Café

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BotX

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Es ist bewölkt und die ganze Straße macht, menschenleer und dunkel wie sie ist, einen tristen Eindruck. Während ich sie entlangfahre, auf dem Weg ins Café, denke ich nach. Nicht bewusst, nicht aktiv - vielmehr so, wie man eben nachdenkt, wenn man voll und ganz auf das Fahren konzentriert ist und die eigenen Gedanken, wie beiläufig, einen Faden aus unzähligen Ereignissen, egal ob vergangen oder imaginär, zu spinnen scheinen.

Als ich eingeparkt habe, steige ich - etwas träge - aus dem Wagen und erst die kühle Luft, die mir entgegenschlägt, befördert wieder zurück in die Realität. Zum Café wollte ich. Gleich auf der anderen Straßenseite. Das ist für mich im letzten halben Jahr Routine geworden.

Dort im Café befinde ich mich - wenigstens einmal am Tag für ein paar Minuten - in sozialer Gesellschaft. Ungezwungen und vor allem unverbindlich. Langfristig in eine Beziehung, sei sie nun freundschaftlich oder romantisch, zu investieren, wäre beim meinem Arbeitspensum nur mit Mühe möglich. Es würde sich auch nicht lohnen: es könnte schließlich sein, dass ich morgen einen Anruf bekomme und die Stadt verlassen muss. Das ist auch nur möglich, wenn ich ungebunden bin. Ich verkaufe nicht nur meine Arbeit. Ich werde dafür bezahlt, da zu sein.

Ich stehe vor der Tür und öffne sie, so wie ich es jeden Morgen tue. Drinnen begrüßt mich Molly, die Angestellte, die so gut wie jeden Morgen Schicht hat, mit einem Lächeln. Vielleicht ist sie die einzige Person in der ganzen Stadt, die weiß, dass ich existiere. Auf jeden Fall ist sie die einzige Person, die mich regelmäßig sieht. Wirklich gesprochen habe ich mit ihr aber noch nie, wenn man von einem alltäglichen "Guten Morgen", "Tschüss, schönen Tag noch" und meinen Bestellungen absieht. Vielleicht ist sie auch der einzige Mensch, mit dem ich im letzten halben Jahr geredet habe. Da bin ich mir nicht mehr sicher.

Ich lächle zurück und laufe auf die Theke, hinter der sie steht, zu.
"Guten Morgen."
"Guten Morgen. Das Übliche?"

Zunächst erstaunt, dass sie meine übliche Bestellung verinnerlicht hat, antworte ich: "Ja, bitte."

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, was das Übliche ist. Die Entscheidung, was ich denn frühstücken wolle, kam mir bisher immer sehr spontan vor. Wenn ich aber darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich eigentlich jeden Morgen den gleichen "Kaffee, mit Milch bitte - aber ohne Zucker" bestelle. Die Bezeichnung "Frühstück" ist dafür also eigentlich gar nicht angebracht.

Mein Gedankengang wird vom Klirren der Kaffeetasse unterbrochen, als Molly sie auf das Tablett vor mir stellt. In diesem Moment wird mir auch bewusst, dass ich die ganze Zeit, in der das Getränk zubereitet wurde, damit zugebracht habe, dezent dämlich im Raum zu stehen und über meine Essgewohnheiten nachzudenken. Das ist mir ein wenig peinlich, auch wenn es vermutlich niemand bemerkt hat - es ist so gut wie leer. Außerdem befürchte ich, dass Molly sich bereits daran gewöhnt hat. Instinktiv möchte ich mir vornehmen, in Zukunft mehr auf mein Verhalten zu achten. Dann fällt mir ein, dass sich das nicht lohnt. Ich kenne ja niemanden, der mich deswegen aufziehen würde. Mein Lebensstil hat offensichtlich auch Vorteile.

Mit einem weiteren, dieses Mal leicht überforderten Lächeln bedanke ich mich. Dann krame ich meine Brieftasche heraus, gebe Molly einen Fünfer und werfe das Restgeld in die Tasse mit der Aufschrift "Trinkgeld" direkt neben meinem Tablett. Molly bedankt sich. Wenn sie spricht, klingt sie immer etwas euphorisch. Bei ihr wirkt diese Euphorie aber nicht so aufgesetzt, wie bei den meisten anderen Bedienungen, mit denen ich bisher zu tun hatte.

Während ich mich mit dem Kaffee an einen freien Tisch am Fenster setze, betrachte ich das Blatt, dass seine Oberfläche ziert, mit großer Bewunderung. Figuren mit Milch in Kaffee gießen, das würde ich gerne können. Aber das bringt kaum Geld ein, darum habe ich es nie gelernt. Für einen kurzen Moment bereue ich, mich für einen gut bezahlten Job entschieden zu haben und male mir aus, wie mein Leben wohl aussehen würde, wenn ich nach der Schule gewagt hätte, ein eigenes Café zu eröffnen. Dann wende ich mich meinem Kaffee zu und versuche die Phantasien zu verdrängen.

Mein Blick streift ein paar mal meinen Wagen, während ich aus dem Fenster sehe. Der Himmel ist dunkler geworden und lässt die Straße noch ein wenig düsterer, noch ein wenig kälter wirken. Deutlich häufiger streift mein Blick aber die Reflexionen von Molly am Fenster.

Ich sehe auf die Uhr: noch fünf Minuten bis ich wieder im Auto sitzen muss. Genug Zeit um einen zweiten Kaffee zu bestellen. Ich trinke den restlichen Kaffee aus mache mich wieder auf den Weg zur Theke.

"Einen Kaffee mit Milch - ohne Zucker bitte. Und zum Mitnehmen."
"Kommt sofort."
"Ich bin erstaunt, dass Sie sich meine Standardbestellung gemerkt haben."

Nein. Eigentlich bin ich erstaunt darüber, dass ich gerade ernsthaft versucht habe ein Gespräch zu beginnen. Molly wartet kurz bevor sie antwortet. Gerade lange genug, um mir die Möglichkeit zu geben, mich innerlich darüber aufzuregen, dass ich ihr gerade indirekt Dummheit unterstellt habe.

"Ist doch nichts Besonderes". Sie lächelt - ich beschließe, nicht weiterhin zu versuchen, das Gespräch selbstständig am Leben zu halten.

Molly stellt den Kaffee auf ein neues Tablett und legt eine Serviette dazu. Ich bedanke mich, zahle, umwickle den Pappbecher mit der Serviette, damit ich mir nicht die Finger verbrenne und verabschiede mich. Molly bedankt und verabschiedet sich auch - gewohnt überschwänglich - und im nächsten Augenblick stehe ich wieder auf der Straße und steuere auf mein Auto zu.

Als ich wieder hinter dem Lenkrad sitze, fallen die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe. Ich starte den Motor, parke aus, folge einfach der Straße. Als das Café nicht mehr im Seitenspiegel zu sehen ist, bin ich wieder vollständig auf das Fahren konzentriert. Ich fahre etwas schneller als sonst und jedes Mal wenn ich beschleunige, übertönt der Motor das Prasseln des Regens auf der Scheibe.

Mein Handy klingelt. Ich krame es, während ich fahre, aus der Hosentasche und nehme den Anruf an. Es ist mein Chef. Morgen wohne ich in einer anderen Stadt, heute Abend soll ich losfahren. Ich brauche ein neues Café.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo BotX, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Eine nachdenklich machende Geschichte über den beziehungsarmen Alltag eines einsamen, "modernen" Menschen.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 
Hallo BotX, Dein Ich-Erzähler erstarrt in seinen Routinen, der winzige Ausbruchsversuch ist mir zu klein oder zu undramatisch. Wenn Molly ihm irgendwas erwidert hätte, was ihm zu denken gibt, so dass sein Abschied von der Stadt wenigstens minimal schmerzhaft würde. An sich ein guter Ansatz, einen Angestellten in seiner entfremdeten, entmündigten Situation zu zeigen - aber für mich zu sehr Grau in Grau. Ein Farklecks gehört hinein!
Mit Gruß
E. L.
 

BotX

Mitglied
Vielen Dank für die sachliche Kritik.

Ich habe schon befürchtet, dass es dem Text an einer wirklichen Spannungskurve oder zumindest an einem Höhepunkt, den man als solchen Bezeichnen könnte, fehlt.

Zuerst habe ich mir überlegt, Molly sehr positiv auf den Erzähler reagieren zu lassen, so dass dieser sich sicher ist, mit ihr so etwas wie eine Freundschaft aufbauen zu können. Mir fiel aber kein Szenario ein, in dem so eine Reaktion realistisch wäre, darum habe ich versucht, das Café als einzigen Bezugspunkt in seinem Leben zu etablieren, der ihm letztlich auch noch entrissen wird.

Dass Mollys Antwort, auch wenn sie negativ sein sollte, dem Erzähler nur zu denken geben und somit seinen Abschied erschweren könnte, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen.

Ich weiß noch nicht, ob ich in absehbarer Zeit dazu komme, diese Geschichte zu überarbeiten. Vielleicht werde ich sie auch komplett neu erzählen, sobald besser darin bin, Dialoge zu schreiben.

Liebe Grüße,
BotX
 



 
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