Blauschwarzer Eisvogel

hugocabanera

Mitglied
Blauschwarzer Eisvogel


Drei Schlücke Wasser mussten reichen. Mein Vorrat lies mir weiß Gott keinen verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln mehr durchgehen. Mittlerweile wäre ich schon vollkommen zufrieden gestellt gewesen, könnte ich meinen Augen eine Auszeit, von den meilenweit, durch Trümmer geprägten, Wüsten gönnen. Es hätte ja nicht gleich ein ganzer Baum sein müssen, ein umgeknickter Grashalm hätte mir schon gereicht. Wahrscheinlich stand ich auf einst agrarwirtschaftlich wichtigem Boden, doch davon ist jede Spur verschwunden. Es war lustig das erste Mal solch eine Freude, beim Finden einer intakten Ravioli-Dose zu verspüren. Wobei sich nicht alles verändert hatte. Ich hatte meinen kompletten Lebensinhalt auch damals schon immer bei mir. Nur da war es in Form meines Smartphones mit 16TB Speicher und meiner aus Groß und Kleinbuchstaben, Zahlenkombinationen und Mathematischen Gleichungen bestehender Passwörter. Heute war es meine Jacke mit 4 Außen- und 2 Innentaschen.
Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf...
Zum Glück waren diese kleinen Eselsbrücken trotz GPS noch in meinem Kopf verankert. Da war ich nun, mitten im nirgendwo auf dem Weg Richtung Süden. Auf der Suche nach...naja, nach...irgendwas. Wenigstens auf die gute alte Sonne war verlass. Die würde frühstens in 5 Milliarden Jahren explodieren und wegen den ach so bösen Gammastrahlen, brauchte sich jetzt auch keiner mehr ins Hemd machen.

Die Nacht war vorbei und die Reise ging weiter. Nach 5 Tagen ununterbrochenem Fußmarsch, erblickte am Horizont die erste Hoffnung. Noch Kilometer weit weg, fing ich an schneller zu laufen, bis ich schließlich rannte, ohne überhaupt zu wissen, worum es sich handelte. Nach genauerer Betrachtung im Schlagschatten, identifizierte ich einen Bunker. Wahrscheinlich war es ein Überbleibsel aus dem letzten Krieg. Mühsam erklomm ich das weit und breit einzige Gebilde, dass überhaupt in der Lage war, einen Schatten zu werfen. Von drinnen führten Kabel auf den Aussichtspunkt, die Geräte allerdings, waren nur noch zu erahnen.
Dann geschah es.
Nachdem ich mit meiner Dose Ravioli auf dem Geländer saß, sah ich ihn. Minutenlang sah ich ihn ungläubig, mit weit geöffnetem Mund an.
Hielt ihn erst für eine Fata Morgana oder eine Halluzination, verursacht durch die Dehydrierung.
Ich weiß noch meinen exakten Gedankengang: "Ein Schmetterling. Ein Schmetterling? Ein Schmetterling!".
Nachdem er aufhörte mich mit seinem majestätischen, durch die Lüfte schweben aufzuziehen, fing ich ihn ein und spickte durch den Spalt der leicht geöffneten Dose. Ein Blauschwarzer Eisvogel.
Welch Ironie dass dieser, einst auf der Roten Liste stand. "Du kleiner Idiot" sagte ich, mit meiner psychopathischen Massenmörderstimme.
"Fliegst hier herum als wärst du der König der Welt, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, was du damit anrichten kannst".

Wie erwartet wachte ich durch den Krach, der gegen den Turm peitschenden Trümmer auf. In meinem Akt der Verzweiflung, überließ ich ihn, zusammen mit der Dose, dem orkanartigen Sandsturm und schrie ihm: "Das hast du davon du naives Tier, gerade du müsstest den Schmetterlingseffekt doch kennen" hinterher. Ich blieb den Rest der Nacht wach und überlegte, ob es wirklich nötig gewesen war, das erste Lebewesen, welches ich seitdem sah, töten zu müssen.

Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Dose mit dem toten Tier wieder fand.
"So sieht man sich wieder, mein Freund".
Ich schlug mein Nachtlager in jenem Hausfundament auf, vor welchem ich den, nun wohl endgültig ausgestorbenen, Schmetterling, fand. Auf meiner Jacke liegend, zwischen all den Trümmern, erblickte ich ein blaues Buch. Nach kurzem Überfliegen, blätterte ich auf die letzte beschriebene, blutverschmierte Seite.
"München, 21.12.2043"
 



 
Oben Unten