Blattschuss

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Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
oder
Wie die Verse mich fanden



Der Rest aus meiner Klasse hatte sich mit einer Flasche Lambrusco in den Burggarten verzogen. Es war 1977 kein Problem mit sechzehn Jahren an Alkohol zu kommen, wirklich interessiert hat das niemanden.
Es wird wohl wieder die alte Diskussion gelaufen sein, wer denn nun die bessere Band sei - Deep Purple oder Black Sabbath. Darauf verspürte ich an diesem Tag überhaupt keine Lust, weil mich Annette nach der Schule versetzt hatte um zum Klavierunterricht zu gehen. Es wäre wohl auch die denkbar schlechteste Ausgangsposition gewesen um an diesem Streitgespräch teilzunehmen.
So führte mich mein Weg wie an vielen Nachmittagen zum großen Eingangsportal der Stadtbibliothek. Es war immer ein großer Moment, wenn ich die Innentüre öffnete. In Bibliotheken herrscht ein ganz besonderer Geruch - irgenwie abgestanden, aber trotzdem erhaben. Noch heute rieche ich erst an einem neuen Buch, bevor ich es aufschlage.
Der Bibliothekar begrüßte mich wie einen alten Bekannten und hat nur kurz aufgesehen, als ich meinen Weg in den ersten Stock zur Erwachsenenliteratur nahm.
Hier durfte ich sie alle kennenlernen - Frisch, Böll, Grass und Andersch. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich mich zwischen den Büchern verloren habe und deshalb der letzte Bus ohne mich nach Hause gefahren ist, sehr zum Leidwesen meines Vaters.
Wahllos habe ich wie immer Bücher aus den Regalen gezogen, um mich letztendlich in einem Roman festzusaugen. Während meiner Suche fiel mir ein Buch einer Schriftstellerin in die Hände, von der ich noch nie gehört hatte - Rose Ausländer.
Ein Blick auf den Umschlag ließ mich mit Erschrecken feststellen, dass es sich um Gedichte handelt. Ich fühlte mich fast ertappt bei einer bösen Tat und wollte das Buch dann doch nicht zurückstellen ohne einen Blick hingeworfen zu haben.
So bin ich auf folgende Worte gestoßen:

noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da


Es war ein regelrechter Schock, den ich dadurch erlitten habe. Ich klemmte mir das Buch unter den Arm und habe es ausgeliehen. Den Blick des Bibliothekars werde ich nie vergessen, irgendwie erstaunt, aber mit einem verschmitzten Grinsen um die Mundwinkel.
Den Bus habe ich an diesem Tag nicht versäumt und es war mir auch egal, wer denn nun die Könige des Hardrocks sind.
Kaum zu Hause angekommen, riss ich ein Blatt aus einem Schulheft und habe meinen ersten Vierzeiler darauf geschrieben:

Ein Schuss in der Ferne,
sein Klang verhallt satt.
Ich wüsste nur zu gerne,
wen es nun getroffen hat.


Eigentlich hätte ich ja ein Gedicht für Annette schreiben sollen, aber sie hat nie eines von mir gesehen.
Den Zettel habe ich heute noch, was aus ihr geworden ist - wer weiß.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo franke,

gefällt mir sehr, strahlt authenzität aus,
ohne die vergangenheit zu verkitschen.
ich stelle mir vor, das hier sehr viel autor drin ist.

der anfang führt eigentlich überhaupt nicht in die eigentliche geschichte des textes, schafft aber einen fühlbaren rahmen in dem der leser den prot stellung beziehen lässt.

das schreit nach mehr...

kurz und gut:

das riechen der bücher

lg ralf
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ralf,

danke für deinen positiven Kommentar.
Der freut mich um so mehr, weil ich mich normalerweise nicht im Prosabereich bewege.
Ja, da steckt sehr viel Autor drin!

Liebe Grüße
Manfred
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Franke,

es ist der "Blattschuss" http://de.wikipedia.org/wiki/Blattschuss
(die Überschrift).

Hier noch ein paar Anmerkungen zu deinem Text:

Der Rest aus meiner Klasse hatte sich mit einer Flasche Lambrusco in den Burggarten verzogen. Es war 1977 [red]Komma[/red] kein Problem mit sechzehn Jahren an Alkohol zu kommen, wirklich interessiert hat das niemanden.
Es wird wohl wieder die alte Diskussion gelaufen sein, wer denn nun die bessere Band sei - Deep Purple oder Black Sabbath. Darauf verspürte ich an diesem Tag überhaupt keine Lust, weil mich Annette nach der Schule versetzt hatte um zum Klavierunterricht zu gehen. Es wäre wohl auch die denkbar schlechteste Ausgangsposition gewesen um an diesem Streitgespräch teilzunehmen.
So führte mich mein Weg wie an vielen Nachmittagen zum großen Eingangsportal der Stadtbibliothek. Es war immer ein großer Moment, wenn ich die Innentüre öffnete. In Bibliotheken herrscht ein ganz besonderer Geruch - irgenwie abgestanden, aber trotzdem erhaben. Noch heute rieche ich erst an einem neuen Buch, bevor ich es aufschlage.
Der Bibliothekar begrüßte mich wie einen alten Bekannten und hat nur kurz aufgesehen, als ich meinen Weg in den ersten Stock zur Erwachsenenliteratur nahm.
Hier durfte ich sie alle kennenlernen - Frisch, Böll, Grass und Andersch. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich mich zwischen den Büchern verloren habe und deshalb der letzte Bus ohne mich nach Hause gefahren ist, sehr zum Leidwesen meines Vaters.
Wahllos [red]hatte[/red] ich wie immer Bücher aus den Regalen gezogen, um mich letztendlich in einem Roman festzusaugen. Während meiner Suche fiel mir ein Buch einer Schriftstellerin in die Hände, von der ich noch nie gehört hatte - Rose Ausländer.
Ein Blick auf den Umschlag ließ mich mit Erschrecken feststellen, dass es sich um Gedichte [red]handelte[/red]. Ich fühlte mich fast ertappt bei einer bösen Tat (besser: Ich fühlte mich wie bei einer bösen Tat ertappt) und wollte das Buch dann doch nicht zurückstellen [red]Komma[/red] ohne einen Blick hingeworfen zu haben.
So bin ich auf folgende Worte gestoßen:

noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Es war ein regelrechter Schock, den ich dadurch erlitten habe. [blue](Hier verschenkst du die Möglichkeit zu erklären, was bei dir ausgelöst wurde).[/blue]Ich klemmte mir das Buch unter den Arm und habe es ausgeliehen. Den Blick des Bibliothekars werde ich nie vergessen, irgendwie erstaunt, aber mit einem verschmitzten Grinsen um die Mundwinkel.
Den Bus habe ich an diesem Tag nicht versäumt und es war mir auch egal, wer denn nun die Könige des Hardrocks [red]waren[/red].
Kaum zu Hause angekommen, [red]kein Komma[/red] riss ich ein Blatt aus einem Schulheft und habe meinen ersten Vierzeiler darauf geschrieben [blue](s.o. Warum?)[/blue]:

Ein Schuss in der Ferne,
sein Klang verhallt satt.
Ich wüsste nur zu gerne,
wen es nun getroffen hat.

Eigentlich hätte ich ja ein Gedicht für Annette schreiben sollen [blue](wollen?)[/blue], aber sie hat nie eines von mir gesehen.
Den Zettel habe ich heute noch, was aus ihr geworden ist - wer weiß.

Grüße von Zeder
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Blattschuss
oder
Wie die Verse mich fanden



Der Rest aus meiner Klasse hatte sich mit einer Flasche Lambrusco in den Burggarten verzogen. Es war 1977 kein Problem mit sechzehn Jahren an Alkohol zu kommen, wirklich interessiert hat das niemanden.
Es wird wohl wieder die alte Diskussion gelaufen sein, wer denn nun die bessere Band sei - Deep Purple oder Black Sabbath. Darauf verspürte ich an diesem Tag überhaupt keine Lust, weil mich Annette nach der Schule versetzt hatte um zum Klavierunterricht zu gehen. Es wäre wohl auch die denkbar schlechteste Ausgangsposition gewesen um an diesem Streitgespräch teilzunehmen.
So führte mich mein Weg wie an vielen Nachmittagen zum großen Eingangsportal der Stadtbibliothek. Es war immer ein großer Moment, wenn ich die Innentüre öffnete. In Bibliotheken herrscht ein ganz besonderer Geruch - irgenwie abgestanden, aber trotzdem erhaben. Noch heute rieche ich erst an einem neuen Buch, bevor ich es aufschlage.
Der Bibliothekar begrüßte mich wie einen alten Bekannten und hat nur kurz aufgesehen, als ich meinen Weg in den ersten Stock zur Erwachsenenliteratur nahm.
Hier durfte ich sie alle kennenlernen - Frisch, Böll, Grass und Andersch. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich mich zwischen den Büchern verloren habe und deshalb der letzte Bus ohne mich nach Hause gefahren ist, sehr zum Leidwesen meines Vaters.
Wahllos hatte ich wie immer Bücher aus den Regalen gezogen, um mich letztendlich in einem Roman festzusaugen. Während meiner Suche fiel mir ein Buch einer Schriftstellerin in die Hände, von der ich noch nie gehört hatte - Rose Ausländer.
Ein Blick auf den Umschlag ließ mich mit Erschrecken feststellen, dass es sich um Gedichte handelte. Ich fühlte mich fast ertappt bei einer bösen Tat und wollte das Buch dann doch nicht zurückstellen, ohne einen Blick hingeworfen zu haben.
So bin ich auf folgende Worte gestoßen:

noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da


Es war ein regelrechter Schock, den ich dadurch erlitten habe. Die Möglichkeit mit einfachen, klaren Worten einen ganzen Kosmos zu spannen, war mir bis dahin verwehrt geblieben.
Ich klemmte mir das Buch unter den Arm und habe es ausgeliehen. Den Blick des Bibliothekars werde ich nie vergessen, irgendwie erstaunt, aber mit einem verschmitzten Grinsen um die Mundwinkel.
Den Bus habe ich an diesem Tag nicht versäumt und es war mir auch egal, wer denn nun die Könige des Hardrocks waren.
Kaum zu Hause angekommen riss ich ein Blatt aus einem Schulheft und habe meinen ersten Vierzeiler darauf geschrieben:

Ein Schuss in der Ferne,
sein Klang verhallt satt.
Ich wüsste nur zu gerne,
wen es nun getroffen hat.


Eigentlich hätte ich ja ein Gedicht für Annette schreiben sollen, aber sie hat nie eines von mir gesehen.
Den Zettel habe ich heute noch, was aus ihr geworden ist - wer weiß.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Zeder,

herzlichen Dank für deine Beschäftigung mit dem Prosaversuch eines Lyrikers.
Ja, das alte Kommaproblem! :D
In einem Gedicht hat man die Freiheit diese auch mal zu ignorieren, sollte man in einem Prosatext nicht tun.
Ich habe jetzt auch den Schock etwas näher erklärt. Nur bei der Annette muss das "sollen" bleiben, für sie wollte ich nie ein Gedicht schreiben.

Den Titel kann vielleicht jemand der Moderatoren ändern, das wäre lieb!

Danke und viele Grüße
Manfred
 

revilo

Mitglied
Wow, Franke, wir haben eines gemeinsam: Wir verehren Rose Ausländer. Ich entdeckte ihre Gedichte erst vor kurzem auf Lyrikline. Ihre Worte haben mich getroffen wie ein Hammer. Diese klare, einfache Sprache, mit der sie in einem Gedicht Millionen von Botschaften transportiert,hat mich ungeheuer beeindruckt. Es war ein positiver Schock.........
LG revilo
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo revilo,

ich durfte diesen "Schock" schon mit 16 Jahren erleben. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich schreibe!

Liebe Grüße
Manfred
 

revilo

Mitglied
Ich habe mit Bukowski - Imitationen angefangen...... waren diese Teile cool.......yeeaahhhh
LG revilo
 



 
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