ich muss los. Meine Kurse beginnen gleich.“ Ich beugte mich ein wenig vor, um auf das Ziffernblatt seiner Uhr sehen zu können. 14.10 Uhr. „Es tut mir leid, dass ich Dich so lange aufgehalten habe, Craig.“ Er winkte ab und langte in seine Manteltaschen, um einen Schein hervorzuziehen. Diesen legte er auf den Tisch und nickte der vorbeieilenden Kellnerin zu – diese verstand und lächelte. Ich zog auch ein wenig Kleingeld aus meiner Tasche hervor, doch Craig winkte ab. „Ich bezahle. Schließlich bin ich heute Morgen zu spät gekommen.“ Ich lief rot an, senkte den Kopf und steckte das Kleingeld in die Tasche zurück. Dann zog ich mir meinen Mantel über, trank noch schnell den letzten Schluck Cafe und schlang mir die Umhängetasche um. Craig zog sein Handy hervor und lächelte mich, unglaublich unschuldig, an. Ich erwiderte dieses Lächeln, kramte in den Taschen nach meinem Handy – 5 Minuten später hatten wir unsere Nummern ausgetauscht. „Ich melde mich bei Dir, Jana.“ Er berührte mich kurz an der Schulter, drehte sich dann um und verließ vor mir das Cafe. Lächelnd blickte ich ihm hinterher – das Handy fest mit der Hand umklammert.
 



 
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