Blitz und Donner

Frau Emma Mecker, geborene Mecker, also ledig, hielt, was ihr Name versprach. Sie meckerte von früh bis spät, nur nachts nicht, da schlief sie. Ausgenommen solche Nächte, in denen Gewitter ihren Schlaf störten. Die Heftigkeit derselben beeinflusste die Heftigkeit ihrer Unmutsbekundungen am nächstfolgenden Tag. Zunächst blaffte sie ihr Spiegelbild im Badspiegel an. Dann war der Wellensittich dran. Der hörte nur zu, weil er ihre Gewitterregungen kannte. Auf dem dann folgenden Weg zum Bäcker ging man ihr aus diesem. Nicht nur nach nächtlichem Gewitter. Die 85jährige verwitwete Rollatorfahrerin Inge Schmidt konnte ihr nicht entweichen. Sie ließ die Meckerei der Mecker still über sich ergehen, denn am Gewitter war sie nicht schuld.
Den Restzorn entlud Emma im Laden des Bäckermeisters Semmelweiß. Die anwesenden Kunden verließen schleunigst den Verkaufsraum, nur Frau Semmelweiß blieb. Sie musste ihrer Verkaufspflicht nachkommen. Während sie den immer gleichen Kaufwunsch der Mecker erfüllte: ein frisches Brötchen, entlud die ihren Gewitterfrust. Frau Semmelweiß lächelte, weil sie das musste, dabei aber an ihren jüngst geborenen Enkelsohn denkend. Dessen Pausbacken und geringer Haarwuchs machten ihn dem Opa ähnlich.
Emma Mecker deutete das Semmelweiß-Lächeln falsch. Sie glaubte, die Bäckergattin nehme sie nicht ernst. Deshalb kleidete Emma ihren Zorn in folgende Worte: „Es ist eine Frechheit, dass die Wetterverantwortlichen im Jenseits die nächtliche Ruhe der Bürger dieser Stadt mit Blitz und Donner stören. Ich habe den Herrn Pfarrer wiederholt gebeten, in seine Gebete die Forderung einzuflechten, Gewitter ausschließlich am Tage erfolgen zu lassen. Und die nur von 7 bis 13 Uhr, bzw. von 15 bis 21 Uhr. Zwei Stunden Mittagsschlaf müssten ebenfalls lärmfrei sein.“
Emma hielt kurz inne, holte tief Luft und fuhr fort: „Bisher blieb das Bemühen des Pfarrers umsonst. Ich möchte bloß wissen, weshalb er da ist, wenn seine Gebete nicht erhört werden. Deshalb trug ich mich mit der Absicht, keine Kirchensteuer mehr zu zahlen; doch liefe ich dann Gefahr, nicht in den Himmel zu kommen. Ich habe es mir anders überlegt. Wirksamer scheint mir, die Bundeskanzlerin einzuschalten. Mit ihrer Parteizugehörigkeit hat sie ohnehin einen heißen Draht zum lieben Gott. Was ihr politisch auf Erden gelingt, muss ihr auch oben gelingen. Also werde ich noch heute als Emma Merkel an Angela Mecker eine entsprechende Petition richten.“
Zufrieden mit diesem Gedanken und dem bezahlten Brötchen verließ sie das Geschäft. Frau Semmelweiß‘ Lächeln folgte ihr. Das galt nun nicht allein dem Enkelsohn.
 



 
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