Biologie bei Frau Müller

Anonym

Gast
Johanna und ich saßen im Bistro bei einer Tasse Kakao. Es war eine ganz normale Mittagsfreizeit. Wie jeden Mittwoch der Woche und eigentlich auch sonst bei jedem anderen Tag, waren wir damit beschäftigt, uns über alle möglichen Leute in unserer Klasse auszulassen. Es war fast wie eine Sucht, dieses Lästern.
„Hast du gesehen, wie Katrin und Romina eben in Englisch wieder einen auf beste Freundinnen gemacht haben?“, meinte Johanna. „Ich schwöre dir, nächste Woche heißt es wieder „mit der ollen Schlampe hab ich nix mehr zu tun.“
„Ja, dann tauschen sie wieder ihre Klamotten aus. Romina läuft dann in Übergröße durch die Schule und bei Katrin sieht man dann die ganzen Speckröllchen. Ekelhaft. Ich könnt da kotzen, Johanna.“
„Ja, vor allem meinen die, nur weil sie sich mal gegenseitig nackt gesehen haben, seien sie die besten Freundinnen....“
Unser kurzes Gespräch wurde nun just vom Klingeln unterbrochen.
„Zwei Stunden Bio jetzt, ne?“, fragte ich.
„Ja, zwei Stunden Frau Müller“, schwärmte Johanna.
Schnell packten wir unsere Sachen zusammen und verschwanden in Richtung Bioraum. Hier erwartete uns schon die große Traube der anderen Biologen.
Leicht abseits vom großen Kern der Truppe um Dustin Gillon – einem eingebildeten, blonden Schnösel, dessen Stimme in mir schon regelrechte Aggressionen auslöste – setzten Johanna und ich uns neben die Tür und setzen unser Gespräch von eben fort – mit dem kleinen Unterschied, dass wir jetzt über Lehrer und nicht mehr über unsere Stufenkameraden sprachen.
Genau mit dem zweiten Klingeln erschien unsere Biolehrerin an der Treppe – die göttliche Cordelia Müller. Ich liebte diese Frau einfach nur. Genau wie Johanna sie einfach nur liebte. Sie war zweiundfünfzig Jahre alt und trug einen adretten Knoten in ihren Haaren. Aus den Taschen ihres grauen Regenmantels – den sie sogar im Hochsommer trug – kramte sie ihren Schlüssel und öffnete die Tür. Ganz zum Schluss folgten Johanna und ich der Klasse in den Fachraum und setzten uns zu unseren Plätzen in der ersten Reihe.
Frau Müller deutete mit einer kurzen Geste ihrer Klasse an, sich zu erheben.
„Guten Morgen, meine Lieben“, sagte sie.
„Guten Morgen, Frau Müller“, antworteten wir im Chor. Dabei vergaß man allerdings gänzlich, dass wir bereits viertel vor zwei hatten und einige von uns der lieben Frau Müller bestimmt keinen guten Morgen wünschten.
„Keiner fehlt“, sagte sie. Keine Frage, sondern Feststellung.
Frau Müller runzelte die Stirn – das war das ganz klare Zeichen, dass sie gerade in ihrem Notenkalender kramte und einen von uns für die mündliche Hausaufgabenüberprüfung drannehmen würde.
„Dustin.“ Das Henkersbeil richtete sich auf meinen allerbesten Freund. Er erhob sich.
„Ja, Frau Müller?“
„Schildere mir die Konsequenzen der Substrathemmung!“
Dustin blieb still. Aus meinen psychoanalytischen Diskussionen mit Johanna schloss ich hier, dass er gerade über die mögliche Ausrede nachdachte, warum er seine Hausaufgaben denn diesmal nicht gemacht hatte.
„Dustin, ich warte“, lächelte Frau Müller.
„Ich weiß es nicht, Frau Müller.“
„Du weißt es nicht. Anscheinend weißt du vieles nicht. Weißt du denn, was ich mir jetzt für eine Note vermerken werde?“
Wieder blieb er still.
„Dustin, ich warte“, lächelte sie ein weiteres Mal.
„Ich denke, eine vier wäre angebracht“, meinte Dustin in seinem Möchtegern-gebildetem Deutsch.
„Eine vier? Nun, Dustin, du musst wissen, dass ich euch gestern eine Hausaufgabe aufgegeben habe. Simples Auswendiglernen. Nicht mehr, nicht weniger. Nichts ist leichter, als einfach drei Sätze aus deinem Biobuch auswendig zu lernen und mir dann ausm FF hier vorzutragen. Und dann erwartest du allen ernstes eine vier? Wie hat Herr Abelshauser das denn immer gehandhabt?“
Dustin lächelte. „Er gab uns die vier.“
„Wie gut, dass Herr Abelshauser nicht mehr diesen Biologiekurs hat. Sechs, setzen“, sagte sie. „Nun...wen nehme ich jetzt? Ah, Freiwillige vor!“
Johanna hob die Hand.
„Keiner außer Johanna? Nun, Kind, zeig uns dein Wissen.“
„Also unter der Substrathemmung versteht man...“
Es klopfte an der Tür.
„Herein!“, sagte Frau Müller. „Du bist gleich sofort wieder dran“, meinte sie dann zu Johanna.
Die Tür öffnete sich.
Dieser Anblick würde sich auf ewig in mein Gedächtnis brennen. Herein kam ein Junge, vielleicht 16 oder 17 Jahre. Kurzes braunes Haar war zu einer stilvollen Frisur gegeelt und nach nur einem Blick in diese wunderschönen blauen Augen – in ihnen fühlte ich mich, als würde ich im tiefblauen Ozean schwimmen – war ich im siebten Himmel.
„Hallo, Frau Müller. Entschuldigen Sie bitte, dass ich zu spät bin, aber Herr Duvals Einweisungsgespräch hat leider was lange gedauert. Darf ich mich setzen?“
„Du darfst dich vorstellen, danach reden wir über den Rest“, lächelte Frau Müller.
„MarkusMeyer“, sagte er.
„Da vorne neben Johanna ist noch ein Platz frei. Ah, ja, wo wir grad bei dir sind, fahre fort, Johanna...“
Die folgende Bio-Doppelstunde verbrachten Johanna und ich im siebten Himmel. Johanna war im siebten Himmel, weil sie sich bei Frau Müller, was sämtliche Fragen des Unterrichts angelangte, richtig austoben konnte. Ich mochte Bio genau so wie Johanna, doch diese Stunde war meine mündliche Mitarbeit gleich null, denn ich hatte nur Augen für den neuen Mitschüler. Nicht nur, dass er der schönste Junge war, den ich je gesehen hatte, er war gleichzeitig auch noch der intelligenteste. Zehn Fragen stellte Frau Müller ihm im Laufe des Unterrichts und alle zehn wurden von ihm komplett richtig und ohne irgendwelche Formulierungsfehler beantwortet. Johanna und ich schafften an sich auch immer alle Fragen von Frau Müller, doch Markusübertraf uns bei weitem. Nicht nur dass er sich weder auf die Stunde vorbereitet hatte noch in ein Buch schauen musste, er war der erste – neben Johanna und mir –, der von Frau Müller nicht bei irgendwelcher Grammatik oder Formulierung korrigiert werden musste. Einfach unglaublich.
Es klingelte – die kurze Fünfminutenpause kam.
Wie schon fast bei einem automatischem Prozess trat Dustin Gillon an den Neuen heran und bat ihn, sich doch in der nächsten Stunde neben ihn zu setzten. Wer so gut in Bio bei Frau Müller war, galt normalerweise als Opfer. Johanna und ich waren Opfer, das war uns klar und auch egal. Doch Markustrug genau wie die anderen Jungs in der Klasse die selben Markenklamotten und machte genau den selben sportlichen Eindruck. Wenige Sekunden später hatte er Johanna und mich verlassen und saß jetzt direkt neben Dustin Gillon.
So schade. Jetzt hatte ich nichts mehr zum Glotzen.
Genau mit dem Klingeln erschien Frau Müller mit einer dampfenden Kaffeetasse aus dem Lehrerzimmer und stellte sie auf ihr Pult. Das laute Klatschen in die Hände läutete den Beginn der zweiten und letzten Schulstunde dieses Tages ein.
„Andreas“, sagte sie zu mir. „Ich hab von dir heute noch gar nichts gesehen. Komm, Jung, beschreib mir das Diagramm auf Seite 50 im Buch.“
 

Anonym

Gast
Johanna und ich saßen im Bistro bei einer Tasse Kakao. Es war eine ganz normale Mittagsfreizeit. Wie jeden Mittwoch der Woche und eigentlich auch sonst bei jedem anderen Tag, waren wir damit beschäftigt, uns über alle möglichen Leute in unserer Klasse auszulassen. Es war fast wie eine Sucht, dieses Lästern.
„Hast du gesehen, wie Katrin und Romina eben in Englisch wieder einen auf beste Freundinnen gemacht haben?“, meinte Johanna. „Ich schwöre dir, nächste Woche heißt es wieder „mit der ollen Schlampe hab ich nix mehr zu tun.“
„Ja, dann tauschen sie wieder ihre Klamotten aus. Romina läuft dann in Übergröße durch die Schule und bei Katrin sieht man dann die ganzen Speckröllchen. Ekelhaft. Ich könnt da kotzen, Johanna.“
„Ja, vor allem meinen die, nur weil sie sich mal gegenseitig nackt gesehen haben, seien sie die besten Freundinnen....“
Unser kurzes Gespräch wurde nun just vom Klingeln unterbrochen.
„Zwei Stunden Bio jetzt, ne?“, fragte ich.
„Ja, zwei Stunden Frau Müller“, schwärmte Johanna.
Schnell packten wir unsere Sachen zusammen und verschwanden in Richtung Bioraum. Hier erwartete uns schon die große Traube der anderen Biologen.
Leicht abseits vom großen Kern der Truppe um Jonas Baumgarten– einem eingebildeten, blonden Schnösel, dessen Stimme in mir schon regelrechte Aggressionen auslöste – setzten Johanna und ich uns neben die Tür und setzen unser Gespräch von eben fort – mit dem kleinen Unterschied, dass wir jetzt über Lehrer und nicht mehr über unsere Stufenkameraden sprachen.
Genau mit dem zweiten Klingeln erschien unsere Biolehrerin an der Treppe – die göttliche Cordelia Müller. Ich liebte diese Frau einfach nur. Genau wie Johanna sie einfach nur liebte. Sie war zweiundfünfzig Jahre alt und trug einen adretten Knoten in ihren Haaren. Aus den Taschen ihres grauen Regenmantels – den sie sogar im Hochsommer trug – kramte sie ihren Schlüssel und öffnete die Tür. Ganz zum Schluss folgten Johanna und ich der Klasse in den Fachraum und setzten uns zu unseren Plätzen in der ersten Reihe.
Frau Müller deutete mit einer kurzen Geste ihrer Klasse an, sich zu erheben.
„Guten Morgen, meine Lieben“, sagte sie.
„Guten Morgen, Frau Müller“, antworteten wir im Chor. Dabei vergaß man allerdings gänzlich, dass wir bereits viertel vor zwei hatten und einige von uns der lieben Frau Müller bestimmt keinen guten Morgen wünschten.
„Keiner fehlt“, sagte sie. Keine Frage, sondern Feststellung.
Frau Müller runzelte die Stirn – das war das ganz klare Zeichen, dass sie gerade in ihrem Notenkalender kramte und einen von uns für die mündliche Hausaufgabenüberprüfung drannehmen würde.
„Jonas.“ Das Henkersbeil richtete sich auf meinen allerbesten Freund. Er erhob sich.
„Ja, Frau Müller?“
„Schildere mir die Konsequenzen der Substrathemmung!“
Jonasblieb still. Aus meinen psychoanalytischen Diskussionen mit Johanna schloss ich hier, dass er gerade über die mögliche Ausrede nachdachte, warum er seine Hausaufgaben denn diesmal nicht gemacht hatte.
„Jonas, ich warte“, lächelte Frau Müller.
„Ich weiß es nicht, Frau Müller.“
„Du weißt es nicht. Anscheinend weißt du vieles nicht. Weißt du denn, was ich mir jetzt für eine Note vermerken werde?“
Wieder blieb er still.
„Jonas, ich warte“, lächelte sie ein weiteres Mal.
„Ich denke, eine vier wäre angebracht“, meinte Dustin in seinem Möchtegern-gebildetem Deutsch.
„Eine vier? Nun, Jonas, du musst wissen, dass ich euch gestern eine Hausaufgabe aufgegeben habe. Simples Auswendiglernen. Nicht mehr, nicht weniger. Nichts ist leichter, als einfach drei Sätze aus deinem Biobuch auswendig zu lernen und mir dann ausm FF hier vorzutragen. Und dann erwartest du allen ernstes eine vier? Wie hat Herr Abelshauser das denn immer gehandhabt?“
Jonas lächelte. „Er gab uns die vier.“
„Wie gut, dass Herr Abelshauser nicht mehr diesen Biologiekurs hat. Sechs, setzen“, sagte sie. „Nun...wen nehme ich jetzt? Ah, Freiwillige vor!“
Johanna hob die Hand.
„Keiner außer Johanna? Nun, Kind, zeig uns dein Wissen.“
„Also unter der Substrathemmung versteht man...“
Es klopfte an der Tür.
„Herein!“, sagte Frau Müller. „Du bist gleich sofort wieder dran“, meinte sie dann zu Johanna.
Die Tür öffnete sich.
Dieser Anblick würde sich auf ewig in mein Gedächtnis brennen. Herein kam ein Junge, vielleicht 16 oder 17 Jahre. Kurzes braunes Haar war zu einer stilvollen Frisur gegeelt und nach nur einem Blick in diese wunderschönen blauen Augen – in ihnen fühlte ich mich, als würde ich im tiefblauen Ozean schwimmen – war ich im siebten Himmel.
„Hallo, Frau Müller. Entschuldigen Sie bitte, dass ich zu spät bin, aber Herr Duvals Einweisungsgespräch hat leider was lange gedauert. Darf ich mich setzen?“
„Du darfst dich vorstellen, danach reden wir über den Rest“, lächelte Frau Müller.
„Markus Meyer“, sagte er.
„Da vorne neben Johanna ist noch ein Platz frei. Ah, ja, wo wir grad bei dir sind, fahre fort, Johanna...“
Die folgende Bio-Doppelstunde verbrachten Johanna und ich im siebten Himmel. Johanna war im siebten Himmel, weil sie sich bei Frau Müller, was sämtliche Fragen des Unterrichts angelangte, richtig austoben konnte. Ich mochte Bio genau so wie Johanna, doch diese Stunde war meine mündliche Mitarbeit gleich null, denn ich hatte nur Augen für den neuen Mitschüler. Nicht nur, dass er der schönste Junge war, den ich je gesehen hatte, er war gleichzeitig auch noch der intelligenteste. Zehn Fragen stellte Frau Müller ihm im Laufe des Unterrichts und alle zehn wurden von ihm komplett richtig und ohne irgendwelche Formulierungsfehler beantwortet. Johanna und ich schafften an sich auch immer alle Fragen von Frau Müller, doch Markus übertraf uns bei weitem. Nicht nur dass er sich weder auf die Stunde vorbereitet hatte noch in ein Buch schauen musste, er war der erste – neben Johanna und mir –, der von Frau Müller nicht bei irgendwelcher Grammatik oder Formulierung korrigiert werden musste. Einfach unglaublich.
Es klingelte – die kurze Fünfminutenpause kam.
Wie schon fast bei einem automatischem Prozess trat Dustin Gillon an den Neuen heran und bat ihn, sich doch in der nächsten Stunde neben ihn zu setzten. Wer so gut in Bio bei Frau Müller war, galt normalerweise als Opfer. Johanna und ich waren Opfer, das war uns klar und auch egal. Doch Markustrug genau wie die anderen Jungs in der Klasse die selben Markenklamotten und machte genau den selben sportlichen Eindruck. Wenige Sekunden später hatte er Johanna und mich verlassen und saß jetzt direkt neben Jonas.
So schade. Jetzt hatte ich nichts mehr zum Glotzen.
Genau mit dem Klingeln erschien Frau Müller mit einer dampfenden Kaffeetasse aus dem Lehrerzimmer und stellte sie auf ihr Pult. Das laute Klatschen in die Hände läutete den Beginn der zweiten und letzten Schulstunde dieses Tages ein.
„Andreas“, sagte sie zu mir. „Ich hab von dir heute noch gar nichts gesehen. Komm, Jung, beschreib mir das Diagramm auf Seite 50 im Buch.“
 

Anonym

Gast
Johanna und ich saßen im Bistro bei einer Tasse Kakao. Es war eine ganz normale Mittagsfreizeit. Wie jeden Mittwoch der Woche und eigentlich auch sonst bei jedem anderen Tag, waren wir damit beschäftigt, uns über alle möglichen Leute in unserer Klasse auszulassen. Es war fast wie eine Sucht, dieses Lästern.
„Hast du gesehen, wie Katrin und Romina eben in Englisch wieder einen auf beste Freundinnen gemacht haben?“, meinte Johanna. „Ich schwöre dir, nächste Woche heißt es wieder „mit der ollen Schlampe hab ich nix mehr zu tun.“
„Ja, dann tauschen sie wieder ihre Klamotten aus. Romina läuft dann in Übergröße durch die Schule und bei Katrin sieht man dann die ganzen Speckröllchen. Ekelhaft. Ich könnt da kotzen, Johanna.“
„Ja, vor allem meinen die, nur weil sie sich mal gegenseitig nackt gesehen haben, seien sie die besten Freundinnen....“
Unser kurzes Gespräch wurde nun just vom Klingeln unterbrochen.
„Zwei Stunden Bio jetzt, ne?“, fragte ich.
„Ja, zwei Stunden Frau Müller“, schwärmte Johanna.
Schnell packten wir unsere Sachen zusammen und verschwanden in Richtung Bioraum. Hier erwartete uns schon die große Traube der anderen Biologen.
Leicht abseits vom großen Kern der Truppe um Jonas Baumgarten– einem eingebildeten, blonden Schnösel, dessen Stimme in mir schon regelrechte Aggressionen auslöste – setzten Johanna und ich uns neben die Tür und setzen unser Gespräch von eben fort – mit dem kleinen Unterschied, dass wir jetzt über Lehrer und nicht mehr über unsere Stufenkameraden sprachen.
Genau mit dem zweiten Klingeln erschien unsere Biolehrerin an der Treppe – die göttliche Cordelia Müller. Ich liebte diese Frau einfach nur. Genau wie Johanna sie einfach nur liebte. Sie war zweiundfünfzig Jahre alt und trug einen adretten Knoten in ihren Haaren. Aus den Taschen ihres grauen Regenmantels – den sie sogar im Hochsommer trug – kramte sie ihren Schlüssel und öffnete die Tür. Ganz zum Schluss folgten Johanna und ich der Klasse in den Fachraum und setzten uns zu unseren Plätzen in der ersten Reihe.
Frau Müller deutete mit einer kurzen Geste ihrer Klasse an, sich zu erheben.
„Guten Morgen, meine Lieben“, sagte sie.
„Guten Morgen, Frau Müller“, antworteten wir im Chor. Dabei vergaß man allerdings gänzlich, dass wir bereits viertel vor zwei hatten und einige von uns der lieben Frau Müller bestimmt keinen guten Morgen wünschten.
„Keiner fehlt“, sagte sie. Keine Frage, sondern Feststellung.
Frau Müller runzelte die Stirn – das war das ganz klare Zeichen, dass sie gerade in ihrem Notenkalender kramte und einen von uns für die mündliche Hausaufgabenüberprüfung drannehmen würde.
„Jonas.“ Das Henkersbeil richtete sich auf meinen allerbesten Freund. Er erhob sich.
„Ja, Frau Müller?“
„Schildere mir die Konsequenzen der Substrathemmung!“
Jonasblieb still. Aus meinen psychoanalytischen Diskussionen mit Johanna schloss ich hier, dass er gerade über die mögliche Ausrede nachdachte, warum er seine Hausaufgaben denn diesmal nicht gemacht hatte.
„Jonas, ich warte“, lächelte Frau Müller.
„Ich weiß es nicht, Frau Müller.“
„Du weißt es nicht. Anscheinend weißt du vieles nicht. Weißt du denn, was ich mir jetzt für eine Note vermerken werde?“
Wieder blieb er still.
„Jonas, ich warte“, lächelte sie ein weiteres Mal.
„Ich denke, eine vier wäre angebracht“, meinte Jonas in seinem Möchtegern-gebildetem Deutsch.
„Eine vier? Nun, Jonas, du musst wissen, dass ich euch gestern eine Hausaufgabe aufgegeben habe. Simples Auswendiglernen. Nicht mehr, nicht weniger. Nichts ist leichter, als einfach drei Sätze aus deinem Biobuch auswendig zu lernen und mir dann ausm FF hier vorzutragen. Und dann erwartest du allen ernstes eine vier? Wie hat Herr Abelshauser das denn immer gehandhabt?“
Jonas lächelte. „Er gab uns die vier.“
„Wie gut, dass Herr Abelshauser nicht mehr diesen Biologiekurs hat. Sechs, setzen“, sagte sie. „Nun...wen nehme ich jetzt? Ah, Freiwillige vor!“
Johanna hob die Hand.
„Keiner außer Johanna? Nun, Kind, zeig uns dein Wissen.“
„Also unter der Substrathemmung versteht man...“
Es klopfte an der Tür.
„Herein!“, sagte Frau Müller. „Du bist gleich sofort wieder dran“, meinte sie dann zu Johanna.
Die Tür öffnete sich.
Dieser Anblick würde sich auf ewig in mein Gedächtnis brennen. Herein kam ein Junge, vielleicht 16 oder 17 Jahre. Kurzes braunes Haar war zu einer stilvollen Frisur gegeelt und nach nur einem Blick in diese wunderschönen blauen Augen – in ihnen fühlte ich mich, als würde ich im tiefblauen Ozean schwimmen – war ich im siebten Himmel.
„Hallo, Frau Müller. Entschuldigen Sie bitte, dass ich zu spät bin, aber Herr Duvals Einweisungsgespräch hat leider was lange gedauert. Darf ich mich setzen?“
„Du darfst dich vorstellen, danach reden wir über den Rest“, lächelte Frau Müller.
„Markus Meyer“, sagte er.
„Da vorne neben Johanna ist noch ein Platz frei. Ah, ja, wo wir grad bei dir sind, fahre fort, Johanna...“
Die folgende Bio-Doppelstunde verbrachten Johanna und ich im siebten Himmel. Johanna war im siebten Himmel, weil sie sich bei Frau Müller, was sämtliche Fragen des Unterrichts angelangte, richtig austoben konnte. Ich mochte Bio genau so wie Johanna, doch diese Stunde war meine mündliche Mitarbeit gleich null, denn ich hatte nur Augen für den neuen Mitschüler. Nicht nur, dass er der schönste Junge war, den ich je gesehen hatte, er war gleichzeitig auch noch der intelligenteste. Zehn Fragen stellte Frau Müller ihm im Laufe des Unterrichts und alle zehn wurden von ihm komplett richtig und ohne irgendwelche Formulierungsfehler beantwortet. Johanna und ich schafften an sich auch immer alle Fragen von Frau Müller, doch Markus übertraf uns bei weitem. Nicht nur dass er sich weder auf die Stunde vorbereitet hatte noch in ein Buch schauen musste, er war der erste – neben Johanna und mir –, der von Frau Müller nicht bei irgendwelcher Grammatik oder Formulierung korrigiert werden musste. Einfach unglaublich.
Es klingelte – die kurze Fünfminutenpause kam.
Wie schon fast bei einem automatischem Prozess trat Dustin Gillon an den Neuen heran und bat ihn, sich doch in der nächsten Stunde neben ihn zu setzten. Wer so gut in Bio bei Frau Müller war, galt normalerweise als Opfer. Johanna und ich waren Opfer, das war uns klar und auch egal. Doch Markustrug genau wie die anderen Jungs in der Klasse die selben Markenklamotten und machte genau den selben sportlichen Eindruck. Wenige Sekunden später hatte er Johanna und mich verlassen und saß jetzt direkt neben Jonas.
So schade. Jetzt hatte ich nichts mehr zum Glotzen.
Genau mit dem Klingeln erschien Frau Müller mit einer dampfenden Kaffeetasse aus dem Lehrerzimmer und stellte sie auf ihr Pult. Das laute Klatschen in die Hände läutete den Beginn der zweiten und letzten Schulstunde dieses Tages ein.
„Andreas“, sagte sie zu mir. „Ich hab von dir heute noch gar nichts gesehen. Komm, Jung, beschreib mir das Diagramm auf Seite 50 im Buch.“
 



 
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