Berlin

JennyP.

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Alltäglicher Wahnsinn

Mitternacht. Hell erleuchtet die Stadt. Werbetafeln, beleuchtete Plakatwände, Reklame überall. Breite Straßen winden sich, gleich dem Flusslauf der Spree, durch enge Gassen. Dicht befahren, gesprenkelt von grünen und roten Lichtern. Musik umgibt die Masse im Stau.
Wildes Treiben, exotische Gestalten, gehüllt in ein breites Farbenspektrum. Fremde Sprachen, fremde Gesichter und doch vertraut.
Gute Laune lädt zu einem Drink in einer von tausend Bars oder Cafes oder zum abtanzen auch in Großraumdiskotheken ein. Das sechziger Jahre „Route-Sixty-Six“, das etwas andere etwas fetischistische „Kid-Kat“ oder Szeneladen „Tresor“. Dinieren in jedem Land und schlafen im billigen Motel oder im exquisiten Hilton.
Designer-Boutique neben second-hand. Wohlstand, Armut und Milieu verbunden und erträglich gemacht. Gemäuer und Villen in nächster Nähe. Sozialhilfe und Luxus in einer Straße. - Ghettos -. Plattenbauten, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung in den Gesichtern alleinstehender Mütter und Väter. Großfamilien ohne Zukunftsaussichten, ohne Arbeitschance fristen ihre Zeit in tristen Dreiraumwohnungen. Leben von der Hand des Staates, gezwungen zur Erwerbslosigkeit ohne Qualifikation.
Nutten am Straßenrand. Hemmungslose Studentinnen im unkonventionellen Nebenjob zur Finanzierung des eigenen Autos oder Wohnung. Alles hat seinen Preis!
Kinder im Drogenrausch, Konsumierung im Überfluss. Resignation und Totschlag vor den Augen unbefangener Touristen und Workaholics, wartend auf den Anschlusszug. Abendprogramm mit Überlegungseffekt.
Hausbesetzer, in lebenden Grüften nutzen ihr Heim zur Ausstellung ihrer Vorstellungen von Kunst. Undefinierbare Plastiken von immensen Ausmaßen. Musical und Theater neben Erotik, Pornografie und Sextourismus.
Oasen ragen aus dem Beton. Gestützte Bäume, gepflegte Parkanlagen gegenüber verdreckten Wiesen und Teichen. Enten inmitten einer Metropole, die neben Denkmälern im Hain schnattern und plantschen.
Die U-Bahn, ein Cocktail aus Nationen und Emotionen. Zur Arbeit fahrende Menschen, Straßenmusikanten und knutschende Teenager. Das alles mit einem Spritzer verbrauchter Luft und Todesangst. Todesangst vor Terroranschlägen an öffentlichen Plätzen und geschichtsträchtigen Stätten.
Protzige Bürogebäude, bis in den Himmel verglast. Arbeitsplätze mit Höhenflügen.
Das Tor inmitten der unsichtbaren Grenzen von einem goldenen Engel bewacht.
Atemraubende Bauwerke bis in enorme Höhen. Gebaut mit Steinen aus einer anderen Zeit. Die Akropolis zwischen all dem. Ein riesiger Gebäudekomplex. Zufluchtstätte für diejenigen, die an ihre Zukunft denken.
Umgeben von Studenten, Professoren das zu erreichen was man will. In Hörsälen sitzen und lauschen. Sich seinen Lehrplan selbst erstellen. Zu wissen man schreitet voran. Schlafen im Wohnheim, einer Wohngemeinschaft, einem Freund.
Kennenlernen hunderter fremder Nationen. Alle Welt will hier studieren. Alle Welt kann hier alles erreichen und alles verlieren.
Ob Fortschritt oder Zeitvertreib, für jeden erfüllt es seinen Zweck. Seinen eigenen Weg zu finden ist das Ziel. Das chaotische Bild genießen und ein Teil dessen zu sein. Pauken, Party, Protegieren.
Der ganze Wahnsinn dieser Stadt ist das, was es ekstatisch macht.
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Jenny,

da hast du Frankfurt am Main aber wunderschön beschrieben. Ach nein, der Titel ist ja Berlin! Spaß bei Seite und Willkommen im Chaotenclub des Internets.
Deine Beschreibung hat mir sehr gut gefallen. Pulsierend lebendig und am Puls der Großstadt. Da ich selbst in Frankfurt groß wurde und nun seit einiger Zeit in Berlin lebe, kann ich behaupten, das du mit deiner Beschreibung die Lage sehr gut getroffen hast, allerdings passt sie eben meiner Meinung nach, auch auf Frankfurt ebenso zu, wie auf München oder Rotterdam oder Amsterdam oder New York ... Berlin ist zwar schön, aber wenn man als "Exotin" hier lebt, nicht viel anderster als anderswo.
Mir hat deine Sprache gefallen, fand es erfrischend, nüchtern und fein beobachtet.
Alles im allen: Ich mag das Werk.

liebe Grüße
Reneè
 



 
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