Bewusstseinsgrenzen

Seit einiger Zeit interessiere ich mich für ein Thema, das ich "Grenzen" nennen möchte. Besonders griffig kann ich es nicht definieren, aber es geht dabei um die Grenzen des Vorstellbaren oder Mitteilbaren in der (phantastischen) Literatur, um die Überwindung des Normalbewusstseins. Ein Beispiel von C.A. Smith aus der Erzählung "Die Stadt der singenden Flamme", in der der Erzähler durch eine fremde Dimension schwebt: "Ich empfand keinerlei geistige Verwirrung oder Bestürzung, ja begann vielmehr, abgesehen von meinem Erkennen bisher unbekannter Farben und nichteuklidischer Formen, eine völlig neue Fähigkeit an mir wahrzunehmen, die es mir ermöglichte, auch entfernte Objekte zu betasten".
Beim Lesen dieser Textstelle konnte ich mich irgendwie ziemlich gut in einen schwerelosen, körperlich entgrenzten Zustand hineinfühlen.
Ein anderes Beispiel ist "Am Rand der Gezeiten" von Lord Dunsany, in der sich der Erzähler über die Jahrhunderte hinwegträumt, wobei beim Leser tatsächlich kurzfristig eine Veränderung der Zeitwahrnehmung eintreten kann. Zu nennen wären auch Texte, in der es um Verzerrungen der räumlichen Geometrie geht oder auch Persönlichkeitsänderungen (klassisches Beispiel: Dracula. Die langsame Entwicklung "animalischer" Empfindungen oder Fertigkeiten bei den Infizierten). Also mit einem Wort: Es geht um milde Formen der Bewusstseinsveränderung, die durch Literatur bewirkt wird. Kennt hier jemand ähnliche Erfahrungen oder entsprechende Textpassagen? Würde mich ziemlich interessieren.

LG Volker
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich kenne eine Geschichte von Lem, habe aber den Titel vergessen. Die Protagonistin ist eine sehr hübsche junge Frau, das denkt sie jedenfalls am Anfang. In Wahrheit ist sie eine völlig vorprogrammierte Killermaschine, was sie nicht weiß. Der Mann wird im Moment des Höhepunktes durch eine in ihr eingebaute Mechanik getötet. Sie weiß das aber zu Beginn nicht. Erst im Laufe der Geschichte erkennt sie ihre Bestimmung. Jedoch beweist sie freien Willen und bringt sich um, damit der Killermechanismus nicht inkraft tritt. Damit durchkreuzt sie zugleich den Willen ihres Konstrukteurs.

Eine andere faszinierende Persönlichkeit ist Hari in Solaris. Sie ist die Ehefrau von Kris Kelvin und hat einige Jahre vor der Handlung Selbstmord begangen. Der Film von Tarkowski (nicht so sehr der später gedrehte von Soderberg) zeigt ihre gedankliche Entwicklung von einem durch den Planeten Solaris geschaffenen Artefakt zu einer Frau, die sich dann opfert.
 
Wow, ja! Ich glaube, die erste Story ist "die Maske". Und Solaris gehört in dieser Beziehung natürlich auch zu meinen Favoriten. Da liegen wir ja wohl auf einer Wellenlänge. Am Wochenende habe ich "Das Haus an der Grenze" von W. H. Hodgson gelesen. Ein völlig verrückter Autor: Auf der einen Seite geradezu haarsträubend unbeholfen, auf der anderen aber ein gewaltiger Visionär. Und das allein zählt für mich. In den letzten Monaten habe ich mich (theoretisch) viel mit veränderten Bewusstseinszuständen beschäftigt. Mein Zwischenbericht in Kurzform: Gravierende Bewusstseinsänderungen sind verbunden mit schweren Erkrankungen (Schizophrenie, Manie, hirnorganische Störungen, Nahtoderlebnisse) oder mit der Einnahme starker, gesundheitsgefährdender Drogen. Leichtere Veränderungen können durch Trance, Hypnose und Meditation hervorgerufen werden, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als weit weniger spektakulär und mysteriös erweisen, als es die Legenden, die sich darum ranken, zunächst glauben machen.
Wesentlich interessanter erscheint mir da das Phänomen des Flows, die totale Fokussierung des Bewusstseins auf eine bestimmte Tätigkeit. Wer dem Alltag entkommen möchte, sollte es also am besten z.B. mit konzentriertem Lesen (oder Schreiben) - mit Kreativität halt - versuchen, die anderen Methoden sind offenbar zu gefährlich, zu ungesund und irgendwie nicht nach menschlichem Maß.

So long!

Volker
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, es ist "Die Maske".
Vielleicht ist die Herausbildung solcher Bewusstseinsveränderungen und Bewusstseinsverdeckungen ebenfalls eine Art Maskierung, ein Verbergen vor anderen und vielleicht auch vor sich. Dazu kommt die Entmaskierung (wie in "Die Maske" von Lem oder in der Psychoanalyse von Freud.)

In einigen Wekren spielt auch der Maskenbildner eine Rolle. Interessant wird es, wenn die Maske der Gedanken die eigenen Gedanken ersetzt. Einnahme starker, gesundheitsgefährdender Drogen ist vielleicht auch eine Maskierung.

W. H. Hodgson kenne ich leider nicht.
 
Also, in Hinblick auf Drogen bin ich mit dir einer Meinung, dass es eine Maskierung darstellt. Aber beim kreativen Prozess geht es doch im Kern darum, das Alltagsbewusstsein zu überwinden. Noch ein paar Beispiele aus dem Filmbereich:
Mich amüsiert immer wieder, wie Tarrantino die lineare Zeitstruktur aufbricht. Das ganze funktioniert auch mit dem Raum. Zum Beispiel, wenn in Coppolas Dracula die Ratten im Kellergewölbe quasi Kopf stehen und die Parfümtropfen aus dem Flacon nach oben fallen. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Filmen, in denen Traumsequenzen vorkommen, wo also versucht wird, einen veränderten Bewusstseinszustand zu imitieren.
 

schio

Mitglied
es geht auch viel realer und doch phantastisch
wenn man sich die bewusstseinserweiterung bewusst macht

Johannes Greber: Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes, seine Gesetze und sein Zweck - Selbsterlebnisse eines katholischen Geistlichen.

es liest sich wei ein krimmi

ist wohl nur noch hier zu bekommen:
http://www.greber-christen.de/

ebenfalls von solch einer wucht an erkenntnis ist dieses buch:

Dreissig Jahre unter den Toten (Broschiert)
von Carl Wickland (einfach mal die rezension mein amazon lesen)
http://www.amazon.de/Dreissig-Jahre...ef=sr_1_1/028-0907746-9847744?ie=UTF8&s=books

nach dieser lektüre, hat man eine andere sicht auf die "geisteskranken" und unerklärliche geschehnisse

das soll keine werbung sein, sondern eine empfehlung aus meiner erfahrung mit diesen werken

ich denke, es passt sehr gut zu eurer suche

viel vergnügen eurem suchenden geist

lg schio
 

dissidentin

Mitglied
Cooles Thema (wenn auch älter)

Der Weltensegler ist beispielsweise eine schön spacige Reise durchs All von seinem gemütlichen Plätzchen aus. Es ist ein Ambient-Hörspiel.

Einen kurzen Einblick kann man sich hier machen (allerdings schlechte Tonqualität), indem man zweimal auf den Weltensegler klickt: http://vetterton.de
 



 
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