Brief an einen Unbekannten

weisserrabe

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Brief an einen Unbekannten

Wie geht es Dir so, mein Freund? Unsere Begegnung ist längst schon Vergangenheit – und die Erinnerung ist so lebendig wie eine Berührung. Kein Tag, an dem ich nicht über Dich nachdenke. Keine Nacht, in der ich Dich nicht rufe. Du hast auf den Grund meiner Seele gesehen – und Dich wiedererkannt...

Schnell haben wir begriffen, daß uns die gleiche Last eint. Sie hat unterschiedliche Gestalt. Trotzdem wird es dadurch einfach, sich wortlos zu verstehen. Für dieses Verständnis hatten wir 24 Stunden Zeit. Und es bleibt uns für immer.

Wie geht es Dir so, mein Freund? Für uns beide war es ein Wendepunkt, ein Scheideweg, an dem wir uns trafen. Nicht zu wissen, wie Dein weiteres Schicksal sich entwickelt hat, ist bedrückend. Es scheint, als ob ich dennoch vor meinem inneren Auge sehen, fühlen, riechen, schmecken kann, welchen Verlauf das Leben für Dich nahm. Sind es tatsächlich undefinierbare Signale, die wir austauschen? Ja, ich bin sicher, daß Du genauso eine Vorstellung von meiner Situation und Verfassung hast. Ja, Du bist an meiner Seite! Mit dieser kurzen Episode und viel Empathie kann ich das kaum erklären... Auch mit nichts anderem, was mir geläufig wäre.Und dabei hatte ich immer so schön klare Überzeugungen über Realität und Rationalität. Ich kann auch nicht behaupten, diese hätten sich in Wohlgefallen aufgelöst. Sie wurden nur ergänzt – um Dich... Um uns? Um mein fassungsloses Staunen. Um den überwältigenden Eindruck von Aufgehoben sein, von natürlicher Zugehörigkeit.

Wie geht es Dir so, mein Freund? Ich nehme an, wir treffen uns genauso unvermittelt wieder wie schon einmal. Und wir werden alles wissen. Mit oder ohne Worte. Wir werden sehen. Vor dem eigentlichen und dem inneren Auge. Ich warte nicht darauf – das wäre umsonst. Aber die Freude darüber kann ich jetzt schon spüren.

Ich bin Dein und unsere Wege geben uns recht. Irgendwann.

Es geht Dir gut, mein Freund. Vielleicht nicht in jeder Hinsicht. Aber Du ruhst in Dir und teilst Dich mit. Mir geht es ebenso. Voll tiefer Dankbarkeit denke ich an diesen seltsam – schönen Herbsttag. Es ist, als ob dieser unendlich währt...



18. März 2007
 



 
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