Blind

Kyra

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Blind

Ich schreibe dies ganz sicher nicht für eine so genannte Nachwelt, was für ein dummes Wort, als würde sich die Welt um einen Tod scheren, dieses „nach“ schüttelt sie ab wie ein Hund einen Floh. Da ich keine Kinder habe werden sich auch keine Nachkommen dafür interessieren. Wahrscheinlich mache ich diese Aufzeichnungen, weil es mich an guten Tagen noch immer amüsiert zu sehen, wie sich die Tastatur scheinbar durch Geisterfinger bewegt. Nein, das ist auch nicht wahr, ich schreibe, damit zumindest etwas von mir sichtbar wird – für mich sichtbar wird. Lisa, meine Frau - meine Frau die mich schon vor drei Jahren verlassen hat, würde sicher einen ihrer altjüngferlich ranzigen Psychohappen dazu äußern, wie:
Du musst dich darüber nicht wundern…, nie hast du andere Menschen wirklich wahrgenommen…, in all den Jahren bin ich dir immer fremd geblieben, du bist ein Ignorant der nur nach Nützlichkeiten Ausschau hält… .
So ungefähr würde ihre Beurteilung aussehen, möglicherweise nicht ganz falsch, aber weit entfernt von richtig. Eigentlich verspüre ich wenig Lust so diszipliniert und verständlich zu schreiben, wie es mir mein Broterwerb abzwingt. Also sollte tatsächlich jemand einmal dies lesen, wird er sicher bald aufgeben. Unordentlich will ich sein, nach meinen Gedanken haschen wie nach lästigen Fliegen um sie dann ins Papier zu drücken. Aber noch ein Wort zu meinem sonstigen Schreiben. Ich bin Autor für Gesundheitsratgeber, nicht die üblichen, eine hübsche Nische habe ich mir erschlossen, die zudem meine Reiselust finanziert. Meine Bücher handeln von den, ach so geheimen, Heilmethoden der Südamerikanischen Indios, bestimmter afrikanischer Stämme und seit neuestem der Chalcha der inneren Mongolei. Natürlich bereite ich die Rezepte etwas für die mitteleuropäischen Mägen und Köpfe auf, wer würde schon ein frisch geköpftes flatterndes Huhn über einem rheumatischen Knie ausbluten lassen? Auch ist hierzulande warmer Kameldung zur Behandlung von Unterleibsbeschwerden schwer zu bekommen. Aber Blut kann man auch beim Metzger bestellen und leicht erwärmt sollte es auch seine psychologische Wirkung tun und Kameldung lässt sich durch Schlamm ersetzten. Ich persönlich ziehe die Schulmedizin vor, Spalt Tabletten, Valium und Canesten bei Fußpilz– all die Segnungen der teuren Forschung weise ich nicht so schnöde zurück, wie die Käufer meiner Bücher es zumindest vorgeben. Lisa sagte früher, ich sei zynisch – aber warum soll ich den Leuten nicht erzählen was sie wissen wollen? Kaum haben sie all die Vorzüge der Zivilisation, der Wissenschaft und Bildung, sehnen sie sich nach abstrusen unerklärbaren Wundern einer weit zurückliegenden Zeit. Das ist nämlich genau, was die Medizin dieser Naturvölker darstellt, eine billige Zeitreise für bornierte Sattmenschen, nein ich habe mich nicht verschrieben, ich nenne sie Sattmenschen.
Aber vielleicht sollte ich noch mal auf meine unsichtbaren Hände zu sprechen kommen, der eigentliche Grund dieses Textes. Es sind nicht nur meine Hände – um es kurz zu machen ich bin völlig unsichtbar. Sie werden jetzt vielleicht ungläubig den Kopf schütteln, oder, wenn sie ein humorvoller Typ sind, sich vorzustellen beginnen, was man als Unsichtbarer Mensch so alles anstellen kann. Hier muss ich direkt unterbrechen – alle anderen können mich wahrnehmen, nur ich kann mich nicht sehen. Mal abgesehen davon nie zu wissen, wie die Frisur sitzt und ob man noch Spinat zwischen den Zähnen hat, ist dieser Zustand für die Seele sehr zermürbend. Man, oder besser gesagt ich, kann mich nicht daran gewöhnen. Nicht dass ich früher sehr eitel gewesen wäre, aber ich kannte mein Gesicht, meinen etwas zu dicken Körper, die beginnende Glatze – all das war eben ich….Ich war nicht stolz darauf, aber es war mir vertraut und lieb. Dieser gläserne Zustand dauert nun schon fast ein Jahr. Wie es begann? Nun, wie viele einschneidenden Dinge im Leben, ganz harmlos und beiläufig. Als ich zum ersten mal bemerkte, dass ich meine Fingerkuppen nicht mehr sehen kann, hielt ich es für eine wetterbedingte Sehstörung, eine Woche später als meine Hände verschwanden ging ich zum Augenarzt, der schickte mich zum Neurologen. Dieser fand den „Fall“ wie er es nannte, sehr interessant, bestellte mich immer häufiger ein und hätte wohl am liebsten einen Blick in mein Gehirn geworfen - durchaus nicht im Übertragenen Sinne. Ich bin nicht mehr hingegangen. Kurz zog ich es in Erwägung mit Freunden darüber zu sprechen, aber ich wollte die verwunderten Blicke nicht sehen, die besorgten Nachfragen nicht hören, so behielt ich es für mich, beobachtete weiter mein allmähliches Schwinden, die schmerzlose Auflösung meiner Person. Mein Leben ging weiter wie bisher, manchmal sagte jemand zu mir, ich habe mich verändert – irgendwie – aber das war schon alles. Anfangs fiel mir das sichere Zugreifen schwer und ich stolperte bisweilen, bis ich meine verschwundenen Gliedmaßen unter Kontrolle hatte. Nach einigen Wochen war die Schwindsucht abgeschlossen, ich konnte nichts mehr von mir sehen. Am längsten haben sich Zähne und der Darm gehalten, merkwürdig aber in dieser Situation habe ich mich auch an deren Anblick erfreuen könne. Solange ich angezogen bin, fehlen mir nur die Hände, mein Gesicht gaukle ich mir durch eine breitrahmige Brille vor. Das einzige was mir von meiner sichtbaren Existenz blieb, ist mein Schatten. Oh, wie habe ich nächtelang gegrübelt, was wohl die Ursache sein könne…, sogar alle Vorwürfe und psychologischen Analysen meiner geistigen und gefühlsmäßigen Verfassung, die Lisa in den zehn Jahren unserer Ehe an mich herangetragen hatte, erwog ich ernsthaft. In einer sehr depressiven Phase bin ich zu einem Voodoo Meister gereist, meinen Bekannten habe ich gesagt es würde sich um eine Recherche handeln. Es hatte nur einem Papagei das Leben gekostet - mich hat es keinen deut weiter gebracht. Natürlich frage ich mich immer noch nach der Ursache, nur liege ich nicht mehr nächtelang schlaflos im Bett, die Frage schwimmt wie ein Fettauge auf meiner Gedankensuppe, immer vorhanden aber nicht mehr beherrschend.
Es gab da was, vor über einem Jahr…, es kommt mir immer wieder in den Sinn, dennoch will es mir als Grund nicht möglich erscheinen. Ich vermute es ist nur die Blindheit, die mich zu diesem Erlebnis zurückzieht.
Nun, es war eine kleine Romanze, nichts besonderes, außer der Erblindung des Mädchens. Ich hatte sie schon lange beobachtet, sie wohnt hier in der Straße, so traf ich sie bisweilen beim Einkaufen und an der Bushaltestelle. Sie trug keine dunkle Brille, ihre Augen sahen völlig gesund aus, aber ihre Bewegungen verrieten sie. Aus Eitelkeit verzichtete sie auf einen Blindenstock, aber ich hatte sie schnell durchschaut, die Drehung des Kopfes bei einem unerwarteten Geräusch, wie ein scheues Tier. Sie war nicht hübsch, eigentlich sogar eher hässlich. Was mich anzog war ihre Behinderung – nein ich bin nicht pervers, keiner von denen die auf Amputierte oder Missgebildete Frauen stehen. Dies war etwas anderes. Ich wollte fühlen wie eine Frau mich berührt, mich liebkost und begehrt, die mich nicht sehen kann. Es war nicht allzu schwer sie zu erobern, eigentlich hätte ich von einer blinden Frau mehr Misstrauen erwartet. Die kurze Zeit unserer Beziehung habe ich sehr genossen, tatsächlich erfühlte sie meinen Körper so zart, so intensiv, wie ich es noch nie erlebt hatte. Mir sagte ihr plumper Leib weniger zu, auch hatten wir uns nicht viel zu sagen. So beendete ich diese Liebelei nach wenigen Wochen. Hella, so hieß sie, hatte sich leider etwas zu sehr hereingesteigert, ich war gezwungen deutlicher zu werden, als es meine Art ist. Nach einem Streit sagte ich in einem Anfall von Wut einen Satz, der mir heute oft in den Sinn kommt. Ich wollte diesen engen Umarmungen, dieser klebrigen Anhänglichkeit entfliehen. Ich schrie sie an,
„sie doch in den Spiegel, dann weißt du warum…“
In diesem Moment hatte ich ihre Blindheit vergessen, wollte sie nur loswerden – und das ist mir auch gelungen. Hella sah mich an, ich weiß sie war blind, aber ich hatte tatsächlich das Gefühl, sie würde mich ansehen, dann meinte sie, dies würde mir noch einmal sehr leid tun. Dann ging sie. Es klang nicht drohend oder wirklich böse, eher wie eine Feststellung. Ich sehe sie noch manchmal auf der Strasse, gehe ihr aber aus dem Weg. Wäre mein Verschwinden nicht gewesen, ich hätte nicht mehr daran gedacht.
Nach meiner völligen Auflösung hatte ich nur einmal ein Erlebnis mit einer Frau. Ich war verunsichert und bedrückt, um mir selber Mut zu machen habe ich den einfachsten Weg für einen Mann gewählt, ich bin in ein Puff gegangen. Dort habe ich mir ein wirklich hübsches junges Mädchen ausgesucht, aber als ich auf ihr lag und ihre Brüste berührte, sah ich nur die hässlichen Deformationen die meine gierigen Hände auf ihrem Körper verursachten. Vielleicht werde ich es ja einmal genießen können, aber damals hat es mich nur erschreckt. Da ich mich ja nicht sehen konnte, war mein Blick frei auf eine Frau, die sich wie in einem Pornofilm scheinbar grundlos vor Lust wälzt, zuckte und stöhnt. Wäre ich ein Voyeur, ich hätte mein Paradies gefunden, nur bin ich das leider (noch?) nicht. Ich hatte mich früher immer an dem Anblick von zwei Leibern erregen können, die sich umeinander winden, sich umschlingen und einsaugen – damit ist es nun vorbei.
Es hat wenig Sinn weinerlich zu werden, vielleicht tauche ich ja plötzlich wieder auf, entstehe neu, werde wieder sichtbar. Derweil behelfe ich mich an manchen Tagen mit einem großen Topf Wandfarbe, die schütte ich in die Wanne, verdünne sie etwas mit Wasser und lasse mich als weißes Gespenst wieder Auferstehen. So laufe ich dann nackt durch die Wohnung und genieße den Blick auf meinen Körper.
Wenn mich ab und an die große Trauer überkommt, schalte ich eine starke Lampe an und liebkose meinen Schatten. Wie sehr sehne ich mich nach mir.
 
K

Kadra

Gast
Hallo Kyra,

packende Geschichte. Ich lese dich nach wie vor gerne und halte gezielt Ausschau nach deinen neuen Texten.

Lieben Gruss von
Kadra
 



 
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