Begegnung

17.21 Uhr, mein Zug fuhr ab. Mit klopfendem Herzen sass ich alleine in einem Abteil und hörte Musik. Meine Gedanken kreisten sich nur noch um eines. Ich wollte mich nicht darauf freuen, hatte Angst, dass dieses Treffen meine Hoffnungen nicht erfüllen wird. Schon zu oft wurde ich wegen meinen zu grossen Erwartungen enttäuscht, doch trotzdem sass in einer kleinen Ecke in meinem Herzen noch ein Funke. Ich hoffte, dass auch in seinem Herzen ein solcher kleiner Lichtblick wohnte und sie sich durch unser Treffen noch einmal entfachen könnten. Als mein Zug in den Bahnhof einfuhr, sah ich, dass seiner schon da stand. Schlecht vor Aufregung machte ich mich vorsichtig auf den kurzen Weg zu seinem Gleis. Doch ich konnte ihn schon vorher bei den Fahrplänen entdecken. Er hat wohl nachgeschaut, wann ich ankomme, denn als er mich gesehen hatte, meinte er, ich käme doch eigentlich viel später an. Da stand ich also vor ihm. Ich weiss nicht, in wie vielen Träumen ich mir diese Situation schon ausgemalt hatte. Wir wussten beide nicht so recht, wo wir unsere Blicke nun hinwenden sollten. Unsere Begrüssung fiel mit einem Kuss aus, der halb auf die Wange, halb auf die Lippe war. Es war eine merkwürdige Stimmung zwischen uns. Wie das Wetter glich sie einem schwülen Sommertag. Die ersten beiden Stunden waren wir eher still. Jeder in sich gekehrt. Ich glaube, nicht nur ich suchte krampfhaft nach einem Gesprächsthema. Doch seit unserer Trennung überlege ich zuerst immer Minuten, bis ich etwas sage oder eben auch nicht. Als er dann seine Pizza am essen war und ich nicht wusste, ob ich ihm nun zuschauen soll oder nicht, meinte er zu mir, ich dürfe schon was sagen. Aber was? Ich erwiderte, dass ich Angst habe, ihn zu langweilen und etwas Falsches zu sagen. Das Zweite verstand er nicht, also wiederholte ich es nochmals. "Nein, da brauchst du dich nicht zu fürchten!", war seine Antwort. Noch eine Weile später dachte ich über diesen Satz nach. Weswegen brauchte ich davor keine Angst zu haben? Weil seine Gefühle für mich auch noch da sind? Ich fragte nicht nach. Langsam machten wir uns auf den Weg zum Openair-Konzert. In diesem Gewühl wurden wir immer wieder gezwungen, uns zu berühren, doch ich empfand es eher schön als mühsam. Im Publikum kam eine geniale Stimmung auf und auch bei uns wurde es etwas lockerer. Vielleicht lag es am Sommerregen, der dann fiel. Wir beide fanden es spitze, dass es regnete, nur alle andern klappten ihre Schirme auf oder flüchteten unter Bäume. Immer wieder schauten wir uns an und als wir beide auf dem Geländer sassen, berührten sich unsere Hände. Ich entschuldigte mich bei ihm, weil ich nicht wusste, ob ihm dies unangenehm war, doch er meinte nur, es sei nicht schlimm. So blieben unsere Hände an Ort und Stelle. Am liebsten hätte ich seine Hand in meine gelegt, doch ich wollte nichts zwischen uns kaputt machen. Ich hatte das Gefühl, er komme mir immer näher, auch seelisch. Vor allem, als die Band langsamere Lieder spielte. In mir kam dieses Verlangen nach seiner Nähe auf und irgendwo konnte ich es auch bei ihm spüren. Nachdem das Konzert fertig war, begaben wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Noch immer regnete es in Strömen. Wir beide liefen mitten im Regen, während die meisten unter den Häusern Schutz suchten. Durch die Nässe begann ich zu frieren und obwohl er nur noch ein Shirt unter seinem Pullover trug, legte er ihn mir über meine Schultern. Ich drückte ihn so fest an mich, wie es nur ging. Er hätte zwar vor mir einen Zug nach Hause gehabt, doch da meiner erst später fuhr, wollte er mich nicht alleine warten lassen. Sagte zwar zu ihm, er könne schon gehen, obwohl ich ihn noch lieber an meiner Seite gehabt hätte. Zu meiner Freude aber auch Überraschung blieb er bei mir. Ich setze mich irgendwo zusammengekauert hin und schlang seinen Pulli eng an mich. Er stand etwas weiter entfernt vor mir und schaute mich immer wieder an. Ich hoffte, er würde zu mir kommen und mich umarmen, damit ich nicht mehr frieren musste. Auf einmal kam er näher und fragte mich nur, ob es mir gefallen hätte. Ich weiss nicht recht, doch mir kam es so vor, als ob er mich auch gerne umarmt hätte, aber sich nicht getraute. An einer Freundin hatte er zwar am Telefon, welches schon einen Monat zurückliegt gesagt, er empfände nur noch Freundschaft für mich, doch seit diesem Abend glaube ich ihm dies nicht mehr wirklich. Er hätte mir den Pullover sicher nicht gegeben und auch jeglichen Körperkontakt so weit wie möglich vermieden, wenn da nicht noch etwas wäre. Dies sind natürlich nur Spekulationen, doch ich hoffe es so sehnlichst. Er hat mich dann noch bis zu meinem Gleis begleitet. Wir standen da und wussten nicht recht, wie dieser Abschied nun ausfallen würde. Schauten uns an, redeten irgendwelche Dinge. Ich musste mich in diesem Moment beherrschen, dass ich ihn nicht umarmt habe. Hielt es kaum noch aus, einfach so neben ihm zu stehen. Er gab mir dann einen Kuss auf die Wange, streichelte meinen Arm und ging. Ich konnte ihn nicht mehr anschauen, sondern lief sofort los. Am liebsten hätte ich geweint. Ich weiss nicht, was es so schwer machte. Ob es die unerreichbare Liebe, diese Ungewissheit, ob es nicht doch noch was ist, die Sehnsucht oder sonst was war. Im Zug starrte ich ununterbrochen auf den Boden und obwohl mich gewisse Leute komisch angeschaut hatten, wendete ich meine Blicke nicht weg. Musste irgendwo hinschauen, meine Augen irgendwo fesseln. Schon nach den ersten paar Minuten ohne ihn fühlte ich mich noch leerer als zuvor. Auf eine gewisse Weise bereute ich, dass ich ihn nicht umarmt habe. Auch wenn er es nicht gewollt hätte, ich hätte dann wenigstens gewusst, woran ich bin. Ich hätte ihn entweder "gewonnen" oder es wäre so geblieben, wie es die letzen beiden Monate zwischen uns war...
 



 
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