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Garde

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Unschlüssig stand Michael in dem trostlosen, grau gefliesten Gang, der zu den Toiletten in einer Einkaufspassage führte. Er schaute auf einen kleinen Teller, auf dem einige zwanzig und fünfzig Cent Stücke lagen.
Das fröhliche Geplapper der dunkelhäutigen Toilettenfrau, die wie ein bunter Vogel herum flatterte, nahm er kaum wahr. Eben noch in der Herrentoilette, wo sie, vor sich hin summend, mit ihrem Wischtuch über die Becken wieselte, war sie kurz darauf in der Damentoilette dabei einer Frau Gesten reich zu zeigen, wie sie problemlos die Papierhandtücher aus dem Kasten ziehen konnte. Und wiederum kurz darauf stand sie hinter dem kleinen Tischchen mit dem Teller und begrüßte herzhaft lachend jeden Einzelnen der Leute, die mehr oder weniger eilig zu den Toiletten gingen.
Michael war in Bedrängnis. Er hatte nach intensivem Durchstöbern sämtlicher Taschen und der Geldbörse nur einen Euro ans Tageslicht befördert. Hätte er doch vorher nachgeschaut, bevor er seiner Frau Dora und deren Freundin Daniela großspurig erklärte hatte, genügend Kleingeld für die Benutzungsgebühr der Toiletten im Portmonee zu haben. Sein Freund Kurt, Ehemann von Daniela, konnte ebenfalls nur mit Geldscheinen aufwarten. Die Frauen mussten jeden Moment wieder auftauchen. Wechseln war wegen der Kürze der Zeit nicht möglich.
Vielleicht erschienen sie gemeinsam, sinnierte Michael. Die Wahrscheinlichkeit war groß, denn Frauen gingen in der Regel im Rudel zur Toilette und verließen sie auch zusammen. Dann könnte er den einen Euro für die beiden auf den Teller legen. Fünfzig Cent für jede, das würde passen.
Aber den Gefallen taten sie ihm nicht. Seine Frau Dora erschien als erste. Alleine. Sie schaute fragend zu ihrem Mann hinüber. Wie versprochen trat Michael vor das kleine Tischchen und legte sein Eurostück auf den Teller. Etwas verschämt zeigte er dann zunächst auf seine Frau und danach auf ein fünfzig Cent Stück. Die nette und so ungewöhnlich fröhliche Toilettenfrau verstand ihn sofort. Mit gleichbleibend strahlendem Gesicht nahm sie ein fünfzig Cent Stück und drückte es Michael in die Hand. „Bitte sehr, der Herr“, sagte sie mit warmen, rauchigen Stimme.
„Vielen Dank.“ Erleichtert nahm Michael das Geld und wartete auf das Erscheinen von Daniela.
Dora sah wie ihr Mann auf den Teller zeigte und freudig das fünfzig Cent Stück entgegennahm. Sie konnte es nicht fassen. Was fiel Michael ein. Er ließ sich fünfzig Cent zurück geben. Seit wann war er so geizig.
Sie eilte auf ihn zu. „Was machst du denn da?“, funkelte sie ihn an. „Schämst du dich nicht, dir fünfzig Cent geben zu lassen. Bitte gib der Frau das Geld zurück, sonst bin ich stocksauer.“ Voller Zorn schaute sie Michael an.
Beschämt begab sich Michael zu dem Tischchen und legte das fünfzig Cent Stück auf den Teller. Die Toilettenfrau, die das Klappern gehört hatte, winkte ihm dankend zu.
„Ich hatte nur den einen Euro“, verteidigte er sich bei Dora. „Was sollte ich machen? Mir war das auch nicht angenehm“, murrte er.
In diesem Augenblick erschien Daniela auf der Bildfläche. Sie machte ein kurzes Handzeichen in die Richtung der Wartenden und kramte in ihrer Handtasche. Als sie ein Geldstück auf den Teller legen wollte, wurde sie von der Toilettenfrau daran gehindert. Gesten reich und mit fröhlicher Mimik, erklärte sie Daniela, dass für sie bereits gezahlt worden war. Dabei winkte sie zu den Dreien hinüber. Daniela steckte ihr Geld wieder ein und gesellte sich zu den anderen.
Dora fühlte sich unbehaglich, irgendwie beschämt und schaute unsicher zu der Frau hinüber. Nach kurzem Zögern griff sie in ihre Handtasche, öffnete ihre Geldbörse und nahm ein Geldstück heraus. Die Toilettenfrau hatte ihr dabei zugesehen. Als sich Dora zu ihr hin begeben wollte, schüttelte sie energisch mit dem Kopf. Sie bewegte fröhlich lachend abwehrend die Hände und wirbelte auf die Herrentoilette zu.
 



 
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