Begegnung

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K.F.Bean

Mitglied
Begegnung

Es ist früh am Morgen und ich gehe die Strasse hinunter. Allein. Der Himmel ist schwarz und im Osten ist nichts, was auf einen baldigen Tagesanbruch hindeutet.
Ich nehme einen tiefen Zug von meiner Lucky Strike und drehe mich um. Hinter mir ist niemand, genau so wenig wie vor oder neben mir. Ich bin allein.
Der Rauch strömt aus meinen Lungen und zerteilt sich vor meinen Augen in zwei graublaue Schlangen, die in den Nachthimmel aufsteigen und schließlich verschwinden.
Ich muss lächeln. Mit welcher Eleganz und Leichtigkeit sich etwas bewegen kann, dass mich auf Dauer umbringt. Man weiß nie, was für einen gut ist. Und wenn man es weiß, ist es meist zu spät.
Um die Laternen liegt ein sanfter Dunstschleier, der das Orange des Lichts in ein schmutziges Gelb verwandelt. Noch immer ist niemand hier außer mir.
Es ist kalt und auf dem Pflaster hat sich eine dünne Reifschicht gebildet. Wenn man nicht aufpasst, fällt man. Ich falle oft. Auch wenn ich meine aufzupassen.
Ein Blick auf die Uhr, die Bahn wird bald da sein. Ich werfe die halb aufgerauchte Zigarette
weg. Verdammt, warum bringe ich nie etwas zu Ende.
Ich fange an, das Lied vor mich hinzusummen, dass ich zuvor zu Hause gehört habe. „...I’m not like them, but I can pretend ...“ Ich mag Nirvana. So intensive Songs. Aber dermaßen verwirrt…manchmal bin ich das auch. Oft sogar.
Während ich vor mich hinsumme, tritt von hinten jemand an mich heran. Ich bemerke ihn erst, als er neben mir steht. Langsam und unauffällig drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Ich meine ihn zu kennen...plötzlich schaut er mich an, und ich weiß es.
Sein Blick durchdringt mich und ich beginne zu zittern. Verdammt, er merkt es. Er schaut nach vorn und holt tief Luft. Etwas in mir explodiert. Es dämmert im Osten. Die Laternen strahlen hell. Der Rauch verfliegt. Die Straße beginnt zu leben, als er mich nach meinem Namen fragt.
 
T

Tabasco

Gast
...

Wow!

Echt. Find ich wirklich sehr gelungen. Ich mag's total, wenn Geschichten ziwschen all ihrer Melancholie immernoch einen kleinen fragwürdigen Pukt offen lassen, der vielleicht Hoffnung spenden kann. Außerdem find ich's klasse, wenn man es schafft, hindurch durch Traumwelten und seelischer Verwirrung noch Realitätsbewusstsein und Kleinigkeiten des eigenen oder bekannten Alltags einzubinden, um vermuten zu lassen, dass eben die beschriebene Situation auch im realen Leben auf jeden einzelnen in dieser Stimmung zutreffen kann. Das wirkt.

Und ganz abgesehen davon, find ich's total gut, dass du eine nicht so theatralische Erzählweise hast, wenn du depressive Stimmungen zum Ausdruck bringst.

Ist ja wie immer nur meine eigene Meinung, aber mir gefällts sehr.

Ich habe auch mal was ähnliches geschrieben. Ist vielleicht nicht eine meiner besten Geschichten, auch so vom Ausdruck her, aber thematisch passt die ziemlich zu deiner, glaube ich...
Hast sie ja vielleicht auch schon mal hier gelesen. Wenn nicht:

Das ist sie:


Ein nächster letzter Herbst...

Die Musik ist laut. Zu laut. In meinem Haar spiegelt sich das reflektierende Licht der Stroboskope wider, erzählt man mir später. Hier drin bemerke ich den Anfang des Herbstes kaum. All die Stille, die der Oktober für mich bereit halten wird, scheint jetzt so bedeutungslos. Ich weiß, dass ich leiden werde. Und ich freue mich darauf. Irgendwann werde ich raus gehen, durchgeschwitzt. Dann werde ich atmen und mir ist klar, was ich dabei fühlen werde. Vorhin als ich ankam, hatte ich schon einen Hauch dieses Gefühls zu spüren bekommen und schwelgte in düsteren, dennoch warmen Erinnerungen. Diese werden mir in ein paar Stunden noch bewusster sein. Der Alkohol wird seinen Nutzen für meine Gefühle verändern und mich in Depressivität fallen lassen. Die Blätter rascheln dann wieder unter meinen Springerstiefeln und der Wind bläst unaufhaltsam Todestöne durch die Schlupfwinkel meiner schwarzen Kleidung. Alles bunte wird im Nebel des Morgen grau erscheinen und alles helle einen unübersehbaren Schatten auf die asphaltierten Gehwege werfen. Ich werde nach Hause laufen müssen. Die Strecke ist lang genug, um über vieles Nachzudenken und mich am Ende des Weges zu tiefer Emotionalität zu bewegen, die dazu führen wird, dass ich mich wie letztes Jahr auf die Stufen meiner Eingangstreppe setzen, eine Zigarette rauchen und weinen werde. Niemand wird mich dann festhalten. Und irgendwann, ein paar halbe Stunden später, werde ich mich wieder soweit gefangen haben, um das Haus zu betreten, mich ausziehen und letztendlich schlafen gehen zu können. Ich werde an dich denken, vor dem Einschlafen. Vermutlich werde ich dann noch mal weinen, bevor ich das Bewusstsein verliere.

Am nächsten Morgen werde ich erwachen. Alles wird so kalt sein, wie in der Nacht zuvor. Ich schmeiße mich dann sicher in meinen Bademantel und durchstreife das Haus geisterähnlich nach etwas Essbarem. Ich werde fündig werden. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir dann die Uhrzeit. Ich habe viel zu lang geschlafen. Die erste Zigarette des Morgens wird folgen. Ich öffne das Fenster und atme, ganz tief. Schon wieder dieser Geruch. Schon wieder all diese Erinnerungen. Ich werde hassen und lieben. Im Fernsehen kommt nur Müll. Die Abende beginnen früher, das Tageslicht verschwindet schnell. Kerzen durchleuchten das Haus und aus kleinen Duftflaschen tröpfeln mysteriöse Gerüche in die dafür vorgesehenen Schalen und lassen nur wenig später das ganze Umfeld in einer melancholischen Atmosphäre erscheinen. Ich werde dann sehr traurig sein, fast hoffnungslos. Dann beschließe ich, die Arbeit zu kündigen, hinterfrage den Sinn meiner Existenz, immer und immer wieder, um abermals festzustellen, keinen Ausweg zu finden. Ein Teufelskreis wird meinen Kopf durchschweben und lässt mich leiden. Frühzeitig geh ich dann wieder zu Bett, um Ruhe vor den eigenen Gedanken und Gefühlen zu haben. Ich freue mich auf den Schlaf, der so schnell nicht eintreten wird, da ich trotz meiner Lebessunlust und Trägheit keinerlei Müdigkeit verspüre. Vielleicht klingelt dann das Telefon. Vermutlich ziehe ich den Stecker, um allein zu sein. Nachts, ich schlafe noch immer nicht, beginnen dann erste vereinzelte Schneeflocken vom Himmel zu rasseln. Im Wohnzimmer des Nachbarn erkenne ich einen Schwippbogen und Weihnachtsbeleuchtung. Ungläubig schüttle ich den Kopf. Irgendwann schlafe ich wieder. Alpträume plagen mich. Du wirst darin vorkommen. Du wirst mich retten, unbewusst. Du erkennst mich nicht.
Nach dem Aufwachen werde ich mir ein Messer nehmen und mit 2 Schnitten an meinen Pulsadern, diesem Leben ein Ende setzen.

Doch zur Zeit, zur Zeit stehen wir hier und tanzen. Wie wild tanzen wir. Wir lächeln uns an. Das Licht der Stroboskope spiegelt sich auch in deinen Haaren wider. Und ich glaube, diesmal könnte es etwas ernstes werden.

Tabasco 2002


Nun ja...Geschichten entstanden aus Emotionen würd ich sagen *g* ...da verbindet wohl jeder etwas ganz persönliches mit. Aber die verschiedenen Betrachtungsweisen machen das Ganze ja auch erst wirklich spannend, denke ich.

Wie auch immer....hast ne echt schöne Geschichte geschrieben! Würde mich freuen, noch mehr von dir zu lesen!

Grüße,

tab
 



 
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