Besessen

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nemo

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Besessen

Ein Tag wie jeder andere.
Elektrosmog schwebt unsichtbar durch die Büroräumlichkeiten, während ich völlig übermüdet vor dem Kopierer stehe und meine Augen sich beim Surren jeder einzelnen Kopie ein wenig mehr schließen. Ich weiß gar nicht, warum ich so fertig bin. Ich war gestern um zehn im Bett, fühle mich aber, als hätte ich die ganze Nacht durchgemacht.
Doch die Partyzeiten sind schon lange vorbei. Das Alter fordert seinen Tribut.
Spießer. Warmduscher. Anfang vierzig und im sozialen Abseits.
Der Kopierer verstummt und ich zwinge meine Augenlider sich zu öffnen. Neonlicht, hart und kalt, kratzt an meinen Netzhäuten. Ich schwebe zu meinem Platz. Nehme die Umgebung, die Kollegen, die Telefone, das Leben nur noch durch einen Schleier aus Müdigkeit und Desinteresse wahr. Mein Arbeitsplatz, zwei Quadratmeter Frust und Motivationslosigkeit umgeben von Trennwänden, umgeben von einem Großraumbüro, umgeben von Desillusion. Zwei Quadratmeter Anonymität in der Masse.
Das Telefon klingelt, schrill. Ich nehme ab, lege auf. Keine Lust auf schönen guten Tag, wie kann ich ihnen helfen?
Ich öffne meinen Aktenkoffer, habe Hunger.
Irgendetwas liegt dort in einem weißen Tuch eingerollt.
Ich greife danach, hebe es hoch und eine Pistole poltert zu Boden.
Erschrocken hebe ich sie auf, schmeiße sie hastig in den Koffer zurück und schaue mich um.
Keiner beachtet mich. Wie üblich.
Woher kommt die Waffe?
Dämon
Wer hat sie in meinen Koffer gesteckt?
Erlaubt sich jemand einen schlechten Scherz mit mir?
Wieder schaue ich mich um, in leere und ausdrucklose Gesichter.
Plötzlich steht mein Chef vor mir. Haare nach hinten gegelt, schicker Anzug, ernster Blick.
Was ist jetzt mit der Bachmann Akte?
Immer noch nicht fertig?
Wie sehen sie eigentlich aus?
Haben sie heute Nacht nicht geschlafen?
Sie sollten mal ihren Lebensstil überdenken. Sie sind nicht mehr in dem Alter, in dem man sich, mir nichts, dir nichts, die Nächte um die Ohren haut.
In zwei Stunden will ich die Akte auf meinem Tisch.
Haben sie das verstanden?
Dämon
Haben sie das verstanden?
Ich verstehe und nicke. Resigniert. Wütend.
Anfang vierzig und feige.
Ich schlurfe auf die Toilette, uriniere, wasche mir die Hände und erblicke ein fremdes Gesicht im Spiegel.
Dämon
Rote ledrige Haut. Gelbe stechende Augen. Ein boshaftes Lächeln, das zwei beindruckende Fangzähne offenbart.
Du weißt, was du zu tun hast.
Dämon
Ich weiß es.
Bestimmten Schrittes gehe ich zurück zu meinem Arbeitsplatz und hole das Tuch samt Inhalt aus meinem Koffer.
Mittagszeit. Die tägliche Wanderung beginnt. Aufzugtüren öffnen und schließen sich.
Ich klopfe an der Bürotüre meines Chefs, lasse mich nicht bitten und trete ein.
Er schaut mich verdutzt an, während ich die Tür hinter mir schließe.
Er fängt sich. Haben sie die Akte Bachmann fertig?
Besser noch, sage ich und greife in das Tuch hinein.
Kalter Stahl, schwer und tödlich.
Das Tuch schwebt in Zeitlupe zum Boden und ich entsichere die Waffe, richte sie auf meinen Chef.
Dämon
Entsetzen zeichnet sich in seinem aalglatten Gesicht ab. Er stammelt etwas.
Ich drücke ab.
Die Kugel prallt in seine Schulter.
Mein Chef wird fast vom Stuhl gerissen und stößt einen kreischenden Schmerzensschrei aus.
Es überkommt mich ein wohliger Schauer.
Erneut drücke ich ab und verteile sein Gehirn auf die Panoramascheibe seines Büros.
Die galleartige rosa Masse rutscht langsam zu Boden und trübt die schöne Aussicht auf die Stadt.

Ich verlasse das Büro und alle Blicke richten sich auf mich. Die Allgemeinheit sieht meine Waffe. Panik bricht aus. Die Sekretärin des Chefs, mein beliebtester Gedankengast bei einsamen Klositzungen, starrt mich mit offenem Mund an, während ihre Augen sich langsam mit Tränen füllen. Die Kugel durchbohrt ihre Bauchdecke und auf ihrem Blümchenkleid erblüht ein ganzer Strauß roter Rosen.
Dämon
Den schmierigen Typen vom Verkauf erwische ich im vollem Lauf und reiße ihm die rechte Gesichtshälfte weg. Ideales Aussehen für Kundebesuche.
Schreie übertönen das fortwährende Klingeln der Telefone.
Dämon
Der Vertriebsleiter bricht zu Boden, als ich ihm die Kniescheibe wegschieße.
Blut. Jede menge Blut.
Dämon
Ein Wimmern, hinter einer der Trennwände.
Dort kauert der EDV-Wichser, der meinen Internetzugang gesperrt hat.
Ich
Dämon
lächle
lächelt.
Ein Schuss.
Die Kugel tritt in seinem linken Auge ein und wieder gibt es Hirngulasch.
Gelassen, als wäre ich beim Einkaufbummel, schlendere ich durch die, inzwischen menschenleeren, Büroräume meines Arbeitgebers.
Ich gehe zurück auf die Toilette und blicke in die fremden Augen.
Dämon
Das hast du schön gemacht.
Fühlt sich gut an, oder?
Ich nicke.
Dämon lächelt.
Wir sehen uns, sagt er und verschwindet.
Die Türe wird aufgerissen und zwei Sicherheitsleute zielen mit ihren Pistolen auf mich.
Doch der Lauf meiner Waffe ruht bereits auf meiner Schläfe.
Dämon
 

MDSpinoza

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1. Es sind noch reichlich Flüchtigkeitsfehler in der Geschichte.

2. Seit über 100 Jahren wird in (Gebrauchs-) Schußwaffen kein Schwarzpulver mehr verwendet. Das gibt es nur noch für Vorderlader und einige seltene obsolete Kaliber. Heutige Pulver werden auf Nitrocellulosebasis hergestellt.
 

Black

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Hi Nemo,

es darf auf keinen Fall Spinozas Kommentar als einziger stehenbleiben, deshalb weg von der Logik und hin zur Story :
sehr beeindruckend ebendiese! Zunächst die Alltagsszene, wie sie hundertfach in deutschen Büros abgehen dürfte, dann plötzlich Einblendungen des Wortes Dämon.Hier kann man bestenfalls ahnen, was kommt.Man wird durch diese "Schlaglichter" in die Geschichte gezogen und will den Dämon kennenlernen - was auch zu Genüge passiert.
Der Rosenstrauß auf dem Blümchenkleid erinnert mich an King,ansonsten abwechslungsreiche Szenerie,in der so ziemlich alles an Mensch durchlöchert wird, was man sich vorstellen kann. Gelungene Geschichte, freue mich auf weitere !

Gruß,
B.
 

MDSpinoza

Mitglied
Die Story als solche finde ich gut. Ich finde es nur absolut abtörnend, wenn eklatante sachliche Fehler das wohlige Gruseln vermiesen. Auch Grauen hat Logik!
 

nemo

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Hallo und vielen Dank für die Kritik.
Ich habe die Sache mit dem Schwarzpulver mal rausgenommen.
Ich gebe zu meine Kentnisse in diesem Bereich sind ziemlich
rudimentär und Hollywoodlastig. ;)

Danke und Gruss / nemo
 
Hallo nemo,

mitreißende Geschichte. Allerdings auch sehr eindimensional. Ist er denn so ausschließlich von seinem Dämon gefangen?

Bis bald,
Michael
 

nemo

Mitglied
Hallo Michael,

danke für die nette Kritik.
Ich hatte auch überlegt dem Protagonisten zweifelnde Gedanken anzuschreiben, habe mich aber dagegen entschieden, weil ich denke, dass die Geschichte dadurch an Fahrt verlieren könnte.

gruß / nemo
 
Hallo nemo,

Fahrt hin, Fahrt her. Bau doch einfach Rückblenden ein, indenen nachvollziehbar ist, wie er Besessen wurde. Das könnte auch Fahrt haben.
So wie es ist, bleibt das ganze ein wenig eindimensonal.

Bis bald,
Michael
 



 
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