Begegnungen... oder doch nur... paranoid?

Nicki

Mitglied
„Vorsicht Bahngleis 2, Zug fährt ein!“ plärrt mich eine mir gut bekannte Stimme aus den Lautsprechern an. Schon ewig bin ich nicht mehr in einem öffentlichen Massentransportmittel gesessen. Ich genieße seit Jahren die bequemere und weniger nervenaufreibende Art um mich fortzubewegen. Es lebe das Auto! Halleluja! Zu bestimmten Anlässen ist man aber gezwungen sich am Bahnsteig rumschubsen, den Körper zerquetschen zu lassen, sich mühevoll in die S-Bahn zu drängen und sich mit der Masse ins Wageninnere weiterschieben zu lassen. Tausend Eindrücke schwirren auf mich ein... und Gerüche. Oder soll ich lieber Gestank sagen? Eine wirre Mischung aus hunderten von Parfum’s, Rasierwässerchen, Leberkässemmeln oder die bei Jugendlichen beliebten Laberln eines renommierten Systemgastronomen. Buäähhh! Na, das fängt ja schon mal gut an.

Tausend verschiedene Wortfetzen drängen sich in meinen Gehörgang. Nein! Meine Ohren werden vergewaltigt! Egal. Stimmen werden kreiselförmig in mein Gehirn gezogen. Ich kann mich nicht wehren. Hilfe! Stimmen die kreischen, jammern, sich ärgern oder streiten, piepsen oder heulen. Stimmen die echt cool sind, oder gerne wären. Stimmen die fachsimpeln, philosophieren oder einfach nur dumm reden. Wo ist mein Auto?? Ah ein Sitzplatz! Nun beginnt der Kampf, wie an einem Wühltisch mit 3 Paar Socken um 9.90.- Geschafft! Tatsächlich. Ich sitze. Jubel! Vielleicht ein bisschen aus dem Fenster schauen und die Fahrt doch noch genießen?

Links neben mir ein etwa 12-jähriger Junge, der sich mit seinem Freund, der neben ihm steht unterhält. „Hast Du schon das neue Spiel von ...blablabla... ?“ .. “Nööö. Du etwa?“ .. „Logisch! Das ist Supa-mega-geil! Musst Du Dir unbedingt holen!“ .. „Mein Pc funktioniert momentan nicht. Festplatte eingegangen. Darf aber den Laptop von meinem Vater benutzen, der kennt sich damit sowieso nicht aus. Letztens erst habe ich ihm das ganze Windows neu installiert, weil er wieder mal Systemdateien gelöscht hat.“ Vorsichtig und unauffällig drehe ich mich zu den Jungs um. Man hat ja ein bestimmtes Bild im Kopf, von solchen Kindern... Pullis mit viel zu kurzen Ärmeln in grausigen Grün, Riesenbrille, wie Puck, die Fliege, Schultasche noch aus der Volkschulzeit... Oh, Überraschung. Hypermoderne Baggy-Pants, also Hosen deren Schritt in den Knien hängt, Übergrosser Kapuzenpullover, Turnschuhe, (Verzeihung! Sneakers, natürlich.) und zuguterletzt, Eastpack-Rucksack mit tausend Unterschriften leidgeprüfter Schulkollegen und anderen unerkennbaren Dingen, die dran rumbaumeln. So kann man sich täuschen.

Mir gegenüber sitzt eine alte Frau. So eine, wo man sich denkt, Sie wäre eine liebevolle um ihre Enkel treusorgende Oma, die keine Ahnung von der modernen Jugend hat. Brauner langer Rock, mit einem schon längst abgelaufenen Haltbarkeitsdatum. Dazupassende Bluse, im aufregenden Blumenmuster. Sticht ein wenig im Auge. Das Ganze inklusive Mottengeruch, versteht sich. Mit einer für ältere Damen typische Dauerwelle. Die, womit jede so ziemlich gleich ausschaut oder zumindest so, als hätten sie alle den selben Friseur. Natürlich mit der Haarfarbe, wo so ein grau-lila Schimmer über der weissen Haartracht glänzt. Die Dame mustert mich. „Schauen Sie auch Taxi Orange?“, fragt Sie mich plötzlich. Völlig verwirrt und erstaunt über so modernes Wissen, grummel ich nur ein mhm daher. „Und was ist mit Big Brother?“, fährt Sie fort. „Also, letztens da haben der Walter und die.... blabla... blabla.... Und schon bin ich in dem Sog einer einsamen Frau und ihres Geschwafels gefangen. Hoffentlich steigt Sie bald aus.

Neben der Blumengemusterten und nach Mottenkugeln riechenden alternden Pensionistin, sitzt ein gepflegter Herr. Mit Aktenkoffer. Und Handy. Schaut sehr wichtig aus. Eigentlich so, als würde er einen aufregenden und sehr Geldbringenden Beruf haben. Kredithai, vielleicht? Oder Immobilienmakler? Primararzt der inneren Abteilung des allgemeinen Krankenhauses? Nein. Bestimmt nicht. Da hätte er einen Chauffeur. Ganz sicher. Drogenkurier? Mafiaboss? Undercoveragent, oder doch vielleicht nur....

Er schaut mich so komisch an! Oh mein Gott! In seinem Aktenkoffer hat er bestimmt ein zu vierundzwanzig Teilen zerlegbares Automatik-Maschinengewehr.
Wo ist mein Auto??
Meine Station! Gott sei Dank. Er hat meine Gebete erhört.
Heim, fahre ich mit dem Taxi. Ganz sicher!
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo nicki,

ich wollte gerade etwas von maßloser Übertreibung schreiben, da fiel mir ein, dass ich schon seit vielleicht 15 Jahren keine S- oder U-Bahn mehr benutzt habe. Also halte ich mich als notorischer Autofahrer mit meiner Kritik zurück und sage einfach: "Hübsch geschrieben - es fehlt nur ein wenig die Handlung."
Eine Frage noch am Rande: Woher kennst Du, als Nichtbenutzer der öffentlichen Verkehrsmittel die Stimme aus dem Lautsprecher? Vielleicht hätte die Antwort auf diese Frage auch noch ein wenig Spannung in die Sache gebracht.

Gruß Ralph
 

Nicki

Mitglied
uhm..

Oh.. stimmt. Dachte ich nicht dran.. wenn man in Wien wohnt weiss man das.. :) die geheimnisvolle Stimme aus den Lautsprechern ist eine bei uns sehr bekannte Fernsehmoderatorin *gg* ja.. und es ist maßlos übertrieben :) Da muss ich Dir recht geben :)
 
G

Guest

Gast
Hallo Nicki!

Ich musste richtig schmunzeln, als ich Deine Geschichte gelesen habe. Sie dient hervorragend als letzte Entscheidungsbrücke, ob man sich doch nun mitten in der Stadt ein Auto kaufen sollte, oder lieber die "Offentlichen" nehmen sollte. Ich wette: jeder entscheidet sich für das Auto. Deine Story könnte man auch gut vor einem Autohaus in Großbuchstaben aufhängen. Das zieht Kunden an :)
Also im Ernst, haste gut gemacht! (... und jetzt geh ich mein Auto volltanken)! :)

Viele Grüße,
GUIDO
 



 
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