Betriebstreue

3,80 Stern(e) 6 Bewertungen
Betriebstreue

König stieß auf eine Anzeige im Lärchenthaler Boten:
"Papierfabrik in Herlesheim sucht Pförtner. Interessenten melden sich bitte unter ..."
Die Fabrik kannte er gut, war er doch Jahrzehnte dort als Prokurist tätig gewesen.
Kurz nach seinem 57. Geburtstag hatte man ihm gekündigt. Aus Unaufmerksamkeit hatte er einen Vertragstext unterschrieben, wodurch der Betrieb in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Da sein Schwager in der Vertragsfirma in leitender Stellung beschäftigt war, unterstellte man König Untreue. Ein Mitarbeiter, der schon lange auf seinen Posten scharf war, hatte diesen Verdacht kräftig geschürt.
Bei den Arbeitern war König sehr beliebt. So manch einer von ihnen war auch mit privaten Sorgen zu ihm gekommen. Man konnte sich auf seine Verschwiegenheit verlassen. Rein zufällig bekam er eines Tages mit, dass man ihn sogar "das Gewissen der Firma" nannte. Aber gerade seine Nähe zur Arbeiterschaft missfiel dem neu eingesetzten Hauptgeschäftsführer. Wahrscheinlich auch ein Beweggrund für die Kündigung. So schied König in großer Verbitterung, aber auch in tiefer Trauer. Irgendwie war die Firma sein Leben und seine Heimat gewesen.
Danach fasste er unter Schwierigkeiten noch einmal Fuß bei einem größeren Verlagshaus in Lärchenthal. Dieser Wechsel war für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Im 61. Lebensjahr verlor König seine Frau. Brustkrebs. Kurz danach verstarb seine Schwester. Und seit einem Jahr war er wieder arbeitslos, weil im Verlag auch seine Abteilung wegrationalisiert worden war. Nun wohnte er in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kinder hatte er nicht und - abgesehen von seinem Schwager - nur wenige entfernte Verwandte, die er kaum gesehen hatte. Er war nur für sich selbst verantwortlich.
Die Annonce ließ ihn nicht los. Irgendwie kam ihm die Idee selbst makaber vor - aber warum eigentlich nicht? Die Papierfabrik war in andere Hände übergegangen, das gesamte damalige Management ausgetauscht. Er hatte die Veränderungen in der Presse aufmerksam mitverfolgt. Dem neuen Personalbüro würde es vermutlich gar nicht auffallen, wer sich hinter der Bewerbung verbarg. Natürlich musste er damit rechnen, dass ihn der eine oder andere noch wiedererkannte, aber das wäre ihm durchaus recht. Die Allermeisten von der alten Belegschaft waren inzwischen sicher Rentner. Viele von ihnen wohnten wohl noch immer in Herlesheim, praktisch in Sichtweite zum Werk.
Seine Entscheidung war gefallen. Noch heute würde er seine Bewerbung abschicken.

Ein Jahr später.
Tagtäglich tuckerte König mit seinem Kleinwagen zur Arbeit - durch sein geliebtes Tälchen, das je nach Jahreszeit in den verschiedensten Farben erstrahlte.
Soeben hatte er einen neuen Besucher der Fabrik an dessen Ansprechpartner weitergeleitet. Am späten Vormittag war üblicherweise nicht viel los, und er studierte in seiner Pförtnerloge die neuesten Nachrichten: "Militärparade in Peking"
Peking! Er ließ die Zeitung sinken. Plötzlich war ihm der letzte Kaiser der Chinesen eingefallen, den die kommunistische Partei in den Palastanlagen als Gärtner zur Schau stellte.
König musste lächeln. Mochten doch Spötter seinen Schritt als Selbsterniedrigung betrachten. Er wusste es besser. Es war sein freier Entschluss gewesen, und er bereute ihn nicht.
Gestern erst war jemand von der früheren Belegschaft vorbeigekommen, um ihn zu einem Umtrunk in der Dorfkneipe einzuladen. Sie wollten ihn wieder mal "hochleben lassen" - ihren alten König.
 

MichaelKuss

Mitglied
Recht nett beschrieben...

Recht nett beschrieben, aber mir fehlt der allmähliche Aufbau von Spannung, die Entwicklung zum Höhepunkt und schließlich das aussagekräftige I-Tüpfelchen zum Abschluss. Kurz und bündig: Mir fehlt ein bisschen mehr Salz in einer gutgemeinten Suppe.
 
K

Karn Hardt

Gast
Lieber Eberhard,

ein sehr interessanter Plot, den ich gern gelesen habe.

Kurzprosa soll (für mich) minimalistisch sein, Lehrmeister schmaler Worte, der Sinngehalt interpretieren möchte mit der Kunst des Winzig(st)en.

Unter diesem Aspekt habe ich mir Deinen Plot zurechtgeschnitten und hoffe, dass er für Impulse sorgt - und für ein scharfes literarisches Cuttermesser :)

Ideen (aus meiner Sicht und ohne omnipräsente Hintergedanken, geschweige denn Stigmatas. Es ist DEIN Text und Du hast die Daumenwahl wie Cäsar einst bei seinen Gladiatoren):

Jetzt gehts los:
______________________________________________________________
König stieß auf eine Anzeige im Lärchenthaler Boten:
"Papierfabrik in Herlesheim sucht Pförtner. Interessenten melden sich bitte unter ..."
Die Fabrik kannte er gut, war er doch Jahrzehnte dort als Prokurist tätig gewesen.
Kurz nach seinem 57. Geburtstag hatte man ihm gekündigt. [strike]Aus Unaufmerksamkeit hatte er einen Vertragstext unterschrieben, wodurch der Betrieb in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Da sein Schwager in der Vertragsfirma in leitender Stellung beschäftigt war, unterstellte man König Untreue. Ein Mitarbeiter, der schon lange auf seinen Posten scharf war, hatte diesen Verdacht kräftig geschürt.
Bei den Arbeitern war König sehr beliebt. So manch einer von ihnen war auch mit privaten Sorgen zu ihm gekommen. Man konnte sich auf seine Verschwiegenheit verlassen. Rein zufällig bekam er eines Tages mit, dass man ihn sogar "das Gewissen der Firma" nannte. Aber gerade seine Nähe zur Arbeiterschaft missfiel dem neu eingesetzten Hauptgeschäftsführer. Wahrscheinlich auch ein Beweggrund für die Kündigung. So schied König in großer Verbitterung, aber auch in tiefer Trauer. Irgendwie war die Firma sein Leben und seine Heimat gewesen.
Danach fasste er unter Schwierigkeiten noch einmal Fuß bei einem größeren Verlagshaus in Lärchenthal. Dieser Wechsel war für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Im 61. Lebensjahr verlor König seine Frau. Brustkrebs. Kurz danach verstarb seine Schwester. Und seit einem Jahr war er wieder arbeitslos, weil im Verlag auch seine Abteilung wegrationalisiert worden war. Nun wohnte er in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kinder hatte er nicht und - abgesehen von seinem Schwager - nur wenige entfernte Verwandte, die er kaum gesehen hatte. Er war nur für sich selbst verantwortlich.
[/strike]

[red]Warum? Alles Schnee von gestern, der die Handlung nicht voran treibt. (Für mich) überflüssige Infos (als Leser), die vom Hauptplot ablenken und Gefahr laufen, den Leser zu verlieren[/red].


Die Annonce ließ ihn nicht los. Irgendwie kam ihm die Idee selbst makaber vor - aber warum eigentlich nicht? Die Papierfabrik war in andere Hände übergegangen, das [strike]gesamte[/strike] damalige Management ausgetauscht. Er hatte die Veränderungen in der Presse aufmerksam [strike]mit[/strike]verfolgt. Dem neuen Personalbüro würde es vermutlich gar nicht auffallen, wer sich hinter der Bewerbung verbarg. Natürlich musste er damit rechnen, dass ihn der eine oder andere [strike]n[/strike][blue]d[/blue]och wiedererkannte, aber das wäre ihm durchaus recht. Die Allermeisten von der alten Belegschaft waren inzwischen sicher Rentner. Viele von ihnen wohnten [strike]wohl[/strike] [blue]vermutlich[/blue] noch immer in Herlesheim, praktisch in Sichtweite zum Werk.
Seine Entscheidung war gefallen. Noch heute würde er seine Bewerbung abschicken.

Ein Jahr später. [red](Hier bietet sich das Präsens an, weil es des Prots akuelle Gedanken sind) [/red]

Tagtäglich tuckerte König mit seinem Kleinwagen zur Arbeit - durch sein geliebtes Tälchen, das je nach Jahreszeit in den verschiedensten Farben erstrahlte.
Soeben hatte er einen neuen Besucher der Fabrik an dessen Ansprechpartner weitergeleitet. Am späten Vormittag war üblicherweise nicht viel los, und er studierte in seiner Pförtnerloge die neuesten Nachrichten: "Militärparade in Peking"
Peking! Er ließ die Zeitung sinken. Plötzlich war ihm der letzte Kaiser der Chinesen eingefallen, den die kommunistische Partei in den Palastanlagen als Gärtner zur Schau stellte.
König musste lächeln. Mochten doch Spötter seinen Schritt als Selbsterniedrigung betrachten. Er wusste es besser. Es war sein freier Entschluss gewesen, und er bereute ihn nicht.
Gestern erst war jemand von der früheren Belegschaft vorbeigekommen, um ihn zu einem Umtrunk in der Dorfkneipe einzuladen. Sie wollten ihn wieder mal "hochleben lassen" - ihren alten König.
Hier streikt mein vermuteter literarischer Verstand. Ich verstehe weder Königs Schritt als Selbsterniedrigung noch den Bezug zu Pu Ji, dem letzten Kaiser. Klar ist mir, dass König ehemals Prokurist war, jetzt als Pförtner dient, aber der Weg dahin ist (mir) zu dünn. Pu Ji passt da (für mich) nicht, der ja keine Wahl hatte, Prot. aber schon. Schließlich kann er sich entscheiden, ob er wieder für die "Firma" arbeiten will, egal, in welcher Position.
Makaber ist natürlich seine despektierliche Situation, vom Millionär zum Tellerwäscher, die zum einen glaubhaft gelesen werden kann, aber Fragen offen lässt, warum gerade Prot. als Held definiert wird (zumindest von einem Teil der früheren Belegschaft).

Fragen über Fragen, die mich noch ratlos "lesen" lassen. Bin gespannt auf dein Input.

LG, Karn
 

rothsten

Mitglied
Hallo Eberhard,

wenn meine Vorredner monieren, es fehle Handlung, dann haben sie Recht. Es geht nicht darum, irgendeine Handlung zu zeigen. Es geht darum, nur die (und sonst keine) Handlungen zu zeigen, die Deine Textidee tragen.

Die entscheidene Handlung beschneidest Du wie folgt:

So schied König in großer Verbitterung, aber auch in tiefer Trauer. Irgendwie war die Firma sein Leben und seine Heimat gewesen.
Hier läge der Stoff, der Deine Geschichte tragen könnte. Verbitterung und Trauer sind Ergebnisse, die interessieren keinen Leser. Der Leser will sehen, wie getrauert, gelacht, geweint etc wird. Beschreibe es! Lass Deinen Text leben.

"Irgendwie" ist so eines der Verlegenheitswörter, die für mich gar nicht gehen. Darf ich als Leser mir die Geschichte jetzt "irgendwie" vorstellen, oder schreibst Du vielleicht, damit ich Deine Bilder sehe?

Mach lieber ne ordentliche Geschichte daraus. Kurzprosa ist hier verfehlt, denn es wird klar erzählt, nicht gedichtet.

Soweit meine Tipps.

lg
 



 
Oben Unten