Byzanz, so fern ...
Die Delegation bestand aus nur sechs Personen. Wenig genug, gemessen an der ungeheuerlichen Bedeutung des Anlasses. Aber mehr waren nicht nötig. Diese Sechs waren die Besten, die die Erde für einen solchen Zweck - den Erstkontakt mit einer fremden Lebensform - aufzubieten hatte. Hochgezüchtete Generalisten, Koryphäen sowohl als Diplomaten, wie auch als Wissenschaftler.
Der Besprechungsraum war mit Wanzen, Mikrokameras, Chemosensoren und Nanorobotern vollgestopft. Ganze Möbelstücke bestanden praktisch aus dem Zeug - ungemein kunstreich verborgen und getarnt.
Indes, im Augenblick sah es so aus, als sei der ganze Aufwand umsonst gewesen. Hier saßen die Experten der iridischen Delegation, neugierig, furchtsam und erwartungsvoll. Und dort, ihnen gegenüber, saß der Abgesandte der Alienflotte, die seit einigen Tagen im Orbit kreiste. Ein kleines, bärenartiges Wesen, mit verfilztem Pelz und einer Neigung zu Hüftringen
Und er sagte kein Wort!
Nichts, nicht eine Silbe, keinen Laut, kein Geräusch.
Er saß nur da, schaute die Menschen mit großen, dunklen Augen an und zuckte hin und wieder zusammen, wenn man ihn ansprach.
Sie hatten es in allen Sprachen versucht, in der Hoffnung, dass der Alienbotschafter sich vielleicht irgendwie vorbereitet habe. Aber das hatte er wohl nicht. Selbst Esperanto oder Binärcode lösten keine feststellbare Reaktion bei ihm aus.
Musik jeglicher Stilrichtung regte ihn weder auf, noch beruhigte sie ihn - und Werke der bildenden Kunst schienen ihn genauso wenig in ihm auszulösen.
Über acht Stunden redeten sie jetzt auf ihn ein, ohne mehr als ein Räuspern aus ihm heraus zu bekommen. Selbst seine Körpersprache war mehr als sparsam. Er bewegte sich nicht im Geringsten, so dass Fletcher Gardener, der Delegationsleiter immer wieder nachfragte, ob der Fremde überhaupt noch lebe.
"Er atmet, schwitzt ein wenig und zittert hin und wieder leicht", meldete Orlowski, die vor einem Notebook saß auf dem sie regelmäßig die Messergebnisse abrief. "Er ist ein bisschen nervös, aber das sind wir schließlich auch."
"Wie sieht's denn aus mit den Chemosensoren?", presste Gardener zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Kann man irgendwas anmessen? Gibt es irgendwelche Körperausdünstungen, die man als Kommunikationssignale interpretieren könnte?"
"Rein gar nichts", knurrte Raskolnikov ausdruckslos zurück. "Ein bisschen Buttersäure, Salzwasser, Schwefelwasserstoff und Aceton. Nicht mehr als Sie oder ich. Keine Struktur, keine Muster. Scheint sich um ganz normale Stoffwechselvorgänge zu handeln."
"Farbveränderungen der Körperoberfläche? Möglicherweise im ultravioletten Bereich?"
"Nichts, Sir, seit 8 Stunden das gleiche stumpfe Rosa."
Gardener machte einen letzten verzweifelten Versuch:
"Ich Fletcher", sagte er eindringlich, jede Silbe kristallklar artikulierend und deutete sich auf die Brust. Dann streckte er seinen Zeigefinger dem Alien entgegen. "Und duuuuu???"
"Maimiti [1]", flüsterte jemand mit gut verstellter Stimme und einem albernen Kichern. Aber der Fremde sagte natürlich nichts, schluckte nur schwer und schaute so treuherzig und ergeben, als sei er beim Marmelademopsen erwischt worden.
Gardener trommelte nervös mit den Fingern auf seiner Sessellehne.
"Verdammt, ich weiß nicht, was wir noch tun sollen ... ihm etwas zu trinken und ein paar Plätzchen anbieten?"
"Würde ich nicht empfehlen", raunte Mittermaier von der anderen Seite. "Wir wissen rein gar nichts über seinen Metabolismus. Was ist, wenn er etwas zu sich nimmt und tot umfällt? Die Aliens haben einen Überlichtantrieb ... ich möchte lieber nicht wissen, welche Waffen sie haben."
"Was sollen wir also tun?", fragte Gardener seine Kollegen. "Fällt noch jemandem etwas ein?"
Allgemeines Kopfschütteln.
"Wir könnten es ja morgen noch einmal versuchen. Vielleicht ist bei denen heute ein Feiertag, an dem sie nicht reden dürfen", schlug Rosenzweig vor.
"Ihn einfach hierbehalten?", Gardener schüttelte entschieden den Kopf. "Ausgeschlossen. Das könnte als Geiselnahme aufgefasst werden - zu riskant."
"Dann können wir ihn nur noch zu seinem Shuttle bringen und Adieu sagen", seufzte Kanazawa.
Gardener beschattete mit der Rechten die Augen und winkte mit der Linken lethargisch ab.
"Von mir aus - bringt ihn raus."
*****
Weit draußen im All, an einem Punkt, von wo aus die Erde das sattsam bekannte "Saphir-auf-schwarzem-Samt"- Klischee bot, schwebte lautlos das Flaggschiff der Aliens. Auf der Brücke saß Kommandant Gashnurrz vor seinem Monitor und schüttelte abgrundtief seufzend den wolligen Kopf.
"Sieht so aus, als hätte Dzirrwizzl alles versiebt", grunzte er. "Sie schicken ihn wieder weg."
"Wir haben darüber abgestimmt", wandte Nuzzdrullgizz, der Navigator ein. "Wir waren uns alle einig, dass Dzirrwizzl den ersten Kontakt knüpfen sollte."
"Ich weiß ich weiß, ich habe ja selbst dafür gestimmt. Aber "friedfertiger Eindruck" hin oder her - ich glaube es war eine saudumme Idee, ausgerechnet den Schüchternsten von uns zu schicken!"
[1] Falls das ZU abseitig ist, es bezieht sich auf die Szene in "Meuterei auf der Bounty", in der Fletcher Christian (Marlon Brando) sich mit der Häuptlingstochter Maimiti bekannt macht.
(c) Achim Hildebrand 2003