Breschit

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]Breschit


Im Anfang war das Erwachen des Nichts
in der Ewigkeit ohne Gegensatz
und das war der große Schrecken
vor der eigenen Leere
vor dem Fall in

das bodenlose haltlose Lebensterben
Fülle gewachsen aus Fatamorgana
gesichert durch das Spiralnetz
in Form einer Zielscheibe
ohne Ziel

vielleicht Freiheit zerflossen
in Pandoras Geschenke oder der Brief
auf den das Bewußtsein geschrieben
das Wissen gebannt ist in
unbekannte Zeichen

dort im Zündschloß der Schlüssel noch
dreh um gib Gas heb ab da siehst du
alles Fremde erkennt sich in Liebe
die Nacht stülpt sich aus
zum Tag
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo mondnein!

Manchmal ziehe ich mir aus einem Gedicht einen Teil heraus, weil er mich einfach fesselt. Das ist dann mein Gedicht im Gedicht, wenn du nichts dagegen hast:

vielleicht Freiheit zerflossen
in Pandoras Geschenke oder der Brief
auf den das Bewußtsein geschrieben
das Wissen gebannt ist in
unbekannte Zeichen

dort im Zündschloß der Schlüssel noch
dreh um gib Gas heb ab da siehst du
alles Fremde erkennt sich in Liebe
die Nacht stülpt sich aus
zum Tag
Vor allem die letzte Strophe strahlt eine großartige und greifbare Hoffnung und Power für die Zukunft aus. Das gefällt mir ganz ausgezeichnet!!

Gibst du einen Tipp über den Titel ab? Damit komme ich nicht klar.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Titel

B-Reschit ist das erste Wort der Bibel, der Anfang von Genesis 1,1: "Im Anfang". So beginnt auch das Johannesevangelium, aber auf Griechisch: "En archêi".
In der hebräischen Fassung (also dem Original) ist "B-Reschit" zugleich der Titel des "Ersten Buchs Moses", das wir gemäß der griechischen Fassung (d.h. gemäß der "Septuaginta", 3.Jhd.v.Chr.) "Genesis" (Entstehung) nennen.

Hier allerdings keine fromme Übernahme des elohistischen Schöpfungsliedes, sondern ein (zunächst) nihilistischer Gegenwurf, der dann aber mit der letzten Strophe (wie Du ganz richtig gesehen hast) wiederum umgeworfen wird, in einem Gegenwurf zum Gegenwurf - die ersten Strophen erscheinen wie eine alte Kiste, ein abgestelltes, vergessenes Auto oder auch Flugzeug, das da einer gewissermaßen in der Garage entdeckt und mit dem er (unbekümmert von den berühmt-berüchtigten "narzißtischen Kränkungen des menschlichen Geistes" im 19./20.Jhd.) einfach losdüst.
"step on the gas to wipe that tear away ..."
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, da erschließt sich plötzlich das ganze Gedicht.

Liebe Grüße
Manfred
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Mondnein,
auch ich rätselte zunächst, ließ mich auf den text ein, entschlüsselte den etwa so: da ist eine sache ohne sinn und richtung, da dümpelt stillstand, zwar gibt es zeichen, die sind jedoch unentzifferbares rätsel, bis etwas passiert, was nicht näher präzisiert wird, jedenfalls wird ein zeichen, der zündschlüssel, aufgenommen, das zum handeln inspiriert. plötzlich nimmt die sache fahrt und richtung auf, am ende steht eine liebe unter einer jungen morgensonne, ein aufbruch ins leben, so eine art liebeslied also...
so etwa, aber wohin mit diesem vertrackten breschit. was kann das sein? praktisch veranlagt und in alten geschichten weit weniger firm als du, entschloss ich mich dazu, aus breschit, de breschit, brigitte eben zu machen, es ist tatsächlich ein liebeslied wohl, bisschen rätselhaft zwar, dafür stehts im experimentellen, kein widerspruch also.
hoff, du kannst meinen umgang mit dem text mit dem nötigen humor aufnehmen, jedenfalls ist es doch hochinteressant zu sehen, dein text funktioniert offenbar auch dann, wenn dein unterlegter hintergrund nicht präsent ist. spannende sache, find ich.
was ich eigentlich sagen wollte, der text gefällt mir ziemlich gut als liebeslied im weiteren sinne, das wird nicht falsch auch aus deiner sicht, -hoff, ich begeh da kein sakrileg, da ich persönlich das leben, den immer wieder neuen aufbruch in selbiges über alles liebe.

lg
die dohle
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Dohler!

Du würdest also tatsächlich ein Liebeslied so anfangen?:
Im Anfang war das Erwachen des Nichts
in der Ewigkeit ohne Gegensatz
und das war der große Schrecken
vor der eigenen Leere
Nein, das sind Schöpfungslieder, die so anfangen, z.B. mehrere in den Upanishaden. Oder "Werke und Tage" von Hesiod (nach der großen Widmungs-Hymne auf Zeus), oder das Völuspa-Lied. Die Metaphern aber sind gängige existenzialistische "Nichts"-Rauch-Ringe aus der Zeit, als sich Sartre noch mit Zigarette ablichten ließ.
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Mondnein,
natürlich, warum nicht. ich denk, es kommt darauf an wie und wo man liebe fasst. wird alten liedern leben eingehaucht, dann ist aus meiner sicht liebe im spiel, liebe ist aufbau und pflege einer lebendigen respektvollen beziehung zu den dingen und wesen. wenn also die welt entdeckt wird ist das liebe. hat das mit einer entdeckung unter menschen zu tun, dann wäre das deren spezialfall. nebenbei, hab mal in den büchern gewühlt nach der bedeutung des namens brigitte, so sehr daneben ist meine wahl gar nicht ...
however, jedenfalls hast du ein in meinen augen schönes lied gefunden und geschrieben.

lg
die dohle
 
D

Die Dohle

Gast
nachtrag,
hallo Mondnein,
du sprichst von schöpfung. über diesen begriff habe ich lange nachgedacht, schöpfung ist u.a. gestaltendes entdecken aus menschensicht, daher benütze ich persönlich in dem zusammenhang oft einfach auch entdecken, offenlegen. grundlegend geht es um den aufbau einer bewusst reflektierten tätigen beziehung, liebe wäre die von respekt getragene haltung unter der das geschieht. evtl. kannst du aus dieser sicht meine rezeption deines textes näher fassen.

lg
die dohle
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Also für mich ist das auch kein Liebesgedicht.

Allerdings stellt es nach meinem Verständnis auch nicht DIE Schöpfung dar, sondern es geht um die Menschwerdung und Wegfindung des Individuums, heraus aus allem Chaos, den Schmerzen und der Verzweiflung.

Hm, vielleicht dann doch ein wenig Liebesgedicht, denn ohne Liebe zu sich selbst kann dieser Weg nicht funktionieren.

Liebe Grüße
Manfred
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Franke,
ja, so seh ich das. mit jedem kind, das geboren wird, wird die welt neu geboren, lernt das kind die mutter lächelnd erkennen, wird die welt neu geboren, lernt es sprechen, wird die welt neu geboren, geschieht unter erwachsenen eine inspierierende begegnung, wird die welt neu geboren, eigene einpeilungskoordinaten werden verschoben, der blick wird frei für eine neue sicht auf die welt, mit jeder bewussten aufrichtigen und respektvollen handlung wird die welt neu geboren. dazu ist es notwendig, mit sich selbst versöhnt zu sein, ja. ein zärtlicher jungverliebter kuss schmeißt alle bis dahin gekannten denkschablonen über den haufen, die welt wird neu geboren.
ich lese diesen text hier als metapher für all das, natürlich schließe ich die lesart mondneins darin ein. deshalb gefällt mir der text ja, da er dokumentiert, wie aus einem dumpfen unordentlichen nichts leben, freiheit erwacht.

lg
die dohle
 



 
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