Begegnungen mit dem Schicksal

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Alex Knov

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Er trat aus dem Starbucks, einen großen Kaffeebecher in der Hand, und knöpfte seinen grauen Mantel zu, um sich vor der Kälte zu schützen. Es war Winter, doch die Sonne schien zum Trotz umso stärker in sein Gesicht. Er nahm einen tiefen Atemzug der frischen Winterluft und genoss den Moment. Aus seinen Kopfhörern kam ruhige, traurige Musik, die von Schmerz und Depression handelte. Die meisten Menschen hörten, wenn überhaupt, solche Musik nur, wenn es ihnen furchtbar ging und sie schon eine halbe Flasche Wein auf hatten. Doch ihn erfüllte die Musik. Sie machte ihn weder traurig, noch glücklich. Sie erinnerte ihn an eine schwierige Zeit, die er glaubte, hinter sich gelassen zu haben.

Er stand mitten in einer Fußgängerzone, um ihn herum Cafés, Fastfood Restaurants und Elektroläden. Menschenmassen bewegten sich um ihn herum und waren doppelt so schnell wie er, doch das störte ihn nicht. Im Gegenteil. Er beschloss, bei dem guten Wetter den Park zu besuchen, in dem er früher immer nachgedacht hatte.

Als er gerade losgehen wollte, sah er sie. Mitten durch die Köpfe all der Menschen sah er sie. Mit ihm. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Die Menschen, die vorher doppelt so schnell waren wie er, bewegten sich nun in Zeitlupe, und sein Herz fing an zu rasen. Sein Gesicht färbte sich rot und er stand wie angewurzelt mitten vor der Tür des Starbucks, welches er soeben verlassen hatte. Tausend Gedanken auf einmal schossen ihm durch den Kopf, ein paar waren darüber, wie er eine Panikattacke verhindern konnte, der Rest über sie und ihre Vergangenheit.

Doch dann geschah es. Sie dreht ihren Kopf, ihren wunderschönen Kopf, um ein paar Grad nach links und sah ihn. Ihre Augen weiteten sich, als sie Blickkontakt aufnahmen, und ihr Blick veränderte sich. Es war der gleiche Blick wie damals, nach all der Zeit. Was sollte er tun?

Es war zu spät, sein Körper brach unter dem psychischen Druck zusammen und er drehte sich innerhalb von einem Bruchteil einer Sekunde, so kam es ihm vor, um und ging in die entgegengesetzte Richtung. Er bildete sich ein, ihre Stimme zu hören, die seinen Namen rief. Er drehte sich im Gehen um, fand ihr Gesicht in der Menschenmenge jedoch nicht wieder. Seine Schritte wurden schneller.

Er zitterte. Alles, was er sich die letzten Jahre angeeignet hatte, war für nichts. Er setzte sich auf eine Bank neben einer kleinen Kirche und versuchte, sich zu beruhigen. Er zählte. Vier Sekunden einatmen, sechs Sekunden wieder aus. Er hatte das Gefühl, er müsste sich übergeben und in Ohnmacht fallen gleichzeitig.

Er wusste alles über diese Situationen, was es zu wissen gab. Stunden und Wochen hatte er sich alle wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Bücher dazu durchgelesen. Damals hatte das alles so viel Sinn gemacht, doch jetzt gerade nicht. Er war erschöpft. Aus halbem Dilirium sah er hoch zu dem Kirchturm und erinnerte sich. Er war schon einmal hier gewesen. Damals, damals war er hier gewesen.

Eine Motivation, die er noch nie zuvor verspürt hatte, packte ihn und er rannte zurück. Zurück zum Café, zurück in die einengende Menschenmenge, zurück zu ihr. Panisch, doch nicht wirklich panisch, schaute er sich nach ihr um. Sie war nirgends zu sehen.

Er konnte nicht aufgeben, dies war seine Chance. DIE Chance! Die einmal im Leben Chance. Und er rannte weg wie ein kleines Mädchen, ein Schwächling der er war. Wut füllte seine Brust und er konnte sie nur mit Mühe in sich halten.

Doch da war sie! Sie kam aus einem der Geschäfte, guckte sich unsicher um, als würde auch sie nach ihm suchen. Vielleicht wünschte er sich das auch nur, doch sie war da.

„KATHY!“, rief er lauter als er es wollte.

Sie drehte sich um, sah ihn, und eine Spur von Freude zeigte sich auf ihrem Gesicht. Nur eine kleine, neben deutlicher Unsicherheit und Angst. Doch Freude war auch dabei, ein bisschen jedenfalls.

Er lief zu ihr und schaute sie an. Sie sah aus wie früher, wie an dem Tag, an dem er gegangen war. Sie war so wunderschön, und ihm wurde klar, wie sehr er sie vermisste. Seine Gefühle brachen in ihm zusammen, Panik, Freude, Depression, Liebe, alles wurde zusammengewürfelt und erzeugte einen Wirbelsturm in seinem Kopf, der kein klares Denken zuließ.

Doch er musste nicht klar denken, sein Kopf spielte keine Rolle, er war ausgestellt. Alles was in diesem Moment eine Rolle spielte war sie. Sie.

„Hey“, sagte sein Herz.
 

molly

Mitglied
Hallo Alex Knov,

ist mir aufgefallen:

"""Er wusste [blue]alles[/blue] über diese Situationen, was es zu wissen gab. Stunden und Wochen hatte er sich [blue]alle [/blue]wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Bücher dazu durchgelesen. Damals hatte das [blue]alles[/blue] so viel Sinn gemacht, """

"""Panisch, doch nicht wirklich panisch"""

Viellleicht findest du ein anderes Wort, das so ähnlich wie panisch ist, mit dem du aber ""doch nicht wirklich panisch ""
weg lassen kannst.

"""Und er rannte weg [strike]wie ein kleines Mädchen[/strike], ein Schwächling der er war.

Vielleicht: Er rannte weg, fühlte sich wie ein Schwächling und Wut...

Nun wünsche ich Dir einen schönen Adventsonntag

Viele Grüße

molly
 

Homosapiens

Mitglied
Hallo Alex Knov, Deine "Begegnung mit dem Schicksal" macht sprachlich nach der geruhsamen,durchdachten Einleitung die Kehrtwende zu kurzen Sätzen, oft kaum mehr als Subjekt und Prädikat. Überwältigung und Atemlosigkeit werden greifbar, Du entdeckst sie " durch all die
fremden Köpfe hindurch", Logik egal, hier herrscht Ergriffenheit. Bei"Drehung ihres wunderschönenKopfes" und beiderseitigem Blickkontakt verfällst Du in die Zeitlupe. Es passiert innerlich viel auf einmal,Wortwiederholungen lassen mich an Stolpern beim Laufen denken.Besser kann man kaum ausdrücken, dass einem vor Erschütterung fast die Worte fehlen. Wie ein Kind, das zitternd erzählt.
Die Geschichte ist so zwingend authentisch, dass ich Deine Schreibweise für ein gelungenes Stilmittel halte.
Du hast aber Mut! Whow!
 

Alex Knov

Mitglied
Hallo molly,

Du hast recht damit, dass vielleicht stilistisch gesehen einige Stellen nicht so ganz regelkonform sind, doch das ist Absicht. Ich habe versucht, den Inhalt dadurch besser zur Geltung kommen zu lassen. Ich bedanke mich trotzdem für deinen Kommentar und wünsche auch Dir noch einen schönen Tag.

Grüße

Alex
 

Alex Knov

Mitglied
Hallo Homosapiens,

Ich bedanke mich für deine wundervollen Worte, du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue. Danke!

Liebe Grüße

Alex
 
Hallo Alex

dieses ist der zweite Text, von dir, den ich gelesen
habe und er hat mich noch mehr gepackt und berührt,
als der erste. So intensiv kann man nur schreiben,
wenn man das selber so erlebt hat...
Die Art, wie du fühlst, denkst und schreibst, geht
mir sehr nah und auch ich muss mich jetzt erst wieder
beruhigen und sortieren.
Viele liebe Grüße
Angela
 

Alex Knov

Mitglied
Liebe Angela,

Sorry, dass ich dich so lange habe warten lassen! Ich war etwas angefressen von dieser Seite, habe deine Kommentare aber durchaus wahrgenommen.
Ich danke dir sehr dafür und freue mich, dass ich dich so sehr berühren konnte. Du hast mir damit eine unglaublich große Freude bereitet.

Liebe Grüße

Alex
 



 
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