Begegnung

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zeitzi

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Begegnung

Es war Sonntagmorgen. Herrlicher Sonnenschein und ideales Fotowetter.
Ich packte die Kamera ein. Ein Fotomotiv hatte ich mir schon ausgesucht. Ich wollte ein bizarres Felsengebirge fotografieren. Der beste Standpunkt hierfür war auf dem offenen Wohngelände einer Anstalt für geistig Behinderte. Hier stellte ich gleich vorn auf dem Parkplatz mein Auto ab. Beim Durchschreiten der Anlage bemerkte ich einen Mann vor einem der schmucken Häuser. Er saß in der warmen Sonne auf einem Stuhl und hielt ein großes Kofferradio, aus dem laute Schlagermusik erklang, in seinen Händen. Obwohl er nur auf sein Radio schaute und die Musik ziemlich laut war, bemerkte er mich. Freundlich grüßte dieser mir völlig unbekannte Mann mich sogleich und winkte mir dabei kurz zu, wie einem alten Bekannten. Nachdem ich meine Fotos gemacht hatte, kam mir ein junger Pfleger mit geistig und körperlich stark Behinderten entgegen. Während eines kurzen Gesprächs mit dem Pfleger merkte ich die unbekümmerte und ausdrucksstarke Freude dieser drei Pflegefälle mir gegenüber. Wir, die sogenannten Normalbürger, zeigen Fremden gegenüber stets eine gewisse Vorsicht und Distanz. Ich ging weiter. Kurz vor meinem Auto traf ich auf zwei weibliche Personen. Der einen sah man ihre Behinderung sofort an. Sie mußte von der anderen geführt werden. Diese andere sprach mich sogleich freundlich an. Sie sagte „wie geht es dir“, vor zwei Wochen war schon einmal ein Mann mit Fotoapparat hier. Dann erklärte sie mir, daß das Mädchen neben ihr blind sei. Sie bat mich, doch bitte ein Foto zu machen. Ich wußte nicht so recht, wie ich mich verhalten sollte und erklärte ihr, der Film sei leider schon voll. Auf die Frage, warum sie hier sei, meinte sie traurig „Ich habe doch niemanden mehr“ und weiter „ich bin schon ein Jahr hier, aber ich habe große Sehnsucht nach Hause. Wir verabschiedeten uns. Ich fuhr nach Hause. Hier mußte ich noch eine ganze Zeit an dieses Erlebnis denken.
 



 
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