Eberhard Schikora
Mitglied
Betriebstreue
König stieß auf eine Anzeige im Lärchenthaler Boten:
"Papierfabrik in Herlesheim sucht Pförtner. Interessenten melden sich bitte unter ..."
Die Fabrik kannte er gut, war er doch Jahrzehnte dort als Prokurist tätig gewesen.
Kurz nach seinem 57. Geburtstag hatte man ihm gekündigt. Aus Unaufmerksamkeit hatte er einen Vertragstext unterschrieben, wodurch der Betrieb in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Da sein Schwager in der Vertragsfirma in leitender Stellung beschäftigt war, unterstellte man König Untreue. Ein Mitarbeiter, der schon lange auf seinen Posten scharf war, hatte diesen Verdacht kräftig geschürt.
Bei den Arbeitern war König sehr beliebt. So manch einer von ihnen war auch mit privaten Sorgen zu ihm gekommen. Man konnte sich auf seine Verschwiegenheit verlassen. Rein zufällig bekam er eines Tages mit, dass man ihn sogar "das Gewissen der Firma" nannte. Aber gerade seine Nähe zur Arbeiterschaft missfiel dem neu eingesetzten Hauptgeschäftsführer. Wahrscheinlich auch ein Beweggrund für die Kündigung. So schied König in großer Verbitterung, aber auch in tiefer Trauer. Irgendwie war die Firma sein Leben und seine Heimat gewesen.
Danach fasste er unter Schwierigkeiten noch einmal Fuß bei einem größeren Verlagshaus in Lärchenthal. Dieser Wechsel war für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Im 61. Lebensjahr verlor König seine Frau. Brustkrebs. Kurz danach verstarb seine Schwester. Und seit einem Jahr war er wieder arbeitslos, weil im Verlag auch seine Abteilung wegrationalisiert worden war. Nun wohnte er in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kinder hatte er nicht und - abgesehen von seinem Schwager - nur wenige entfernte Verwandte, die er kaum gesehen hatte. Er war nur für sich selbst verantwortlich.
Die Annonce ließ ihn nicht los. Irgendwie kam ihm die Idee selbst makaber vor - aber warum eigentlich nicht? Die Papierfabrik war in andere Hände übergegangen, das gesamte damalige Management ausgetauscht. Er hatte die Veränderungen in der Presse aufmerksam mitverfolgt. Dem neuen Personalbüro würde es vermutlich gar nicht auffallen, wer sich hinter der Bewerbung verbarg. Natürlich musste er damit rechnen, dass ihn der eine oder andere noch wiedererkannte, aber das wäre ihm durchaus recht. Die Allermeisten von der alten Belegschaft waren inzwischen sicher Rentner. Viele von ihnen wohnten wohl noch immer in Herlesheim, praktisch in Sichtweite zum Werk.
Seine Entscheidung war gefallen. Noch heute würde er seine Bewerbung abschicken.
Ein Jahr später.
Tagtäglich tuckerte König mit seinem Kleinwagen zur Arbeit - durch sein geliebtes Tälchen, das je nach Jahreszeit in den verschiedensten Farben erstrahlte.
Soeben hatte er einen neuen Besucher der Fabrik an dessen Ansprechpartner weitergeleitet. Am späten Vormittag war üblicherweise nicht viel los, und er studierte in seiner Pförtnerloge die neuesten Nachrichten: "Militärparade in Peking"
Peking! Er ließ die Zeitung sinken. Plötzlich war ihm der letzte Kaiser der Chinesen eingefallen, den die kommunistische Partei in den Palastanlagen als Gärtner zur Schau stellte.
König musste lächeln. Mochten doch Spötter seinen Schritt als Selbsterniedrigung betrachten. Er wusste es besser. Es war sein freier Entschluss gewesen, und er bereute ihn nicht.
Gestern erst war jemand von der früheren Belegschaft vorbeigekommen, um ihn zu einem Umtrunk in der Dorfkneipe einzuladen. Sie wollten ihn wieder mal "hochleben lassen" - ihren alten König.
König stieß auf eine Anzeige im Lärchenthaler Boten:
"Papierfabrik in Herlesheim sucht Pförtner. Interessenten melden sich bitte unter ..."
Die Fabrik kannte er gut, war er doch Jahrzehnte dort als Prokurist tätig gewesen.
Kurz nach seinem 57. Geburtstag hatte man ihm gekündigt. Aus Unaufmerksamkeit hatte er einen Vertragstext unterschrieben, wodurch der Betrieb in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Da sein Schwager in der Vertragsfirma in leitender Stellung beschäftigt war, unterstellte man König Untreue. Ein Mitarbeiter, der schon lange auf seinen Posten scharf war, hatte diesen Verdacht kräftig geschürt.
Bei den Arbeitern war König sehr beliebt. So manch einer von ihnen war auch mit privaten Sorgen zu ihm gekommen. Man konnte sich auf seine Verschwiegenheit verlassen. Rein zufällig bekam er eines Tages mit, dass man ihn sogar "das Gewissen der Firma" nannte. Aber gerade seine Nähe zur Arbeiterschaft missfiel dem neu eingesetzten Hauptgeschäftsführer. Wahrscheinlich auch ein Beweggrund für die Kündigung. So schied König in großer Verbitterung, aber auch in tiefer Trauer. Irgendwie war die Firma sein Leben und seine Heimat gewesen.
Danach fasste er unter Schwierigkeiten noch einmal Fuß bei einem größeren Verlagshaus in Lärchenthal. Dieser Wechsel war für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Im 61. Lebensjahr verlor König seine Frau. Brustkrebs. Kurz danach verstarb seine Schwester. Und seit einem Jahr war er wieder arbeitslos, weil im Verlag auch seine Abteilung wegrationalisiert worden war. Nun wohnte er in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Kinder hatte er nicht und - abgesehen von seinem Schwager - nur wenige entfernte Verwandte, die er kaum gesehen hatte. Er war nur für sich selbst verantwortlich.
Die Annonce ließ ihn nicht los. Irgendwie kam ihm die Idee selbst makaber vor - aber warum eigentlich nicht? Die Papierfabrik war in andere Hände übergegangen, das gesamte damalige Management ausgetauscht. Er hatte die Veränderungen in der Presse aufmerksam mitverfolgt. Dem neuen Personalbüro würde es vermutlich gar nicht auffallen, wer sich hinter der Bewerbung verbarg. Natürlich musste er damit rechnen, dass ihn der eine oder andere noch wiedererkannte, aber das wäre ihm durchaus recht. Die Allermeisten von der alten Belegschaft waren inzwischen sicher Rentner. Viele von ihnen wohnten wohl noch immer in Herlesheim, praktisch in Sichtweite zum Werk.
Seine Entscheidung war gefallen. Noch heute würde er seine Bewerbung abschicken.
Ein Jahr später.
Tagtäglich tuckerte König mit seinem Kleinwagen zur Arbeit - durch sein geliebtes Tälchen, das je nach Jahreszeit in den verschiedensten Farben erstrahlte.
Soeben hatte er einen neuen Besucher der Fabrik an dessen Ansprechpartner weitergeleitet. Am späten Vormittag war üblicherweise nicht viel los, und er studierte in seiner Pförtnerloge die neuesten Nachrichten: "Militärparade in Peking"
Peking! Er ließ die Zeitung sinken. Plötzlich war ihm der letzte Kaiser der Chinesen eingefallen, den die kommunistische Partei in den Palastanlagen als Gärtner zur Schau stellte.
König musste lächeln. Mochten doch Spötter seinen Schritt als Selbsterniedrigung betrachten. Er wusste es besser. Es war sein freier Entschluss gewesen, und er bereute ihn nicht.
Gestern erst war jemand von der früheren Belegschaft vorbeigekommen, um ihn zu einem Umtrunk in der Dorfkneipe einzuladen. Sie wollten ihn wieder mal "hochleben lassen" - ihren alten König.