Sie saß an der Bar - wie jeden Abend - und trank einen Martini - wie jeden Abend, um nicht nach Hause gehen zu müssen. Es war eine jener Upperclass-Bars, in die es die Yuppies nach ihrem 14 Stunden Tag in der Multimedia-Branche verschlägt, damit sie sich mit ihrem Chef, der nur wenig älter ist, zulaufen lassen können.
Theoretisch gehörte auch sie hier her. Sie war jung und erfolgreich im Beruf - aber sie hatte ein Kind. Und sie wollte nicht nach Hause. Bis sie dann nach Hause kam schlief das Kind meist. Eine Nanny passte tagsüber auf es auf. Es war noch sehr jung. Jung genug um eine Mutter dazu zu bewegen nicht arbeiten zu gehen. Aber bei ihr war das anders.
Der dunkele Mann betrat die Bar, als sie ungefähr die Hälfte ihres Martinis getrunken hatte. Er war dunkel - ein anderes Wort dafür viel ihr nicht ein. Dunkel und Durchschnitt. Dunkele Kleidung, dunkele Haare, durchschnittliche Größe, durchschnittliches Gewicht. Als er die Bar betrat brachte er die Herbstluft von draußen mit. Sie spürte einen Schauer - sie saß stets dicht bei der Tür. Der dunkele Mann sah gut aus. Er betrat die Bar und wurde nicht langsamer - er hielt nicht inne um sich nach einem freien Platz umzusehen er ging Zielstrebig auf sie zu. Das fand sie komisch. Nicht beunruhigend. Sie wurde nervös, als er sich auf den Platz neben sie setzte. Er zog noch nicht einmal seinen Mantel aus. Sie spürte wie ihre Handflächen feucht wurden. Nicht richtig feucht - die Art von penetranter Feuchtigkeit, deretwegen man sich beim Händeschütteln schämt, obwohl der andere sie gar nicht wahrnimmt.
\"Was machen Sie hier?\"
Hatte er sie gerade angesprochen. Sie war sich nicht sicher. In der Bar war es geräuschvoll. Kein Lärm - nur zu laut um sich sicher zu sein, dass man angesprochen wurde. Sie riskierte es und sah ihn an.
Seine Augen waren dunkel. Nicht die Farbe selber - sie sah die Farbe nicht einmal - die Augen waren dunkel. Sein Gesicht war fein geschnitten. Jede Partie des Gesichtes hatte die richtige Größe. Es war eines von jenen Gesichtern, die man sich nicht wieder vor Augen rufen kann, wenn man die Person nicht sieht. Es war zu normal. Sie bekam Angst.
\"Was machen Sie hier?\"
Dieselbe Frage. Sie klang genauso wie beim ersten Mal. Wieder war sie sich nicht sicher. Sie musste es riskieren zu antworten.
\"Was?\"
Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
\"Warum sind sie nicht zu hause bei ihrem Sohne?\"
Jetzt hätte sie erschrecken sollen. Sie wusste es - aber sie tat es nicht. Woher wusste er von ihrem Kind? Wer war er?
\"Ich...\"
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war sprachlos. Es war als würde alles was sie war und konnte keine Rolle mehr spielen - als wäre sie nur eine Person in einer Kommunikation.
\"Sie gehen nicht mehr nach Hause.\"
Sogar seine Stimme war dunkel.
\"Ich gehe jeden Abend nach Hause!\"
Die Banalität dieses Satzes - jedes einzelnen Wortes erschreckte sie.
\"Erst wenn ihr Sohn schläft. Dann ist es kein zu Hause mehr.\"
Das war wahr. Am Anfang hatte sie es nicht wahr haben wollen. Sie hatte sich gesagt, dass sie jung war und ihr Leben noch ein wenig genießen wollte. Es war eine Ausrede gewesen. Eigentlich war sie noch nicht einmal gerne in dieser Bar.
\"Ich...\", ihr fiel nichts mehr ein, sie musste es sagen \"mein Mann er...!\"
Er nickte: \"Sie tragen daran keine Schuld.\"
Sie sah ihn an. Das wusste sie natürlich. Ihr fiel auf, dass sogar die Stimme des Mannes dunkel war.
\"Er ist tot.\" Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte - warum sie überhaupt mit dem Mann ihr gegenüber redete.
Er nickte wieder: \"Ein Autounfall.\"
Sie redete weiter: \"Er und sein Bruder... beide...\"
Der Mann sah sie einfach weiter an. Der Moment war fern jeder Beschreibung. Wie ein kleines Gefühl tief in einem drin. Klein und unruhig aber man bekommt es nicht zu fassen.
\"Sein Bruder wollte mit Ihrem Mann an jenem Tag reden. Über etwa bestimmtes. Ihr Sohn hat seinen Vater nie kennen gelernt - und dessen Bruder auch nicht.\"
Sie fragte sich nicht einmal woher der Mann ihr gegenüber das alles wusste. Sie fühlte sich wie ein Eimer der Farbe, der an eine Wand geschüttet wurde: Sie tropfte langsam dem Boden entgegen - sie zerlief. Sie fühlte sich einsam und...
\"Dafür können sie nichts!\"
..verlassen und traurig. Unendlich traurig.
\"Und ihr Sohn kann dafür auch nichts. Gehen Sie nach Hause. Gehen Sie zu Ihrem Sohn!\"
Der Mann stand auf, drehte sich um und verließ die Bar in jener absoluten Art der Zielstrebigkeit, in der er sie betreten hatte.
Sie starrte weiter vor sich hin. Eine Ewigkeit später begann sie sich wieder zu bewegen. Die Muskeln funktionierten noch.
Sie bezahlte und ging nach Hause zu ihrem Sohn. Dem Sohn des toten Bruders ihres toten Mannes. Sie war - in dieser Yuppie-Bar - zu Hause angekommen.
Theoretisch gehörte auch sie hier her. Sie war jung und erfolgreich im Beruf - aber sie hatte ein Kind. Und sie wollte nicht nach Hause. Bis sie dann nach Hause kam schlief das Kind meist. Eine Nanny passte tagsüber auf es auf. Es war noch sehr jung. Jung genug um eine Mutter dazu zu bewegen nicht arbeiten zu gehen. Aber bei ihr war das anders.
Der dunkele Mann betrat die Bar, als sie ungefähr die Hälfte ihres Martinis getrunken hatte. Er war dunkel - ein anderes Wort dafür viel ihr nicht ein. Dunkel und Durchschnitt. Dunkele Kleidung, dunkele Haare, durchschnittliche Größe, durchschnittliches Gewicht. Als er die Bar betrat brachte er die Herbstluft von draußen mit. Sie spürte einen Schauer - sie saß stets dicht bei der Tür. Der dunkele Mann sah gut aus. Er betrat die Bar und wurde nicht langsamer - er hielt nicht inne um sich nach einem freien Platz umzusehen er ging Zielstrebig auf sie zu. Das fand sie komisch. Nicht beunruhigend. Sie wurde nervös, als er sich auf den Platz neben sie setzte. Er zog noch nicht einmal seinen Mantel aus. Sie spürte wie ihre Handflächen feucht wurden. Nicht richtig feucht - die Art von penetranter Feuchtigkeit, deretwegen man sich beim Händeschütteln schämt, obwohl der andere sie gar nicht wahrnimmt.
\"Was machen Sie hier?\"
Hatte er sie gerade angesprochen. Sie war sich nicht sicher. In der Bar war es geräuschvoll. Kein Lärm - nur zu laut um sich sicher zu sein, dass man angesprochen wurde. Sie riskierte es und sah ihn an.
Seine Augen waren dunkel. Nicht die Farbe selber - sie sah die Farbe nicht einmal - die Augen waren dunkel. Sein Gesicht war fein geschnitten. Jede Partie des Gesichtes hatte die richtige Größe. Es war eines von jenen Gesichtern, die man sich nicht wieder vor Augen rufen kann, wenn man die Person nicht sieht. Es war zu normal. Sie bekam Angst.
\"Was machen Sie hier?\"
Dieselbe Frage. Sie klang genauso wie beim ersten Mal. Wieder war sie sich nicht sicher. Sie musste es riskieren zu antworten.
\"Was?\"
Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
\"Warum sind sie nicht zu hause bei ihrem Sohne?\"
Jetzt hätte sie erschrecken sollen. Sie wusste es - aber sie tat es nicht. Woher wusste er von ihrem Kind? Wer war er?
\"Ich...\"
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war sprachlos. Es war als würde alles was sie war und konnte keine Rolle mehr spielen - als wäre sie nur eine Person in einer Kommunikation.
\"Sie gehen nicht mehr nach Hause.\"
Sogar seine Stimme war dunkel.
\"Ich gehe jeden Abend nach Hause!\"
Die Banalität dieses Satzes - jedes einzelnen Wortes erschreckte sie.
\"Erst wenn ihr Sohn schläft. Dann ist es kein zu Hause mehr.\"
Das war wahr. Am Anfang hatte sie es nicht wahr haben wollen. Sie hatte sich gesagt, dass sie jung war und ihr Leben noch ein wenig genießen wollte. Es war eine Ausrede gewesen. Eigentlich war sie noch nicht einmal gerne in dieser Bar.
\"Ich...\", ihr fiel nichts mehr ein, sie musste es sagen \"mein Mann er...!\"
Er nickte: \"Sie tragen daran keine Schuld.\"
Sie sah ihn an. Das wusste sie natürlich. Ihr fiel auf, dass sogar die Stimme des Mannes dunkel war.
\"Er ist tot.\" Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte - warum sie überhaupt mit dem Mann ihr gegenüber redete.
Er nickte wieder: \"Ein Autounfall.\"
Sie redete weiter: \"Er und sein Bruder... beide...\"
Der Mann sah sie einfach weiter an. Der Moment war fern jeder Beschreibung. Wie ein kleines Gefühl tief in einem drin. Klein und unruhig aber man bekommt es nicht zu fassen.
\"Sein Bruder wollte mit Ihrem Mann an jenem Tag reden. Über etwa bestimmtes. Ihr Sohn hat seinen Vater nie kennen gelernt - und dessen Bruder auch nicht.\"
Sie fragte sich nicht einmal woher der Mann ihr gegenüber das alles wusste. Sie fühlte sich wie ein Eimer der Farbe, der an eine Wand geschüttet wurde: Sie tropfte langsam dem Boden entgegen - sie zerlief. Sie fühlte sich einsam und...
\"Dafür können sie nichts!\"
..verlassen und traurig. Unendlich traurig.
\"Und ihr Sohn kann dafür auch nichts. Gehen Sie nach Hause. Gehen Sie zu Ihrem Sohn!\"
Der Mann stand auf, drehte sich um und verließ die Bar in jener absoluten Art der Zielstrebigkeit, in der er sie betreten hatte.
Sie starrte weiter vor sich hin. Eine Ewigkeit später begann sie sich wieder zu bewegen. Die Muskeln funktionierten noch.
Sie bezahlte und ging nach Hause zu ihrem Sohn. Dem Sohn des toten Bruders ihres toten Mannes. Sie war - in dieser Yuppie-Bar - zu Hause angekommen.