Burn out

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heini

Mitglied
Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Wie jeden Tag führte ihr erster Weg ins Badezimmer. Ihre Hände zitterten, als sie die Tabletten aus der Verpackung drückte. Drei, vier. Sie zählte sie nicht, so als ob ihr Körper wüsste, wie viele sie braucht, um sich zu befreien. Sie fühlte den Widerstand, als die Tabletten die Kehle passierten. Noch einen Schluck.
Langsam ging sie ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloss die Augen und hoffte, die Bilder und Gedanken würden verschwinden und mit ihnen die Welt, aus der sie jeden Tag flüchtete. Die Gedanken wurden allmählich heller: War nicht wieder ein Tag geschafft? War das nicht etwas, das man in seinem Leben abhaken konnte? Sie wusste, in einer Stunde würde sie wieder funktionieren. Musste sie funktionieren. Das Abendessen für die Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, später vielleicht ein Lächeln oder zumindest ein Wort für den Mann, der sich erschöpft von der Arbeit vor den Fernsehapparat setzen wird. Alles würde wie jeden Tag sein. Keine Frage danach, ob ihre Beine noch lange mitmachen, das schmerzende Knie, das sie untersuchen lassen sollte. Es würde wie jeden Tag sein. Und nach den Tabletten tat das Knie auch nicht mehr so weh vom Stehen hinter der Theke in der Wurstabteilung. Sie sollte freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen fördert den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er hätte beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen hätte. Sie sollte sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergäße. Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben. Hatte er nicht „jüngere Frauen“ gesagt?
Die Unruhe verschwand aus dem Schmerz. Er wurde dumpfer und regelmäßiger. Damit man sich an ihn gewöhnen kann. Nächste Woche würde sie zum Arzt gehen. Heimlich in der Mittagspause. Wer zum Arzt geht, muss krank sein. Und wer krank ist, funktioniert nicht richtig, hatte ihr Arbeitskollege gesagt, der an der Frischfleischtheke arbeitete. Er hatte sie im Lager von hinten gegen ein Regal gedrängt und versucht, ihre Brust zu berühren. Zum Glück kam die Backwarenverkäuferin, um nach der Menge an Gebäck für die Wurstsemmeln zu fragen. Sie musste etwas gemerkt haben. Aber sie sprach es nie an. Obwohl dieser Vorfall schon Monate zurücklag, erinnerte sie sich jeden Tag daran. Sie vermied seither Situationen, in denen sie mit dem Fleischer allein war. Sie solle nicht so anstellen, hatte er gesagt. Und wenn sie es dem Geschäftsführer erzählte, wären ihre Tage hier gezählt. Sie wusste, dass er mit dem Geschäftsführer schon lange per Du war. Am nächsten Tag hatte er wie unabsichtlich das sorgfältig vorbereitete Tablett mit Aufschnitt vom Tisch gestoßen, sodass sie alles neu vorschneiden und arrangieren musste. Wenn sie ins Kühllager musste, schaute sie zunächst in die Fleischabteilung, ob ihr Kollege auch beschäftigt war, dennoch klemmte sie einen Holzkeil unter die angelehnte Tür. Sie hatte auch vergeblich versucht, die Schicht mit ihrer Kollegin zu tauschen, mit der sie sich an der Wursttheke abwechselte.
Sie sollte das Radio aufdrehen, dachte sie, denn in der Stille, die ihr in der ersten Viertelstunde zu Hause so erlösend erschienen war, begann sie ihr Atmen zu hören und ihren Pulsschlag zu fühlen. Die Tabletten begannen zu wirken. Sie bliebt liegen, denn jede Veränderung brächte eine Ungewissheit, stellte neue Fragen.
Zum Betriebsrat zu gehen war nicht erwünscht. Das Arbeitsklima sei mustergültig, hatte der Betriebsrat bei der letzten Versammlung gesagt, er habe für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen immer ein offenes Ohr. Auch er war mit dem Geschäftsführer befreundet. Als Zeichen des guten Arbeitsklimas, wie er es nannte. Weil er mehr für sie alle erreichen könnte.
Wie viele Jahre noch? Solange die Kinder in die Schule gehen und uns auf der Tasche liegen, brauchen wir das Geld, hatte ihr Mann entschieden. Sie war schon früh nach der Geburt des zweiten Sohnes arbeiten gegangen, obwohl sie noch in Karenz hätte bleiben können. Sonst müssen wir eben den Urlaub streichen, und du weißt, wie sehr sich die Kinder jedes Jahr darauf freuen.
Die Kälte, die aus dem Kühlregal jeden Tag um ihre Beine floss, spürte sie schon lange nicht mehr. Vielleicht dämpfte die Kälte den Schmerz im Knie. Oder war sie neben dem stundenlangen Stehen dafür mit verantwortlich? Die Hygienehandschuhe aus Plastik ließen ihre Finger immer häufiger anschwellen und sie versuchte, diese so oft wie möglich auszuziehen. Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte. Jetzt auf der Couch fühlten sich ihre Hände noch immer kalt an, auch wenn das Rot der Schwellung allmählich verschwand. In der letzten Nacht war sie von dem Schmerz aufgewacht, als sie auf ihrem rechten Arm gelegen war, und der sich jetzt kalt und fremd anfühlte. Es war ein seltsames Gefühl, den eigenen Arm zu berühren wie den eines Anderen. Sie fühlte die Berührung nur in den Fingerspitzen, die den Ellbogen der tauben Hand umfassten. Das war in der letzten Zeit schon einige Male passiert. Das kann schon vorkommen, hatte ihr Mann gesagt. Musst dich halt richtig hinlegen. Mit der linken massierte sie den Arm, bis sie ihn wieder spürte. Sie musste dabei leise sein, um ihren Mann nicht zu stören, der am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Sie würde sich vor dem Schlafengehen mit einer Massagecreme einreiben, um die Durchblutung zu fördern. In ihrem Alter wäre das nichts Ungewöhnliches, hatte der Apotheker gesagt. Durchaus nichts Ungewöhnliches.
Morgen gehe ich zum Arzt, dachte sie, und wusste gleichzeitig, dass sie doch wieder einen guten Grund finden würde, es nicht zu tun. Sie war zu müde geworden, um neben ihrer Arbeit für die Familie auch noch dafür Zeit zu investieren. Sie funktioniert doch. Dank der Tabletten. Und der Kinder. Bei diesem Gedanken lächelte sie. Die Kinder. Der Kleinere hatte heute eine Schularbeit gehabt, für die sie mit ihm gelernt hatte. Der Altere machte ihr mehr Sorgen, denn er war in einem Alter, in dem alles andere als die Schule wichtig war. Sie versuchte sich an diesen Zeitabschnitt in ihrem Leben zu erinnern. Als sie eine Lehre beginnen wollte. Sie wollte Golfschmiedin werden. Der Lehrer hatte ihr wegen der zeichnerischen Begabung dazu geraten. Aber die Fachschule war zu weit weg gewesen, und ihre Eltern konnten neben dem Geld für das Studium ihres Bruders nicht auch noch für das notwendige Internat aufkommen. Sie hatte als Hilfsarbeiterin in einer nahen Fabrik begonnen und dort auch ihren Mann kennengelernt. Sie hatten früh geheiratet, denn das erste Kind war unterwegs. In der Kleinstadt, in der sie lebten, musste alles seine Ordnung haben.
Sie wäre beinahe eingeschlafen bei diesen vertrauten Erinnerungen, die sie jeden Tag nach dem Nachhausekommen einholten. Ihr kleines Leben – ihr Bruder, der in der Hauptstadt lebte, hatte bei ihrem letzten Geburtstag gesagt, dass er sie um dieses „kleine Leben“ beneide - tanzte episodenhaft an ihr vorbei. Sie hatte es doch gut. Es gab andere, denen es doch viel schlechter ging. Sie konnten jedes Jahr auf Urlaub fahren und auch der Schikurs für die Kinder ging sich aus. Ich muss noch das Wohnzimmer aufräumen, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die leere Chip-Packung neben sich auf dem Tisch liegen sah. Sie wollte sich aufrichten. Du bist doch ohnehin schon zwei Stunden vor mir zu Hause, hatte ihr Mann einmal gesagt. Was tust du denn die ganze Zeit? Das bisschen Putzen. Die Erinnerung an seine Worte drückten sie auf die Couch zurück. Auf einmal waren alle Gedanken weg. Ihr Gehirn arbeitete zwar auf Hochtouren, aber sie konnte keinen der herumschwirrenden Gedanken fassen. Der Strom der Bilder, Worte, Erinnerungsfetzen und Gefühle riss sie mit sich und schien sie weiter und hinunter zu ziehen. Sie kämpfte nicht dagegen an.
Auf einmal Stille in ihr. Was wäre, wenn alles vorbei wäre? Wenn sie weit fortgehen könnte. Noch einmal das Leben von vorne anfangen. Ihr Leben. Ein klein wenig größeres vielleicht. Wenigstens einige ihrer Träume verwirklichen. Die Lehre. Die Reise nach …
Es klingelte. Das werden die Kinder sein.
 
B

bluefin

Gast
jaja, @heini, so isses in der welt der großsortimenter - jedenfalls dann, wenn man rührung im leser erzeugen will und dabei bequemer weise auf den altbekannten klischee-knöpferln herumdrückt.

willkommen in der leselupe! ich bin zwar kein hai, sondern nur ein walfisch, gleichwohl aber einer von denen, die sich mit den texten anderer kritisch auseinandersetzen und dabei nicht immer nur freunde gewinnen.

dein trockener stil gefällt mir gut, deine feinen austrizismen, die du nicht verbergen kannst, auch.

nicht so sehr prickelnd find ich, wie schon gesagt, die klischees, die hier wieder mal zusammengerührt wurden, um wirkung beim leser zu erzeugen. das setzt dich ein wenig herab - könnte man betroffenheit nicht auch anders herstellen als nur immer mit labelleetlabête-nummern? hinzu kommt, dass die meisten von uns doch in ebendiesen geschäften unterwegs sind und ziemlich genau wissen, was für ein furchtbarer fehler es wäre, wenn ein leitender angestellter eine verheiratete frau an die titten fasste - im grunde genommen kann der sich schon mal seinen sarg bestellen, heutzutage, ob er sich mit dem geschäftsführer duzt oder nicht. wer die modernen spielregeln kennt, gewinnt deiner geschichte nicht allzuviel rührung ab - sie ist ein bisschen zu dick angemacht.

ich glaub nicht, dass man unbedingt ein geschwollenes knie braucht und einen geilen metzgermeister im rücken, um das dasein einer wurstverkäuferin als trostlos zu empfinden und darzustellen. ich bin sicher, du könntest bei deinen sprachlichen fähigkeiten auch ohne diese krücken unterwegs sein.

nichts für ungut und liebe grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Klischees

Das mit den Klischees war mir beim Schreiben und auch bei der Überarbeitung bewusst, aber Mobbing und Isolation am Arbeitsplatz sind leider Realität und zentrale Ursachen von Burn out. Dass ich "Rührung" in der Leserin, im Leser erzeugen will ist IMHO durchaus eine Intention meines Schreibens. Ich will den Leser anrühren und nicht kalt lassen. Ich gebrauche dass "Gewöhnliche" und "Alltägliche" um persönliche Betroffenheit auszulösen - wenngleich ich wesentlich weniger spekulativ schreibe als spontan.
Das Ausgebranntsein meiner Protagonistin kommt ja nicht allein aus der beruflichen Ecke, sondern auch aus dem familialen Umfeld und letztlich aus der Erkenntnis, nicht das Leben führen zu können, das sie sich erträumt hat.
Da ich den Text ohnehin um etwa ein Drittel kürzen muss, werde ich deine Ratschläge beherzigen und vermutlich den Fleischer in den Fleischwolf der Korrektur stecken.
heini
 

Ralf Langer

Mitglied
auch von mir ein herzliches willkommen
in der ll
lieber heini!
die geschichte ist handwerklich gut gemacht.
Das thema zeitlos aktuell.
insofern gibst von meiner Seite nichts zu meckern.

Ein zwei dinge:

Ich fände es spannnender, wenn du mit direkter
rede abeiten würdest.
Die Situationen mit dem aufdringlichen Kollegen
hätten mehr Wucht,
und zögen den leser mehr in die geschichte.
also mein vorschlag:
Lass die Frau hinter der theke stehen, lass sie jezt
fühlen denken und handeln.
So ist es halt ein wenig fatalistisch.
(was du sicher beabsichtigt hattest)
lg
ralf
 
B

bluefin

Gast
gut so, @heini!

dennoch rate ich dir zu eigenem, statt zur billigen auslegware. über die stolpert man doch allüberall, und ein trumm ist so langweilig wie das andere. aber auch bei rührstücken sollte die logik aufrechterhalten bleiben, sonst fließt die zähre nicht wirkich - einer verheirateten mutter langt man nun mal nicht ungestraft unter den rock. das ist heutzutage sünd-, sündteuer: der prozess und das schmerzensgeld gehen in die zigtausende und der metzgermeister in den hefen, wie ihr so schön sagt.

ich fände das ganz genau hinsehen viel spannender. wegen sechs lumpiger maultaschen wurde eine angestellte antlassen und behielt vor dem arbeitsgericht unrecht? skandal!! armes hascherl!! wie? es gab eine hausinterne regelung, die ihr den legalen, verbilligten erwerb ermöglicht hätte, aber sie hat's trotzdem geklaut? ach so. ein anderer fall: wegen zwei für sich selbst eingelöster pfandbons dritter rausgeschmissen worden und trotz prozess nicht wieder reingekommen? hieß sie nicht "emmely" und wurde von der gewerkschaft auf den schild gehoben? noch größerer skandal, noch ärmeres hascherl!! was? die hat auf vorhalt beharrlich gelogen und den verdacht auf eine andere kollegin zu lenken versucht? ja dann...

lieber @ralf, das immergleiche sortiment würste, das einer einzelhandelsverkäuferin lebenslänglich vor der nase herumhängt, lässt sich nur durch fatalismus ertragen, welch letzterer nach meinung des walfisches nicht unbedingt die allerschlechteste filosofie ist, der man anhängen kann...

...*bubbles*...

bluefin
 

Ralf Langer

Mitglied
Bluefin

Fatalismus ist die Hoffnung der Pessimisten,
bluefin,

Allerdings sind deine Ideen zu der Geschichte
mehr als brauchbar.
Ich traute mich da nicht dran.

Was würde ich denn sagen außer:
Ja so isses.
Der alltägliche Wahnsinn in der Arbeitswelt
ist mir zuwider.
Ich hab genug mit mir selbst zu tun

Hupps. Jetzt werd ich noch fatal.
Schnell aufhören
 

heini

Mitglied
Ich finde es von Berufs wegen interessant, dass gerade diese Episode der Geschichte -15 Zeilen von 120 im Text in meinem Umbruch - so zur Kritik herausfordern. Ist ja ein heikles Thema und kaum objektiv zu diskutieren.
@ Ralf Langer: Ich hatte ursprünglich mehrmals direkte Rede im Text, hab den aber aus der Stimmigkeit des inneren Monologs heraus, was es trotz meiner Erzählperspektive ist, wieder gestrichen. Diese dadurch erreichte Distanz kann wohl mehr berühren als ein "echter" innerer Monolog.
Wie gesagt, ich werde die Geschichte demnächst kürzen und diese Episode wohl streichen.
 
B

bluefin

Gast
lieber @heini,

was man ausser g'schichterln schreiben von berufs wegen macht, spielt bei der beurteilung eines textes keine rolle. er steht für sich, ebenso wie die kritik, die man dafür bekommt. und es macht auch keinen sinn, darauf abzuheben, er sei "nur" teil eines großen ganzen. du hast diesen text hier vorgestellt, und nur auf diesen hatten wir uns zu beziehen. ich bin sicher, dass wir da insgesamt einer meinung sein können.

warum sollte man deine erzählung, die leider ein weing im platten stecken geblieben ist und bisschen trieft, diesbezüglich nicht objektiv kritisieren können? es wird nichts dargestellt, was so oder so ähnlich schon tausendmal aufgeschrieben worden wäre und leider recht einseitig daherkommt - wie stets mit einem auge auf die betroffenheit des lesers schielend. das dumme ist: der merkt das, wenn er "lesen" kann, und sagt dir das, was bluefin versucht hat, dir zu vermittelln.

noch mal: mach dir eigene gedanken und zeichne neue bilder, statt immer wieder alte an die wand zu pinnen.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
@ bluefin
Ich glaube, da verstehst du was falsch, ich beschäftige mich von Berufs wegen mit selektiver Wahrnehmung und habe nur angemerkt, dass man sich bei der Geschichte auf genau diesen Abschnitt mit solcher Vehemenz stürzt - auch noch dann, als ich schon anmerkte, dass ich diesen Abschnitt ohnehin streichen werde.
Etwas verwirrt bin ich übrigens, wenn mir ein Kritiker in der dritten und ersten Person gleichzeitig daherkommt ;-)
@ Ralf Langer
Mich frisst man nicht so leicht auf ;-)
 
B

bluefin

Gast
sorry, @heini,

im vorliegenden falle halte ich meine beschäftigung mit deiner hervorbringung für eine gut gemeinte und ausführliche, kurz: eine positiv kritische. möglicher weise siehst du das selektiv anderes, aber ich darf dir versichern: "vehement" ist hier nix.

ich wusste bisher gar nicht, dass selektive wahrnehmung ein studienfach ist. man lernt doch nie aus! ab welchem semester erkennt man den leviathan im kritiker?

amüsierte grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Selektive Wahrnehmung

Das Erkennen selektiver Wahrnehmung lernt man in meinem Beruf in den ersten Semestern; da ich das Fach Psychologie seit fast vierzig Jahren lehre, ist man für solche Reaktionen eben sensibel - deformation professionelle gewissermaßen. In dem Fall hat es mich übrigens nicht sehr überrascht, denn der Text schreit geradezu danach, dass man sich an diesem Aspekt aufhängt. Wenn man sich die im Text durchaus auch vom Umfang her gleich gewichteten Themen anschaut:
- Ehe- und Familienprobleme
- Kinder und Schule
- unerfüllte Lebensträume
- ungesunde Arbeitsbedingungen
- körperliche Gesundheit und Altern
- Medikamentenmissbrauch
- Mobbing am Arbeitsplatz
- sexuelle Belästigung
dann hätte ich hundert zu eins gewettet, dass davon nur die beiden letzten diskursiv sind, während die anderen als gegeben/normal hingenommen werden.
 
B

bluefin

Gast
lieber @heini, das herauskehren beruflicher qualifikationen, die nichts mit literatur eo ipso zu tun haben, halte ich für extrem uncool. das ist, als ob man, wenn man nicht recht weiter weiß, mit seinem großen bruder drohte. nimm dir ein beispiel an mir: ich droh immer damit, ein walfisch zu sein, und alle glauben, ich wär gar keiner. ist das nicht herrlich?

deine aufzählung da finde ich sehr schön. allerdings reihen wir walfische sie anders - wir halten die beiden letzen topics für völlig normal und alle anderen für diskursiv. jedenfalls aus literarischer sicht.

da wir hier ein literaturforum sind und kein psycho-chat für emeriti, halte ich meinen submersen ansatz für den besseren. tipp: nimm den hier völlig sinnlosen doktorhut ab und schreib eine wirklich coole geschichte über eine wurstverkäuferIn.

das wär fein.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Schon wieder ein Missverständnis

Also das ist schon wieder ein Missverständnis, denn ich habe auf deine Nachfrage die berufliche Qualifikation in Bezug auf deine selektive Kritik und nicht in Bezug auf den Text erwähnt.

BTW1: In einem Punkt muss ich dir dennoch in meinem Selbstverständnis als Autor widersprechen: Dem Schreiben sollte stets die Kenntnis seines erzählerischen Gegenstandes vorausgehen. Ich würde nie über einen Kapitän schreiben, ohne wenigstens fundamentale Kenntnis über diese Profession zu haben und auch nicht über die Magenbeschwerden von Walfischen, ohne mich darüber eingehend kundig gemacht zu haben - bei Gelegenheit vielleicht auch mit einer kurzen Visite in dessen Magen, wie eine solche vor mir schon einige vorgenommen haben.

Wenn ich eine Geschichte über eine Wurstverkäuferin schreibe, dann lehne ich mich weniger an die literarische Coolness an denn an die von einer konkreten Wurstverkäuferin berichtete Kühle, die ihr aus dem Kühlregal um die Füße fließt. Ein Tipp: Geh einmal im Sommer mit kurzen Hosen in einen Supermarkt und stelle dich ein paar Minuten zum Milch- und Milchprodukteregal. Dann weißt du, was ich mit wirklicher Kenntnis des literarischen Gegenstandes meine.

BTW2: Emeritiert bin ich noch nicht und ein Doktorhut ist für das Schreiben literarischer Texte kein Hindernis.
 
B

bluefin

Gast
ich glaube nicht, lieber @heini, dass es ein hochschulstdium bräuchte, um sich in die seele einer wurstverkäuferin hineinversetzen zu können. deinen ausführungen nach dürften ja nur gynakologen liebes-, jurisprudentes kriminal- und forstwissenschaftler ganghoferromane zum besten geben. und melville müsste doktor der cetaceologie gewesen sein.

ein scheinbar recht vernünftiger gedanke!

als wie hinderlich aber sich akademische grade gerade beim verständnis weiblicher psyche zu erweisen pflegen, zeigt uns exemplarisch sternheims großartiger "blauer engel", wo ein frauenstimmchen und lasziver blick gediegene bildung sogleich zu unrath werden ließen.

freundschaftlicher tipp, @heini (ich hoffe, du hast soviel humor): mach statt einer rührend gemeinten psychoanalyse doch lieber ein g'schichterl, in der sich ein ergrauter hochschulprofessor in die wurstverkäuferin eines großsortimenters verguckt und trotz seiner fortschreitenden gicht täglich eine ganze selchstelze bei ihr, im schnellimbiss stehend, verspeist, hoffend, sie nähm ihn und seine gefühle wahr.

als er bemerkt, dass sie's nicht bemerkt, sondern dem fleischhauer den vorzug gibt, greift er erst zu den tabletten und dann zum hackebeil...

oder so ähnlich. ich weiß ja nicht, wie's bei euch so läuft in tufelixaustria, aber hier in bayern haben die professores nix zu lachen. für die sollte auch mal jemand eine lanze brechen. das wär mal was anderes, endlich, hm?

heitere grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Wenn wir schon bei Literatur sind …

… dann würde ich als Vorbild unbedingt das Original Manns der Filmversion mit der doch eher pummeligen Marlene vorziehen, wobei ich mir das Vorbild bzw. den Raat in beiden Milieus holen würde, deren genaue Kenntnis der Autor sicher hatte, und der übrigens das literarische wortwörtlich von der Pike auf gelernt hat, was aber trotz seines Studiums zumindest auch kein Hindernis war.

BTW: Bevor du weitere Vermutungen anstellst: Germanistik hab ich auch studiert, allerdings solltest du daraus keinerlei Schlüsse auf meine Autorentätigkeit ziehen, denn die diesbezüglichen Präferenzen liegen eindeutig im Bereich der romantischen Lyrik und der modernen Dramatik.
 
B

bluefin

Gast
lieber @heini, unser klassenprimus, der holzapfl thomas, ist "maximilianeer" gewesen und hat ein stipendium bekommen - einskommanull (ohne berücksichtigung von musik und sport). er hat's bis zum lateinlehrer gebracht und war immer ein rechtes kotzbröckerl. der schriefer hennning war der zweitbeste der klasse. der war cool, mit dem hab ich viel gaudi gehabt, damals. der hat ein "studium generale" absolviert und schlägt sich heute als handyverkäufer durch.

mir haben sie immer eine kriminelle karriere prophezehit, aber nicht einmal die hab' ich richtig hingekriegt. und so beschloss ich, walfisch zu werden.

liebe grüße aus münchen, auch an die wurstverkäuferin!

bluefin

p. s.: hungerhaken sind megaout, magnifizenz. bei uns ist frauenpower angesagt, so wie marlene sie damals hatte. sind die mädelz zu stark, @heini, bist du zu schwach...*smile*...
 

heini

Mitglied
Grüße an die Wurstverkäuferin …

gehen leider ins Leere, da sie vor etwa 3-4 Jahren aus der Großstadt wieder in ihr Heimatdorf gezogen ist - die Kinder waren meines Wissens aus der Schule. Sie hat glaube ich die Hacklerregelung in Anspruch genommen - bevor du nach diesem Austriazismus googlen musst: http://de.wikipedia.org/wiki/Hacklerregelung
 
B

bluefin

Gast
ich google nur ungern, lieber @heini. es macht einen zum stümper. stell dir vor, ich weiß sogar aus dem stehgreif, was "tschusch'n" sind oder die "hock'n".

wenn ich das wort "vorruheständler" höre, denk ich immer an potenzstörung. ich weiß auch nicht, woran das liegt. wahrscheinlich an der viagra-werbung.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Ich sitze vor dem Computer …

und mache es dennoch einmal aus dem Stegreif: Du brauchtest eleganterweise nicht einmal aufstehen, sondern nur auf "Hier klicken" klicken. Hackler sind nach dem Gesetz Männer, die 45 Versicherungsjahre, und Frauen, die 40 Versicherungsjahre bzw. vorwiegend bei letzteren aquivalente Versicherungszeiten (Kindererziehungszeiten, Karenz) nachweisen können. Ich denke, dann hat man sich seinen Ruhestand verdient.
Womit wir wieder bei der Wurstverkäuferin wären, die mit Viagra wohl weniger am Hut hat. Wie gesagt: ich habe sie aus den Augen verloren, aber sie saß immer noch in meinem Hinterkopf mit frierenden Beinen und roten Fingern, immer freundlich und mit einem beinahe glücklichen Lächeln, wenn sie von ihren Kindern sprach.
 



 
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