Beim Schlächter

2,00 Stern(e) 1 Stimme
Keine Frage, dies’ musste die Tat eines Irrsinnigen sein – kein Zweifel. Er hatte seine Opfer regelrecht zerhackt und tranchiert und die Leichenteile nach Körperpartien sortiert, so dass es erst einer Untersuchung bedürfen würde, um überhaupt festzustellen, wie viele arme Schweine ihr Ende hier gefunden hatten. Wobei dies’ so nicht richtig sein konnte, da offensichtlich keine der Taten hier verübt worden war. Es musste unsäglich viel Blut geflossen sein. Ströme von Blut, deren Spuren nie wieder vollkommen zu beseitigen waren.
Manolo hatte sich gerade wieder gefangen. Angesichts des Grauens hatte ihm, gleich einem Narkotisierten, der Verstand ausgesetzt. das Gehirn registriert nicht mehr, was der Sinn erfasst und – das ist die Chronologie seiner Arbeitsweise – versagt im Moment des Schreckens der Reaktion den Impuls. Der Moment wird zur Ewigkeit. Ebenso wie die Sinne den klaren Sternenhimmel zu erfassen vermögen, lenteszieren sie den Tod. Selbst aus dem Lauf einer 9mm, aus einem Meter Entfernung. Der Tod ist so wenig blitzartig wie die Verwesung. Niemals! Und die Zeit wird zum Folterknecht.
Das erste dessen er gewahr wurde, war ein Durchgang zu den hinteren Räumlichkeiten des Hauses. Grubenfinster.
Das Erdreich wuchernd, die Schlange im Farn wissend, tat er den ersten Schritt und bückte sich um die Fugen zwischen den braunen Fliesen in Augenschein zu nehmen. Um vielleicht die Spuren getrockneten Blutes darauf zu entdecken.
Manolo ist der Name eines indianisch stämmigen Brasilianers aus dem Sumpfland um Acra, den der World Wildlife Found, hoch um Sorge um den Fortbestand des Erdballs, im Zuge eines Ausbildungsprogramms für zukünftige Native Executive Inspectors, die Reise um den selben finanziert hatte. Die Kommission war auf ihn aufmerksam geworden, nachdem die französische Gesandte jeden anders lautenden Vorschlag abgelehnt hatte. Schließlich wies der Häuptlingssohn, zu dem er im Verlaufe der Diskusion avanciert war, ein gewisses Verständnis für Sprachen auf, war äußerst gut gebaut und sie im vierten Monat.
Im Bücken kam Manolo eine Metallschüssel, in der Art wie sie in der Pathologie Verwendung finden, ins Blickfeld. darin lagen, in einer wässrigen Blutsoße, Lebern. Beinahe hätte er sich übergeben.
Der Durchgang! Jetzt erst fiel ihm ein, wie der nächste Schritt auszusehen hatte. Ihn schauderte bei dem Gedanken, dem Mörder Gelegenheit gegeben zu haben, ihn zu überraschen. Vielleicht hatte der sein Kommen gar schon bemerkt. Natürlich. Deshalb war auch der Alarm an der Türe angebracht. Der Indio fingerte die Waffe aus dem Schulterholster. das würde er noch üben müssen. Von der Schnelligkeit dieses Griffs würde eines Tages sein Leben abhängen.
Er positionierte sich in der Ecke. Von dort aus hatte er den Durchgang und die Türe zur Strasse hin im Blickfeld. Der Kommissar musste jeden Moment eintreffen. Der würde wissen was zu tun sei.
Nachtschwarz barg der Durchgang den Killer, der für ihn unzweifelhaft dahinter lauerte. Die Angst badete ihn in Schweiß.
Die Waffe im Anschlag spähte er nach dem Durchgang. sein Atem, das Brummen der Drosseln in den Leuchtstoffröhren, zerschlagen vom ticken der Wanduhr verstopften ihm die Gehörgänge. Aus der Dunkelheit der er lauschte, wie nach dem brechenden Farn, das die Schlange verriet, war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Stattdessen hätte ihn das Anspringen eines Kühlaggregats beinahe den Herzschlag versagt.
Und doch vermochte er sich der Faszination des Schreckens nicht zu entziehen.
All die Fetzten blutigen Fleisches, von Sehnen durchzogen. die bleichen Knochen, die daraus hervor ragten, das zersägte Mark darin, das an der Luft braun geworden war, glitschige Haufen Gedärms, zerstückelte Lungen, Nieren, Herzen. Ganze Oberschenkel, die gequollen, teils dazwischen lagen, ein wässriges Sekret auf der Schräge des Metalls verteilend, teils aufgehangen, an der Luft ausgedörrt, darüber baumelten.
Nach allem was er bisher gelernt hatte, schien ihm ein Anhaltspunkt für die Fahndung nach dem psychologischen Profil des Mörders, dessen offensichtliche Eigenart zu sein, seine Opfer nicht nur zu zerstückeln, sondern die einzelnen Leichenteile auch zu enthäuten. aber was besagte es, wenn er sie, wie dieser, teilweise wieder in bunte Folien wickelte?
Gerade hatte er sich einen Schritt vor gewagt, um sich die Sache genauer zu besehen, als die Tür zur Strasse hin Alarm auslöste. Manolo fuhr herum und sah sich einer alten Frau gegenüber. Entsetzt ließ sie die Tasche fallen. Heraus kullerten ein Kohlkopf, Joghurtbecher, Brot, eine Flasche, die am Boden barst.
Da hatte er verstanden. der Mörder war weniger einer Schlange gleich, sondern der Spinne, die ihren Opfern aus ihrem Versteck heraus auflauerte. Das Klingeln der Tür war das Anschlagen des Netzes. Deshalb war die Tür auch nicht verschlossen, und sicherlich hatte niemals jemand, der diesen Raum betreten hatte, ihn mehr verlassen.
Bei allen Geistern! Sie mussten raus hier, bevor das Untier sie anfiel. Die Alte machte auf ihn den Eindruck, als brauchte sie nur mehr umzufallen. Sie mochte den großen Krieg miterlebt haben, der hier vor einigen Jahren stattgefunden haben soll, aber solch ein Grauen hatte sie bestimmt noch nie gesehen. – Nun, er ja auch nicht.
Er stürmte auf sie zu. Nun musste alles schnell gehen. Wenn das Monstrum auf einen Moment der Unachtsamkeit gewartet hatte, dann war der jetzt gekommen. Doch das musste ihm einerlei sein.
Manolo legte der alten Frau den Arm um die Hüfte. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie ohnmächtig zu Boden sinken konnte. Gewiss war ihr zu Bewusstsein gekommen, was sie da sah.
Doch war sie zu nah an der Eingangstüre stehen geblieben. Der Indio zog sie etwas vor. Und sie war schwer, bei allen Geistern, sie war schwer wie eine Buschkuh. Es war nicht einfach die Türe zu öffnen, ohne dass ihm der massige Leib auf den Boden sank. Er steckte den Revolver weg.
Endlich war es ihm gelungen die Türe aufzustoßen. Dabei hatte er ihr die Brille von der Nase geschlagen und war draufgetreten. Sie unter den Achseln haltend schleifte er sie ins Freie.
Eine Passantin war bereits aufmerksam geworden und beugte sich über die Ohnmächtige.
»Was ist mit ihr? Ist sie krank?«
Doch Manolo, der den Kommissar über die Strasse eilen sah, hatte keine Augen für sie. Er wollte erzählen, aber es fehlten ihm die Worte.
Der Kommissar war ein alter Knochen. Dreißig Jahre Dienst hatten ihm nichts erspart, das andere nur aus der Zeitung kannten. Und den Augen des Indios nach zu urteilen, war das wieder so ein Fall.
»Was ist los? Hast du sie erschossen?« Sein Schützling schüttelte den Kopf.
»Is’ sie umgekippt?«
Der andere nickte und blickte auf die Frau hinab, da diese gerade wieder die Augen öffnete. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie ihn sah und fiel wieder in den Dämmerzustand.
Der Kommissar runzelte die Stirn und brummte: »Das wird wohl die Hitze sein.« Damit betrat er den Laden. »Wenn es ihr nachher nicht besser geht, holen wir einen Krankenwagen.«
Manolo gab ein Geräusch von sich, als plage ihn ein Erstickungsanfall. Nun müsse der Kommissar selber sehen, wovor er ihn zu warnen versucht hatte. Er schätzte die Kaltblütigkeit seines Lehrers über alle Maßen, doch ging es dem nun nicht anders, als es ihm gegangen war und wie es jedem bei diesem Anblick des Schreckens gegangen wäre. Der Kopf fasste nicht, was die Augen sahen. Wenngleich Manolo das Gesicht des Kommissars verborgen blieb, erkannte er doch dessen Ergriffenheit. Stockstarr stand die große Gestallt da. Er fürchtete um den alten Mann. Dann, genau wie er es getan hatte, beugte dieser sich vor, um die Unfassbarkeit genauer zu betrachten.
Plötzlich trat jemand aus der Dunkelheit des Durchgangs. Manolo hatte in der Anwesenheit seines Souveräns vergessen die Waffe zu ziehen.
Es war ein Mann wie ein Würfel. Klein und breit und er hatte einen weißen Schurz umgebunden, der über und über mit Blut besudelt war. Die Hemdsärmel hatte er aufgestrickt. Das war das letzte, das Manolo klar erkannte, ehe auch ihm die Knie durchgingen.
»Da liegt heut was in der Luft.« Meinte der Kommissar.
»Naja,« sagte der Mann, »es hat ’n bisschen gedauert, weil wir grad ’ne Lieferung gekriegt ham, awa so lang nun auch wieder nich’
»Das wird schon, ich helf’ ihm schon wieder auf die Beine. machen sie mir einstweilen eine Bratensemmel fertig und so eine Schachtel Fleischsalat. – Mein Freund hier, schätze ich, hat keinen Hunger.«
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo GeHa,
ich habe Deine "Leichenschau" hierher verschoben. Ich denke, dass sie in "Horror" besser aufgehoben ist als in "Humor und Satire"...

Mit weichen Knien,
 
Schade,

dass dir mein Beitrag nicht gefallen hat, sofern du ihn überhaupt gelesen hast.
Aber ich habe da etwas neues. Dabei geht's um um ein Mauerblümchen, das sich für eine Zeder hält. Vielleicht spricht dich das ja mehr an.

Humorige Grüße,

Gerhard
 

ex-mact

Mitglied
Woho, hier geht's ja rund.

Hallo, Gerhard,

natürlich ist Dein Text satirisch gemeint - aber es liegt in der Natur des Humors, daß er schwerer zu erschaffen ist als Ekel, Wut oder Frustration. Dein Text benutzt am Anfang sehr viele Klischees aus dem Splatter-Bereich und wir haben in der Lupe in der Vergangenheit mit ,,solchen Texten'' große Probleme gehabt. Ja, dadurch, daß der Text in ,,Humor und Satire'' stand, ist natürlich klar, daß es um eine Szene beim Schlachter geht: Man kennt diese Art Satire ja von Kischon, Dahl und anderen und kommt daher nach einigen Zeilen von selbst 'drauf. Aber man sollte auch immer den Veröffentlichungsort berücksichtigen: Die Lupe wird von sehr vielen sehr unterschiedlichen Lesern besucht und Zeders Reaktion dürfte eine typische Leselupen-Leser-Reaktion sein.

Du könntest durch eine Schwerpunktverlagerung auf die Charaktere den Anfang erheblich entschärfen - nur ginge dann vermutlich verloren, was Du satirisch zeigen wolltest (Schock, dann Erleichterung, zuletzt hoffentlich Nachdenklichkeit). Das Problem, daß Du genau diese Reaktionen bei sehr vielen Lesern ebenfalls nicht erreichen wirst durch den (erfolgreichen) Schock am Anfang, ist dadurch nicht gelöst.

Letztlich denke ich, daß der Text sowohl in ,,Horror'' als auch in ,,Satire'' gut aufgehoben ist, momentan - unter Berücksichtigung oben erwähnter Punkte - steht er unter Horror besser. Viele ,,Horror-Autoren'' hier könnten sich vielleicht (darf ich sagen: Ein paar Scheiben abschneiden?) etwas abgucken: Splatter ist es nicht, wenn man genau liest.
 
Vielen Dank,

für die Kritik, - hat mich sehr gefreut. Das war es eigentlich das mir gefehlt hat, - eine Begründung -. Wo die Geschichte letztlich steht ist mir eigentlich wurscht. Aber sie von selbst in einem "über 18" Bereich zu veröffentlichen, darauf wäre ich im Leben nicht gekommen.

Schöne Grüße aus München,

Gerhard
 



 
Oben Unten