Blau - verschollen im Meer

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TimKlueck

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Blau - verschollen!


Dieser Tag spie Flammen.
Lilly strich mit ihren schmutzigen Fingern über die schorfigen Lippen und blickte an sich herab. Das Kleid, das so gut ihre kleinen Brüste und schlanken Beine betont hatte (wie sie in endlosen Stunden vor dem Spiegel herausgefunden hatte) klebte an ihrem Körper, fleckig von Salzwasser, Schweiß und getrocknetem Blut. Ihre Oberarme und Schenkel waren übersäht mit Malen und der rechte Knöchel pochte aus der faustgroßen Schwellung. Es war der vierte, glaubte das Mädchen, jedenfalls, wenn es die Wechsel von sengenden Tagen und eiskalten Nachtwinden richtig gezählt hatte.

Immer seltener hob sie den Kopf über den Rand des kleinen Bootes, um nach Rettung Ausschau zu halten, irgendwo am Horizont vielleicht einen winzigen Punkt zu entdecken, der ihr noch Hoffnung machen konnte, nach diesem - sie wusste nicht, wie sie es nennen sollte - etwas, dass sie nur aus Filmen oder Nachrichten von Unglücken fremder Menschen kannte. Dieses etwas hatte vor vier Tagen alles verschlungen, ihre Familie, die Passagiere, die Hochseeyacht mitsamt dem Bootsführer und der Viermannbesatzung. Und nur sie selbst und Mr. Calahoe hatte es auf diesem Rettungsboot zurückgelassen.
Wohin Lilly auch blickte, die Welt um sie herum war Blau, nur die kleinen Wellen glucksten und änderten ständig ihre Form. Der gleißende, weiße Kreis der Sonne stand über ihnen, so als brenne jemand mit einer riesigen Lupe ein Loch in das diesige Himmelsdach, wie in ein Stück Papier. Lilly sehnte sich die Kühle des Abends herbei und schluchzte auf.
Sie krümmte sich und versuchte so gut es ging hinter dem Rand des Bootes Schatten zu finden und überlegte, ob es wohl besser wäre ihren aufgeschürften Knöchel in das Wasser zu halten, um die Schwellung zu kühlen. Doch der Bootsrand war zu hoch und das Sitzen darauf zu anstrengend. Sie kauerte sich noch enger an die Holzplanken und legte das pinke Täschchen, das ihr als einziges geblieben war über das Gesicht.
Er drang in sie ein. Sie bemerkte ihn zuerst in ihrem Hals und daran dass es schmerzte, wenn sie ihre Zunge bewegte. Doch jetzt spürte sie ihn tiefer in ihrem Inneren, in ihrer brennenden Lunge und im Kopf. Der Tod hatte einen Helfer, den Durst - nie hätte sie gedacht, dass man es im Kopf spürte, wenn man verdurstete. Sie würde hier sterben, einschlafen und sterben und nichts mehr spüren. Seltsamerweise musste sie bei dem Gedanken lächeln.
Lilly tastete nach der Colalightflasche in der Tasche und versuchte am Geräusch die Menge der restlichen Flüssigkeit zu schätzen. Ja es war noch da. Nicht mehr viel, aber es war noch etwas da. Sie hatte versucht so gut es ging sparsam zu sein. Ein Schluck jetzt, nur ein kleiner Schluck. Sie drehte vorsichtig am Verschluss und erinnerte sich an das Gefühl, wie das Nass ihre festgeklebte Zunge löste.

Mr. Calahoe am anderen Ende des Holzbootes murmelte vor sich hin, doch sie machte sich nicht mehr die Mühe aufzublicken. Jede Bewegung kostete zu viel Kraft. Seit zwei Tagen sprachen sie nicht mehr viel miteinander. Sei es, weil sie zu schwach waren oder, weil es nichts mehr zu besprechen gab. Er blieb ein Fremder, einer, von vielen flüchtigen Bekanntschaften ihrer Eltern. Ein Fremder jedoch, der sie letzte Nacht beobachtet hatte, wie sie den Slip abgestreift, das Kleid hochgeschoben und ungeschickt versuchte hatte über den Rand zu pinkeln. Das Kleid wurde dabei schrecklich nass. Noch immer wurde ihr ganz fahl im Magen, wenn sie an Calahoes im Mondlicht weiß schimmernden Augen dachte.
Seitdem sprach sie nicht mehr mit ihm, und jetzt gab es sowieso nur noch das Schaukeln und Plätschern und die Glut auf ihrer Haut.
Als Lilly ihre trockene Zunge bewegte, zuckte ein Schmerz durch ihren Gaumen. Kurz öffnete sie die Augen. Mr. Calahoe setzte sich schnaufend auf. Sein Hemd war zerrissen und dreckig. Das Gesicht, besonders sein Nasenrücken und unterhalb der Augen, glänzte rot verbrannt und auf seiner Glatze platzten Hautfetzen ab. Er tastete in der Hosentasche und steckte eine Pille in den Mund. Es knirschte zwischen seinen Zähnen, als er sie grinsend zerbiss. Gott, seit Tagen trieben sie auf diesem Boot, wie ein Stück trockenes Holz und er schluckte einmal täglich seine Herzpillen. Lilly wich seinen Blicken aus. Platsch, platsch. Kleine Wellen schwappten gegen das Holz des Rettungsbootes. Sie schloss die Augen und das monotone Auf und Ab lies sie dahindämmern.

Lilly bemerkte den Schatten über ihrem Gesicht erst sehr spät. Die Helligkeit blendete sie, als sie die Augen aufriss.
„Gib mir die Flasche!“
Mr. Calahoes Stimme klang erschreckend deutlich. Er stand vor ihr, breitbeinig und schwankend. Erst jetzt fiel ihr seine enorme Größe auf. Lilly zog ihre Knie an sich und versuchte sich zu stützen. In ihrem Kopf hämmerte es.
„Denkst wohl, ich merke nicht, wie du sie versteckst?“
Er kam einen Schritt näher und ruderte mit seinen Armen, um sein Gleichgewicht zu halten.
„Nein, weg, es ist meine Flasche!“, rief sie und stopfte das Täschchen hinter ihren Rücken. Im grellen Gegenlicht erkannte sie nur das Weiße in seinen Augen.
„Zum Teufel damit, und wenn ich nicht aufpasse ist sie leer und du hast alles alleine gesoffen!“
Er streckte seine Arme aus.
„Gib sie mir!“
„Es ist nicht genug da. Wir wissen nicht, wie lange es noch dauert, bis sie uns finden.“
„Vielleicht tot ja, meinst du das?“
Mr. Calahoes Lachen überschlug sich und ging in ein Gurren über, bis er sich plötzlich verschluckte und hässlich hustete. Jetzt sah Lilly seine knallrote, aufgeplatzte Haut und die Bartstoppeln. Lillys Magen verkrampfte sich und ein Stich fuhr ihr ins Gesäß.

„Gib mir das Trinken!“
„Es ist noch zu früh!“
„Du willst es für dich alleine! Denkst wohl, ich hab nicht gesehen, wie du die Flasche versteckst!“
Er packte sie am Knöchel, sehr grob. Lilly hatte keine Zeit, Mr. Calahoes Angriff auszuweichen. Sie versuchte sich loszustrampeln, stieß jedoch gegen ihre Schwellung und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Mr. Calahoes Fingernägel gruben sich noch tiefer um ihr Fußgelenk. Ihr Kleid war dabei nach oben gerutscht, über ihre Schenkel. Mit offenem Mund glotzte er zwischen ihre Beine. Das Schwein starrte auf ihren Slip.
„Nein! Nicht!“
Sie schrie und strampelte ohne auf ihren geschwollenen Knöchel zu achten. Ihr Fuß schnellte mit einer verblüffend harten Entschlossenheit hervor und traf frontal seine Kniescheibe. Es machte ein sehr hässliches Geräusch. Etwas in seinem Knie musste kaputt gegangen sein. Es hörte sich an, wie das Brechen eines Holzbrettchens.
Mr. Calahoe sank schreiend in die Knie. Tränen schossen aus den Augen und sein überraschtes Gesicht schien noch dunkelroter zu werden. Er wankte und machte eine bizarre Körperdrehung, die Hand um sein Knie haltend, und schlug mit dem Gesicht auf den Holzplanken auf. Sein Wimmern hallte über das Meer und Lillys Körper durchfuhr ein Schauer.
„Verdammtes Luder, du hast es mir gebrochen, verdammtes Luder!“
Er zog sich zum Ende des Bootes, wandte sein blutverschmiertes Gesicht ab und schrie auf, wann immer er das getroffene Bein bewegen musste.
Nur langsam entspannten sich Lillys Muskeln und sie öffnete ihre Fäuste, er würde ihr hoffentlich nicht mehr näher kommen.

Es dauerte lange bis sein Jammern weniger wurde. Lilly hatte kein Gefühl mehr für die Zeit. Ein warmer Wind strich durch ihr Haar und sie bemerkte, dass die Sonne sehr tief stand und das Meer glitzerte. Sie öffnete die Schnallen der Tasche, zog die Flasche heraus und schraubte den Deckel ab. Sie blickte ängstlich zu Mr. Calahoe, als sie trank. Süße, kostbare Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab und dieser Augenblick währte doch so schmerzlich kurz. „Gott“, dachte sie, „wie sollte sie das nur überstehen?“
Platsch, platsch.

Calahoe drehte langsam seinen Kopf. Lilly blieb achtsam und ließ ihn nicht aus den Augen. Er blinzelte und schützte mit der Hand seine Augen vor dem flachstehenden Sonnenlicht. Sein Blick verharrte in der Ferne. Jetzt entdeckte auch sie den kleinen, schwarzen Punkt am Horizont.
„Sie kommen, sie kommen! Hier sind wir! Hiieeer...“
Lilly schrie und riss die Arme mit letzter Kraft in die Höhe. Ihr Boot schaukelte gefährlich. Lilly reckte sich auf, zerrte das Kleid über den Kopf, um es wie eine Fahne zu schwenken. Auch Calahoe hob jetzt endlich seine Arme und krächzte so laut er konnte.
Vielleicht fünfzehn Minuten, Calahoe kauerte bereits wieder eingesunken am Bootsrand, vielleicht dreißig Minuten, schrie sie sich das Leben aus dem Leib, bis Ihre Kehle unerträglich brannte und bis sie bemerkte, dass das Schiff nicht näher kam, kein winziges Stückchen näher, sondern sich wieder entfernte. Es setzte einfach seinen stinknormalen Weg fort. Bemerkte sie nicht, übersah sie.
„Nein, oh nein, bitte nicht! Hier sind wir doch, hier!“
Lilly stand nach Atem ringend und blickte verzweifelt auf das Rot der im Meer verschwindenden Kugel. Wie konnte es sein, dass sie das kleine umher treibende Boot nicht bemerkten? Der dunkle Punkt am Horizont wurde kleiner und kleiner und verschwand schließlich ganz hinter den schwarzen Wellen.

Lilly weinte und legte sich auf den Boden. Ihr wurde kalt nur in BH und Höschen und sie begann zu zittern und zog das Kleid wieder über. Eine unruhige, windige Nacht brach über sie herein. Einmal wachte sie auf und hörte Calahoes Schluchzen, dann meinte sie, dass der Wind sang. Ja, er sang. Dann schlief sie wieder ein und ein neuer, sengender Tag zog am Horizont auf. Es war der fünfte, wenn sie richtig gezählt hatte.
Klong, klong, klong.
Calahoe schlug dreimal mit seiner Gürtelschnalle gegen den Bootsrand.
Lilly wurde schlagartig aus ihrem Dämmerzustand gerissen und war jetzt hellwach.
„Gib mit die Flasche“, sagte er und sie hatte den Eindruck, dass in seiner Stimme keine List lag.
„Was wollen sie noch? Sie ist doch leer.“
„Dann kannst du sie mir ja geben. Du hast mir schon genug Unheil gebracht.“
Er deutete auf sein lahmes Knie, das er mit seinem Halstuch notdürftig verbunden hatte.
„Mach schon.“
Etwas blitzte in seinen leidenden Augen.
Sie kramte die Flasche aus ihrer Tasche heraus. Ein kleiner Rest von brauner Flüssigkeit klebte noch auf dem Flaschenboden.
Lilly überlegte kurz, schmiss sie ihm dann aber zu. Er sollte es haben. Scheppernd schlug sie auf das Holz vor seinen Füßen.
Er riss die Flasche an sich und leckte gierig die letzten Tropfen heraus.
Dann öffnete er den Knopf seiner Hose und zog seinen Hosenschlitz auf. Lilly biss sich auf die Lippen. Calahoe setzte sich auf, drehte sich seitlich, hielt die Flasche unter den Hosenschlitz und – pinkelte hinein.
Er führte stumm die Flasche an seinen Mund und trank.
Lilly starrte auf die kleine Ritze am Boden. Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln und zuckte zusammen.
Die Flasche schlug scheppernd vor ihren Füßen auf.
„Piss das nächste Mal da rein. Es ist das Einzige, was es ab sofort noch gibt.“
Sie rührte die Flasche nicht an. Auch nicht, als sie einen leichten Druck in ihrer Blase spürte. Einmal glaubte sie ein Dröhnen zu hören und suchte den grellen Himmel ab.
Platsch, platsch. Doch es war nichts.
Der Mond zog auf und der Wind sang wieder. Das Meer glitzerte silbern.
Lilly zog zitternd die Flasche an sich. Sie tastete in ihrem Höschen und drückte den Flaschenhals dagegen. Dann schloss sie die Augen und entleerte ihre Blase.
Der Urin schmeckte bitter, aber es war nicht so schlimm. Er rann ihre Kehle hinab und löste die trockene Zunge.
Langsam lies sie die Flasche sinken. Sie betete das Vater Unser und schlief ein, ohne es zu beenden. Am Horizont schimmerte bereits der neue Tag. War es der sechste?
Lilly wusste es nicht mehr.
Sie schlief wieder ein und wachte auf. Schlief wieder ein und Mutter beugte sich herab und küsste sie auf die Schläfen und sie roch das Rosenwasser auf ihrer Haut. Lilly wachte erschrocken auf. Es brannte und es wankte, es wurde kalt, bitter kalt und wankte und es wurde wieder dunkel. Sie konnte ihren Mund nicht mehr schließen. Sie versuchte sich zu räuspern, doch es blieb ihr in der Kehle stecken.
Platsch, platsch.
Es ratterte und donnerte. Es wankte und donnerte.
Sie blinzelte in das grelle Licht. Für Sekundenbruchteile meinte sie einen schwarzen Flügelschlag gesehen zu haben. Sie wollte hochschnellen, sich noch ein letztes mal zusammen reißen. Doch ihre Beine gehorchten nicht mehr.
Hubschrauberrotoren. Es donnerte, ja es donnerte und wankte. Ein lauter, warmer Wind stürmte über sie hinweg. Endlich! Sie spürte wie jemand sie anhob und sie lächelte, als es wieder Nacht wurde.
 

TimKlueck

Mitglied
Überarbeitet

Hallo Leser,
wusste leider nicht so genau, in welche Rubrik ich die Story einstellen soll.
Psycho und Horror ist, denk ich, schon ein bisschen dabei, wenn man ohne Trinkwasser zu zweit auf einem kleinen Rettungsbot im Ozean ausharren muss.
Hab die Story noch einmal verändert. Mich würde vor allem interessieren, ob sie nun noch als Ganzes wirkt und nicht zusammengestückelt und so etwas wie Athmosphäre aufkommt oder man einfach unberührt bleibt und an was das liegt. (Manno Mann, immer diese Bandwurmsätze ;-)

Und, habt ihr eine Idee für einen anderen Titel?

Danke für euer Lesen und Liebe Grüße
Tim
 

Felix

Mitglied
Hallo Tim

meiner Meinung nach passt deine Geschichte schon ganz gut in das Horror- und Psychoforum - jedenfalls wenn du sie noch etwas überarbeitest.
Die angespannte Atmosphäre zwischen Lilly und Mr. Callahoe solltest du noch wesentlich intensivieren. Lass besonders Callahoe in seinem Wunsch nach der Flasche aggressiver, eben psychopatischer werden.
Zeige noch ein bisschen direkter auf, was aus Menschen werden kann, wenn sie ganz auf sich allein gestellt um ihre Existenz kämpfen müssen.
Und denke vielleicht über ein alternatives Ende nach. Die Spannung in deiner Geschichte bricht mir durch die plötzliche Rettung zu abrubt ab. Lass das Ende offen oder gestalte es wenigstens nicht durch und durch positiv, das gibt der ganzen Geschichte einen wesentlich düstereren Hauch.

Und was den Titel angeht, da fällt mir nun auf Anhieb auch keiner ein. Am besten kurz und aussagekräftig.
Hauptsache es klingt nicht nach Pro Sieben TV-Produktion ;)

Felix
 
N

no-name

Gast
Hi Tim,

herzlich willkommen in der Leselupe. ;-)

Du hast hier meiner Meinung nach eine gute und in sich stimmige Kurzgeschichte geschrieben. Ich habe einige Rechtschreibfehler gefunden, nichts Gravierendes oder extrem Störendes, aber die solltest Du in jedem Fall noch verbessern.

Weiter schließe ich mich Felix an, auch ich würde ein offenes Ende der geschichte besser finden.
Was den Titel angeht, so würde ich den auch ändern, vielleicht einfach in das verkürzte "Schiffbruch" - was meinst Du?

Grüße von no-name.
 

TimKlueck

Mitglied
Danke no-name, danke Felix für die Rückmeldungen.

Ja, das mit der Zuspitzung ist so eine Sache, an der ich noch arbeiten muss.
Mich plagte bis grad ein ganz anderes Problem.
Ein Leser der Story (außerhalb des Forums) meinte nach der Lektüre, dass der "Urinplot" zu grass sei und sehr unappetitlich obendrein, und dann noch Opa und Mädel, fast schon unzüchtig. :-( Hab darauf hin nochmal die Story danach abgeklopft und kleine "Abmilderungen" angebracht. Was meint ihr dazu? Zu klibbrig oder so in Ordnung? Naja, bin mir da grad gar nicht mehr so sicher.

Greez
Tim
 

Sunny Day

Mitglied
Hallo Tim,

also mir hat deine Geschichte ganz gut gefallen.
Ich hab mich beim Lesen gut hineinversetzen können, der Erzählstil gefällt mir.

Zu grass finde ich den "Urinplot" nicht. Ich dachte nur, bei folgendem Teil könnte man etwas mehr schreiben.
Dann schloss sie die Augen und entleerte ihre Blase.
Der Urin schmeckte bitter, aber es war nicht so schlimm. Er rann ihre Kehle hinab und löste die trockene Zunge.
Langsam lies sie die Flasche sinken. Sie betete das Vater Unser und schlief ein, ohne es zu beenden.
Sicher hat sie die Flasche nicht genau getroffen, lief etwas über ihre Hände? Hat sie sich geekelt beim Trinken, hat es sie überwindung gekostet? Immerhin hat sie doch lange gewartet bis sie die Flasche benutzte. War ihr übel danach?
Ich denke, dieser Teil ist so mit der Höhepunkt der Geschichte, du könntest ihn ruhig ausführlicher gestalten.


Hmm, mit dem Titel könnte man bestimmt was knackigeres finden, aber Titel suchen finde ich auch immer am schwersten. Da kann ich leider nicht weiterhelfen :(

Ach ja, und das Ende der Geschichte, ist zwar schön, dass sie gerettet werden aber gefühlsmäßig finde ich, es passt nicht so ganz. Was offenes wäre vielleicht besser, nachhaltiger.

Ich hoffe, ich konnte Dir etwas weiterhelfen :)


Liebe Grüße
Sunny Day
 
N

no-name

Gast
Hi Tim,

ich finde den "Urinplot" keineswegs zu krass.
Mensch, die beiden Personen, die Du beschreibst, befinden sich in einer auswegslosen Situation! Sie sind allein und treiben irgendwo schiffbrüchig im Meer herum!
Was meinst Du wohl, was Menschen alles tun, nur um zu überleben?!
Da überwinden Sie natürlich auch die Hemmschwelle, den Ekel, und trinken ihren eigenen Urin - da bin ich mir sicher!
Ich stimme Sunny Day allerdings insofern zu, als dass auch ich finde, dass Du diese Überwindung Lillys zu wenig beschreibst. Du handelst das meiner Meinung nach zu schnell ab, gibst diesem Zwiespalt "Überwinde ich den Ekel oder nicht" zu wenig Raum. Was meinst Du?

Liebe Grüße von no-name.
 

TimKlueck

Mitglied
Hallo no-name, hallo Sunny Day,

vielen Dank fuer eure Rueckmeldungen.
Werde die zwei Stellen, die ihr angesprochen habt (Schluss und Trinkszene nochmal ueberarbeiten. Muss allerdings noch ein bisschen warten, da ich grad im Urlaub in Griechenland in einem Intenetcafe sitze. (Die griechische Tastatur ist gar nicht so einfach)

Liebe Gruesse an euch
Tim
 
N

no-name

Gast
LOL Tim,...

schönen Urlaub in Hellas wünsche ich Dir - genieße Deinen Urlaub, das Überarbeiten Deiner Geschichte ist da jawohl zweitrangig und kann warten! ;-)

Viele Grüße von no-name.
 

Mondfrau

Mitglied
Hallo,

deine Geschichte erinnert mich etwas an "Schiffbruch mit Tiger". Dein Erzählstil gefällt mir,ich habe mich nicht eine Minute beim Lesen gelangweilt. Aber ich finde auch, dass du die Stimmung zwischen den beiden Protagonisten noch verstärken solltest, indem du die Charaktere besser herausarbeitest.

Antje
 

Gorgonski

Mitglied
Also ich finde die Geschichte gelungen und vor allem spannend, weil man sich beim Lesen stets fragt, wie es denn ausgehen wird. Und die Geschichte vom Alleinsein auf dem Ozean ist wohl einer der Uralpträume der Menschen, wobei ich mich einschließe.

Das Happyend würde ich entgegen meinen Vorschreibern so lassen.

Grüsse, Rocco
 

TimKlueck

Mitglied
Rot, das im Meer verschwindet

Dieser Tag spie Flammen.
Lilly strich mit ihren schmutzigen Fingern über die schorfigen Lippen und blickte an sich herab. Das Kleid, das so gut ihre kleinen Brüste und schlanken Beine betont hatte (wie sie in endlosen Stunden vor dem Spiegel herausgefunden hatte) klebte an ihrem Körper, fleckig von Salzwasser, Schweiß und getrocknetem Blut. Ihre Oberarme und Schenkel waren übersäht mit Malen und der rechte Knöchel pochte aus der faustgroßen Schwellung. Es war der vierte, glaubte das Mädchen, jedenfalls, wenn es die Wechsel von sengenden Tagen und eiskalten Nachtwinden richtig gezählt hatte.

Immer seltener hob sie den Kopf über den Rand des kleinen Bootes, um nach Rettung Ausschau zu halten, irgendwo am Horizont vielleicht einen winzigen Punkt zu entdecken, der ihr noch Hoffnung machen konnte, nach diesem - sie wusste nicht, wie sie es nennen sollte - etwas, das sie nur aus Filmen oder Nachrichten von Unglücken fremder Menschen kannte. Dieses etwas hatte vor vier Tagen alles verschlungen, ihre Familie, die Passagiere, die Hochseeyacht mitsamt dem Bootsführer und der Viermannbesatzung. Und nur sie selbst und Mr. Calahoe hatte es auf diesem Rettungsboot zurückgelassen.
Wohin Lilly auch blickte, die Welt um sie herum war Blau, nur die kleinen Wellen glucksten und änderten ständig ihre Form. Der gleißende, weiße Kreis der Sonne stand über ihnen, so als brenne jemand mit einer riesigen Lupe ein Loch in das diesige Himmelsdach, wie in ein Stück Papier. Lilly sehnte sich die Kühle des Abends herbei und schluchzte.

Sie krümmte sich und versuchte hinter dem Rand des Bootes Schatten zu finden und überlegte, ob es wohl besser wäre ihren aufgeschürften Knöchel in das Wasser zu halten, um die Schwellung zu kühlen. Doch der Bootsrand war zu hoch und das Sitzen darauf wäre zu anstrengend. Sie kauerte sich enger an die Holzplanken und legte das pinke Täschchen, das ihr als einziges geblieben war über das Gesicht.

Er drang in sie ein. Sie bemerkte ihn zuerst in ihrem Hals und daran, dass es schmerzte, wenn sie ihre Zunge bewegte. Doch jetzt spürte sie ihn tiefer - in ihrem Inneren, in ihrer brennenden Lunge und im Kopf. Der Tod hatte einen Helfer, den Durst - nie hätte sie gedacht, dass man es im Kopf spürte, wenn man verdurstete. Sie würde hier sterben, einschlafen und sterben und nichts mehr spüren. Dieser hässliche Gedanke ließ sich fortan nicht mehr vertreiben. Lilly tastete nach der Colalightflasche in der Tasche und versuchte am Geräusch die Menge der restlichen Flüssigkeit zu schätzen. Ja es war noch da. Nicht mehr viel, aber es war noch etwas da. Sie hatte versucht so gut es ging sparsam zu sein. Ein Schluck jetzt, nur ein kleiner Schluck. Sie drehte vorsichtig am Verschluss und erinnerte sich an das Gefühl eines samtenen Nasses, das ihre festgeklebte Zunge löste.

Mr. Calahoe murmelte am anderen Ende des Holzbootes vor sich hin, doch sie machte sich nicht die Mühe aufzublicken. Jede Bewegung kostete Kraft. Seit zwei Tagen sprachen sie nur noch wenig miteinander. Sei es, weil sie zu schwach waren oder, weil es nichts mehr zu besprechen gab. Er blieb ein Fremder, einer, von vielen flüchtigen Bekanntschaften ihrer Eltern. Ein Fremder jedoch, der sie letzte Nacht beobachtet hatte, wie sie den Slip abgestreift, das Kleid hochgeschoben und ungeschickt versuchte hatte über den Rand zu pinkeln. Das Kleid wurde dabei schrecklich nass. Sie erinnerte sich an Calahoes im Mondlicht weiß schimmernden Augen. Noch immer war ihr ganz fahl im Magen.
Seitdem sprach sie nicht mehr mit ihm, und jetzt gab es sowieso nur noch das Schaukeln und Plätschern und die Glut auf ihrer Haut.

Als Lilly die Zunge bewegte, zuckte ein Schmerz durch ihren Gaumen. Mr. Calahoe setzte sich schnaufend auf. Sie spähte durch ihre halb geöffneten Lider. Sein Hemd war zerrissen und dreckig. Das Gesicht, besonders sein Nasenrücken und unterhalb der Augen, glänzte rot verbrannt und auf seiner Glatze platzten Hautfetzen ab. Er tastete in der Hosentasche und steckte eine Pille in den Mund. Es knirschte zwischen seinen Zähnen, als er sie grinsend zerbiss. Gott, seit Tagen trieben sie auf diesem Boot, wie ein Stück trockenes Holz und er schluckte einmal täglich seine Herzpillen. Er stierte sie wieder an. Das war eklig. Platsch, platsch. Kleine Wellen schwappten gegen das Holz des Rettungsbootes. Sie schloss die Augen und das monotone Auf und Ab lullte sie ein.

Lilly bemerkte den Schatten über sich erst sehr spät. Die Helligkeit blendete sie, als sie die Augen aufriss.
„Gib mir die Flasche!“
Er stand vor ihr, eine mächtige Silhouette, breitbeinig und schwankend. Erst jetzt fiel ihr seine enorme Größe auf. Lilly zog die Knie an und versuchte sich aufzusetzen. In ihrem Kopf hämmerte es.
„Denkst wohl, ich merke nicht, wie du sie versteckst?“
Er kam einen Schritt näher und ruderte mit seinen Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
„Nein, weg, es ist meine Flasche!“, rief sie und stopfte das Täschchen hinter ihren Rücken. Der Bulle fuchtelte wild.

„Zum Teufel damit, und wenn ich nicht aufpasse ist sie leer und du hast alles alleine gesoffen!“
Er streckte seine Arme aus.
„Gib sie mir!“
„Es ist nicht genug da. Wir wissen nicht, wie lange es noch dauert, bis sie uns finden.“
„Vielleicht tot ja, meinst du das?“
Mr. Calahoes Lachen überschlug sich und ging in ein Gurren über, bis er sich plötzlich verschluckte und hässlich hustete. Jetzt sah sie die tanzenden Bartstoppeln um seine aufgeplatzten Lippen. Lillys Magen verkrampfte sich und ein Stich fuhr ihr ins Gesäß.

„Gib mir das Trinken!“
„Es ist noch zu früh! Ich habe ihnen schon vorhin gegeben.“
„Du willst es für dich alleine! Denkst wohl, ich hab nicht gesehen, wie du die Flasche versteckst!“
Er packte sie am Knöchel, sehr grob. Lilly hatte keine Zeit, Mr. Calahoes Angriff auszuweichen. Sie versuchte sich loszustrampeln, stieß jedoch gegen ihre Schwellung und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Mr. Calahoes Fingernägel gruben sich tief in ihr Fußgelenk. Das Kleid war dabei nach oben gerutscht, über die Schenkel. Mit offenem Mund glotzte er zwischen ihre Beine. Das Schwein starrte auf ihren Slip.
„Nein! Nicht!“
Sie schrie und strampelte ohne auf den geschwollenen Knöchel zu achten. Ihr Fuß schnellte mit einer verblüffend harten Entschlossenheit hervor und traf frontal seine Kniescheibe. Es machte ein sehr hässliches Geräusch und hörte sich an, wie das Brechen eines Holzbrettchens.
Etwas in seinem Knie musste kaputt gegangen sein. Der Baum wankte. Mr. Calahoe sank fluchend in die Knie und schon begann es ihr leid zu tun.

Er taumelte, machte eine bizarre Körperdrehung, die Hand um sein Knie haltend, und schlug mit dem Kopf gegen die Planken. Sein Wimmern hallte über das Meer und Lillys Körper durchfuhr ein Schauer.
„Verdammt, du hast es mir gebrochen, verdammtes Luder!“
Er zog sich zum Ende des Bootes, wendete sein blutverschmiertes Gesicht ab und heulte auf, wann immer er das getroffene Bein bewegen musste.
Nur langsam entspannten sich Lillys Muskeln und sie öffnete ihre Fäuste.


Es dauerte lange bis sein Jammern weniger wurde. Lilly hatte kein Gefühl mehr für die Zeit. Ein warmer Wind strich durch ihr Haar und sie bemerkte, dass die Sonne sehr tief stand und das Meer glitzerte. Sie öffnete die Schnallen der Tasche, zog die Flasche heraus und schraubte den Deckel ab. Sie blickte ängstlich zu Mr. Calahoe, als sie trank. Süße, kostbare Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab und dieser Augenblick währte doch so schmerzlich kurz. „Gott“, dachte sie, „wie sollte sie das nur überstehen?“
Platsch, platsch.

Calahoe drehte langsam seinen Kopf. Lilly blieb achtsam und ließ ihn nicht aus den Augen. Er blinzelte und schützte mit der Hand seine Augen vor dem flachstehenden Sonnenlicht. Sein Blick verharrte in der Ferne. Jetzt entdeckte auch sie den kleinen, schwarzen Punkt am Horizont.
„Sie kommen, sie kommen! Hier sind wir! Hiieeer...“
Lilly schrie und riss die Arme mit letzter Kraft in die Höhe. Ihr Boot schaukelte gefährlich. Lilly reckte sich auf, zerrte das Kleid über den Kopf, um es wie eine Fahne zu schwenken. Auch Calahoe hob jetzt endlich seine Arme und krächzte so laut er konnte.

Vielleicht fünfzehn Minuten, Calahoe kauerte bereits wieder eingesunken am Bootsrand, vielleicht dreißig Minuten, schrie sie sich das Leben aus dem Leib, bis Ihre Kehle unerträglich brannte und bis sie bemerkte, dass das Schiff nicht näher kam, kein winziges Stückchen näher, sondern sich wieder entfernte. Es setzte einfach seinen stinknormalen Weg fort. Bemerkte sie nicht, übersah sie.
„Nein, oh, bitte nicht! Hier sind wir doch!“
Lilly stand fassungslos nach Atem ringend und blickte verzweifelt auf das Rot der im Meer verschwindenden Kugel. Wie konnte es sein, dass sie das kleine umher treibende Boot nicht bemerkten? Der dunkle Punkt am Horizont wurde kleiner und kleiner und verschwand schließlich ganz hinter den schwarzen Wellen.

Lilly weinte und legte sich auf den Boden. Ihr wurde kalt nur in BH und Höschen und sie begann zu zittern und zog das Kleid wieder über. Eine unruhige, windige Nacht brach über sie herein. Einmal wachte sie auf und hörte Calahoes Schluchzen, dann meinte sie, dass der Wind sang. Ja, er sang. Dann schlief sie wieder ein und ein neuer, sengender Tag zog am Horizont auf. Es war der fünfte, wenn sie richtig gezählt hatte.
Klong, klong, klong.
Calahoe schlug dreimal mit seiner Gürtelschnalle gegen den Bootsrand.
Lilly wurde schlagartig aus ihrem Dämmerzustand gerissen und war jetzt hellwach.
„Gib mit die Flasche“, sagte er und sie hatte den Eindruck, dass in seiner Stimme keine List lag.
„Was wollen sie noch? Sie ist doch leer.“
„Dann kannst du sie mir ja geben. Du hast mir schon genug Unheil gebracht.“
Er deutete auf sein lahmes Knie, das er mit seinem Halstuch notdürftig verbunden hatte.
„Mach schon.“
Etwas blitzte in seinen leidenden Augen.
Sie kramte die Flasche aus ihrer Tasche heraus. Ein kleiner Rest von brauner Flüssigkeit klebte noch auf dem Flaschenboden.
Lilly überlegte kurz, schmiss sie ihm dann aber zu. Er sollte es haben. Scheppernd schlug sie auf das Holz vor seinen Füßen.
Er riss die Flasche an sich und leckte gierig die letzten Tropfen heraus.
Dann öffnete er den Knopf seiner Hose und zog seinen Hosenschlitz auf. Lilly biss sich auf die Lippen. Calahoe setzte sich auf, drehte sich seitlich, hielt die Flasche unter den Hosenschlitz und – pinkelte hinein.
Er führte stumm die Flasche an seinen Mund und trank.

Lilly starrte auf die kleine Ritze am Boden. Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln und zuckte zusammen.
Die Flasche schlug scheppernd vor ihren Füßen auf.
„Piss das nächste Mal da rein. Es ist das Einzige, was es ab sofort noch gibt.“
Sie rührte die Flasche nicht an. Auch nicht, als sie einen leichten Druck in ihrer Blase spürte. Ekel stieg in ihr auf. Einmal glaubte sie ein Dröhnen zu hören und suchte den grellen Himmel ab.
Platsch, platsch. Doch es war nichts.
Der Mond zog auf und der Wind sang wieder. Das Meer glitzerte silbern.
Lilly zog zitternd die Flasche an sich. Sie tastete in ihrem Höschen und drückte den Flaschenhals dagegen. Dann schloss sie die Augen und entleerte ihre Blase.
Der Urin schmeckte bitter, aber es war nicht so schlimm, wie sie dachte. Er rann ihre Kehle hinab und löste die trockene Zunge.
Langsam lies sie die Flasche sinken. Sie betete das Vater Unser und schlief ein, ohne es zu beenden. Am Horizont schimmerte bereits der neue Tag. War es der sechste?
Lilly wusste es nicht mehr.
Sie schlief wieder ein und wachte auf. Schlief wieder ein und Mutter beugte sich herab und küsste sie auf die Schläfen und sie roch das Rosenwasser auf ihrer Haut. Lilly wachte erschrocken auf. Es brannte und es wankte, es wurde kalt, bitter kalt und wankte und es wurde wieder dunkel. Sie konnte ihren Mund nicht mehr schließen. Sie versuchte sich zu räuspern, doch es blieb ihr in der Kehle stecken.
Platsch, platsch.
Es ratterte und donnerte. Es wankte und donnerte.
Sie blinzelte in das grelle Licht. Für Sekundenbruchteile meinte sie einen schwarzen Flügelschlag gesehen zu haben. Sie wollte hochschnellen, sich noch ein letztes mal zusammen reißen. Doch ihre Beine gehorchten nicht mehr.
Hubschrauberrotoren. Es donnerte, ja es donnerte und wankte. Ein lauter, warmer Wind stürmte über sie hinweg. Endlich! Sie spürte wie jemand sie anhob und sie lächelte, als es wieder Nacht wurde.
 



 
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