Bericht aus Wingding II

Alo Isius

Mitglied
Wenn sich die beiden – der alte und der neue Feuermacher – in die Wolle gerieten, war immer was los in unserer Höhle. Anfangs war’s ja noch ganz lustig zu beobachten, wie sie sich gegenseitig angifteten und Knüppel zwischen die Beine warfen. Zwar hatten ihre spontanen Raufereien und Wortgefechte auch schon einen gewissen Unterhaltungswert, aber ihre vorbereiteten Veranstaltungen waren bald zu kulturellen Höhepunkten in unserem Alltagseinerlei geworden. Zwischen Jagen und Fressen, Pennen und Bumsen besuchten wir gern mal den einen mal den anderen in seinem Gewölbe. Wir nannten die beiden inzwischen Opi und Jupi und sie – komischerweise – nannten beide ihre Events ’Messen’.
Zum Opi gingen wir ganz gern mal, weil der uns mit seinen Räucher-Zeremonien und einlullendem Geschwafel die schönsten Träume bescheren konnte: von paradiesischen Jagdrevieren, wo einem die gebratenen Mammuts freundlich umschweben, wo einem so richtig schöne fette Weiber die Verdauungswinde hingebungsvoll aus dem vollen Wanst massieren... lauter so Zeug halt, was man träumt, wenn man das Knurren des eigenen leeren Magens und das Geplärre der hungrigen Bälger nicht mehr ertragen kann. Trost zu spenden fürs verlorene Jagdglück und Hoffnung auf eine neues zu machen, war eben sein Geschäft.
Da war beim Jupi in seiner Messehalle schon Handfesteres und für neues Jagdglück Nützlicheres zu bestaunen: moderne Speere mit piekfein zugehauenen Steinspitzen, die er, der schmalbrüstige Hänfling, höchst eigenhändig durch drei alte, hintereinander aufgespannte Mammuthäute schleuderte wie durch Spinnweben. Wahre Wunderwaffen und andere Neuheiten hatte das Kerlchen in seinem Angebot. Und haben konnte das auch jeder. Man musste ihm nur versprechen, ihn aus jedem mit diesem Speer erlegten Beutetier das erstbeste Stück herausschneiden zu lassen. Was wussten wir dummen Kerle schon, was ein Versprechen ist, was ’herausschneiden’ oder was ’das erstbeste Stück’ heißt. Unser oberster Jägermeister erfuhr ’s als erster. Aus der ersten großmächtigen Wildsau hatte er den Jupi noch freiwillig und vor den Augen der gesamten Höhlenbesatzung die Leber herausschneiden lassen. Und so erfuhren wir – was unserem größten Jagdmeister aller Zeiten (GröJaMaZ) etwas peinlich war –, dass auch er seinen Superspeer auf Kredit gekauft hatte.
Nur war der GröJaMaZ auch beim Opi gewesen und hatte seinen Speer segnen und den Opi für ein neues Jagdglück beten lassen. Das war auch nicht billig... aber die Opfergaben – Naturalien wie Reh- und/oder Gänse-keulen für den großen, Apfel und Ei für den kleinen Segen – mussten beim Opi im Voraus abgegeben werden.
Es waren noch nicht einmal so viele Monde mager und wieder fett geworden, wie wir allesamt Finger an den Pfoten und Zehen an den Füßen hatten, da hatten wir auch schon den herrlichsten Herrschaftsklüngel auf dem Hals bzw. in der Höhle herum sitzen: Der Opi wucherte mit seinen transzendentalen Pfunden, der Jupi mit seinen Krediten und der GröJaMaZ schnitt sich auch aus der gemeinsam erjagten Beute die größten und fettesten Happen heraus.
Und dieses Triumvirat bestimmte alle naslang einen vierten zum Richter, dessen Geschäft es war, der Gerechtigkeit zu dienen. Also machte er Gesetze, nach denen die immer erbitterter geführten Streitereien um die Anteile an fressbaren Ressourcen geregelt wurden. Der erste “Obricht“ erfand die erste Abgaben- und Gebührenordnung, die dafür sorgte, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist... nur der Opi, der Jupi, der GröJaMaZ und selbstverständlich er, der Herr Obricht, waren selbstverständlich etwas gleicher und erhielten ein siebtel mehr als jede andere Dumpfbacke.
Und so kam ich, AI, angesichts eines schönen vollen Monds, auf die Idee, mir auch eine kleine Nebensättigungsbeilage zu erfinden; Ich erzählte Geschichten, den Jägern solche von erfolgreichen Jagden, den Weibern welche von liebenswerten Jägern, den Bälgern solche von großen Helden und bösen Dämonen. Meine Zuhörer stopften mir anfangs alles ins Maul, was sie sich von den ihren absparen oder in die ihren mit aller Gewalt nicht mehr hineinstopfen konnten... aus durchaus unterschiedlichen Motiven: die einen, um mich am Reden zu hintern, andere, um mich zum Weitererzählen zu ermuntern. Die Klügeren, korrekter: die Letzteren, ließen mich bald einfach nehmen, was ich brauchte oder worauf ich gerade scharf war. Mir ging’s gut, ich hatte bald freie Auswahl und erfand bei jedem Vortrag ein neues Menue: Oben, bei den geschlossenen Veranstaltungen der Obrigkeit: Mammutkalbsleber an Lärchensprösslingen oder Lerchenzungen im Mammutöhrchen. Unten, am Lagerfeuer der Allgemeinheit ging’s rustikaler zu: Mammutkaldaunen mit Sauerampfer oder Mammutschnitzel mit Knollofritti. Bei den Bälgern gab’s vorzugsweise Süßes... und ein kleines Problem: Nix hergebens, alles selber fressens; nur die ganz Lieben lassen mal ein Goldbeerchen rüberwachsen.
Mir ging’s gut. Und meine überschüssige Energie investierte ich in Entdeckungsreisen. Seilte mich von der Jagdgesellschaft einfach mal ab und ging, statt mit denen ins Revier, mal runter ans große Wasser, den Fluss.
 



 
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