Begegnung in Deutschland

Begegnung in Deutschland im Jahr 2005

Wie immer saß Bert nicht mit, sondern gegen die Fahrtrichtung an diesem Freitag Abend im Nahverkehrszug. Er tat das schon aus Gewohnheit, selbst wenn wie jetzt viele Plätze frei waren. Den ganzen Zug, der aus einem einzigen langen Wagen bestand konnte er so überblicken. Und er wollte wie immer möglichst lange alleine sein auf seiner Zweierbank, die mit der Gegenüberliegenden eine Sitzgruppe bildete. Grundsätzlich bevorzugten die Leute erst einmal die Plätze in Fahrtrichtung.

Draußen lag die Dunkelheit. An einer Haltestelle stieg eine Gruppe junger türkischer Männer ein. Ausgehmäßig gestylt. Alle wohl so um die zwanzig. Sie verteilten sich auf mehrere freie Sitzgruppen, brauchten viel Platz, saßen breitbeinig und unterhielten sich laut und angeregt, aber nicht zu laut, über mehrere Bänke hinweg. Zwei Haltestellen weiter stieß eine weiterer Trupp junger Türken dazu. Man kannte und begrüßte sich, nicht überschwänglich, aber selbstverständlich und ohne Ausnahme mit gegenseitiger Berührung der Wangen. Es dauerte eine Weile bis alle durch waren.

Bert gefiel dieses Bild. Man meinte den Stolz und das Selbstbewusstsein dieser jungen Leute zu spüren, die sich ohne Scheu auf ihre Art und Weise in der Öffentlichkeit begrüßten. Kultur, Tradition, strenge aber doch familiäre Bindung und Kultur strahlte es aus. Und es gefiel Bert, dass es hier in diesem Land möglich war und geschah, dass sie so leben konnten. Auch er gehörte zu diesem Land. Für einen Moment versuchte er sich vorzustellen wie eine Zusammentreffen deutscher junger Männer aussehen würde. Ein Hordentreffen.

Einige Haltestellen weiter stiegen die jungen Türken aus. Es wurde ruhiger. Der Zug war jetzt bis auf wenige ältere Frauen, die wahrscheinlich von ihrer Arbeit vielleicht als Verkäuferin kamen, leer. Einige deutsch, einige ausländisch Herkunft.

Die jungen Männer draußen hatten offensichtlich alle das gleiche Ziel. Sie liefen als Pulk noch auf der Haltestelle einige Meter neben der Bahn, die gerade anfuhr, her. - Plötzlich, ein Schlag. Sehr laut, aber nicht unmittelbar. Man wusste sofort, dass war nur draußen. Einer musste mit dem Fuß gegen den gerade anfahrenden Wagen getreten und einen ziemlichen Knall verursacht haben. Aber nichts besonderes geschah. Keine der Frauen zuckte merklich zusammen, fing an sich zu empören oder drehte zumindest den Kopf um nach draußen zu blicken. Keiner der Türken vor den Fenstern lief davon oder lachte spöttisch, weil er einen Streich gespielt hatte. Sie blickten sich auch nicht untereinander an. Es war ihnen unwichtig wer es getan hatte. Sie gingen einfach weiter neben der Bahn entlang und schauten stumm zu den vorbeihuschenden Fenstern herein. Auch der Fahrer unterbrach seine Fahrt nicht. Er hielt nicht an um den Kopf aus dem Fenster zu strecken und mit den Kerlen zu schimpfen. Es war alles normal. Wie wenn es den Knall nicht gegeben hätte.

Bert hatte den Atem angehalten. Er erschrak über die Selbstverständlichkeit mit der nichts geschah. Aber gleich schien es ihm, als ob alle unausgesprochen wussten warum.
 



 
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