Café Taubenschlag

hibou

Mitglied
NOCH NE KNEIPE FÜR FLAMMARION (UND DAZU DEN VORSPANN)



KNEIPEN!

”Ich wünschte, neben Dir aufzuwachen,, mich langsam umzudrehen und als erstes Dein Gesicht zu erblicken …lass uns alles tun, was es gibt – (obwohl ich natürlich weiß, was wir tun werden: in Kneipen gehen und dann ins Bett. Und was könnte schöner sein?).”
(Dylan Thomas)

In loser Folge berichten unsere Reporterinnen und Stammgaeste aus den Bars, Buffets und Brasserien der Welt. Fast immer handelt es sich dabei um Lokale, in denen Thomas, Hemingway und Joyce NICHT verkehrten. Entdecken sie mit uns neue Tresen, Espressotassen und Bierdeckel!



Café Taubenschlag (14)

Mitten auf dem Kiez gelegen bietet es vormittags seine Atmosphäre gegen die Schwüle der Nacht, gegen das nahebei seit Jahrzehnten aufgeführte Musical ”Grease”, gegen die staubgetrocknete Pisse im Rinnstein und die nach vielerlei Gebrauch zerknüllt liegengebliebenen Kleenex-Tücher auf. Morgens um 11 schlafen auch Zuhälter und Huren noch, so wird die Struktur seines Innenraums nicht durch Menschen und Gerede überlagert. Nur die Musik ist etwas laut und Udo Lindenberg singt mal wieder von einem Pelikan. Aber sonst ist alles klar: die dunkle Wandtäfelung, das helle Sonnenlicht das auf diese und über die schwarzen Tische fällt, der von der Fassade herabhängende Knöterich, der die Lichtflecken flimmern lässt, die Bedienung, die genauso jung ist, wie sie aussieht, rasch und ohne viel Mimik arbeitet und die geschwungenen Lippen geschlossen hält. Ein grauhaariger Mann trinkt Capuccino. Seine nicht so alte Geliebte legt nun die Beine übereinander, schaut ihn an, streicht mit der Hand über den fußlangen indischen Rock. Am Fenster sitzt ein netter, konservativer Herr in Schlips und Kragen, sauber gekämmt und die Prinz-Heinrich-Mütze neben sich auf dem Stuhl. Er hat gerade die folgende Notiz geschrieben und überfliegt sie auf Fehler:

Sprache und Schrift in der Krise.
Das Netz unserer Worte trägt nicht mehr, sagen immer mehr Reformpolitiker. Zu lange waren wir es gewohnt, dass immer genug davon da waren, dass es am Schluss noch immer welche zu verteilen gab. Viele Worte aber sind alt geworden, sachte und sanft verblassen sie im Sprachstrom, manche andere sind ganz verblichen – abermals! fürwahr! Strohwitwe! elukubrieren! – und die Schar der Wortkargen und Wortlosen steigt trotz aller Bemühungen seit Jahrzehnten an. Einschneidende Änderungen müssen her, sagen die Politiker, und sie werden wehtun. Nur so kann die Mitschweigementalität, die bis weit in die Oberschule reicht, bekämpft werden. Selbst der Bundespräsident greift ein. Sprache, so verkündet er, wird nie überall gleich sein können, aber, so fährt er tröstend fort: wir müssen etwa den Unterschied zwischen Substantiv und Verb nicht als Makel empfinden, sondern als Chance begreifen! Sofern man denn, wirft der PISA-Forscher ein, diesen Unterschied überhaupt kenne… Und ganz einfach wird das Leben wieder mehr Geschichten schreiben müssen!
(wir aber müssen zurück ins Funkhaus)
 

Mumpf Lunse

Mitglied
Führwahr! Abermals ist dem Autor eine sinnensatte Miniatur gelungen. Man kann das Sperma riechen das aus den durch "vielerlei Gebrauch zerknüllt liegengebliebenen Kleenex-Tüchern" (hier hätte ich mir gewünscht der Autor besäße den Mut sie als dass, was sie sind: Artefakte, zu bezeichnen.) quellend, die Szene schwängert. Wir fragen uns noch, ob die parkinsonsche Mimik der fast oder real minderjährigen Bedienung, Ausdruck oder Folge einer progredienten Distanz zum Ort ist, da wird unsere Aufmerksamkeit bereits zurückgeführt, zurück in das konservativ Konventionelle.
Das Netz der Worte, in dem wir uns wenige Sätze später hilflos verfangen werden, wird ausgeworfen.
Zurück bleiben wir mit den bedrückenden Visionen von parasitären Verbalschmarotzern und der unausgesprochenen Frage: Wann ist uns die schöne Tradition des Tätschelns von Wirtshausbedienungshintern verloren gegangen und noch wichtiger: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt sie wieder zu beleben?
Wäre das nicht eine von den Geschichten, die das Leben schreiben müsste?
Warum bleibt eigentlich immer alles an mir hängen?
Schreibt man "um 11" nicht "um elf"?

Ist unser Gehirn wirklich plastisch, form und veränderbar, lebenslang? Welche Bücher muss man gelesen haben um den Text zu verstehn? Welche besser nicht? Muss man den Text überhaupt verstehen und wenn nicht, warum gerade jetzt?

Mir hat er Freude bereitet

Mumpf
 



 
Oben Unten