Bonbons für die Kleinen

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

Anonym

Gast
Bonbons für die Kleinen


Neulich
kaufte meine Freundin
eine Polaroidkamera,
und beim Geräusch des Auslösers
fiel mir eine Geschichte ein.

Als ich ein Kind war,
lebte in unserer Straße
ein alter Mann.
Er war dick
und hatte strohiges,
krauses Haar.
Seine Frau lag die meiste Zeit
im Krankenhaus.
Er hatte immer schlechte Laune.
Nur zu Kindern war er nett.
Er gab uns Geld und Süßigkeiten.
Wir verbrachten ganze Nachmittage dort.
Und im Sommer,
wenn es heiß war,
waren wir nackt
und fassten uns an,
untermalt
vom sirrenden Geräusch
der Kamera.
Ich sehe
die Brüste der Nachbarstochter,
knie vor ihr
und rieche ihr Geschlecht.
Ich sehe es wie gestern,
obwohl ich es nicht will.
Sonst erinnere ich mich an wenig,
als hätte ich es nur geträumt.
Ich habe es tief vergraben,
und langsam weht der Wind es frei.
Auch der alte Mann
ist jetzt begraben,
verreckt an Krebs,
erstickt an seinen Bonbons
aus Ekel, Schmerz und Angst.
Was bleibt,
ist ein Gespenst
auf dem Schrottplatz
meiner Erinnerung.
 

B.Wahr

Mitglied
Verfluchter Zucker

Traurig zu lesen,
aber gut geschieben.

So gut, daß man(n) nie Altmann werden will...
Zumindest nicht als solcher .

Ganz LG
B.Wahr
 

Anonym

Gast
Hallo B.Wahr

Danke für deine Antwort!
Ich glaube, alt werden ist schon ok,
solche kranken Typen gibts leider
in jeder Altersklasse.
Es ist mir jedenfalls schwer gefallen,
das Ding zu schreiben, und jetzt weiß
ich auch das anonyme Forum zu schätzen...

Pass auf dich auf und liebe Grüße
 
S

sternchen700

Gast
Liebe/r Anonymous!

Dein Beitrag macht (mich) sehr betroffen.
Nur gut, daß es das Schreiben gibt, um solche Dinge einigermassen verarbeiten zu können, nicht wahr?

Liebe Grüße
 

Anonym

Gast
Hallo sternschen,

ich glaub ,dass war etwas, da reicht das Schreiben
nicht aus, denn ich weiß aus Erfahrung, dass das Schreiben
eine therapeutische Aufarbeitung nicht ersetzt.
Ich dachte nur, so kommt wenigstens etwas Kreatives
dabei raus.

Liebe Grüße

black sparrow
 
S

sternchen700

Gast
Hallo Black Sparrow!

Ich weiß, hab mich wohl falsch ausgedrückt.
Ich meite nur, wenn man darüber spricht/schreibt, schluckt man nicht zuviel davon runter...

Liebe Grüße
 

Anonym

Gast
Da hast du recht Sternchen!
Im übrigen hab ich mich geoutet, weil ich so blöd war
mit meinem Namen zu unterschreiben, kicher!
Naja, jetzt ists raus, aua!

Ich wünsch dir einen schönen Abend

b.s :)
 

wondering

Mitglied
erkannt

hey, black...
ich will dir mal sagen, dass mir vorher, vor deinem "outing" klar war, dass der Text von dir kommt:
du hast einen eigenen wiedererkennbaren Stil zu schreiben...
(das ist doch schonmal jut ;) )
und du schreibst so gerne "pass auf dich auf"

Ha! Irgendwie freut es mich, dass ich deine Schreibe wiedererkenne.

Zur äußeren Form frage ich mich, ob die Zeilenumbrüche nötig sind, denn dadurch allein wird ja nicht unbedingt Lyrik daraus. Bei einem solchen Text würde ich eine Erzählung daraus machen. Im Prinzip hast du es ja schon getan, ein paar mehr Details: wie sah der Mann genauer aus, was hatte er für Eigenarten, wieso seid ihr Kinder mitgegangen, der Raum etc. und dann hättest du eine ergreifende Erzählung geschrieben (und wärst auch alles losgeworden).
Ich fänd's toll, wenn du das noch machst.

Liebe Grüße
Miss wondering Marple ;)
 

pipi-barfuss

Mitglied
hi frank,

ja dein pass auf dich auf ist unverkennbar du.
schön das man trotz anonymus ein guten autor an der "schreibe" erkennt. ;-)

pass auf dich auf,

bis die tage,

liebe grüße sandra
 

Anonym

Gast
Hallo wondering ,

ich bin beeindruckt! Du hast wohl zuviel
Agatha Christie gelesen! :)

Über den Vorschlag, eine Geschichte daraus zu machen, denke ich nach, aber das wird wohl noch dauern.
Für mich ist dieses Gedicht erst mal genug.
Tja, und was den Unterschied zwischen Prosa und Lyrik
angeht, finde ich, dass er so groß nicht ist, falls es überhaupt einen gibt.
Im Grunde ist es mein Anliegen, diese Grenzen zu verwischen
oder ganz aufzuheben.
So gesehen, schreibe ich ohnehin eine Mischform aus
beidem, eben Prosalyrik.
Ich finde, ein Text sollte sein wie ein guter Song,
unprätentiös und nicht länger als zwei Minuten
(gilt natürlich für Gedichte)
Es ist besser, man denkt: War das kurz, ich will mehr,
als: Nimmt das denn überhaupt kein Ende?
Tja, ich bin eben mit Punk groß geworden, und die Musik hat mir wohl mehr beigebracht als die Literatur.
Ich meine, oft findet man mehr Lyrik in einem Prosatext
als in einem Gedicht und umgekehrt.
Es ist nur ein Unterschied in der Form, und was sagte
Marylin Monroe: " Ich lese Lyrik, das spart Zeit!"

Ich kann mir vorstellen, dass du das anders siehst,
und frage gleich mal: Was ist für dich der Unterschied
zwischen Lyrik und Prosa?

Liebe Grüße

black sparrow
 

wondering

Mitglied
Hi black,

-hoffentlich verschiebt man, wenn nur die letzten beiden Posts in die Plauderecke ;) -

ich möchte dir die Frage nach dem Unterschied mal so darstellen:
wenn ein Freund von dir dich fragt "na? wie war das Sportspiel?", wirst du ihn wahrscheinlich fragen, was er meint. "Na das Fußballspiel, muss ich dir doch nicht extra sagen, ist doch Sport..."
Und wenn du in einem Basketballspiel den Ball kickst anstatt zu werfen, und auch behauptest, es sei doch Sport und du möchtest die Grenzen verwischen, wird man dir ein Vögelchen zeigen..schätze ich mal ;)
Lyrik und Prosa ist Literatur. Und beide Gattungen der Literatur haben ihre eigene Regeln. Das ist erstmal Fakt.
Natürlich kann man Grenzen verwischen, das ist sogar recht interessant. Es gibt ja z.B. schon seeeehr lange die "Reimprosa", denk an die römischen Kunstredner. Auch hier haben sich Grenzen verwischt und es wurde eine eigene Gattung geschaffen.
Ob jemand nun lieber Prosa oder Lyrik mag, dabei der eine lieber Romane oder Novellen liest, während ein anderer bei Schillers Glocke ins Schärmen gerät und der nächste Haiku verfallen ist, das ist wieder Geschmackssache.
Aber es bleibt Tatsache, dass die Dinge ihren Namen haben und somit unterscheidbar bleiben und man weiß, was gemeint ist, wenn man sich darüber austauscht.
Du würdest ja sicher auch nicht von deiner Freundin, wie von deinem Hamster von Lebewesen reden, sondern du nennst sie beim Namen, oder? ;)

Den festgelegten Unterschied zwischen Lyrik und Prosa kannst du an vielen Stellen nachlesen. Da muss ich nicht meine Meinung niederlegen, denn ich halte mich an die Vorgaben. Und wenn ich mal einen meiner Texte nicht einordnen kann, weil die Grenzen verschwimmen, dann stelle ich ihn hier unter "Experimentelles" ein. "Schlimmstenfalls" bleibt es einfach ein "Text" und damit Literatur.

Liebe Grüße
Astrid
 
P

Papyrus

Gast
................

Hallo b. s.


gefällt mir das gedicht,

ich habe nur einen eventuellen verbesserungsvorschlag für dich.

"...ist jetzt begraben,
verreckt an Krebs,
erstickt an seinen Bonbons
aus Ekel, Schmerz und Angst."


wenn du nur schreiben würdest,
dass er jetzt tot ist,

hättest du eine nüchterne erklärung der geschehnisse,
der Leser macht sich dann seine Meinung von den Geschehnissen

es kann ja auch welche geben die das toll finden.

Dann hättest du eine wertfreie Beschreibung
ohne moralisches Urteil,
und könntest auch vielleicht das mit dem "Gespenst" und dem "Schrottplatz" am Ende weglassen.

Die meisten Leser werden wissen,
dass dir dieser alte Mann zuwider ist,
deshalb wäre meiner Meinung nach,
eine nüchterne Beschreibung einfach perfekt.

fernerdessen,
anstatt hasstiraden am ende des gedichtes,
könntest du auch mit dem gedanken der vergebung spielen?

sonst gesellst du dich bezüglich der Schuld neben
diesen alten Mann


so long dann
 

Hannah Rieth

Mitglied
unsachlich

hallo papyrus,

für diesen deinen "beitrag" nehme ich gerne eine ausblendung in kauf! sorry an die moderatoren... geht grad nicht anders.

"...ist jetzt begraben,
verreckt an Krebs,
erstickt an seinen Bonbons
aus Ekel, Schmerz und Angst."


wenn du nur schreiben würdest,
dass er jetzt tot ist,

hättest du eine nüchterne erklärung der geschehnisse,
der Leser macht sich dann seine Meinung von den Geschehnissen

es kann ja auch welche geben die das toll finden.
nee, is klar, saufen is auch schön, weil's in dem moment so herrlich warm macht.

Dann hättest du eine wertfreie Beschreibung
ohne moralisches Urteil,
und könntest auch vielleicht das mit dem "Gespenst" und dem "Schrottplatz" am Ende weglassen.
warum wertfrei?

fernerdessen,
anstatt hasstiraden am ende des gedichtes,
könntest du auch mit dem gedanken der vergebung spielen?
weil dem armen kerl die kamera am schwanz festgewachsen ist?

sonst gesellst du dich bezüglich der Schuld neben
diesen alten Mann
mein zuerst gedachtes "hast du sie noch alle?!?" nehme ich zurück und sage einfach: no comment.

hannah
 
P

Papyrus

Gast
..................

es ist doch klar Hannah
dass sowas nicht gut ist
was der alte mann tut

wenn man ihn aber verteufelt
ignoriert man das WARUM
und solche dinge wiederholen sich

laut meinungen hat der mensch keinen freien willen
sondern agiert nur aus seinen erfahrungen heraus
und wenn jemand straftaten begeht
ist er in diese ecke gedrängt worden
er hat keine alternativen mehr
er muss es tun
umso schlimmer also ein verbrechen ist,
umso geringer die möglichkeit auf resozialisation

und letztendlich ist der alte mann auch ein opfer
der umstände die ihn zu dieser tat trieben
ein teufelskreis also

nur soviel dazu


die deutschen die früher in NS und Holocaust-zeiten täter waren
sind jetzt opfer,
weil dieses thema totgeschwiegen wird
wir sind opfer,
weil es wie ein geschwulst an uns klebt
es ist erst 60 jahre her,
und wir verklären es zum mythos
die bösen ereignisse werden nicht verarbeitet
und so von generation zu generation,
von mutter zu kind,
ewig weitergegeben



wir können natürlich prosa und lyrik schreiben,
wie schlimm das doch alles war
ändern wird das nichts


ein schönes wochenende wünsch ich
 



 
Oben Unten