Bernhards Hochsitz

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hwg

Mitglied
Sein Arbeitszimmer steht wie ein Hochsitz über den Gärten. Fenster hat es nach allen drei Seiten, weit kann man hinaus blicken, weit über die Gärten hinaus in die sommerliche Landschaft. Sonne hat sein Zimmer am Morgen und Sonne am Abend, vorausgesetzt, sie scheint.
Es gibt kein schöneres Zimmer für Bernhard. Er wartet auf seinem Hochsitz, indes die Sonne ihm rosafarbene Abendhimmel hineinprojiziert, er sitzt auf eine Idee an, von der er hofft, dass sie sich im Gestrüpp seiner Gedanken irgendwie verheddern wird.
Und wenn Bernhard sie gepackt hat, die Idee, dann wird der Hochsitz zum Cockpit eines Düsenklippers, rast durch Zeiten und Welten, ins Blaue hinein, bis er gewahr wird, dass er zwar den Wolken ein Stück näher ist, aber die gute Erde nicht mehr sieht und den Nachbarn.
So geht es nicht, sagt er sich, mit dem Klipper und so hoch hinaus, das geht nicht gut.
Also verwandelt er das Cockpit in die Kommandobrücke eines Hochseefrachters und ernennt sich zum Kapitän auf großer Fahrt.
Ahoi! Die Anker sind gelichtet, das Schiff zieht seinen geraden Kurs, doch kaum sind sie aus dem Hafen, da fällt ihm so ein verdammtes Schlingern auf.
Zuwenig Tiefgang, denkt er, die Ladung wird untergewichtig sein. Und er wirft verzweifelt die ganze Idee über Bord.
Umsteigen auf den Hochsitz und wieder warten?
Bernhard ist hinausgegangen und zu jenem Steilhang gewandert, den er von seinem Schreibtisch aus ständig vor Augen hat, jenseits der Niederung, nicht weit, vielleicht fünfhundert Meter.
Dort steht er am Rand des Feldes, dessen frisches Grün seinen Blick schon oft angezogen hat, lange steht er dort und schaut zurück.
Das also ist unsere Siedlung, geht es ihm durch den Sinn, wie schön das aussieht, wie sie sich so aufperlt an der Straßenschnur.
Leute machen sich auf ihrem eigenen Land zu schaffen, doch ihre Stimmen dringen nicht zu ihm herüber.
Dann sieht Bernhard auch das kleine Haus, worin er haust, und die verwahrloste Parzelle dahinter, die den Eindruck zu wecken vermochte, der Besitzer sei schon seit längerer Zeit verreist.
Da kommt ihm endlich eine Idee. Eine etwas ausgefallene zwar, aber seine Nachbarn werden sie später für brauchbar halten:
Bernhard beschließt, seinen Garten umzugraben und frische Blumen zu pflanzen.
hwg
***
 

hwg

Mitglied
in eigener sache : verwehre mich gegen den ausdruck hobbydichter. autoren, verleger und leser finden mich in kürschners literaturkalender, im handbuch österreichischer autoren und in anderen lexika, bin seit
1961 journalist und autor (zahlreiche veröffentlichungen in buchform und in literaturzeitschriften sowie im rundfunk). mfg.
 
P

Parsifal

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Hätte das auch in der

„Sonne hat sein Zimmer am Morgen und Sonne am Abend, vorausgesetzt, sie scheint“ – Wer hätte das für möglich gehalten! Aber das unterscheidet den Meister vom Amateur, daß er auch Kleinigkeiten seine liebevolle Aufmerksamkeit schenkt und den Leser an seinen Erkenntnissen teilhaben läßt.

Bernhard hockt also in seinem Arbeitszimmer und „sitzt auf eine Idee an, von der er hofft, dass sie sich im Gestrüpp seiner Gedanken irgendwie verheddern wird.“ Man ahnt schon, daß dabei nichts Gutes herauskommen wird. Er versucht, seinem Affen Zucker bzw. seinem Pegasus die Sporen zu geben und denkt sich kindliche Spielchen aus. Über den Wolken muß der Himmel wohl grenzenlos sein, denkt er und spielt Flugkapitän eines Düsenklippers, „bis er gewahr wird, dass er zwar den Wolken ein Stück näher ist, aber die gute Erde nicht mehr sieht…“ – Teufel auch, und ich hätte gedacht, die Erde sieht man erst dann nicht mehr, wenn man über den Wolken ist. – Das kommt davon, wenn man „durch Zeiten und Welten“ rast. Er hätte wissen sollen, daß jeder Autofahrer mehr sieht als ein Pilot. Da im Azur auch keine Idee zu finden ist, spielt er Kapitän auf großer Fahrt auf der Kommandbrücke eines Frachters. (Ahoi sagt übrigens kein Seemann) Aber wohin sein Auge auch schweift: nichts als Wasser. Und wieder keine Idee! Und dann beginnt der Kahn auch noch zu schlingern: weil die Ladung untergewichtig ist! Das muß man sich mal vorstellen, völlig leere Frachter sind also manövrierunfähig. Man wird alt wie ’ne Kuh und lernt immer noch dazu.
Beim Lesen dieses Textes stellt sich der Eindruck ein, daß nicht das Schiff schlingert, sondern der Autor. Den Zustand, ohne Ideen vor einem leeren Blatt zu sitzen, haben uns junge Autoren bis zum Abwinken beschrieben, eine neue Erkenntnis wird uns nicht präsentiert. Man denkt die ganze Zeit, jetzt kommt es, gleich muß der Höhepunkt erscheinen: eine witzige Lösung, irgendein Knalleffekt. Und tatsächlich, die ausgefallene Idee kommt zur rechten Zeit – und Bernhards Nachbarn werden sie später für brauchbar halten (als hätten die nichts Wichtigeres zu besprechen) – er beschließt, seinen Garten umzugraben und Blümchen zu pflanzen.

Man hätte den ganzen Text mit Schweigen zudecken können, hätte sich der Autor nicht explizit dagegen „verwehrt“ (es muß „verwahrt“ heißen, aber ein Journalist merkt’s nicht so), mit Hobbydichtern in einem Atemzug genannt zu werden. Schließlich steht er in Kürschners Literaturkalender (der Kürschner scheint auch nicht mehr das zu sein, was er einmal war), in anderen Lexika, in Literaturzeitschriften und sogar im Rundfunk.

Ich freue mich immer, wenn Schausteller auf Rummelplätzen sich anpreisen: „Bekannt durch Presse, Rundfunk und Fernsehen.“

Parsifal
 

hwg

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werter meisterautor,

zu ihrer geschätzten kritik darf ich sagen - test gelungen. für diese kurze geschichte - nachzulesen in meinem vor zwei jahrzehnten erschienenen buch "sicherungen" - habe ich den prosa-preis der igda zugesprochen bekommen. ahoi sagt kein seemann - das ist bernhard auf seinem hochsitz ja auch nicht. verwehre - anstatt verwahre - ein bedauerlicher tippfehler. ob der kürschner noch das ist....? fragen sie die herausgeber.
ansonsten... ich verfasse seit jahrzehnten ebenfalls buchrezensionen für namhafte zeitschriften. zu marktschreierei und journalismus
: biografisches steht auf jedem buchumschlag - ist das schlecht????
trotzdem: besten dank für ihre kostbare zeit, die sie für die beurteilung meines beitrages aufgewendet haben. herzlichen gruß aus österreich.
 

Rodolfo

Mitglied
Lieber hwg

Wenn Bernhard so hoch oben auf dem Hochsitz sitzt, ist es schon möglich, dass er "zu wenig Tiefgang" hat.

Ich finde nicht unbedingt, dass in der Geschichte "die Ladung zu untergewichtig" ist. Hingegen erinnert mich die Bearbeitung an eine kleine Geschichte:

...als junger Gärtner wollte ich einmal ein Blumenbeet in einem öffentlichen Park so schön gestalten, dass es einfach perfekt sein sollte. Ich vergass die Zeit und pflanzte, änderte wieder und wieder um, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Nur leider waren die Blumen durch das wiederholte umpflanzen leider zum grössten Teil eingegangen...

Mir scheint, dass dies auch mit Worten passieren kann.

Liebe Grüsse: ein echter Hobbydichter und Profileser
 

hwg

Mitglied
Werter Rodolfo,
mit dem Verwelken der Worte haben Sie das ausgedrückt, was auch ich - als Schreiber "für den Tag" - so sehe. Ich beanspruche auch nicht die hochtrabende Bezeichnung Dichter, meine Absicht ist es, möglichst viele Leser zu erreichen. Das mag manchen meiner Poeten-Kolleginnen und -Kollegen nicht gefallen. Ich bekenne mich voll dazu, immerhin verdiene ich mit meinen - na, sagen wir mal - Texten auch das tägliche Brot. Herzlichen Gruß!
 
S

Stoffel

Gast
ahoi,

Willkommen in der Lupe.

Mich hat Dein Diskussionsthread unter "Plauderecke" neugierig gemacht, drum bin ich mal hier her.

Erwartet werden eigentlich Verbesserungsvorschläge, etc. Ich möchte aber nur meine Meinung, mein Gefühl, sagen.

Für mich liest sich die kleine Geschichte ein wenig wie eine Kindergeschichte, ein Teil davon. Oder "Oh, wie schön ist Panama" oder so.
Ist ja nichts verwerfliches. Männer können durchaus auch was rührendes, niedliches haben. (Wobei man ihnen das wohl nicht sagen sollte*lach*)
Mir fehlt da bissl der "Tiefgang", finde die Aussage nicht, reißt mich nicht vom Hocker.

Aber hier in der Lupe kann man viel lernen, in all den Jahren kann ich stolz sagen, mich verbessert zu haben.*freu*

Was die drei"???" angeht, schreib ich was in die Plauderecke.

lG
frohe Weihnachten
Stoffel
 



 
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