Brief eines Verdammten

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Olaf

Mitglied
„Wer in die Küche geht, wird gewiss nicht erschossen. Wer sie verlässt und seinen Dreck hinterlässt, muss schon eher damit rechnen.“

Es dauerte eine Weile, bis ich die geschriebene Zeilen verstanden hatte. Dann erkannte ich, mit welch grauenvoller Repression sich die Menschen dieser Küche ihre Sauberkeit gewährleisteten. Allerdings kamen mir auch bald daran Zweifel. War es wirklich Repression oder war es doch eine akzeptierte Regel. Das Geschrieben stand groß und deutlich über dem Eingang. Jeder Mensch der die Küche betreten wollte musste es unweigerlich lesen. Akzeptierte man nicht beim Durchschreiten des Portals das Geschriebene? Niemand und nichts zwang einen diesen Schritt zu tun. In dem Moment aber, wo man in die Küche eintrat, trat man auch in den Codex ein und ratifizierte ihn gewissermaßen mit der Handlung des Eintretens. Ich fragte mich, ob je ein Mensch diese Schwelle überschritten hatte, um sich dem hartherzigen Gesetz der dort Hausenden zu unterwerfen. Vielleicht gab es ja niemanden mehr, der die Regeln durchsetzen wollte oder konnte. Vielleicht stand alles seit Jahren leer. Vielleicht hatten sich die BenutzerInnen dieser Küche längst selbst allesamt und gegenseitig über den Jordan geschickt. Wie viele Leute mochten auf dieser Schwelle verendet sein? Wie viele hatten da, wo ich nun stand, vor den Pforten, ihren letzten Lebensatem ausgehaucht. War es nicht eine übertrieben grausame Wahl der Mittel und wer sollte überhaupt der Richter sein?
Fragen über Fragen türmten sich in mir auf und doch wusste ich, dass ich ihrer Beantwortung nur durch den Eintritt in die Küche einen Schritt näher kommen konnte. Ich war unschlüssig und trat von einem Fuß auf den anderen, immer versucht die Schwelle zu übertreten und meine Neugier zu befriedigen und andererseits stetig zurückgehalten von der Angst beim Verlassen eine Kugel in den Hinterkopf zu erhalten, weil mir vielleicht ein kleines Stück Papier zu Boden geglitten sein könnte.
Um sicher zu gehen wartete ich einige Minuten im Gerümpelwald, der sich vor der Tür auftürmte. Musste man denn die Küchenschweine wirklich erschießen? Ich selbst war eher ein Vertreter der radikalen Umerziehung durch Gruppendruck. Mir war auch klar, dass es niemand einfach hinnehmen konnte, dass alle anderen ständig von der Arbeit einiger Weniger lebten, nie etwas taten und ihres Zeichens Kinder der absoluten Konsummentalität waren. Aber erschießen? Das erschien mir doch ein bisschen zu weit gegangen in der Wahl der Mittel. Sicher, ich ärgerte mich auch über diejenigen, die in meiner Heimat nur in der Küche saßen, um Aschenbecher zu füllen und leckeres Essen serviert zu bekommen, über jene, die nie kochten und nie den Abwasch machten und über die, die nicht wussten, wie man einen Besen hält, aber erschießen lag mir fern.
Mein Warten war vergebens. Niemand verließ die Küche und es kam auch nie einer herein. Ich fasste allen Mut zusammen und stellte mich vor die Stufe und überschritt sie mit einem wackeren Schritt. Da stand ich nun in einer riesigen Küche. In den Ecken häuften sich Müllberge und an den Tischen saßen Menschen im Dreck. Es stank erbärmlich. Die meisten sahen krank aus und bleich, so als hätten sie seit Jahren keinen Schritt in die Sonne getan.
Ich trat an einen der Tische heran und murmelte etwas, wie zum Gruße. Viele Augenpaare sahen mich an, als erhofften sie sich etwas von mir, aber als ich nicht recht etwas zu sagen wusste, verschwand rapide das Interesse an mir. Ich versuchte das eine oder andere Gespräch anzufangen, aber die Sitzenden waren mürrisch und ungesprächig. Schließlich gelang es mir doch einen ins Gespräch zu ziehen. Es war ein junger Mann, der im Gegensatz zu den anderen sehr gepflegt aussah, wenn auch er schon zu stinken begonnen hatte. Nachdem wir einige Belanglosigkeiten wie unsere Namen ausgetauscht hatten, fragte ich ihn direkt, was es mit dieser Ansammlung auf sich habe.
Er erzählte mir, wie er vor einigen Wochen gekommen sei und das Schild über der Tür gesehen hatte. Es hatte eine unbändige Neugier in ihm geweckt und andererseits eine grässliche Furcht vor der Drohung. Er habe lange gezögert, sagte er, und sei dann doch eingetreten, wo ihn alles so erwartet habe, wie es hier nun sei. Er habe versucht, mit Leuten zu reden, erklärte er mir, aber es sei schwierig. Schließlich habe er aber begriffen, dass sie alle, so wie er, eines Tages gekommen waren und sich nun nicht mehr nach draußen trauten, weil der Gedanke erschossen zu werden sie ängstigte. Und da sei ihm klar geworden, wie gefährlich es sei, die Küche zu verlassen. Er habe, so sagte er, versucht, einige zu überreden gleichzeitig zu flüchten. Einige, so dachte er, würden es dann wohl schaffen. Aber keiner wollte ihm folgen, keiner traute sich auch nur in die Nähe der Schwelle zu schreiten, und gewiss, irgendwelchen Dreck habe er sicher schon hier oder dort gelassen und nun bleibe er auch lieber hier. Ich fragte ihn, ob es denn keinen gebe der je diese Küche verlassen habe. „Gewiss“ sagte er, „aber keiner von ihnen kam je zurück und niemand weiß, was mit ihnen geschah.“
Mir war gruselig zumute und ich wiederholte die Worte die über der Tür standen in meinem Innern: „Wer in die Küche geht, wird gewiss nicht erschossen. Wer sie verlässt und seinen Dreck hinterlässt, muss schon eher damit rechnen. “Schon eher“, dachte ich, ist eine schwammige Formulierung und wie ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich die Zigarette, die bei meinem Eintritt noch gebrannt hatte, nur noch als Stummel in der Hand hielt. Panisch suchten meine Augen nach der herabgefallenen Asche, aber es war völlig sinnlos in diesem heillosen Durcheinander irgendetwas zu finden. Ich spürte das Gefühl von tiefer Verlorenheit in mir aufkommen. Ich versuchte mich gegen mein Schicksaal zu stemmen, versuchte mich aufzubäumen und mir einzureden, dass „schon eher damit rechnen“ keine Gewissheit bedeutete und doch vermochte ich keinen Schritt mehr in Richtung der Türschwelle zu tun.
Bald war mir klar, dass auch ich verloren war, dass ich meine Freiheit verspielt hatte und nie wieder einen Fuß in die weite Welt setzen können würde. Mir blieb nichts zu tun, als diese Erfahrungen auf einige unbeschriebene Blätter zu kritzeln und sie in der Hoffnung, dass sie jemand finden möge durch die Tür zu werfen. Wer immer diese Worte lesen sollte, möge draußen verweilen und sich nicht seiner Neugier hingeben. Und so bitte ich alle Wissenden in die Welt zu tragen, dass der Einsatz des eigenen Lebens ein zu hoher sei, um alles in Ordnung zu halten, und auch, dass es nicht funktioniere, sondern nur missmutig mache, und dass es ängstigend stimme, Ordnung durch Mord zu erzielen.
So schließe ich nun jene Aufzeichnungen über mein letztgültiges Schicksal, das zu erfahren ich niemandem wünsche, und eben darin mein letzter Dienst für die Menschheit bestehe. Ich werde mich aus den meinigen, selbst gewählten Fesseln nicht mehr befreien können, da ich die Schwelle überschritten habe und nun unter dem Gesetz stehe, welches ich über mich stellte.
So fahret Wohl und verrichtet die Dinge nach eurer Art und verstehet zuerst, was ein Andrer euch sagt, bevor ihr es billigt.
Der Verdammte: Die/der namenlose BürgerIn

Zum letzen Ende will ich jedoch keinem die Wahrheit vorenthalten, welche die Meisten wohl längst erraten haben werden: Der Richter, das waren alle, die schon drinnen saßen in der Küche und sie richteten erbarmungslos im rituellen Mord, wenn einer zu gehen suchte, da sie es nicht ertragen konnten, dass einer den Mut aufbrachte, die Schwelle übertreten zu wollen. Darauf angesprochen, schienen sie nichts von derlei Dingen zu wissen und beharrten auf der Behauptung, man wisse nicht, wohin die Gegangenen gelangt seien. Und auch ich muss gestehen, schon an diesen Taten meine Unschuld verloren zu haben, und so will ich dann den meinigen Namen im Dunklen belassen, damit sich meine Freunde meiner nicht schämen.
 
D

Denschie

Gast
Hallo Olaf,
ich mag die sich langsam (zu langsam) abzeichnende
Absurdität in deiner Geschichte. In dem Moment, in dem
du beschreibst, was für Gestalten dort sitzen, wird klar,
worauf es hinauslaufen soll.
Zum Text:
„Wer in die Küche geht, wird gewiss nicht erschossen. Wer sie verlässt und seinen Dreck hinterlässt, muss schon eher damit rechnen.“
Das könntest du abgesetzt vom Rest des Texts setzen,
damit es besser herauskommt.

Der folgende Absatz bis "...nicht wussten, wie man einen Besen hält, aber erschießen lag mir fern."
ist fürchterlich langweilig geschrieben.
Unnötig verschachtelte Sätze, ein Haufen rhetorischer
Fragen und schwer nachvollziehbarer Überlegungen des
Protagonisten. Es wird schon klar, warum du diesen Stil
wählst, aber er kommt nicht sicher genug daher. Jeder
Satz müsste die Spannung unerträglicher machen, endlich
wissen zu wollen, worum es geht. Das gelingt dir in diesem
Absatz meiner Meinung nach nicht.

Der nächste Teil gefällt mir schon besser, weil er, wie
o.a., das Absurde der Situation sehr schön deutlich macht.
Um lebendiger zu schreiben und den Text aufzupeppen, wäre
ein bisschen Dialog hilfreich und nicht der bloße Hinweis
auf Unterhaltungen, die geführt werden. Das macht den
Text sehr schwergängig.

Der Schluss in seiner Doppelbödigkeit gefällt mir
ebenfalls, obwohl auch hier die ein oder andere Kürzung
nicht schaden könnte. Das "P.S." als Ankündigung würde ich
mir sparen.

Viele Grüße,
Denschie
 

Olaf

Mitglied
Hallo Denschie,
vielen Dank für deine Kritik und ich bin froh darüber, dass es Dir gelungen ist, Dich durch den ersten Absatz durchzukämpfen. Bei "langweiligen Texten neigt man ja doch schnell dazu, aufzugeben. Mir gefällt jedoch der erste Teil nach wie vor ganz gut. Ich habe ihn nochmal gelesen und mir ist auf Anhieb erstmal nichts besseres eingefallen. Wahrscheinlich ist er aufgrund meines vor längerer Zeit abgeschlossenem Philosophiestudiums zu theoretisch. Das Du ihn langweilig fandest, will ich damit nicht wegwischen, ich halte das für eine bedeutende Kritik, über ddie ich auch nochmal etwas nachdenken werde...
die beiden Vorschläge, das "P.S." egzulassen und den ersten Absatz einzurücken, habe ich umgesetzt.
Viele Grüße
Olaf
 
D

Denschie

Gast
Hallo Olaf,
du musst natürlich selbst entscheiden, was meine Hinweise
für dich bedeuten.
Es reizte mich schon, heraus zu finden, was es mit dieser
Küche und ihren Regeln auf sich hat. Die Idee war nicht
das, was mir aufstieß. Bloß die Formulierungen... ich
sagte es ja schon.
Falls du etwas änderst, lass es mich doch bitte wissen,
ich wäre sehr interessiert.
Viele Grüße,
Denschie
 

sohalt

Mitglied
Mir gefällt das auch.

Die umständliche Sprache passt, das hier ist doch ein braver Bürger, der der Ordnung an sich schon recht viel abgewinnen kann, bissi konservativ vielleicht, der darf ruhig so reden.

Den letzten Absatz find ich gut, den Absatz mit dem "Ich bitte alle Wissenden.." nicht ganz so, obwohl dieses "Übrigens, für all die's noch nicht mitgekriegt haben: das mit dem Érschießen ist vielleicht keine so gute Idee" schon auch wieder was hat.

lg
sohalt
 



 
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